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Komplikationsmanagement nach Schlingeneinlagen
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Volker Viereck
Blasen- und Beckenbodenzentrum<br> Kantonsspital Frauenfeld<br> E-Mail: volker.viereck@stgag.ch
30
Min. Lesezeit
27.02.2020
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<p class="article-intro">Die Einlage von suburethralen spannungsfreien Schlingen zur Therapie der Belastungsinkontinenz ist derzeit die erfolgreichste Operation der Urogynäkologie. Aber auch bei den sichersten Operationen können Komplikationen auftreten. Dieser Review zeigt, wie Komplikationen vermieden oder korrigiert werden können.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Pelvic-Floor-Sonografie ist essenziell für die Operationsplanung und die Diagnose von Früh- und Spätkomplikationen.</li> <li>Die fundierte Ausbildung des Operateurs ist der entscheidendste, wichtigste Faktor für Prävention, Erkennung und Therapie von Komplikationen.</li> <li>Bis etwa eine Woche nach der Schlingeninsertion können Komplikationen relativ einfach – mittels Bandlockerung – und mit anhaltend gutem Ergebnis behoben werden.</li> <li>Nach der zweiten postoperativen Woche werden die lokalen Verhältnisse durch das Einwachsen von Fibroblasten in das Polypropylenband stabiler, operative Korrekturen sind schwieriger und können zum Beispiel mittels Bandspaltung behoben werden.</li> <li>Bei schwerwiegenden Komplikationen («point of no return») sollte an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden.</li> </ul> </div> <h2>Suburethrale Schlingeneinlage zur Therapie der Belastungsinkontinenz</h2> <p>Warnungen der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) in Bezug auf die Verwendung von synthetischen vaginalen Netzen in der Deszensuschirurgie führten dazu, dass auch die Verwendung von synthetischen Schlingen (oder «Bändern») zur Therapie der Belastungsinkontinenz eingehend geprüft wurde. Anwälte in den USA forderten zu Patientenklagen auf, dies oft wegen Banalitäten.<sup>1</sup> In der Folge wurden auch die internationalen Medien darauf aufmerksam, die öffentliche Diskussion wurde emotional stark angeheizt, Internetforen für Betroffene wurden gegründet, die Problematik der vaginalen Senkungsnetze und die der Inkontinenzschlingen (-bänder/-netze) wurden vermischt. In englischsprachigen Ländern wie England, Schottland oder Neuseeland wurde die Einlage von Inkontinenzschlingen und von vaginalen Netzen gleichzeitig gestoppt.<sup>2</sup> In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind beide Operationstechniken weiterhin uneingeschränkt erlaubt.<br /> In vielen Ländern verläuft die öffentliche Wahrnehmung diametral zu den harten, wissenschaftlichen Fakten. Denn bei der suburethralen Schlingeneinlage, dem «Goldstandard» der Inkontinenzchirurgie, handelt es sich um die in der gesamten Urogynäkologie am besten dokumentierte und mit zahlreichen Studien abgesicherte Technik.<sup>3, 4</sup> So befassten sich weit über 2000 Publikationen sehr intensiv damit. Die standardisierte Methode wurde in zahlreichen randomisierten Studien mit anderen Inkontinenztherapien verglichen und bei Patientinnen mit verschiedensten Begleiterkrankungen ausführlich geprüft. Auch das Material, Polypropylen, wird in der Medizin für verschiedene Indikationen schon seit über 50 Jahren erfolgreich angewendet. Netzeigenschaften wie Porengrösse, Elastizität, Zugstabilität, Netzgrösse und -gewicht wurden ständig weiter verfeinert und optimiert.<br /> Die Heilungsraten nach spannungsfreier retropubischer Schlingeneinlage («tension-free vaginal tape», TVT) sind sehr hoch. Sie betragen 93 % nach 6 Monaten, 87 % nach 32 Monaten, 81 % nach 7 Jahren und 77 % nach 11 Jahren.<sup>5, 6</sup> Auch Langzeitbeobachtungen über 17 Jahre zeigten eine hohe Stabilität, Sicherheit und Wirksamkeit der suburethralen Schlingeneinlage.<sup>7</sup></p> <h2>Prävention von Komplikationen</h2> <p>Aber auch bei den sichersten Operationen und Therapien gibt es unbefriedigende Resultate und Komplikationen, zum Beispiel 0,34 % schwerwiegende und 8,9 % kleinere Komplikationen bei der TVT-Insertion.<sup>8</sup> Das moderne Komplikationsmanagement in der Urogynäkologie beginnt nicht erst bei der Korrektur, sondern schon bei der Prävention von Komplikationen. Der grösste Risikofaktor ist und bleibt der Operateur selbst. Wenig Erfahrung korreliert mit einem schlechteren Outcome und einer höheren Komplikationshäufigkeit. Um die Komplikationsrate auf einem konstant niedrigen Niveau zu halten, sind über 40 Operationen pro Schlingentyp und Jahr nötig.<sup>8</sup><br /> Präoperativ ist neben der klinischen Untersuchung und der urodynamischen Abklärung die Pelvic-Floor-Sonografie zur Planung der Schlingeninsertion von grosser Bedeutung. Von Interesse ist die sonografische Bestimmung der Urethralänge, der Urethramobilität und der Höhe der vaginalen Sulci. Die Platzierung des Bandes im mittleren Urethradrittel und ein Band-Urethra-Abstand von 3–5 mm sind essenziell für die Wiederherstellung der Kontinenz.<sup>9, 10</sup> Bei hohen vaginalen Sulci sollten keine transobturatorisch eingelegten Bänder verwendet werden, um Banderosionen und Perforationen im Sulcus zu vermeiden (Abb. 1).<sup>11</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Gyn_2001_Weblinks_lo_gyn_2001_s20_abb1_viereck.jpg" alt="" width="350" height="568" /></p> <h2>Komplikationsmanagement bei Frühkomplikationen</h2> <p>Blasenperforationen gehören zu den häufigsten intraoperativen Komplikationen (3,8 % ), besonders am Anfang der Lernkurve (Abb. 2).<sup>8</sup> Bei erfahrenen Operateuren kommen sie äusserst selten vor (0,35 % ).<sup>12</sup> Wenn Blasenperforationen sofort erkannt werden, sind sie einfach zu korrigieren. In der postoperativen Zystoskopie können Läsionen mit einer 70°-Winkeloptik mit Rundumblick und einer adäquaten Blasenfüllung von 200–300 Millilitern zur Wandentfaltung leichter entdeckt werden. Auch zur Vermeidung von Urethra-, Vagina- oder Darmperforationen ist das Training des Operateurs entscheidend. Darmverletzungen sind selten, aber gravierend.<sup>13</sup><br /> Blasenentleerungsstörungen, ebenfalls relativ häufige Komplikationen (10 % ),<sup>8</sup> können intraoperativ, mittels Hustentest und Adjustierung des suburethralen Bandabstands zur Urethra, reduziert werden. Unmittelbar postoperativ können Ursachen für Entleerungsstörungen mittels Pelvic-Floor-Sonografie identifiziert werden, zum Beispiel, wenn das Band zu straff an der Urethra positioniert ist oder zu nahe am Blasenhals liegt. Differenzialdiagnostisch müssen Hämatome als Ursache ausgeschlossen werden. In den ersten Tagen nach der Operation können zu dicht liegende Bänder mittels erneuter vaginaler Nahtöffnung einfach gelockert werden (Abb. 3).<sup>14</sup> Die Heilungschance nach der Inkontinenzoperation ist dadurch nicht gemindert. Wieder spielt die Erfahrung des Operateurs eine entscheidende Rolle. Wird das Band nur gedehnt und nicht wirklich gelockert, insbesondere bei stark elastischen Bändern, persistiert die Entleerungsstörung. Wird es zu stark gelockert, steigt das Risiko für eine Rezidiv-Belastungsinkontinenz. Bei einem Band-Urethra-Abstand über 3 mm ist eine Bandlockerung meist nicht notwendig, da Blasenentleerungsstörungen nach Abschwellen der Wundödeme oder Hämatome von alleine verschwinden.<br /> Bis etwa eine Woche nach der TVT-Insertion können Komplikationen also relativ einfach und mit gutem Ergebnis korrigiert werden. Ganz wichtig für die rechtzeitige Erkennung ist die Kontrolle am 1.–3. postoperativen Tag mit Restharnmessung, Hustentest, Zystoskopie und Bestimmung der Bandlage relativ zur Urethra mittels Pelvic-Floor-Sonografie.<sup>11</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Gyn_2001_Weblinks_lo_gyn_2001_s21_abb2_viereck.jpg" alt="" width="275" height="380" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Gyn_2001_Weblinks_lo_gyn_2001_s21_abb3_viereck.jpg" alt="" width="550" height="320" /></p> <h2>Komplikationsmanagement bei Spätkomplikationen</h2> <p>Bereits wenige Tage nach einer Schlingenoperation beginnt das Einwachsen der Fibroblasten in das Polypropylenband. Nach der zweiten postoperativen Woche werden die lokalen Verhältnisse dadurch stabiler, operative Korrekturen werden aber schwieriger und aufwendiger. Bei einer persistierenden Entleerungsstörung kann das Band nicht mehr einfach gelockert, sondern muss gespalten werden.<sup>15</sup> Eine Bandspaltung führt bei 60 % der Patientinnen zu einer Rezidiv-Belastungsinkontinenz. Wenn die urodynamische Abklärung kombiniert mit Ultraschall ein funktionell-operatives Konzept erkennen lässt, ist bei persistierender Belastungsinkontinenz ein zweites Band möglich.<br /> Symptome wie chronisch rezidivierende Harnwegsinfekte, Reizblasenbeschwerden, Rezidiv-Belastungsinkontinenz, elektrisierende lokale Schmerzen, Harnverhalt oder Dyspareunie können auch Jahre später aufgrund von Spätkomplikationen nach Bandeinlagen auftreten. Die Behebung von Spätkomplikationen braucht grosse operative Erfahrung und verlangt individuelle, auf das Problem abgestimmte, innovative Lösungsansätze. Eingewachsene Bänder in Blase (Abb. 4), Vagina, Urethra oder im Darm können entweder reseziert oder ganz entfernt werden. Der Zugang erfolgt, je nach Bandlage, transurethral, transvaginal, offen oder laparoskopisch transabdominal/ transvesikal. Für eine Bandresektion aus der Blase können auch Kombinationen, zum Beispiel ein Instrument transabdominal/ transvesikal, das andere transurethral (Abb. 5), oder rein laparoskopische transvesikale Ports<sup>16</sup> oder ein Single-Port mit drei Zugängen,<sup>17</sup> angewendet werden. Eine Blasenentleerungsstörung mit Harnwegsinfekt kann zum Beispiel durch eine Blasenperforation mit intravesikaler Infektsteinbildung hervorgerufen werden. Zur Therapie wird der am Band adhärente Stein mit einem transurethralen Laser zerkleinert und der intravesikale Bandanteil entfernt. Bei schwerwiegenden Komplikationen sollte an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Gyn_2001_Weblinks_lo_gyn_2001_s22_abb4_viereck.jpg" alt="" width="275" height="270" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Gyn_2001_Weblinks_lo_gyn_2001_s22_abb5_viereck.jpg" alt="" width="275" height="508" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Nager CW: Midurethral slings: evidence-based medicine vs the medicolegal system. Am J Obstet Gynecol 2016; 214(6): 708 e1-5 <strong>2</strong> Zacche MM et al.: Changing surgical trends for female stress urinary incontinence in England. Int Urogynecol J 2019; 30(2): 203-9 <strong>3</strong> Ford AA et al.: Midurethral sling operations for stress urinary incontinence in women. Cochrane Database Syst Rev 2017; (7): CD006375 <strong>4</strong> Viereck V et al.: Guideline-based strategies in the surgical treatment of female urinary incontinence: the new gold standard is almost the same as the old one. Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76(8): 865-8 <strong>5</strong> Nilsson CG et al.: Seven-year follow-up of the tension-free vaginal tape procedure for treatment of urinary incontinence. Obstet Gynecol 2004; 104(6): 1259-62 <strong>6</strong> Nilsson CG et al.: Eleven years prospective follow-up of the tension-free vaginal tape procedure for treatment of stress urinary incontinence. Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct 2008; 19(8): 1043-7 <strong>7</strong> Nilsson CG et al.: Seventeen years‘ follow-up of the tension-free vaginal tape procedure for female stress urinary incontinence. Int Urogynecol J 2013; 24(8): 1265-9 <strong>8</strong> Kuuva N et al.: A nationwide analysis of complications associated with the tension-free vaginal tape (TVT) procedure. Acta Obstet Gynecol Scand 2002; 81(1): 72-7 <strong>9</strong> Kociszewski J et al.: Can we place tension-free vaginal tape where it should be? The one-third rule. Ultrasound Obstet Gynecol 2012; 39(2): 210-4 <strong>10</strong> Wlazlak E et al.: Role of intrinsic sphincter deficiency with and without urethral hypomobility on the outcome of tape insertion. Neurourol Urodyn 2017; 36(7): 1910-6 <strong>11</strong> Rautenberg O et al.: Current treatment concepts for stress urinary incontinence. Praxis (Bern 1994) 2017; 106(15): 829e-36e <strong>12</strong> Marschke J et al.: Comparison of two retropubic tension- free vaginal tape procedures in women with stress urinary incontinence: a randomized controlled multicenter trial. Arch Gynecol Obstet 2019; 299(4): 1015-22 <strong>13</strong> Heidler H: [Results and complications following suburethral tapes]. Urologe A 2005; 44(3): 256-9 <strong>14</strong> Rautenberg O et al.: Ultrasound and early tape mobilization – a practical solution for treating postoperative voiding dysfunction. Neurourol Urodyn 2014; 33(7): 1147-51 <strong>15</strong> Viereck V et al.: Midurethral sling incision: indications and outcomes. Int Urogynecol J 2013; 24(4): 645-53 <strong>16</strong> Yoshizawa T et al.: Laparoscopic transvesical removal of erosive mesh after transobturator tape procedure. Int J Urol 2011; 18(12): 861-3 <strong>17</strong> Ingber MS et al.: Single-port transvesical excision of foreign body in the bladder. Urology 2009; 74: 1347- 50</p>
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