
Kein erhöhtes Risiko bei HIV-Patienten
Das Interview führte Dr. Corina Ringsell
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Alexander Zoufaly
4. Medizinische Abteilung,
Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien
Praxis für Infektions- und Tropenmedizin Otto-Bauer-Gasse 15/14, 1060 Wien
E-Mail:
alexander.zoufaly@wienkav.at
www.infektionen.wien
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Die rasche Ausbreitung des SARS-Coronavirus 2 (SARS-CoV-2), die Zahl schwerer Verläufe der Covid-19-Erkrankung, die eine Hospitalisierung erforderten, und vergleichsweise hohe Mortalitätsraten haben weltweit zu enormen Forschungsanstrengungen geführt. Ein wichtiger Aspekt war die Identifikation von Risikogruppen, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Wir haben Privatdozent Dr. Alexander Zoufaly gefragt, ob HIV-Patienten ein erhöhtes Risiko tragen und welche Optionen für Prävention und Therapie von Covid-19 möglich wären.
Tragen HIV-Patienten aufgrund ihrer Infektion ein höheres Risiko, sich mit dem SARS-CoV-2 anzustecken und an Covid-19 zu erkranken, als andere Menschen?
A. Zoufaly: Die HIV-Infektion per se ist kein anerkannter Risikofaktor – weder für die Ansteckung mit dem SARS-Coronavirus noch für einen schweren Verlauf von Covid-19. Man nimmt allerdings an, dass Patienten, die an einer fortgeschrittenen Immunschwäche mit weniger als 200 CD4-Zellen leiden, einem etwas höheren Risiko für einen schweren Verlauf ausgesetzt sind. Das sind jedoch theoretische Überlegungen, die auf einzelnen Fallberichten beruhen. Generelle Aussagen sind daraus nicht abzuleiten. Bei einer unbehandelten HIV-Infektion könnte das Risiko theoretisch ebenfalls erhöht sein und man sollte dies zum Anlass nehmen, die Patienten darauf hinzuweisen, sich behandeln zu lassen. Das Risiko besteht hier aber wahrscheinlich eher aufgrund der HIV-assoziierten Krankheiten, nicht wegen der Infektion selbst.
Ein wichtiger Punkt ist, dass die Population der HIV-Patienten immer älter wird. In Österreich hat sie ein Durchschnittsalter von etwa 47 Jahren; rund 15 Prozent der HIV-Infizierten sind über 60. Bei diesen ist das Risiko für die SARS-CoV-2-Infektion allein wegen ihres Alters erhöht. Hinzu kommt, dass viele der HIV-Patienten, die wir behandeln und die einen guten Immunstatus haben, Komorbiditäten aufweisen, die mit einem schwereren Verlauf von Covid-19 vergesellschaftet sind. Dazu gehören Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes. Bekannt ist auch, dass HIV-Infizierte im Vergleich zu nicht infizierten Gleichaltrigen mehr Komorbiditäten aufweisen. Kurz: Das Risiko bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 basiert nicht auf der HIV-Infektion selbst, sondern auf der Anzahl der Komorbiditäten und dem höheren Alter der Kohorte, die wir derzeit betreuen.
Wie ist bei HIV-Patienten vorzugehen, die sich mit dem neuen Coronavirus infiziert haben? Muss die Therapie verändert werden?
A. Zoufaly: Es wird nicht empfohlen, die Therapie umzustellen. Das Ziel der HIV-Therapie ist die vollständige Suppression der Viruslast und sie unter der Nachweisgrenze zu halten. Steckt sich ein Patient, bei dem dieses Ziel erreicht ist, mit dem Coronavirus an, gilt das Gleiche wie für andere Menschen auch. In leichten Fällen müssen die Patienten sich zu Hause isolieren. Treten schwere Symptome wie Luftnot auf, sollte rasch die Rettung gerufen werden.
Es gibt Daten, die zeigen, dass eine Immunsuppression – medikamentös oder HIV-bedingt – möglicherweise sogar vor einem schweren Verlauf von Covid-19 schützen könnte. Wie erklären Sie sich das?
A. Zoufaly: Dies sind theoretische Überlegungen, beweisende Daten gibt es nicht. Die Grundlage sind Beobachtungen, dass Covid-19 in späten Krankheitsphasen bei manchen Patienten mit einer sehr starken Entzündungsreaktion, einem sogenannten Zytokinsturm, einhergehen kann. Die daran beteiligten Immunzellen sind bei einer fortgeschrittenen Immunschwäche infolge der HIV-Infektion vermindert, fehlen ganz oder sind in ihrer Funktion gestört. Das könnte in dieser Phase von Covid-19 ein Vorteil sein und wird in Einzelfällen auch genutzt, indem die Patienten immunsuppressiv behandelt werden.
Es wird untersucht, ob gegen HIV eingesetzte Medikamente auch bei Covid-19-Patienten wirken könnten. Welche Substanzen wären eventuell geeignet und warum?
A. Zoufaly: Das beste Potenzial haben Proteaseinhibitoren, denn das SARS-Coronavirus verwendet im Replikationszyklus eine Protease. Im Laborversuch konnte gezeigt werden, dass Proteasehemmer an das Virus binden. Eine in diesem Zusammenhang gut untersuchte Medikamentenkombination ist Lopinavir/Ritonavir. Sie wurde schon bei SARS und MERS eingesetzt, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg. Und auch in klinischen Studien mit Covid-19-Patienten konnte im Vergleich zu Placebo bisher kein eindeutig positiver Effekt auf den Krankheitsverlauf erzielt werden. Im Labor ist die Bindung von Lopinavir/Ritonavir an die Coronavirusprotease nicht schlecht. Das Problem ist, dass die Wirkstoffkonzentration für eine effektive Bindung sehr viel höher sein müsste als die üblicherweise bei HIV eingesetzten Dosen. Für andere Proteasehemmer gibt es bislang keine guten Daten. Neuerdings werden auch alte Substanzen wie Nelfinavir auf ihren Nutzen bei SARS-CoV-2 untersucht.
Ein anderes Medikament, an dem vermehrt geforscht wird, ist Tenofovir. Wie Modellrechnungen gezeigt haben, bindet es an die RNA-Polymerase des SARS-Coronavirus.
Wie sieht es mit der präventiven Gabe einer antiretroviralen Therapie gegen SARS-CoV-2 aus? Gibt es dazu schon Daten?
A. Zoufaly: Belastbare klinische Daten hierzu gibt es nicht. In Spanien wurde gerade eine Phase-III-Studie begonnen, in der Tenofovir als Präexpositionsprophylaxe bei Klinikmitarbeitern, die Kontakt zu Coronavirus-Infizierten haben, untersucht wird. Die Ergebnisse muss man abwarten.
Bislang ist es noch nicht gelungen, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln. Auch gegen SARS und MERS ist keine Impfung verfügbar. Könnte dies auch bei SARS-CoV-2 der Fall sein? Wie schätzen Sie den derzeitigen Forschungsstand ein?
A. Zoufaly: Prinzipiell ist es möglich, dass unvorhersehbare Schwierigkeiten die Impfstoffentwicklung behindern. Allerdings spricht einiges dafür, dass ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 gefunden werden kann – wann er für alle verfügbar sein wird, das sei dahingestellt. Das Coronavirus unterscheidet sich in einigen Punkten vom HIV. So ist das Mutationspotenzial des HIV sehr hoch, wohingegen das SARS-Coronavirus verhältnismäßig langsam mutiert.
Außerdem entwickeln Menschen, die eine Infektion mit dem SARS-Coronavirus durchmachen, eine natürliche Immunität. Sie bilden Antikörper und man weiß daher, worauf man bei der Impfstoffentwicklung achten muss. Bei HIV ist das anders. Es gibt niemanden, der eine Infektion durchgemacht hat und gegen das Virus immun geworden ist. Das macht die Impfstoffentwicklung so schwierig, weil man nicht genau weiß, was man erreichen sollte. Manche Experten gehen davon aus, dass es vor 2030 nicht gelingen wird, einen HIV-Impfstoff herzustellen. Bei SARS-CoV-2 könnten die ersten Impfstoffkandidaten, deren Untersuchung schon weit fortgeschritten ist, schon Anfang des nächsten Jahres verfügbar sein. Das ist im Vergleich zu den üblichen Zeitspannen sehr ambitioniert und wird unter anderem ermöglicht durch globale Initiativen, die die Impfstoffentwicklung priorisieren, sowie effizientere und abgekürzte regulatorische Wege.
Vielen Dank für das Gespräch!
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Alexander Zoufaly
4. Medizinische Abteilung,
Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien
Praxis für Infektions- und Tropenmedizin Otto-Bauer-Gasse 15/14, 1060 Wien
E-Mail:
alexander.zoufaly@wienkav.at
www.infektionen.wien
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