
Kontrazeption in der Adoleszenz
Autorin:
Prof. Dr. Sabine Segerer
Facharzt-Zentrum für Kinderwunsch, Pränatale Medizin
Endokrinologie und Osteologie
Hamburg
E-Mail: sabine.segerer@amedes-group.com
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Während der Entwicklung von der Kindheit zum Erwachsenenalter erleben Jugendliche ein erhöhtes Interesse an sozialen Beziehungen und Sexualität. Dies geht oft einher mit einem wachsenden Bewusstsein für die Bedeutung der Verhütung. Welche Formen der Kontrazeption für Adoleszent:innen geeignet sind und welche Aspekte bei der Verordnung/Beratung berücksichtigt werden sollen, wird im Folgenden diskutiert.
Keypoints
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Das Alter allein ist kein Grund, Jugendlichen von hormonellen/nicht hormonellen Kontrazeptiva abzuraten.
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Vor Verordnung sollte eine Erhebung des individuellen Risikoprofils erfolgen.
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Eine Abschätzung der Compliance/Adhärenz ist ebenfalls sinnvoll, da dies maßgeblich die kontrazeptive Effektivität beeinflusst.
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Beratung sollte altersangemessen erfolgen; Wünsche und Bedenken sollten berücksichtigt werden.
Während der Adoleszenz kommt es zu erheblichen körperlichen, kognitiven, emotionalen Veränderungen und sozialen Entwicklungsprozessen. Die Zeit ist geprägt durch ein Streben nach Unabhängigkeit, aber auch durch ein Experimentieren mit unbekannten Dingen. Dazu gehören auch erste Erfahrungen mit Alkohol, Rauchen, ggf. anderen Drogen und erste sexuelle Kontakte. Nach einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hatten 2020 13% der Mädchen im Alter von 15 Jahren bzw. 10% der Jungen bereits sexuelle Erfahrungen gemacht, mit 17 Jahren 69 bzw. 67%. 7% wenden beim ersten Geschlechtsverkehr keine Verhütungsmethode an; das Kondom ist mit 75% das am häufigsten genutzte Kontrazeptivum. Dagegen ist in den vergangenen fünf Jahren die Verwendung der Pille als Verhütungsmethode bei Jugendlichen um 19% zurückgegangen. Gründe für die Abwendung von dieser Kontrazeptionsmethode sind Zwischenblutungen (30%), Gewichtszunahme (24%), Kopfschmerzen (16%) und auch Libidoverlust (15%).
Was sollte bei Erstverordnung eines Kontrazeptivums beachtet werden?
Bei Erstvorstellung zur Verhütungsberatung sollte auf alle Arten der Verhütung (hormonelle wie auch nicht hormonelle Methoden) eingegangen werden. Dabei sollten die unterschiedlichen Möglichkeiten der Anwendung, insbesondere auch die Vorteile lang wirksamer reversibler Methoden („long-acting reversible contraceptives“, LARC) diskutiert werden. Ein wichtiger Aspekt bei der Beratung ist dabei, auf die kontrazeptive Effektivität der Methoden einzugehen und darzustellen, wo Anwendungsfehler möglich sind, die die kontrazeptive Effektivität einschränken könnten (Abb. 1). Zudem sollte der Nutzen des Kondoms zur Vermeidung sexuell übertragbarer Infektionen hervorgehoben werden. Last but not least sollte über die Zusatznutzen verschiedener kontrazeptiver Methoden, aber auch deren Nebenwirkungen und Risiken informiert werden.
Abb. 1: Einteilung der kontrazeptiven Methode adaptiert nach WHO und Trussel et al.12, 13 Darstellung der Gebrauchssicherheit (typische Anwendung mit Anwendungsfehlern). (Sehr effektive Methoden ≤1 von 100 Frauen innerhalb der ersten 12 Monate, mittlere Effektivität >1–10 von 100 Frauen innerhalb der ersten 12 Monate; niedrige Effektivität >10 Frauen innerhalb der ersten 12 Monate)
Im Rahmen der Erstvorstellung sollte die Eigenanamnese mit Erfassung von Risikofaktoren erhoben werden (Tab. 1). Es sollte erfragt werden, ob die Jugendliche bereits sexuell aktiv war bzw. ob möglicherweise bereits Schwangerschaften oder Schwangerschaftsabbrüche bestanden. Zudem sollte erhoben werden, ob in der Vorgeschichte eine HPV-Impfung erfolgte.
Im Rahmen der Erfassung der Risikofaktoren sollte eine Blutdruckmessung erfolgen und der Body-Mass-Index (BMI) dokumentiert werden. Eine gynäkologische Untersuchung vor Verschreibung eines Kontrazeptivums ist nicht unbedingt erforderlich.1,2 Bei sexuell aktiven Adoleszentinnen muss nicht bereits bei Erstkontakt eine Krebsvorsorge mittels Papanikolaou-Abstrich erfolgen, jedoch sollten die entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen im Verlauf geplant werden.1,2 Ein generelles Thrombophiliescreening wird nicht empfohlen, sondern nur bei Vorliegen von Risikofaktoren oder bei positiver Eigen- oder Familienanamnese.3
Es ist sinnvoll, nach Verordnung der kontrazeptiven Methode eine Reevaluation nach drei Monaten durchzuführen, um die Verträglichkeit, die Akzeptanz und mögliche Probleme bei der Handhabung zu diskutieren.
Welche Kontrazeptiva sind für Jugendliche geeignet?
Das Alter per se ist nach WHO-Kriterien4 kein Grund, Adoleszentinnen eine bestimmte Verhütungsmethode vorzuenthalten. Die individuelle soziale Reife und das Verhalten des Mädchens sollten jedoch berücksichtigt werden.
Als unbedenklich ab der Menarche bis zum 18. Lebensjahr werden kombinierte orale Kontrazeptiva, weitere Kombinationspräparate wie das Pflaster oder der Vaginalring, reine Gestagenpräparate („progestin-only pill“, POP), Barrieremethoden (Diaphragma, Kondom), die Kupfer- und auch die Hormonspirale eingestuft. Grundsätzlich möglich ist auch der Einsatz von Depotmedroxyprogesteronazetat (DMPA). Allerdings führt DMPA in Abhängigkeit von der Dosis und der Dauer zu einer Reduktion der Knochendichte bei Teenagern.5,6 Nach Absetzen von DMPA war die Abnahme der Knochendichte meist reversibel. Infolge der negativen Effekte wird jedoch vor einem Einsatz >2 Jahre gewarnt.
Da häufig nach Menarche irreguläre Zyklen bestehen, weist die WHO auf Einschränkungen der Anwendung von Methoden natürlicher Familienplanung hin.
Lang wirksame Kontrazeptiva sind besonders geeignet, wenn die Mädchen nicht an die tägliche Einnahme einer Pille denken möchten und eine zuverlässige Verhütung wünschen oder wenn die Compliance aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkt ist. Die Dreimonatsspritze mit DMPA sollte in der Adoleszenz wie oben bereits erwähnt nur in Ausnahmefällen angewandt werden, aufgrund möglicher negativer Effekte auf die Knochen.5,6 Zudem ist unter DMPA, anders als bei anderen Gestagenmonopräparaten, ein erhöhtes Thromboserisiko bekannt. Im Gegensatz zu anderen hormonellen Kontrazeptiva wurde bei Adoleszentinnen unter DMPA in Abhängigkeit von der Dauer der Anwendung auch eine Zunahme des Körpergewichts festgestellt.8 Dies war insbesondere der Fall, wenn die jungen Frauen (<18 Jahren) bereits adipös waren.
Zu den lang wirksamen Kontrazeptiva gehören auch Intrauterinpessare und -systeme (IUP und IUS). Die Anwendung ist auch bei Jugendlichen möglich. Dabei unterscheiden sich die Komplikationsraten im Hinblick auf Infektionen, Blutungsstörungen, Schwierigkeiten bei der Einlage oder Verlust der Spirale bei Mädchen/Nulliparen nicht signifikant von denen erwachsener Frauen.9,10
Welche rechtlichen Aspekte sollten beachtet werden?
Bei der Verordnung von Kontrazeptiva muss geprüft werden, ob die Minderjährige in die Behandlungsmaßnahme einwilligen kann. Grund ist, dass jeder medizinische Eingriff sowie auch die Verordnung von Medikamenten juristisch den Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt (§ 630d BGB). Als Hilfsmittel für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit werden Altersgrenzen herangezogen. (Kinder unter 14 Jahren: nicht einwilligungsfähig, 14 bis 16 Jahre: Einzelfallentscheidung, 16–18 Jahre: Einwilligungsfähigkeit in der Regel gegeben). Ausschlaggebendes Kriterium ist jedoch die individuelle „geistige und sittliche Reife“, d.h. ob ein Verständnis über Tragweite der Behandlung besteht (Netzer-Nawroki, Kinder- und Jugendarzt, 2018).11 Diese Reife muss jeweils individuell geprüft werden.
Bis zum Erreichen des 22. Geburtstags erstatten die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland die Kosten für verschreibungspflichtige Kontrazeptiva (§24a SGB V), wobei ab dem 18. Lebensjahr eine Zuzahlung von maximal 10 Euro anfällt.
Literatur:
1 Verhaeghe J: Clinical practice: Contraception in adolescents. Eur J Pediatr 2012; 171(6): 895-910 2 Apter D: Contraception options: Aspects unique to adolescent and young adult. Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2018; 48: 115-27 3 Franik S et al.: Hormonal Contraception. Guideline of the DGGG, OEGGG and SGGG (S3 Level, AWMF Registry Number 015/015, January 2020). Geburtshilfe Frauenheilkd 2021; 81(2): 152-82 4 WHO: Medical eligibility criteria for contraceptive use. 2015 5 Harel Z et al.: Recovery of bone mineral density in adolescents following the use of depot medroxyprogesterone acetate contraceptive injections. Contraception 2010; 81(4): 281-91 6 Lange HL et al.: Bone mineral density and weight changes in adolescents randomized to 3 doses of depot medroxyprogesterone acetate. J Pediatr Adolesc Gynecol 2017; 30(2): 169-175. 7 FSRH Guideline: Contraceptive choices for young people. 2010 8 Bonny AE et al.: Weight gain in obese and nonobese adolescent girls initiating depot medroxyprogesterone, oral contraceptive pills, or no hormonal contraceptive method. Arch Pediatr Adolesc Med 2006; 160(1): 40-5 9 Jatlaoui TC et al.: The safety of intrauterine devices among young women: a systematic review. Contraception 2017; 95(1): 17-39 10 Patseadou M, Michala L: Usage of the levonorgestrel-releasing intrauterine system (LNG-IUS) in adolescence: what is the evidence so far? Arch Gynecol Obstet 2017; 295(3): 529-41 11 Netzer-Nawrocki J: Juristische Aspekte bei der Verschreibung von Kontrazeptiva an Minderjährige. Kinder- und Jugendarzt 2018; 49(9): 524-7 12 WHO Team Sexual and Reproductive Health and Research: Family planning - a global handbook for providers. 2018 13 Trussel J: Contraceptive failure in the United States. Contraception 2011; 83:297-404
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