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Was bedeuten die neuen ESHRE-Guidelines?
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. PD Dr. Katharina Walch
Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin<br> Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Wien<br> E-Mail: katharina.walch@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
29.08.2019
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<p class="article-intro">Im vergangenen Jahr wurden von der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) neue Leitlinien zur Diagnose und Therapie des PCO-Syndroms formuliert und in mehreren wissenschaftlichen Fachjournalen publiziert. Im Folgenden sind einige für die tägliche klinische Praxis relevante Aspekte der rezenten Leitlinie zusammengefasst.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Ultraschall nicht empfohlen bei Jugendlichen innerhalb von 8 Jahren nach Menarche</li> <li>Ultraschall bei Erwachsenen nicht obligat zur Diagnosestellung, wenn diese aufgrund von Hyperandrogenämie und unregelmäßigen Zyklen eindeutig ist</li> <li>Wenn Ultraschall, dann zur Diagnosestellung ≥ 20 Foll/ Ovar oder ≥ 10 ml Vol/Ovar</li> <li>AMH weder als alleiniger Diagnosemarker geeignet noch um Ultraschall zu ersetzen</li> <li>First-Line-Therapie der anovulatorischen Infertilität bei PCOS: Letrozol!</li> </ul> </div> <p>Das PCOS wird oft auch das Syndrom der chronischen hyperandrogenämischen Anovulation genannt und ist mit 5–10 % Betroffenen die häufigste Endokrinopathie des reproduktiven Alters. Die genaue Ursache für die Entstehung ist bis dato unbekannt, jedoch wird das komplexe Zusammenspiel von prädisponierenden genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen angenommen.</p> <h2>Update Diagnose</h2> <p>Die phänotypische Ausprägung des PCOS ist sehr heterogen, wobei zur Diagnosestellung nach wie vor 2 der 3 Kriterien erforderlich sind (sog. Rotterdam-Kriterien):</p> <ul> <li>I. Unregelmäßige Zyklen aufgrund von chronischer Anovulation</li> <li>II. Hyperandrogenämie (klinisch oder biochemisch)</li> <li>III. Typische polyzystische Ovarien im Ultraschall (viele kleine randständige, „perlschnurartig“ angeordnete Follikelzysten bei vermehrtem Stroma)</li> </ul> <p>PCOS ist immer Ausschlussdiagnose. Andere endokrine Störungen, die mit unregelmäßigen Blutungen und erhöhten männlichen Hormonen einhergehen (z. B. AGS ― adrenogenitales Syndrom, androgenproduzierender Tumor), müssen ausgeschlossen sein.<br /> Neu ist, dass bei alleinigem Vorliegen unregelmäßiger Zyklen (über einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren nach der Menarche hinaus) und eindeutigen klinischen Anzeichen der Hyperandrogenämie bereits die Diagnose des PCO-Syndroms gestellt werden kann ― ohne zusätzliche Laboroder Ultraschalldiagnostik.<br /> Bei klinisch nicht eindeutiger Hyperandrogenämie wird eine ergänzende Blutabnahme (obligat: freies Testosteron oder freier Androgen-Index/FAI, SHBG) empfohlen, welche bei biochemischer Hyperandrogenämie (und gleichzeitig unregelmäßigen, meist oligomenorrhoischen Zyklen) wiederum die Verdachtsdiagnose PCOS bestätigt.<br /> Wenn lediglich eines der beiden Kriterien (Zyklusunregelmäßigkeit oder Hyperandrogenämie) vorliegt, soll eine ergänzende Ultrasonografie (wenn möglich transvaginal) durchgeführt werden. Dabei sind zur Diagnosestellung des PCO 20 oder mehr Follikel pro Seite oder ein Ovarialvolumen von mindestens 10 ml obligat.<br /> Zur Diagnosestellung des PCO-Syndroms bei Jugendlichen soll innerhalb der ersten 8 Jahre nach Menarche keine Ultraschalluntersuchung herangezogen werden, da multiple kleine Follikelzysten in dieser Altersgruppe physiologisch sind und zur Fehldiagnose führen könnten.<br /> Die Bestimmung des sogenannten Anti- Müller-Hormons (AMH) kann zusätzlich durchgeführt werden, ist jedoch nicht geeignet, die Ultraschalluntersuchung zu ersetzen oder die Verdachtsdiagnose PCOS zu bestätigen.<br /> Da Frauen mit PCO-Syndrom ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen des metabolischen und kardiovaskulären Formenkreises haben, ist ― gemäß der neuen Leitlinie ― alle 6 bis 12 Monate die Erhebung des Körpergewichts, des BMI, des Blutdrucks und alle 3 Jahre zusätzlich eine HbA<sub>1c</sub>-oder Nüchternglukosebestimmung vorgesehen. Bei Vorliegen von Risikofaktoren für Diabetes (wie Adipositas oder positive Familienanamnese) wird alle 1 bis 3 Jahre die Durchführung eines oralen Glukose- Toleranztests (oGTT) empfohlen.<br /> Bei Kinderwunsch und PCO wird zusätzlich zu SSW 24 bis 28 ein oGTT vor Eintritt einer Schwangerschaft bzw. in der Frühschwangerschaft (wenn präkonzeptionell kein Test durchgeführt wurde) empfohlen.</p> <h2>Update Therapie</h2> <p>Es gibt nicht EINE Therapie des PCO-Syndroms, sondern verschiedene Therapieansätze ― je nach vorherrschender Beschwerdesymptomatik und zu erreichendem Therapieziel.<br /> Auch ohne Beschwerden muss regelmäßig (alle 3 Monate) eine Abbruchsblutung zur Endometriumprotektion induziert werden. Dies kann durch zyklische oder kontinuierliche Gestagengabe, hormonelle Kontrazeptiva („Anti-Baby-Pille“ oder auch „Verhütungsring oder -pflaster“) erreicht werden. Bei Kontraindikation ist auch Metformin (ein Biguanid zur Behandlung des nicht insulinpflichtigen Diabetes mellitus) eine therapeutische Möglichkeit, weil gezeigt werden konnte, dass dadurch die männlichen Hormone effektiv gesenkt werden können.<br /> Häufig gehen bei PCOS die kutanen Hyperandrogenisierungserscheinungen wie Akne, Effluvium oder Hirsutismus (verstärkte Körperbehaarung, dem männlichen Behaarungstyp entsprechend, vor allem im Gesicht/„Bartwuchs“, an Brust, Oberschenkeln, Rücken) mit großem Leidensdruck für die Betroffenen einher.<br /> Therapie ist hier typischerweise (bei fehlender Kontraindikation!) ein kombiniertes hormonelles Kontrazeptivum. Neu ist, dass nicht mehr primär höher dosierte Pillen mit antiandrogenen Gestagenen wie Cyproteronacetat, Chlormadinonacetat, Dienogest oder Drospirinon empfohlen werden. Es sollen zunächst Mikropillen mit < 35 μg EE angewandt werden.<br /> Kommt es innerhalb von 3 bis 6 Monaten nicht zu einer Verbesserung des Hautbildes und/oder liegt eine androgenetisch bedingte Alopezie vor, dann können zusätzlich antiandrogene Substanzen (wie Finasterid, Flutamid oder Spironolacton) gegeben werden ― unter Beachtung der jeweiligen Kontraindikationen und bei sicherer Kontrazeption.<br /> Bei Hirsutismus empfiehlt sich die additive Anwendung lokaler und mechanischer Therapien (wie Laser oder Creme). Bei übergewichtigen Frauen mit PCOS allgemein – und bei PCOS und vorhandenem Kinderwunsch im Speziellen – ist die erste und wichtigste therapeutische Maßnahme eine Lifestyle-Modifikation und Gewichtsabnahme.<br /> Zusätzlich kann bei erhöhtem metabolischem Risiko (Adipositas, pathologischer oGTT, erhöhter Nüchterninsulinspiegel) zusätzlich Metformin (einschleichend, zum Essen genommen) gegeben werden.<br /> Häufig werden bereits durch eine moderate Gewichtsabnahme von ca. 5 % des Ausgangsgewichts ovulatorische Zyklen und Spontanschwangerschaften erzielt. In jedem Fall aber kann man nach Gewichtsreduktion mit besserem Ansprechen auf die nachfolgende ovulationsinduzierende Therapie und mit weniger Komplikationen in der Schwangerschaft (wie Gestationsdiabetes und Präeklampsie) rechnen.<br /> Zur Ovulationsinduktion ist ein schrittweises Vorgehen – unter Berücksichtigung der reproduktiven Gesamtsituation – empfohlen.<br /> Additiv sind die Substitution von Vitamin D und Verabreichung von Inositol wahrscheinlich von Vorteil, aufgrund der unzureichenden Datenlage wurde dies aber nicht in die neue Leitlinie aufgenommen.<br /> Primär werden in der rezenten ESHREGuideline Aromatasehemmer (jeweils oral 5 Tage zu Zyklusbeginn) empfohlen, da in mehreren Studien gezeigt werden konnte, dass z. B. Letrozol in Bezug auf Lebendgeburtenrate – besonders bei übergewichtigen Frauen – Clomifen überlegen ist. Zudem wurden seltener multifollikuläres Wachstum und signifikante Nebenwirkungen beobachtet.<br /> Zu beachten ist allerdings, dass Aromatasehemmer nicht zur Kinderwunschbehandlung zugelassen sind und die Patientinnen daher ausführlich und schriftlich dokumentiert vor Anwendung über den Off-Label-Use aufgeklärt werden müssen.<br /> Neben den empfohlenen Aromatasehemmern können nach wie vor auch Clomifen oder Metformin oder beide in Kombination oder Gonadotropine als First- Line-therapeutische Option bei PCOS gegeben werden (Abb. 1).<br /> Kommt es darunter nicht zum Eintritt einer Schwangerschaft, so ist nach spätestens 6 Zyklen der Wechsel zu niedrig dosierter Gonadotropinstimulation oder eine operative Therapie mittels sogenannter Stichelung angezeigt.<br /> Als Ultima Ratio kann auch eine künstliche Befruchtung (IVF, In-vitro-Fertilisation) nötig sein, vor allem, wenn auch begleitende Sterilitätsfaktoren (wie eingeschränkte Spermaqualität oder Tubenverschluss) vorliegen.<br /> Jede hormonelle Stimulationstherapie bei PCOS muss mit regelmäßigen Ultraschallkontrollen kombiniert werden, um multifollikuläres Wachstum mit Mehrlingsrisiko oder ein Überstimulationssyndrom (OHSS, „ovarian hyperstimulation syndrome“) rechtzeitig erkennen zu können.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1903_Weblinks_jatros_gyn_1903_s9_abb1.jpg" alt="" width="600" height="444" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>• Teede HJ et al., International PCOS Network: Recommendations from the international evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome. Fertil Steril 2018; 110: 364-79</p>
</div>
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