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Neue Richtlinien zum Screening, aktuelle Nomenklatur der Kolposkopie und der vulvären Dysplasie
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Autor:
Dr. med. Brigitte Frey Tirri
Frauenklinik<br> Kantonsspital Baselland<br> E-Mail: brigitte.frey@ksbl.ch
30
Min. Lesezeit
16.10.2018
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<p class="article-intro">Am 1. 3. 2018 wurde der Expertenbrief Nr. 50 «Empfehlungen für die Gebärmutterhalskrebsvorsorge» herausgegeben. Insbesondere ändert sich das Intervall der zytologischen Nachsorge auf alle 3 Jahre und es wird für Frauen von 30 bis 70 Jahren das zytologische Screening oder das HPV-Screening empfohlen. Letzteres wird aktuell von der Grundversicherung noch nicht übernommen. Diese Änderungen bedingen gute Kenntnisse in der Kolposkopie und über den natürlichen Verlauf einer HPV-Infektion, um unnötige Ängste bei den Frauen zu vermeiden.</p>
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<p class="article-content"><p>Etwa die Hälfte aller Frauen in der Schweiz besuchen regelmässig den Frauenarzt zur Vorsorge. Der Abstrich vom Gebärmutterhals – oder, wie er unglücklicherweise meist genannt wird, der «Krebsabstrich» – gehört dazu und ist sehr häufig unauffällig. Ist er einmal nicht in Ordnung, bricht für diese Frauen eine Welt zusammen. Die betroffenen Frauen sind oft jung, sie fühlen sich gesund und erhalten dann doch die Nachricht, dass der Abstrich auffällig ist. In diesem Moment ist es enorm wichtig, dass der Frauenarzt gute Kenntnis über den natürlichen Verlauf einer genitalen HPV-Infektion, die Kolposkopie und die weitere Behandlung hat. Diese Kenntnisse zu vermitteln war ein wichtiges Ziel dieses Seminars an der Frühjahrsfortbildung der SGGG.<br /> Das Wissen über den natürlichen Verlauf einer HPV-Infektion ist wesentlich, um die Ängste der Patientinnen auffangen zu können. Die HPV-Infektion ist die häufigste sexuell übertragbare Infektion (STI) und erfolgt über die Haut und Schleimhaut bei Kontakt auch ohne Penetration. Im Verlauf des Lebens stecken sich 70–80 % der sexuell aktiven Personen mit einem HP-Virus an. Die Elimination erfolgt in 70 resp. 90 % innerhalb von einem resp. zwei Jahren. Die Ansteckung erfolgt häufig zu Beginn der sexuellen Aktivität und verläuft in zwei Dritteln der Fälle asymptomatisch. Am häufigsten erfolgt die Infektion an der Transformationszone der Zervix bei jüngeren Frauen, da die Haut hier sehr fragil ist und kleine Verletzungen entstehen können. Es kann zu einer stillen Infektion kommen, die über Jahre persistiert. Eine produktive Infektion mit Dysplasie entsteht meist langsam über Jahre und erst bei Persistenz einer HPV-Infektion. Die Persistenz ist abhängig von verschiedenen Risikofaktoren, wie z.B. Nikotinabusus, Immunschwäche, Anzahl der Sexualpartner und Suszeptibilität. Obwohl eine Antwort auf die Frage «Warum ich?» für viele Frauen im ersten Moment bei Bekanntwerden einer Dysplasie sehr wichtig ist, sollte der Fokus auf die Fakten des Verlaufes einer HPV-Infektion sowie die überwiegend spontane Regredienz und gute Behandelbarkeit einer Dysplasie gerichtet sein. Weder kann auf den exakten Zeitpunkt einer HPV-Infektion noch auf die verursachende Person rückgeschlossen werden. Im Übrigen findet die Übertragung der Infektion von Frau zu Mann 6x häufiger statt als von Mann zu Frau. Eine empathische Kommunikation ist in dieser Situation enorm wichtig und folgt im optimalen Fall den allgemeinen Prinzipien für eine Besprechung ernsthafter Nachrichten (z.B. Modell SPIKES). Am besten wäre es natürlich, bereits bei Abstrichentnahme die Patientin darauf hinzuweisen, dass dieser Test auch einmal ein auffälliges Resultat zeigen kann.</p> <h2>Inhalte des neuen Expertenbriefs</h2> <p>Die wichtigen Unterschiede im neuen Expertenbrief im Vergleich zum vorgängigen Brief sind der Beginn des Screenings mit 21 Jahren unabhängig vom Beginn der sexuellen Aktivität, das 3-Jahres-Intervall des zytologischen Screenings schon ab 21 Jahren und die Möglichkeit des dreijährlichen HPV-Screenings anstelle des zytologischen Screenings ab 30 Jahren. Das Screening kann mit 70 Jahren bei blander Anamnese und unauffälligem Screening gestoppt werden.<br /> Das HPV-Screening ist dem zytologischen Screening überlegen. Es ist sensitiver für die Entdeckung höhergradiger plattenepithelialer (≥CIN2+) und glandulärer Zellveränderungen. Letztere sind im Zunehmen begriffen. Aktuell wird der HPV-Test im primären Screening von der Grundversicherung nicht übernommen. Deshalb empfehlen wir das zytologische Screening, bis die Kostenübernahme gesetzlich geregelt ist. Beim primären HPVScreening erfolgt bei Positivität auf den HPV-Hochrisiko-Typ die Zervixzytologie. Im Rahmen des primären HPV-Screenings dürfen nur validierte Tests verwendet werden. Der Name des verwendeten Tests muss mit dem Testergebnis aufgeführt werden.<br /> Die neuen Empfehlungen werden mit Algorithmen verdeutlicht. Hier zeigt sich ein weiterer grösserer Unterschied zu den vorgängigen Empfehlungen: Neu wird nur noch bei ASCUS ≥30 Jahre automatisch ein HPV-Test durchgeführt (Reflextestung), nicht mehr bei Frauen <30 Jahren. Dies aus dem Grund, dass die Wahrscheinlichkeit einer HPV-High-Risk-Positivität bei Frauen <30 Jahren häufig ist und ASCUS auch bei HPV-High-Risk-Positivität in zwei Dritteln der Fälle spontan abheilt. Somit wird bei zytologisch bestimmtem ASCUS gleich vorgegangen wie bei LSIL («low-grade squamous intraepithelial lesion»).<br /> Wichtig für das Verständnis der Dysplasie ist die Kenntnis der aktuellen Nomenklatur. In der Schweiz wird sowohl die zytologische als auch die histologische Diagnose nach WHO 2014 verwendet; histologisch zusätzlich noch die Bethesda- Nomenklatur zur Differenzierung einer HSIL CIN2 und HSIL CIN3, da dies eine Implikation für die weitere Therapie hat. Wenn die Pap-Nomenklatur verwendet wird, sollte unbedingt die «München 3» verwendet werden, da diese mit der WHO-Nomenklatur vergleichbar ist. Der Ausdruck «Carcinoma in situ» soll vermieden werden, da er bei der Patientin grosse Angst durch das Wort Karzinom auslöst. Er entspricht dem heutigen HSIL (CIN3).</p> <h2>Beurteilung kolposkopischer Bilder</h2> <p>Ein weiterer zentraler Punkt des Seminars war das Beurteilen kolposkopischer Bilder, v.a. der Zervix. Hierzu gehören das Verständnis der Transformationszone und das Erlernen der kolposkopischen Nomenklatur.<br /> Die kolposkopische Terminologie wird durch das Komitee der internationalen Gesellschaft für Zervixpathologie und Kolposkopie (IFCPC) festgelegt. Die letzte Anpassung erfolgte 2011 anlässlich des Kongresses in Rio de Janeiro. Sie kann von der Website der Gesellschaft heruntergeladen werden: <strong><em>http://ifcpc.org/medical-professionals/ifcpc-nomenclature.</em></strong><br /> Die Übersetzung eines Bildes in eine Sprache ist nicht evident und braucht Übung. Ein strukturiertes Vorgehen ist deshalb wichtig und ermöglicht keine Befunde zu übersehen und im Verlauf – falls keine Fotodokumentation vorgenommen wird – einen Vergleich zu machen.<br /> Die Bedeutung des Begriffes der Transformationszone – die Fläche zwischen der adulten und der kongenitalen Plattenepithel- Zylinderepithel-Grenze (PZG) – ist entscheidend für die Beurteilung der Kolposkopie. Die meisten Dysplasien liegen im Bereich der Transformationszone mit ihrer gesteigerten Proliferationsaktivität. Es ist wichtig, sich während der Kolposkopie zu vergewissern, um welchen Typ der Transformationszone (TZ) es sich handelt. Dabei bedeutet TZ Typ 1: Die gesamte adulte PZG liegt auf der Portio und ist somit gut einsehbar; TZ Typ 2: Sie wird nur einsehbar beim Spreizen des äusseren Muttermundes; TZ Typ 3: Die adulte PZG liegt trotz Spreizen im Zervixkalkanal und somit ist ein Teil der TZ nicht einsehbar. Letztere Situation bedeutet, dass die Kolposkopie nicht repräsentativ ist.<br /> Im Unterschied zum Begriff der repräsentativen Kolposkopie steht derjenige der adäquaten bzw. inadäquaten Kolposkopie. Letztere zwei Begriffe beziehen sich darauf, ob die Portio überhaupt sichtbar ist. Z.B. kann bei starker Blutung, vaginalen Synechien oder ausgeprägten Infektionen die Portio nicht einsehbar sein (die Kolposkopie ist inadäquat). Eine Kolposkopie kann somit adäquat sein, jedoch nicht repräsentativ (bei TZ Typ 3).</p> <h2>Vulvaerkrankungen</h2> <p>Ein weiteres Thema des Kurses sind vulväre Veränderungen, vulväre Dermatosen, aber auch vulväre Dysplasien und das Vulvakarzinom. Aus dem Themenkreis der vulvären Veränderungen sind mir zwei Punkte sehr wichtig. Eine Diagnostik bei suspekten Befunden, insbesondere persistierenden pigmentierten und nicht pigmentierten Hyperkeratosen sowie Ulzerationen, sollte zum Ausschluss einer Präneoplasie oder einer Neoplasie der Vulva durch eine Biopsie grosszügig histologisch abgeklärt werden. Eine Probeentnahme erfolgt ambulant mittels Stanzbiopsie in Lokalanästhesie. Die zytologische Untersuchung an der Vulva sollte aufgrund der oftmals schwierigen Interpretation der vulvären Läsionen (Hornhaut lässt sich schlechter abstreichen) nur in Ausnahmefällen erfolgen.</p> <h2>Nomenklatur der Vulva</h2> <p>Der zweite Punkt ist die kolposkopische, aber auch zytologische und histologische Nomenklatur der Vulva (Tab. 1 und 2), um die richtigen Therapieschritte einzuleiten.<br /> Diese aktuelle Nomenklatur der Vulva ist mit der WHO, der Arbeitsgemeinschaft der Kolposkopie und Zervixpathologie und den Pathologen abgeglichen, was ein grosser Fortschritt ist.<br /> Für die LSIL ist keine Therapie nötig, ausser die Patientin ist symptomatisch. Die HSIL (VIN usual type) ist HPV-assoziiert, im Gegensatz zur vulvären intraepithelialen Neoplasie, differenzierter Typ (dVIN). Diese entsteht z.B. aus einem Lichen sclerosus.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1803_Weblinks_lo_gyn_1803_s30_tab1+2.jpg" alt="" width="1420" height="2303" /></p></p>
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