<p class="article-intro">Weltweit sind gut die Hälfte der HIV-1-infizierten Menschen Frauen. Durch den Erfolg der antiretroviralen Therapie und die damit verbundene stetig steigende Lebenserwartung und Lebensqualität HIV-1-infizierter Menschen wächst das Bedürfnis nach einer „normalen“ Lebensführung und Familienplanung.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Nur wenige ART-Regime können uneingeschränkt während der Schwangerschaft empfohlen werden.</li> <li>Bei bereits eingeleiteter ART ist ggf. eine Modifikation zu erwägen.</li> <li>Die Daten zu den Langzeitfolgen der ART für die Kinder sind dürftig.</li> <li>Erforderlich sind große Studien zur ART während Schwangerschaft und Stillzeit.</li> </ul> </div> <p>Damit ist das Thema Kinderwunsch fixer Bestandteil von Beratung und Management der chronischen HIV-Infektion. Bei einer unbehandelten HIV-Infektion kommt es bei 25 bis 45 % der Schwangerschaften zu einer vertikalen Übertragung. Erste Ansätze, die Übertragungen von der werdenden Mutter auf das Kind während der Schwangerschaft, der Geburt und des Stillens zu vermeiden, stammen daher bereits aus den frühen Jahren der HIV-Epidemie: elektive Sectio, Stillverzicht und antiretrovirale Therapie bzw. Prophylaxe für das Neugeborene.<br /> Jede dieser Maßnahmen für sich führt zu einer deutlichen Risikoreduktion. So konnte bereits durch die Gabe von Zidovudin während der Schwangerschaft, des Geburtsvorgangs und als postpartale Prophylaxe für das Neugeborene die Rate an vertikalen Transmissionen um 66 % gesenkt werden.<sup>1</sup> Die elektive Sectio führte zu einer Odds-Ratio von 0,3 im Vergleich zu einer vaginalen Geburt, und durch den Stillverzicht lassen sich bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes 20 % der Übertragungen vermeiden.<sup>2, 3</sup> Durch Kombination und Optimierung dieser Maßnahmen (z. B. antiretrovirale Tripeltherapie statt Zidovudin- Monotherapie) ist weltweit die Rate an kindlichen Neuinfektionen seit 2010 um fast 50 % gesunken und in Europa liegen die Transmissionsraten unter 1 %.<sup>4</sup></p> <h2>HIV-Diagnose oft erst während Schwangerschaft</h2> <p>Grundlage für die (zeitgerechte) Anwendung all dieser Maßnahmen ist allerdings das Wissen um die mütterliche HIV-Infektion. Nach wie vor wird bei bis zu 25 % der HIV-infizierten Frauen ihre Erstdiagnose im Rahmen einer Schwangerschaft gestellt. Daher inkludieren weltweit die meisten Leitlinien zur Versorgung Schwangerer eine Empfehlung für einen HIV-Test im 1. Trimenon. Bei bestehendem hohem Risiko sollte jedoch in der Schwangerschaft (3. Trimenon) eine Testwiederholung erfolgen. Dies liegt auch an einer erhöhten Suszeptibilität der Frau, bedingt vor allem durch hormonelle und immunologische Veränderungen in der Schwangerschaft, aber auch in der postpartalen Phase.<sup>5</sup></p> <h2>HIV-Therapie schwangerer Frauen</h2> <p>Der Einsatz medikamentöser Therapien in der Schwangerschaft bedarf immer besonderer Vorsicht, da gleichzeitig Mutter und das ungeborene Kind exponiert werden. Für die wenigsten Medikamente gibt es Studien zum Einsatz in der Schwangerschaft und Stillperiode. Die Einschätzung der Sicherheit beruht auf (tier-)experimentellen Daten, retrospektiven Analysen und theoretischen Überlegungen. Nur für ganz wenige Medikamente ist eine klare Teratogenität bekannt, etwa für Methotrexat, Coumarine oder Isotretinoin.<br /> Während die Palette an antiretroviralen Substanzen zur Behandlung der chronischen HIV-Infektion stetig wächst, ist die Auswahl an Therapieregimen, die uneingeschränkt in unterschiedlichen Guidelines zum Einsatz in der Schwangerschaft empfohlen werden, relativ klein. (Potenzielle) Toxizität ist dabei nicht das einzige Auswahlkriterium. Vielmehr muss dabei auch Rücksicht genommen werden auf die veränderte Pharmakokinetik in der Schwangerschaft, die zumeist zu niedrigeren Medikamentenspiegeln führt. Berücksichtigt werden muss zudem der typische Bedarf an Komedikationen, z. B. Antazida, oder die Supplementierung von Vitaminen und Spurenelementen.<br /> Obwohl ein relevanter Anteil von HIV-Infektionen bei Frauen im Rahmen einer Schwangerschaft gestellt wird, präsentiert sich im klinischen Alltag der Großteil der HIV-infizierten Schwangeren oder Frauen mit aktivem Kinderwunsch mit einer bereits etablierten antiretroviralen Therapie (ART).</p> <h2>Empfohlene und nicht empfohlene Therapieregime</h2> <p>Vergleicht man die Zusammensetzung der allgemein üblichen Therapieregime in Europa mit den für die Schwangerschaft empfohlenen Regimen, so findet sich kaum eine Übereinstimmung. Das heißt, dass in der Mehrzahl der Fälle die laufende ART nicht den Behandlungsempfehlungen in der Schwangerschaft entspricht und eine Modifikation der Therapie mit der Patientin zumindest besprochen werden sollte. Neben den in den Guidelines erwähnten Substanzen, können nach Expertenmeinung Tenofovir-Alafenamid, Etravirin, Rilpivirin, Nevirapin, Maraviroc und Enfuvirtide (T20) belassen werden. Therapieregime, die Dolutegravir, Cobicistat, Bictegravir, Doravirin oder Ibalizumab enthalten, sollten – wenn möglich – modifiziert werden.<sup>6</sup><br /> Durch das Wissen um die Effizienz der antiretroviralen Therapie zur Prophylaxe einer Transmission und in Zeiten von U = U (unter der Nachweisgrenze = unübertragbar) treten auch im Bereich der vertikalen Transmission Maßnahmen wie die intrapartale Zidovudin-Gabe oder die elektive Sectio in den Hintergrund. Frauen, die in der Schwangerschaft eine ART erhalten haben und deren Viruslast zum Geburtszeitpunkt unter 50 Kopien/ml (K/ml) liegt, benötigen keine intrapartale Zidovudin- Gabe. Und falls keine geburtshilflichen Kontraindikationen dem entgegenstehen, wird eine vaginale Geburt empfohlen.<sup>7, 8</sup> Bei der Rücknahme der Empfehlung zur Prophylaxe für das Neugeborene herrscht noch Zurückhaltung; diese wird auch im idealen Setting (reifes Neugeborenes, keine geburtshilflichen Komplikationen, Viruslast der Mutter unter 50 K/ml) in den allermeisten Guidelines mit Zidovudin für zwei bis vier Wochen empfohlen.</p> <h2>Langzeitfolgen der ART fürs Kind?</h2> <p>Ebensowenig besteht Konsens für die Aufgabe des Stillverzichtes. Während in Ländern mit nicht ausreichender Möglichkeit der Bereitstellung von Säuglingsnahrung (ausschließliches) Stillen empfohlen wird, wird in europäischen Guidelines mittlerweile zumeist ein Stillverzicht und/ oder eine Diskussion mit der Mutter über das Für und Wider empfohlen.<br /> Die Zurückhaltung gegenüber einer generellen Empfehlung zum Stillen fußt zum einen auf virologischen Überlegungen. Muttermilch und Blut stellen sehr unterschiedliche Kompartimente, das Brustgewebe enthält viele langlebige T-Zellen sowie reichlich Makrophagen und dendritische Zellen.<sup>9</sup> Überdies wurde beobachtet, dass T-Zellen aus der Muttermilch nach Aktivierung deutlich mehr Virus freisetzen als T-Zellen aus dem Blut.<sup>9</sup> Übertragungen wurden sowohl bei Müttern, bei denen ausschließlich in der Muttermilch eine erhöhte Viruslast gemessen wurde, beschrieben als auch ohne nachweisbare Viruslast. Sie können sowohl über zellassoziiertes wie auch über freies Virus erfolgen.<sup>10―12</sup><br /> Zusätzlich bestehen Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden durch die Langzeitexposition der Kinder mit antiretroviralen Medikamenten über die Muttermilch.<br /> Daten zu den (Langzeit-)Folgen intrauteriner und neonataler HIV- und ART-Exposition sind nach wie vor widersprüchlich und unzureichend. Dank des Erfolges der Prophylaxe der vertikalen Transmission kommen jährlich weltweit mehr als 1 Million HIV-negative, aber ART-exponierte Kinder zur Welt. So groß natürlich der Erfolg der Vermeidung der Infektion ist, so dürfen seit Langem beschriebene Assoziationen mit niedrigerem Geburtsgewicht, erhöhter Frühgeburtlichkeit und Abort oder Totgeburt nicht völlig außer Acht gelassen werden.<sup>13</sup> Immunologische Effekte wie ein Th1-Shift unter ART, Immunrekonstitution bei in der Schwangerschaft oder erst kurz davor begonnener ART, aber auch Effekte auf Angiogenese, Endothelfunktion sowie Hormonachsen werden als ursächlich diskutiert.<sup>14–16</sup> Unterschiede zwischen den Substanz(-klassen) werden in einer Vielzahl von Studien mit sehr widersprüchlichen Ergebnissen berichtet, sodass die aktuelle Datenlage als dürftig beschrieben werden muss. Große, qualitätsvolle und vergleichbare Studien sowie Objektivität und Wachsamkeit der Behandler sind in diesem Bereich sicher gefragt, um eine optimale Betreuung von Mutter und Kind zu ermöglichen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Connor EM et al.: NEJM 1994; 331: 1173-80 <strong>2</strong> Europ. Mode of Delivery Coll.: Lancet 1999; 353: 1035-9<strong> 3</strong> Nduati R et al.: JAMA 2000; 283: 1167-74 <strong>4</strong> ECDC/WHO: UNAIDS Data 2017, HIV/AIDS surveillance in Europe 2018-2017 (http://ecdc.europa.eu/sites/portal/files/documents/hivaids- surveillance-europe-2018.pdf) <strong>5</strong> Thomson KA et al.: J Infect Dis 2018; 218: 16-25 <strong>6</strong> Gandhi M et al.: Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI), 4.–7. März 2019, Seattle/USA, Abstract 60 <strong>7</strong> Briand N et al.: Clin Infect Dis 2013; 57: 903-14 <strong>8</strong> Warszawski J et al.: AIDS 2008; 22: 289-99 <strong>9</strong> Becquart P et al.: AIDS 2006; 20: 1453-5 <strong>10</strong> Guiliano M et al.: PLoS One 2013; 8: e68950 <strong>11</strong> Davis NL et al.: J Acquir Immune Defic Syndr 2016; 73: 572-80 <strong>12</strong> Koulinska IN et al.: J Acquir Immune Defic Syndr 2006; 41: 93-9 <strong>13</strong> Short CE, Taylor GP: Expert Rev Anti Infect Ther 2014; 12: 293-306 <strong>14</strong> Fiore S et al.: J Reprod Immunol 2006; 70: 143-50 <strong>15</strong> Papp E et al.: J Infect Dis 2015; 211: 10-8 <strong>16</strong> Mohammadi H et al.: Sci Rep 2018; 8: 6552</p>
</div>
</p>