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15. Österreichischer Infektionskongress

Infektionskrankheiten im Spiegel der Jahrtausende

Die Geschichte der wissenschaftlichen Medizin ist viel länger als gemeinhin angenommen. Sie begann nämlich schon im alten Ägypten, wie im faszinierenden Eröffnungsvortrag des ÖIK von Oliver Gauert zu hören war. Auch die Corona-Pandemie sieht anders aus, wenn man sie in historische Perspektive rückt. Und: Jede Pandemie hat auch einen gesellschaftlichen bzw. wissenschaftlichen Innovationsschub ausgelöst.

Die Geburtsstätte der wissenschaftlichen Medizin ist tatsächlich das alte Ägypten“, berichtete Oliver Gauert, MA, Kurator für Sonderausstellungen des Roemer- und Pelizaeus-Museums in Hildesheim, Deutschland. So kannte das alte Ägypten bereits eine ganze Palette verschiedenartiger medizinischer und chirurgischer Instrumente, die auch in einem Relief an der Wand des Tempels von Kom Ombo aus ptolemäischer Zeit dargestellt sind. Dort sind u.a. eine Schere, eine Zange, eine Waage, Säckchen, zwei Schröpfköpfe, ein Schwamm, Küretten und ein Bohrer zu erkennen.

Alles beginnt in Ägypten

Neben solchen bildlichen Darstellungen sind es vor allem medizinische Papyri, von denen etwa zwanzig erhalten sind, die uns Auskunft über die Medizin der alten Ägypter geben. „Die bei Weitem zuverlässigsten Quellen sind aber Mumien“, betonte Gauert. „Mumien lügen nicht, denn sie geben Informationen preis, die aus den erhaltenen Texten nicht ohne Weiteres zu erschließen wären.“

So wurde lange Zeit angenommen, dass die Methoden der Einbalsamierung von Leichen selbst erst quasi mit dem Beginn des Alten Reichs, ca. 3000 v.Chr., begonnen hätten. Aber kürzlich neu untersuchte Mumienbinden aus einem Museum in England, die Rückstände von Balsamierungsharzen enthalten, zeigen, dass die Einbalsamierung von Leichen wahrscheinlich bereits im fünften Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung praktiziert wurde. „Und faszinierenderweise haben diese Harze ziemlich genau die gleiche chemische Zusammensetzung wie jene, die wir 3000 Jahre später bei Mumien aus der Zeit Tutanchamuns gefunden haben“, so der Ägyptologe.

Ärzte waren im alten Ägypten ein eigenständiger, stark ausdifferenzierter Berufsstand mit hohem Spezialisierungsgrad. Es sind etliche Facharztbezeichnungen überliefert. Der Spezialisierungsgrad lässt jedoch mit dem Ende des Alten Reiches nach. „Die Existenz offizieller Titel, eine einheitliche Fachsprache und landesweit im Gebrauch befindliche Rezepte deuten auf ein standardisiertes Ausbildungs- und Zulassungsverfahren hin“, erklärte der Experte. „Übrigens existieren Hinweise darauf, dass es zumindest in der Ärzteschaft eine Gleichstellung von Frauen und Männern gab; so ist von einer weiblichen Vorsteherin der Ärzteschaft die Rede.“

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Abb. 1: Papyrus Edwin Smith

Wie die Ärzte damals ausgebildet wurden, ist hingegen ungeklärt. Dazu gibt es zwei Theorien, nämlich einerseits individuelle Lehrer-Schüler-Verhältnisse und andererseits eine institutionalisierte Ausbildung. „Wahrscheinlich hat es im Laufe der sehr langen ägyptischen Geschichte beides gegeben“, kommentierte Gauert. Es ist auch ungeklärt, ob das medizinische Wissen damals ausschließlich empirisch gewonnen wurde oder ob – zumindest zeitweise – systematische Forschung betrieben wurde. Auf Letzteres deuten Passagen aus einem bekannten Papyrus hin (Abb. 1). Aus demselben Papyrus stammt auch die – im Rahmen der Schilderung von Schädelverletzungen entstandene – weltweit erste bekannte Beschreibung des menschlichen Gehirns.

Die ägyptische Medizin unterlag einem stetigen Wandel, wobei im Alten Reich ein starkes Bemühen erkennbar ist, rationale Erklärungen für natürliche Phänomene zu finden, während der Anteil magischer Erklärungen dann von Epoche zu Epoche zunimmt. „Während die Ursachen von Verletzungen leicht erkennbar waren, blieb das Wesen innerer Erkrankungen – insbesondere auch Infektionskrankheiten – den alten Ägyptern verborgen und wurde dem Wirken von Göttern und Dämonen zugeschrieben“, so der Experte. Es gab im alten Ägypten therapeutische Ansätze, einerseits eine hoch entwickelte Wundversorgung und Wund- bzw. Unfallchirurgie (einschließlich Prothetik), andererseits aber auch bereits zahlreiche Medikamente mit schmerzstillender, abführender oder sogar antibakterieller Wirkung, obwohl deren Zusammensetzung in vielen Fällen bislang nicht rekonstruierbar ist. Dazu laufen Forschungsprojekte.

Seuchen, von der Antike…

„Die Medizin des alten Griechenlandshatte zweifellos so manches aus Ägypten übernommen, wenngleich nicht klar ist, wie viel genau“, fuhr Gauert fort. Die größte Leistung der sogenannten hippokratischen Ärzteschule war die Begründung der Humoralpathologie, die zwar wissenschaftlich falsch ist, aber die europäische Medizin bis weit in die Neuzeit hinein beeinflusst hat. „Sie war immerhin einer der ersten Versuche, innere Erkrankungen rational, ohne Zuhilfenahme von übernatürlichen Mächten, zu erklären.“

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Abb. 2: Die Pest in Neapel von Domenico Gargiulo

Ein nahezu konstanter Faktor in der Menschheitsgeschichte von der Antike bis in die Gegenwart ist das Auftreten von Seuchen. So trat zwischen 430 und 426 v.Chr. die sogenannte Attische Seuche auf. „In diesem Fall ist nicht klar, um welchen Erreger es sich handelte. Diskutiert werden Milzbrand, Pest, Pocken, Masern, Fleckfieber, Krim-Kongo-Fieber, Scharlach und andere“, berichtete der Experte. „Was die Darstellung dieser und anderer Epidemien angeht, so wurde leider bis weit ins 18. Jahrhundert hinein fast immer eine künstlerische Darstellung gewählt, welche die eigentlichen Krankheitssymptome aussparte – das ist jedenfalls medizinhistorisch zweifellos bedauerlich.“ (Abb. 2)

„Nachweislich trat die Pest als Seuche erstmals im ersten Jahrtausend nach Christus als sogenannte Justinianische Pest auf“, referierte der Experte. Schlimmer war allerdings die zweite große Pestpandemie, die – wahrscheinlich ursprünglich aus der Mongolei kommend – über die Krim und Sizilien Europa erreichte und dort zwischen 1346 und 1353 etwa ein Drittel der Bevölkerung tötete. „Die Pest war ein Trauma, das die europäischen Gesellschaften für immer verändert hat und das in der Kunst noch jahrhundertelang aufgearbeitet wurde“, kommentierte der Historiker. „Und dieses Trauma wiederholte sich ja 500 Jahre lang; die letzten Pestausbrüche der zweiten Pandemie gab es – wenn auch in geringerem Ausmaß – noch im 18. Jahrhundert, und man wusste die längste Zeit nicht, was die Ursache war.“ Pestärzte, meist assoziiert mit langen, schnabelförmigen Masken, denen eine Schutzwirkung zugeschrieben wurde, waren zumeist nicht die Besten ihrer Zunft, denn wer es sich leisten konnte, machte einen großen Bogen um die Pestkranken, obwohl Pestärzte damals oft das Drei- bis Fünffache eines „normalen“ Arztes verdienten.

In gewisser Weise hat auch die Infektiologie ihren Ursprung in der Zeit des Schwarzen Todes, jenen furchtbaren ersten sieben Jahren der zweiten Pestpandemie. Das französische Königshaus und Papst Clemens VI. gaben nach Beginn des Seuchenausbruchs im 14. Jahrhundert das sogenannte Pariser Pestgutachten in Auftrag, das 1348 an der Sorbonne erstellt wurde. „Es stellte so etwas wie den ersten Auftrag einer Behörde an eine wissenschaftliche Einrichtung dar, eine Infektionskrankheit systematisch zu untersuchen“, erklärte Gauert.

… bis in die Gegenwart

Erst 1894 entdeckte der Schweizer Arzt Alexandre Émile Yersin (1863–1943) den Pesterreger, der nach ihm benannt wurde. In der Folge wurden mobile Laboratorien entwickelt, mit denen der Erreger nachgewiesen und infolgedessen der Patient isoliert werden konnte. Von großer Bedeutung war zweifellos die ganz wesentlich von Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) entwickelte Mikroskopie, die als Grundlage für eine spätere wissenschaftliche Infektiologie und Mikrobiologie gesehen werden muss.

„Betrachten wir die Hilflosigkeit früherer Generationen im Angesicht der verheerenden Seuchenausbrüche jener Epochen, dann können wir uns glücklich schätzen, in einer Zeit zu leben, in der die Medizin schnell wirksame Therapien und Präventionsmöglichkeiten zur Verfügung stellt“, so der Experte. „Zudem haben – mit Ausnahme der Spanischen Grippe 1918/19 – alle rezenteren Pandemien auch zu einem Innovationsschub geführt. Man denke an die Entwicklung der antiretroviralen Medikamente gegen HIV oder an die beispiellos kurze Zeit, in der wirksame Impfungen gegen Covid-19 hergestellt wurden“, so Gauert abschließend.

„Von der Antike bis zur Corona-Pandemie – Infektionskrankheiten im Spiegel der Kunst“, Eröffnungsvortrag von Oliver Gauert, MA, Deutschland, am 21. März 2023 im Rahmen des ÖIK in Saalfelden

beim Vortragenden

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