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State of the Art und Innovationen in der HIV-Therapie
Jatros
30
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05.04.2018
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<p class="article-intro">Aktuell befindet sich vieles im Bereich der HIV-Medizin im Umbruch, „HIV in motion“ lautete etwa auch das Motto des DÖAK-Kongresses im Vorjahr. JATROS sprach mit Univ.-Prof. Dr. Heribert Stoiber, Innsbruck, über neue Entwicklungen und den aktuellen Stand des Wissens in der medizinischen Betreuung von HIV-Patienten.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>„HIV in motion“, worauf bezieht sich das Motto im Besonderen?<br /> H. Stoiber:</strong> Da sind einmal die neuen antiretroviralen Therapien (ART), die gerade entwickelt werden, vor allem diejenigen mit einem Depotansatz, bei denen eine Injektion ausreichend ist, um zwei, drei Monate gut versorgt zu sein. Das wird der große nächste Schritt in der HIV-Behandlung sein.<br /> Wir sehen auch, dass die Lebenserwartung von HIV-Positiven sich immer mehr derjenigen der nicht infizierten Bevölkerung annähert; da ist also auch Bewegung drin, wenn auch etwas langsamer, denn diese Entwicklung zeichnet sich immer mehr ab, je länger es die therapeutischen Optionen zur Langzeittherapie der HIV gibt.<br /> Und schließlich ist die Migration im Zusammenhang mit HIV im letzten Jahr intensiv diskutiert worden. Aufgrund der Flüchtlingswelle gab es die Befürchtung, dass viel mehr HIV-Infizierte oder Patienten mit anderen Infektionskrankheiten nach Österreich kommen werden, das hat sich aber nicht bewahrheitet.<br /><br /> <strong>Was gibt es zum Letztstand der Epidemiologie von HIV-Infektionen in Europa zu berichten?<br /> H. Stoiber:</strong> Die HIV-Infektion wird immer mehr zu einem Problem, vor allem im Osten Europas, in Russland, der Ukraine und Moldawien. Dort ist erstens die Versorgung mit Medikamenten suboptimal und zweitens ist die Bevölkerung nicht ausreichend aufgeklärt. Im Westen Europas gibt es auch immer mehr HIV-Positive, das liegt aber nicht daran, dass die Zahl der Neuinfektionen explodiert, sondern ist durch die steigende Lebenserwartung der HIV-Positiven bedingt.<br /><br /> <strong>Im Bereich der Grundlagenforschung wurden zuletzt Möglichkeiten und Grenzen einer Heilung der HIV-Infektion diskutiert. Wie beurteilen Sie die Chancen für die Entwicklung einer Therapie, die eine Heilung ermöglicht?<br /> H. Stoiber:</strong> In den nächsten paar Jahren wird es sicherlich keine Marktreife für eine kurative HIV-Therapie geben. Die neueren Forschungen gehen in die Richtung, das HI-Virus durch CRISPR/Cas- Technologie, also mittels sogenannter „Genscheren“, aus dem Genom zu entfernen, latent infizierte Zellen damit zu beseitigen und HIV so aus dem Körper zu eliminieren. Zumindest in Zellkulturen funktioniert das schon ganz gut. Allerdings haben Studien am Mausmodell auch gezeigt, dass dadurch mehr Tumoren und DNA-Mismatches auftreten. Diese Ansätze stecken also noch in den Kinderschuhen, man wird sehen müssen, wie gut das wirklich funktioniert.<br /> Viele HIV-Positive fragen mittlerweile: Warum sollten wir uns dem Risiko solch einer Gentherapie überhaupt aussetzen? Wir haben heute sehr gute Therapieoptionen, die relativ geringe Nebenwirkungen haben, die einfach einzunehmen sind und im Prinzip ein normales Leben ermöglichen.<br /><br /><strong> In der HIV-Prävention ist die präexpositionelle Prophylaxe (PrEP) ein wichtiges Konzept. Welche Erfahrungen gibt es damit aus der Betreuung von HIV-Patienten und Risikopopulationen?<br /> H. Stoiber:</strong> Wir wissen, dass die PrEP sehr gut wirkt und dass man damit Risikogruppen vor einer Infektion schützen kann. Die vorhandenen Daten sind gut, sie zeigen eindeutig, dass die PrEP ihren Platz in der HIV-Prophylaxe für Menschen, die zu gewissen Risikogruppen gehören, gefunden hat. Vor allem Frankreich und England sind hier Vorreiter. Diese Studiendaten belegen, dass die Zahl der HIV-Neuinfektionen statistisch signifikant sinkt, wenn man Zugang zur PrEP hat. In Österreich wird sie bislang von den Kassen nicht refundiert.<br /> Ich bin aber überzeugt, dass sie sich auch hierzulande durchsetzen wird, vor allem dann, wenn nach dem Ablaufen von Patenten geschützter Medikamente Generika auf den Markt kommen werden. Wir sehen durchaus, dass hier Handlungsbedarf besteht. Selbst wenn man es „nur“ vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, ist die PrEP wahrscheinlich billiger, als einen HIV-Positiven sein Leben lang zu behandeln.<br /><br /><strong> Was gibt es zum aktuellen Stand der antiretroviralen Therapie (ART) 2018 zu berichten? Welche Rolle spielen der Einsatz von Single-Tablet-Regimen (STR) und neue Wirkansätze?<br /> H. Stoiber:</strong> Die Studien zur ART in Depotformulierungen befinden sich derzeit überwiegend in Phase II und zeigen bislang ein gutes Ansprechen und eine gute Wirksamkeit dieser Therapien. Auch von den Patienten wird diese neue Therapieform sehr gut angenommen.<br /> Unter den bereits verfügbaren Wirksubstanzen sind Integraseinhibitoren mittlerweile sehr gut etabliert und zeichnen sich durch eine sehr gute Wirksamkeit mit weniger Nebenwirkungen als die „Standardtherapien“ mittels PI, NRTI und NNRTI aus. Hier setzt das Konzept der dualen Therapieformen an, um vor allem das Risiko für Langzeitnebenwirkungen zu reduzieren. Insbesondere adhärente Patienten, deren Viruslast seit längerer Zeit unter der Nachweis- bzw. Quantifizierungsgrenze liegt, sind geeignet, um von einer Tripeltherapie auf eine duale Therapie umgestellt zu werden, da bei ihnen das Risiko für ein Auftreten von Resistenzen in den Hintergrund tritt.<br /> „Single-tablet regimens“ werden hingegen durchaus noch mit gemischten Gefühlen betrachtet. Dem Vorteil, nur eine Tablette pro Tag einzunehmen, steht gegenüber, dass man die Dosierung nicht variieren kann, wenn Unverträglichkeiten auftreten. Hier muss man von Patient zu Patient überlegen, was das Richtige ist und wie er optimal von der Therapie profitiert.<br /><br /><strong> Die HIV-Infektion ist mittlerweile zu einer chronischen Erkrankung in einer zunehmend älter werdenden Population geworden, weshalb vor allem das Management von Komorbiditäten in den Fokus der HIV-Behandlung rückt. Wie beurteilen Sie diese wachsenden Herausforderungen?<br /> H. Stoiber:</strong> Wir profitieren hier immer mehr von Erkenntnissen aus den letzten Jahren über die Wirkung der eingesetzten Medikamente in der Zelle sowie darüber, wie sie aus der Zelle geschleust und abgebaut werden und welche Interaktionen unter Umständen die Konzentration eines Wirkstoffs in der Zelle erhöhen oder verlängern. Das ist wichtig, um nicht nur die HIV-Infektion, sondern auch etwaige Komorbiditäten gezielter zu behandeln und auch die richtigen, möglichst nebenwirkungsarmen Therapien zu finden. Wie gesagt, werden die HIV-Patienten immer älter, und deshalb leiden sie auch zunehmend unter klassischen Komorbiditäten wie höherem Blutdruck, Gewichtszunahme, Diabetes usw.<br /> Auch das Auftreten von Krebserkrankungen wird zusehends unter diesem Aspekt betrachtet. Die Inzidenz klassischer HIV-assoziierter Krebserkrankungen nimmt ganz massiv ab, weil das Immunsystem durch die heute verfügbaren Therapien gut rekonstituiert wird und solchen Tumorerkrankungen damit sehr gut vorgebeugt werden kann. Hier ist eine deutliche Abnahme in der österreichischen HIV-Kohorte zu sehen.<br /><br /><strong> Welche Bedeutung hat die konsequente Einbindung der Patienten-Community sowie von Angehörigen aller Gesundheitsberufe und von Personen, die sich außerhalb der Gesundheitsberufe mit den Folgen einer HIV-Infektion befassen (Sozialwissenschaftler, AIDS-Hilfen etc.) für die HIV-Behandlung?<br /> H. Stoiber:</strong> HIV-Behandlung ist heute weit mehr als die Suppression des Virus, auch die psychosoziale Komponente und „community-based medicine“ sind dabei entscheidend. Man lernt von den Patienten, man muss ihr Lebensumfeld in die Behandlung mit einbeziehen, denn nur so erreicht man eine ausreichende Adhärenz und effektive Therapie. Zudem benötigen HIV-Positive oft psychologische Unterstützung, aber auch Hilfe auf dem Arbeitsmarkt usw. Eine stabile Lebenssituation trägt wesentlich zum Gelingen einer HIV-Behandlung bei.<br /> Wir kämpfen auch heute noch mit der Stigmatisierung von HIV-Positiven, der es durch Aufklärung gegenzusteuern gilt, und ich bin überzeugt, dass sich das indirekt auch auf die Zahl der Neuinfektionen auswirkt. Deshalb richtet sich unser Appell, die Aids-Hilfen weiter zu unterstützen, auch an die Verantwortlichen in den zuständigen Ministerien. Das ist eine Investition in die Zukunft!<br /><br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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