© Getty Images

Neue Leitlinie „Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen (ART) Behandlung“

<p class="article-intro">Im Februar 2019 erschien die erste deutschsprachige interdisziplinäre S2k-Leitlinie der AWMF „Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung“. Bis dato lag keine einheitliche fächerübergreifende Empfehlung zur Beratung, Diagnostik und Therapie von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch vor. Der erste Abschnitt der Leitlinie widmet sich maßgeblich der Diagnostik weiblicher Sterilitätsfaktoren, während sich der zweite Abschnitt mit den interdisziplinären Themen Andrologie, Genetik und Onkologie befasst. Der folgende Artikel stellt dabei nur einige wichtige Aspekte vor.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Diagnostik vor ART sollte analog der beschriebenen Stufenschemata erfolgen und bei auff&auml;lligen Befunden individuell erweitert werden.</li> <li>Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Identifizierung therapierbarer Fertilit&auml;tsfaktoren, welche vor Start einer ART kausal behandelt werden sollten.</li> <li>Dar&uuml;ber hinaus wird ein besonderer Fokus auf die Abkl&auml;rung genetischer Ursachen der Infertilit&auml;t gelegt.</li> </ul> </div> <h2>Diagnostischer und zeitlicher Ablauf einer Abkl&auml;rung bei Kinderwunsch</h2> <p>Die Basis der gyn&auml;kologischen Diagnostik beinhaltet eine ausf&uuml;hrliche Anamnese mit gyn&auml;kologischer Untersuchung und einer Vaginalsonografie mit besonderem Augenmerk auf angeborene und erworbene anatomische Anomalien.<br />Im Hinblick auf eine potenzielle Schwangerschaft sollten die Pr&uuml;fung und Beratung bez&uuml;glich des Impfstatus erfolgen. Insbesondere ein Nachweis der R&ouml;teln- und Varizellenimmunit&auml;t ist obligat durchzuf&uuml;hren. Eine aktuelle Krebsfr&uuml;herkennung (nicht &auml;lter als 12 Monate) sollte ebenfalls vorliegen. Dar&uuml;ber hinaus wird eine individuelle Beratung der Patientin im Hinblick auf fertilit&auml;tseinschr&auml;nkende Risikofaktoren (u. a. BMI &gt;30 kg/m<sup>2</sup>, aber auch BMI &lt;19 kg/m<sup>2</sup>) und insbesondere auf potenzielle Sch&auml;digungen der Keimzellen und des Embryos empfohlen. Neben 400 &mu;g Fols&auml;ure t&auml;glich wird analog der Mutterschaftsrichtlinie die Notwendigkeit einer pr&auml;konzeptionellen Substitution von mindestens 100&ndash;150 &mu;g Jodid betont. Die zus&auml;tzliche Einnahme von 20 &mu;g Vitamin D t&auml;glich verspricht nach aktueller Datenlage einen positiven Effekt.<br /> Hervorzuheben ist, dass in Abh&auml;ngigkeit von der Dauer des Kinderwunsches und des Alters der Patientin eine m&ouml;glichst zeitnahe Anbindung an ein reproduktionsmedizinisches Zentrum erfolgen sollte, bei Patientinnen &uuml;ber 35 Jahren bereits nach 6 Monaten.</p> <h2>Diagnostik und Therapie angeborener und erworbener genitaler Anomalien</h2> <p>Auch wenn die Kombination aus Laparoskopie (LSK) und Hysteroskopie (HSK) zur Abkl&auml;rung auff&auml;lliger Befunde weiterhin als sogenannter Goldstandard gilt, muss die Anwendung geeigneter Verfahren individuell abgewogen werden. Ein generelles operatives Screening sollte vor ART nicht durchgef&uuml;hrt werden.<br />In bis zu 35 % der F&auml;lle liegt ein tubarer Faktor als Sterilit&auml;tsursache vor. Den Standard zur Beurteilung der Tubendurchg&auml;ngigkeit stellt die diagnostische LSK mit Chromopertubation dar. Bei ebenfalls guter Sensitivit&auml;t und Spezifit&auml;t setzt die neue Leitlinie die Hystero-Kontrast- Sonografie (HKSG) als nicht invasive Methode der Chromopertubation gleich.<br /> Bei Verdacht auf eine angeborene Fehlbildung muss vor Indikationsstellung f&uuml;r eine operative Sanierung &uuml;berpr&uuml;ft werden, ob die jeweilige Fehlbildung f&uuml;r die Patientin symptomatisch oder asymptomatisch ist und die Fertilit&auml;t &uuml;berhaupt eingeschr&auml;nkt wird.<br /> Bei asymptomatischen Frauen mit prim&auml;rer Infertilit&auml;t steht die operative Therapie einer diagnostizierten uterinen Fehlbildung nicht im Vordergrund. Sollte dennoch eine Indikation zum operativen Vorgehen gesehen werden, hat die Herstellung der Uterusfunktion und -anatomie oberste Priorit&auml;t.<br /> Auch bei erworbenen genitalen Anomalien sollte die operative Therapie kritisch indiziert werden. Submuk&ouml;se und intrakavit&auml;re Myome k&ouml;nnen je nach Lokalisation Einfluss auf die Implantation und damit auf die Schwangerschaftsraten (SSR) nehmen. Deshalb empfiehlt die neue Leitlinie die hysteroskopische Entfernung von submuk&ouml;sen Myomen (FIGO 0 und 1) vor ART. Ein laparoskopischer Ansatz kann individuell besprochen werden.<br /> Bei Diagnose eines intrauterinen Polypen sollte eine hysteroskopische Resektion erfolgen, da eine Verbesserung der SSR erreicht werden kann. Ebenso konnte eine signifikante Steigerung der ART-Erfolgsraten durch operative Sanierung einer postentz&uuml;ndlich ver&auml;nderten Tube &ndash; im Sinne einer Hydrosalpinx &ndash; nachgewiesen werden, weshalb auch hier ein operatives Vorgehen empfohlen wird. Die Salpingektomie und der proximale operative Verschluss der erkrankten Tube sind dabei vergleichbar effektive Methoden.<br /> Auch wenn der kausale Zusammenhang noch nicht abschlie&szlig;end gekl&auml;rt ist, muss angenommen werden, dass die Endometriose einen Einfluss auf die Implantationsrate, Eizellqualit&auml;t und Spermatozoenmotilit&auml;t nimmt. Sowohl bei nat&uuml;rlicher Konzeption als auch nach ART zeigen Frauen mit Endometriose geringere Erfolgschancen. Eine Endometriose sollte daher, auch zur individuellen Beratung der Patientin, bei entsprechender Symptomatik ausgeschlossen und ggf. therapiert werden. Im Rahmen der laparoskopischen Diagnosesicherung wird eine Entfernung der peritonealen Endometrioseherde empfohlen, da auch hier ein Benefit auf die SSR und die Lebendgeburtrate (LGR) hinreichend dokumentiert wurde. Die Auswirkungen einer ovariellen Endometriose hingegen sind unklar. In diesem Fall sollte ein individuelles Vorgehen im Hinblick auf eine operative Sanierung in Abh&auml;ngigkeit der ovariellen Reserve sowie des Alters der Patientin erarbeitet werden. Gleiches gilt f&uuml;r eine tief infiltrierende Endometriose. Einige Daten lassen vermuten, dass ein operatives Vorgehen die SSR anheben kann. Hingegen sollte bei einem Rezidiv einer fortgeschrittenen Endometriose ein erneutes operatives Vorgehen zur&uuml;ckhaltend indiziert werden. Die ART scheint den wiederholten operativen Eingriffen &uuml;berlegen.</p> <h2>Diagnostik und Therapie endokriner Faktoren</h2> <p>Endokrine St&ouml;rungen der Frau geh&ouml;ren zu den h&auml;ufigsten Infertilit&auml;tsursachen. Funktionsst&ouml;rungen unterschiedlicher endokriner Systeme, der gonadotropen, thyreotropen und kortikotropen Achse oder der Prolaktinbildung, f&uuml;hren zu Zyklusst&ouml;rungen mit Beeintr&auml;chtigung der Eizellreifung, der Ovulation oder der Implantation. Eine rationale, kosteneffektive Abkl&auml;rung endokriner Faktoren und die zielgerichtete Therapie mit Verbesserung der Ovulationsraten und der Implantation sollen daher im Rahmen einer Stufendiagnostik einer ART vorausgehen. Die Basisdiagnostik umfasst:</p> <ul> <li>LH, FSH, Prolaktin, Testosteron, DHEAS, SHBG, freier Androgenindex, &Ouml;stradiol und AMH an Tag 3&ndash;7 des Zyklus (bzw. bei Fehlen eines Follikels &gt;10 mm Durchmesser),</li> <li>gyn&auml;kologische Sonografie mit Beurteilung der Sonomorphologie der Ovarien, des antralen Follikelcounts (AFC) sowie Funktionsbeurteilung des Endometriums.</li> </ul> <p>Bei auff&auml;lligen Befunden erfolgt dann nach Stufendiagnostik die Hinzunahme weiterer Parameter (Tab. 1).<br />Da Frauen mit Infertilit&auml;t leicht erh&ouml;hte Raten an Schilddr&uuml;sendysfunktionen aufweisen, sollte erg&auml;nzend immer eine TSH-Bestimmung durchgef&uuml;hrt werden. Sobald ein TSH-Wert &uuml;ber 2,5 mU/l vorliegt, ist eine zus&auml;tzliche Bestimmung von Schilddr&uuml;senantik&ouml;rpern sinnvoll, da bei Patientinnen mit dieser Konstellation eine erh&ouml;hte Abortrate nachgewiesen werden konnte. Hier zeigt eine Intervention mit L-Thyroxin eine Steigerung der LGR. Im Zuge dessen wird eine TSH-Wert-Einstellung &lt;2,5 mU/l generell empfohlen.<br />Die Therapie der unterschiedlichen endokrinen Faktoren richtet sich nach den zugrunde liegenden Pathologien. Zum Beispiel steht bei der prim&auml;ren Amenorrh&ouml; zun&auml;chst die Sicherstellung der &Ouml;strogenisierung zur Vermeidung von Langzeitfolgen wie z. B. der Osteoporose im Vordergrund. Patientinnen mit PCOS werden hingegen anlog einem Stufenschema (Abb. 1) behandelt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1904_Weblinks_jatros_gyn_1904_s20_tab1_rogenhofer.jpg" alt="" width="800" height="437" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1904_Weblinks_jatros_gyn_1904_s20_abb1_rogenhofer.jpg" alt="" width="550" height="383" /></p> <h2>H&auml;mostaseologische Faktoren</h2> <p>Ein Screening auf Thrombophilien bei asymptomatischen Patientinnen wird von der neuen Leitlinie nicht empfohlen. Eine Abkl&auml;rung bei positiver Eigen- oder Familienanamnese kann zur Einsch&auml;tzung des individuellen Thromboserisikos erfolgen. Eine routinem&auml;&szlig;ige Antikoagulation, insbesondere zum alleinigen Zweck der Verbesserung von Schwangerschaftsraten, sollte aufgrund der aktuellen Datenlage nicht durchgef&uuml;hrt werden.</p> <h2>Genetische Faktoren</h2> <p>Genetische Ursachen sind zu einem relevanten Anteil f&uuml;r In- oder Subfertilit&auml;t verantwortlich (10&ndash;20 % der m&auml;nnlichen Fertilit&auml;tsursachen, 5&ndash;10 % der weiblichen Fertilit&auml;tsursachen). Demzufolge sollte im Rahmen einer Kinderwunschtherapie eine besondere Aufmerksamkeit auf m&ouml;gliche Risikokonstellationen und erbliche Belastungen gelegt werden (Abb. 2).<br /> Eine urs&auml;chliche Therapie der chromosomalen oder monogenen Fertilit&auml;tsst&ouml;rungen ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht m&ouml;glich, jedoch sollte das Paar in Bezug auf die weiterf&uuml;hrenden diagnostischen Ma&szlig;nahmen (Polk&ouml;rperdiagnostik, Pr&auml;implantationsdiagnostik, invasive sowie nicht invasive Pr&auml;nataldiagnostik) individuell beraten werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Gyn_1904_Weblinks_jatros_gyn_1904_s21_abb2_rogenhofer.jpg" alt="" width="800" height="478" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei den Verfassern</p> </div> </p>
Back to top