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Hormonelle Kontrazeption und Brustkrebs

Eine neue Studie gibt Entwarnung: Die Hormone in der Pille erhöhen nicht das Krebsrisiko. Doch eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht und darüber muss man die Patientin aufklären.

Auszug aus der AWMF-Leitlinie «Hormonelle Empfängnisverhütung»2

  • Ob hormonelle Kontrazeptiva die Inzidenz für ein Mammakarzinom erhöhen, ist unklar. Eine geringgradige Risikoerhöhung sowohl während als auch nach Anwendung oraler Kontrazeptiva kann nicht ausgeschlossen werden.

  • Frauen mit und ohne BRCA-1/2-Mutation sollten vor Anwendung oraler Kontrazeptiva über ein möglicherweise geringgradig erhöhtes Mammakarzinomrisiko aufgeklärt werden.

  • Ob hormonelle Kontrazeptiva das Rezidivrisiko bei Zustand nach Mammakarzinom erhöhen, ist unklar. Ein erhöhtes Rezidivrisiko kann nicht ausgeschlossen werden.

  • Hormonelle Kontrazeptiva sollten bei Frauen nach Mammakarzinom nicht an- gewandt werden, da ihre Sicherheit hinsichtlich des Rezidivrisikos nicht belegt ist.

Seit Jahrzehnten diskutieren Forscher, ob orale kombinierte Kontrazeptiva Brustkrebs begünstigen können. In Studien wurden Hunderttausende von Frauen mit einem langen Follow-up beobachtet, aber bisher zeigte sich kein eindeutiges Ergebnis. In manchen Studien hatten Frauen, die die Pille nahmen, ein leicht erhöhtes Risiko, in anderen nicht. Nicht klar war zudem, wie sich das Risiko entwickelt, nachdem die Frau die Hormone abgesetzt hat. Kurz vor Weihnachten 2020 wurde nun erneut eine grosse Studie zu diesem Thema publiziert.1 Diese gibt Entwarnung: Die Hormone erhöhen das Risiko nicht.

Forscher der Universität Uppsala in Schweden werteten Daten von 256661 Frauen aus, die zwischen 1939 und 1970 geboren worden waren. Die Daten stammen aus der britischen Biobank (UK Biobank), einer grossen Querschnittskohorte. Hier untersuchen Wissenschaftler Massnahmen zur Prävention, Diagnose und Therapie diverser Krankheiten. Die Karzinominzidenzen wurden zum einen aus den Krankenhausakten entnommen, zum anderen aus mündlichen Interviews mit den Studienteilnehmerinnen, aus Fragebögen und aus Mortalitäts- und Krebsregistern. 210443 Frauen, also 82%, hatten während ihres Lebens mindestens einmal die Pille genommen, davon nahmen 4659 sie aktuell noch. 46218 Frauen, also 18%, hatten noch nie orale Kontrazeptiva angewendet.

Die meisten Pillenanwenderinnen waren bei Pillenstart zwischen 18 und 24 Jahre alt. Im Schnitt wendeten sie die Mittel 11 Jahre an. Bis März 2019 waren 17739 Teilnehmerinnen an Brustkrebs erkrankt, das sind 6,9%. Das Brustkrebsrisiko berechneten die Wissenschafter anhand verschiedener mathematischer Modelle. Die Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Während die Frauen die Pille nahmen, hatten sie kein erhöhtes Risiko für die Diagnose Brustkrebs (OR: 1,02; 95% CI: 0,98–1,06). Zwei Jahre nach Absetzen der Pille stieg das Risiko (HR: 1,55; 95% CI: 1,06–2,28), sank dann aber über die folgenden Jahre, sodass langfristig gesehen das Risiko nicht erhöht war.

Keine Sicherheit

Sie habe das Ergebnis nicht überrascht, sagt Prof. Dr. med. Petra Stute, Leitende Ärztin und Stv. Chefärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in der Universitätsklinik für Frauenheilkunde im Inselspital Bern. «Die Studie bestätigt das, was wir auch schon in früheren Studien gesehen haben. Doch eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Das muss die Patientin wissen und sich selbst entscheiden.»

Allerdings sei auch die Untersuchung aus Uppsala keine prospektive randomisierte klinische Studie, der Goldstandard, um Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten zu untersuchen. In einer solchen Studie müssten Frauen nach dem Zufallsprinzip entweder die Pille oder Placebo einnehmen und die Studienleiter würden jahrzehntelang beobachten, wie viele Brustkrebserkrankungen in der jeweiligen Gruppe auftreten. Abgesehen davon, dass eine solche Studie zu ungeplanten Schwangerschaften führen würde, wäre es fraglich, ob Frauen über einen so langen Zeitraum mitmachen würden. Deshalb stammen die Erkenntnisse zu oralen Kontrazeptiva und Brustkrebsrisiko entweder aus Studien, in denen Forscher Pillenanwenderinnen lange Jahre beobachten und erfassen, ob sie Brustkrebs bekommen. Oder es wird wie in der schwedischen Studie rückblickend analysiert, wie sich die Pilleneinnahme auf die Inzidenz von Brustkrebs ausgewirkt hat. Der unterschiedliche Studienaufbau erklärt, warum immer mal wieder auch ein leicht erhöhtes Risiko nachgewiesen wurde.

In der im September 2020 aktualisierten AWMF-Leitlinie der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG, SGGG) heisst es: «Ob hormonelle Kontrazeptiva die Inzidenz für ein Mammakarzinom erhöhen, ist unklar. Eine geringgradige Risikoerhöhung sowohl während als auch nach Anwendung oraler Kontrazeptiva kann nicht ausgeschlossen werden.» Frauen mit und ohne BRCA-1/2-Mutation sollten vor Anwendung oraler Kontrazeptiva über ein möglicherweise geringgradig erhöhtes Mammakarzinomrisiko aufgeklärt werden.2 «An unserer Empfehlung ändert die neue Studie aus Uppsala nichts», sagt Prof. Stute, federführende Autorin. «Es wird sicherlich wieder eine Untersuchung kommen, wo das Pendel erneut in die andere Richtung ausschlägt und ein leicht erhöhtes Risiko nachgewiesen wird.»

In der Leitlinie sind die früheren Studien aufgeführt und es wird auf eine Tabelle in einer Arbeit von 2010 verwiesen,3 in der die relativen Risiken für Brustkrebs bei Pillenanwenderinnen in einschlägigen Studien dargestellt sind. Dort ist zu erkennen, dass die Datenlage schon damals widersprüchlich war. Auch Studien nach 20104–6 haben keine weitere Klarheit verschafft, was auch verwunderlich gewesen wäre, denn auch diese waren Kohortenstudien, Beobachtungsstudien oder Metaanalysen aus solchen und keine randomisierten kontrollierten Studien.

Absolute Zahlen berücksichtigen

In einer prospektiven Kohortenstudie von 2017 mit 1,8 Millionen Däninnen hatten Frauen, die die Pille nahmen oder genommen hatten, ein geringgradiges signifikant erhöhtes Risiko (RR: 1,20; 95% CI: 1,14–1,26).7 Man muss bei der Interpretation der relativen Risiken aber immer die absoluten Zahlen berücksichtigen: Dies waren 13 zusätzliche Brustkrebsfälle pro 100000 Anwendungsjahre bzw. ein zusätzliches Mammakarzinom pro 7690 Frauen pro Anwendungsjahr. Das Brustkrebsrisiko war sowohl für Kombinationspräparate (RR: 1,19; 95% CI: 1,13–1,26) als auch für gestagenhaltige Intrauterinpessare (RR: 1,21; 95% CI: 1,11–1,33) geringgradig signifikant erhöht. Bei oralen Gestagenpräparaten wurde ein signifikant erhöhtes Risiko unter Einnahme von Levonorgestrelpräparaten nachgewiesen (RR: 1,93; 95% CI: 1,18–3,16), nicht jedoch für Norethisteron- und Desogestrelpräparate. Diese Erkenntnis wirke sich aber nicht auf das Verschreibungsverhalten aus, sagt Stute: «Bei der Wahl der hormonellen Kontrazeption spielen andere Faktoren als das Brustkrebsrisiko eine grössere Rolle, etwa die Vorerkrankungen, die Komedikation, das Thromboserisiko und ob die Frau raucht oder übergewichtig ist.»

<< Bei der Wahl der hormonellen Kontrazeption spielen andere Faktoren als das Brustkrebsrisiko eine grössere Rolle.>>
P. Stute , Bern

Die unklare Datenlage spiegelt sich auch in den Empfehlungen der Fachgesellschaften wider: Die englische Leitlinie weist auf ein erhöhtes Risiko hin und empfiehlt, Patientinnen über das geringfügig erhöhte Risiko aufzuklären.8 Die US-amerikanische Leitlinie schreibt von einem möglicherweise gering erhöhten Risiko, das aber nach Absetzen verschwinde.9 Die Autoren der kanadischen Leitlinie gehen auf das Krebsrisiko gar nicht ein.10

<< Sorgt sich eine Frau trotzdem und will eine sichere Verhütung, haben wir Alternativen.>>
K. Bühling , Hamburg

Er spreche mit seinen Patientinnen immer über das Brustkrebsrisiko, sagt Prof. Dr. med. Kai Bühling, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Frauengesundheit (DGF). Er leitet die Hormonsprechstunde des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. «Ich sage aber auch sofort, dass andere Faktoren ebenfalls das Risiko erhöhen, und womöglich viel mehr.» Dazu gehören beispielsweise Übergewicht, Rauchen und Alkohol, eine frühe erste Menarche und eine späte Menopause. Umgekehrt sinkt das Risiko, wenn eine Frau mehr Kinder hat, sie länger stillt und regelmässig Sport treibt. «Sorgt sich eine Frau trotzdem und will eine sichere Verhütung, haben wir aber auch Alternativen – das geht in der Diskussion um die Pille oft unter», sagt Bühling und nennt als Beispiele eine Kupferspirale ohne Hormone oder eine Spirale mit Hormonen, bei der aber weniger davon in das Blut gelangen.

Risiko für Ovarial- und Endometriumkarzinome durch Pille gesenkt

Die Auswertungen der schwedischen Studie zeigten auch, dass die Pille das Risiko für Ovarial- und Endometriumkarzinom senkt, und zwar bis zu 35 Jahre nach Absetzen. Die Odds-Ratio für Ovarialkarzinom betrug 0,72 (95% CI: 0,65–0,81) und jene für Endometriumkarzinom 0,68 (95% CI: 0,62–0,75). «Das ist ein angenehmer Nebeneffekt», sagt Stute. «Die Pille sollte man aber definitiv nicht mit dem Ziel verschreiben, diesen Tumoren vorzubeugen. Sie ist dafür da, Schwangerschaften zu verhindern.»

1 Karlsson T et al.: Time-dependent effects of oral contraceptive use on breast, ovarian and endometrial cancers. Cancer Res 2020; doi: 10.1158/0008-5472.CAN-20-2476 2 Hormonelle Empfängnisverhütung. S3-Leitlinie, AWMF 015/015, Version 1.2, Stand September 2020; www.awmf.org/leitlinien 3 Cibula D et al.: Hormonal contraception and risk of cancer. Hum Reprod Update 2010; 16(6): 631-50 4 Gierisch JM et al.: Oral contraceptive use and risk of breast, cervical, colorectal, and endometrial cancers: a systematic review Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2013; 22(11): 1931-43 5 Zhu H et al.: Oral contraceptive use and risk of breast cancer: a meta-analysis of prospective cohort studies. Eur J Contracept Reprod Health Care 2012; 17(6): 402-14 6 Anothaisintawee T et al.: Risk factors of breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Asia Pac J Public Health 2013; 25: 368-87 7 Morch LS et al.: Contemporary hormonal contraception and the risk of breast cancer. N Engl J Med 2017; 377: 2228-39 8 FSRH Clinical Guidance: Quick Starting Contraception. www.fsrh.org/standards-and-guidance/fsrh-guidelines-and-statements/quick-starting-contraception/ (letzter Zugriff 22.1.2021) 9 US Department of Health and Human Services 2015. National Guideline Clearinghouse. Combined hormonal contraception. www.ahrq.gov/gam/index.html (letzter Zugriff 22.1.2021) 10 SOGC Clinical Practice Guideline. Canadian Contraception Consensus. J Obstet Gynaecol Can 2015; 37: S1-28

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