
Highlights vom HIV Glasgow 2020
Abteilung für Klinische Experimentelle Immunologie<br> Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: katharina.grabmeier-pfistershammer@ meduniwien.ac.at
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Auch der diesjährige HIV-Glasgow-Kongress wurde aufgrund der Coronavirus-Pandemie virtuell abgehalten. Inwieweit Covid-19 Einfluss auf die Betreuung der HIV-Patienten nimmt, wurde dort ebenso besprochen wie die neuesten Daten zur Gewichtszunahme unter antiretroviraler Therapie und zur Präexpositionsprophylaxe.
Auch der Kongress HIV Glasgow 2020 war geprägt von der aktuellen Pandemie, nicht nur dass die Konferenz deswegen zum ersten Mal virtuell über die Bühne ging, auch inhaltlich lag ein großer Fokus auf Covid-19. So beschäftigten sich gleich mehrere Vorträge und Sessions mit diesem Thema, teilweise als Erfahrungsberichte aus Hotspots der Pandemie, Updates zur Datenlage von anti(retro)viralen Substanzen im Einsatz gegen SARS-Cov-2, aber auch zum Einfluss, den die Pandemie auf Diagnostik, Therapie und Management von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen hat. Diese Beiträge bestätigten den Eindruck, dass weltweit durch die Pandemie Nachteile oder zumindest Schwierigkeiten in der Betreuung von HIV-Patienten entstehen oder entstanden sind und vor allem auch der Zugang zu STI/PrEP-Services durch Covid-19 deutlich erschwert ist.
Gewichtszunahme unter ART
Ein sehr schöner Übersichtsvortrag von Prof. Dr. Andrew Carr von der University of New South Wales, Sydney, Australien, war dem Thema Gewichtszunahme unter antiretroviraler Therapie gewidmet. In dieser wirklich sehr umfassenden Darstellung verglich er aktuelle Daten, die eine vermehrte Gewichtszunahme mit TAF und/oder Integraseinhibitor(INSTI)-hältigen Regimen zeigen. Das Risiko dafür dürfte jedoch auch von der Studienpopulation (Regionen der Welt, Afrika versus Europa) abhängig sein und Frauen/Männer unterschiedlich betreffen. Ein interessanter, zu beachtender Aspekt bei der Beurteilung von Gewichtszunahme in Studienpopulationen scheint auch zu sein, dass dies nicht normalverteilt ist, sondern das Gesamtergebnis vor allem oder zumindest auch durch Outlier getrieben sein kann. Das heißt, dass einzelne Patienten überdurchschnittlich viel Gewicht zunehmen, während das Gros der Studienpopulation eine nur sehr mäßige Gewichtszunahme zeigt. Diesen Schluss lassen Post-hoc-Analysen von Orkin C et al. (EACS 2019; Abstract PS3/2)zu, die die mittlere und mediane Gewichtszunahme anhand der gepoolten Daten von drei Studien (MK-1439A P007, DRIVE-FORWARD, DRIVE-AHEAD) miteinander verglichen haben (Abb.1).
Abb. 1: Gewichtszunahmen durch ART-Regime (modifiziert nach Orkin C et al.: EACS 2019; Abstract PS3/2)
Trotz einer Vielzahl von Studien scheint es nach wie vor nicht wirklich möglich, einen TAF- von einem Integraseinhibitor-Effekt zu separieren, zu viele Daten stammen von Studienpopulationen, die gleichzeitig beide Substanzen erhalten haben. Andrew Carr setzte zusätzlich diese neueren Studienergebnisse in Kontrast zu historischen Daten aus Studien zu antiretroviralen Therapien. Dabei kann man den Eindruck gewinnen, dass eine mögliche Interpretation der Datenlage auch den Schluss zulässt, dass ältere Substanzen wie Efavirenz oder TDF eher eine Gewichtszunahme verhindert haben, als dass die neueren Vergleichssubstanzen eine Gewichtszunahme verursachen. Auch der Blick auf die Gewichtsentwicklung der Normalbevölkerung und Berücksichtigung von „back to health“ oder vielmehr noch „back to social norm“ (mit einer zu erwartenden Gewichtszunahme von 0,5–1kg/Jahr im mittleren Erwachsenenalter beim durchschnittlichen US-Bürger!) scheint doch für den Großteil der antiretroviral behandelten Patienten das Risiko für ART-induzierte Gewichtszunahme zu relativieren. Gerade in diesem Zusammenhang betonte Andrew Carr die Wichtigkeit von Daten, die aus Switch-Studien, aber vor allem auch aus PrEP-Studien gewonnen werden. Bezüglich des Pathomechanismus fanden sich im Vortrag kaum Daten. Veränderungen in der Genexpression von Adipozyten durch INSTI im Tiermodell, eine verstärkte Fibrose als auch Appetitsteigerung durch Bindung von INSTI an den MC4-Rezeptor wurden als mögliche Mechanismen diskutiert. Unter dem Motto „weight is easier gained than lost“ sind in allen Altersgruppen kalorische Restriktion und mehr Bewegung zielführend.
Präexpositionsprophylaxe
Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz war das Thema PrEP, auch hierzu gab es einen sehr klaren, praxisorientierten Übersichtsvortrag, und zwar von Prof. Dr. Jean-Michel Molina, Universität Paris, Frankreich. Molina betonte in diesem Vortrag den hohen Anteil an Neuinfektionen, der in Europa nachwievor durch Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ausgemacht wird, und die Wichtigkeit der PrEP als einer der kombinierten Präventionsmaßnahmen, um die Zahl der HIV-Neuinfektionen zu senken. Neben den bekannten Wirksamkeitsdaten aus Zulassungsstudien sowohl der täglichen als auch der „On demand“-PrEP mit etwa 86% Risikoreduktion liegen mittlerweile auch Inzidenzdaten aus mehreren Ländern vor, die seit dem Einsatz der PrEP einen Rückgang der Neuinfektionen in dieser Risikogruppe zeigen (Abb.2). Zusätzlich zu der Risikogruppe der MSM und „transgender women“ (TGW) erhalten rezente Guidelines nun auch Empfehlungen oder Hinweise für den Einsatz der PrEP bei anderen Personen mit erhöhtem Risiko für eine HIV-Infektion. Diese umfassen alle sexuell aktiven Erwachsenen und Jugendlichen mit vielen unterschiedlichen Sexualpartnern und nicht durchgehendem Kondomgebrauch. Jede andere STD, die Notwendigkeit einer Postexpositionsprophylaxe und vor allem auch Chemsex sollten kritisch als Indikatoren für ein erhöhtes HIV-Infektionsrisiko evaluiert werden.
Abb. 2: HIV-Neuinfektionen in Großbritannien (modifiziert nach: Public Health England 2019; Report)
In weiterer Folge präsentierte J.-M. Molina die Daten neuerer PrEP-Studien, TAF/FTC im Vergleich zu TDF/FTC, wobei sich eine vergleichbare Wirksamkeit als tägliche PrEP zeigt, sowie die Daten der Cabotegravir-PrEP-Studie. Letztere zeigten eine ausgezeichnete Schutzwirkung bei MSM und TGW mit einer noch niedrigeren Inzidenz neuer HIV-Infektionen in dem Arm, der Cabotegravir alle acht Wochen i.m. erhalten hatte, im Vergleich zu den Studienteilnehmern, die orales TDF/FTC erhalten hatten. Da Adhärenz zur PrEP als der wichtigste Faktor für die Schutzwirkung gilt, ist dieser Unterschied am ehesten durch die i.m. Verabreichungsform von Cabotegravir zu erklären. In Hinblick auf die Wichtigkeit der Adhärenz betonte J.-M. Molina auch die unterschiedlichen Gegebenheiten für MSM und Frauen – so gelten bei MSM/TGW weniger als vier Einnahmen in der Woche und bei heterosexuellen Frauen und Männern weniger als sechs Einnahmen pro Woche als relevante Nicht-Adhärenz.
Außerdem erklärte Molina in sehr praxisorientierter Form, wie er eine PrEP beginnt und überwacht, er wies nochmals auf die beiden (für MSM/TGW) möglichen Schemata der täglichen, kontinuierlichen PrEP und der bedarfsorientierten PrEP hin sowie auf die Möglichkeit, auch die tägliche PrEP mit der doppelten Dosis beginnen zu lassen, um ebenfalls eine schnelle Schutzwirkung zu erzielen. Neben dem zwingenden Ausschluss einer (akuten) HIV-Infektion mittels 4.-Generations-ELISA innerhalb von sieben Tagen und bei rezentem Risikoverhalten auch mittels HIV-PCR enthalten seine Empfehlungen für den PrEP-Start:
-
die Kontrolle der eGFR,
-
Diagnostik und Therapie anderer STD,
-
Immunisierung gegen Hepatitis A und B (sowie falls angebracht gegen HPV),
-
eine proktologische oder gynäkologische Untersuchung,
-
aber auch Beratung bei Chemsex.
Die Folgebesuche nach einem Monat und dann im 3-Monats-Rhythmus sollen wiederum den Ausschluss einer rezenten HIV- oder anderen STD-Infektion (inklusive deren Therapie) sowie Verträglichkeits- und Adhärenzkontrolle und falls angezeigt eine Chemsex-Beratung umfassen.
Zum Abschluss wandte sich Molina noch der Abklärung eines positiven HIV-Tests im Rahmen einer PrEP-Anwendung zu. Er empfahl in diesem Fall eine Adhärenzabklärung, die Wiederholung des HIV-Tests, eine HIV-PCR und gegebenenfalls eine Resistenztestung sowie die Empfehlung des Kondomgebrauchs. Die Fortführung der PrEP bis zur endgültigen Abklärung in diesem Szenario stellt nur bei Personen mit hoher Adhärenz eine Möglichkeit dar (mit dem Risiko einer Resistenzentwicklung); das Beenden der PrEP erleichtert die Diagnose, der sofortige Beginn einer ART erschwert sie. Für den Beginn einer ART in dieser Situation existieren bisher nur „expert opinions“, Guidelines sind in Ausarbeitung: Falls eine ART begonnen wird, wird der Einsatz von Regimen mit hoher genetischer Barriere (Dolutegravir/Bictegravir oder geboostertes Darunavir) empfohlen. Da der Großteil der Infektionen unter PrEP bei Anwendern mit niedriger Adhärenz und daher mit einem Wildtyp-Virus passiert, ist der Einsatz eines TXF/XTC als Backbone gerechtfertigt.
Weitere Themen
Weitere interessante Vorträge der Konferenz waren den neuen Entwicklungen bei der Tuberkulosetherapie gewidmet. Außerdem gab es eine Session, die sich ausschließlich mit Frauenthemen beschäftigt hat. Schlussendlich sollte auch noch auf die aktualisierte Version der EACS-Guidelines hingewiesen werden.
Quellen:
Carr A: HIV and obesity. HIV Glasgow virtual, 5.–8.Oktober 2020; KL 1 ● Molina J: PrEP in practice. HIV Glasgow virtual, 5.–8.Oktober 2020; KL 3
Literatur:
bei der Verfasserin