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Fruchtbarkeitserhaltende Therapien bei Brustkrebs
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Felicitas Witte
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Die Diagnose Brustkrebs ändert das Leben einer Frau von einem Moment auf den anderen: Operation, meist noch belastende Chemo- oder Strahlentherapie, und die Lebensplanung wird völlig durcheinandergebracht. Die Therapie kann die Eierstöcke so schädigen, dass die Frau keine Kinder mehr bekommen kann. Während sich bei Männern mit Krebs Spermien oder Hodengewebe relativ leicht einfrieren und so vor einer schädigenden Therapie schützen lassen, ist die Fertilitätsprotektion bei Frauen schwieriger. Am Kongress der International Society for Fertility Preservation im November 2017 in Wien berichtete Prof. Dr. med. Michael von Wolff, Bern, wie man Frauen mit Brustkrebs und Kinderwunsch richtig berät und welche Technik für welche Frau die beste ist.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Prognose von Brustkrebs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert, sodass viele Frauen fast eine normale Lebenserwartung haben. 4–5 % der Patientinnen sind bei der Diagnose jünger als 40 Jahre und damit noch im gebärfähigen Alter. In der Schweiz entspricht das etwa 280 Patientinnen pro Jahr.<sup>1</sup> Damit jeder Gynäkologe und Onkologe im deutschsprachigen Raum Frauen mit Krebs und Kinderwunsch gut beraten kann, hat Prof. von Wolff vor mehr als zehn Jahren gemeinsam mit Kollegen das Netzwerk <em>Ferti</em>PROTEKT e.V. gegründet (www.fertiprotekt.com). Bei etwa vier von zehn Beratungen bei <em>Ferti</em>PROTEKT geht es um Brustkrebs.<sup>1</sup><br /> «Jeder Patientin soll man empfehlen, sich möglichst früh in einem Zentrum für Reproduktionsmedizin vorzustellen», sagte Prof. von Wolff in Wien. «Je früher, desto besser. So haben wir genügend Zeit, um fertilitätsprotektive Massnahmen durchzuführen.» Melden könne sich die Frau auch schon, sobald das Staging abgeschlossen ist. Anhand eines Algorithmus erklärte der Endokrinologe, wie man praktisch vorgeht (Abb. 1). Es ist zu klären, ob die Frau noch jung genug ist, um bei ihr eine fruchtbarkeitserhaltende Therapie durchzuführen – das ist bis zu einem Alter von 40 Jahren der Fall. «Schwieriger ist es, die Prognose einzuschätzen », erklärte er, «denn dabei spielen so viele Faktoren eine Rolle.» Die Prognose hängt von Alter, Tumorstadium, dem histologischen Subtyp und der genetischen Klassifikation ab. Die 10-JahresÜberlebensrate aller Brustkrebsarten beträgt 86 % , Frauen unter 35 Jahren haben aber eine schlechtere Prognose, denn sie erkranken öfter an aggressiven Tumoren oder solchen mit ungünstigem genetischem Subtyp.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s43_abb1_kor.jpg" alt="" width="1424" height="1304" /></p> <h2>Krankenkassen zahlen nicht</h2> <p>Mit fortschreitendem Stadium verschlechtert sich die Prognose drastisch: Frauen unter 40 mit einem Stadium II, III oder IV haben eine Mortalitätsrate von 20 % , 44 % bzw. 66 % .<sup>2</sup> Der genetische Subtyp spielt eine weitere Rolle: Ein tripelnegatives Mammakarzinom oder ein Luminal- B-Typ haben beispielsweise eine schlechtere Prognose als ein Luminal-ATyp. Als dritten Schritt schätzt Prof. von Wolff das Risiko für eine Infertilität ein. «Das Risiko einer vorzeitigen ovariellen Insuffizienz hängt wesentlich vom Alter der Patientin und dem Behandlungsregime ab», so der Referent. Nach dem klassischen sechsmonatigen CMF-Schema haben 33 % der Frauen unter 40 Jahren und 81 % der Frauen über 40 Jahre eine Amenorrhö.<sup>3</sup> Bei neueren Chemotherapieregimen wie AC, ACT, FAC oder FACT sind es deutlich weniger: Frauen unter 30 Jahren haben ein Risiko für eine Amenorrhö von 10–20 % , bei den über 30-Jährigen liegt es bei 13–68 % .<sup>4</sup></p> <p>Für fruchtbarkeitserhaltende Massnahmen stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, die einzeln oder in Kombination vor Beginn einer Chemo- und/oder Strahlentherapie angewendet werden: Die Eierstöcke können mit GnRH-Agonisten «ruhig gestellt» werden, Eizellen können gewonnen und unbefruchtet oder befruchtet eingefroren, oder es kann Eierstockgewebe entnommen und eingefroren werden. «Welche Massnahme infrage kommt, hängt ab von der Ovartoxizität, der Dauer der Chemotherapie, der ovariellen Reserve und dem Sicherheitsbedürfnis der Patientin », so Prof. von Wolff. Nicht zuletzt spiele auch das Finanzielle eine Rolle: «Die Krankenkassen übernehmen fertilitätserhaltende Massnahmen in der Regel nicht.»<br /> GnRH-Agonisten sollten idealerweise eine halbe bis eine Woche vor Beginn der Chemotherapie verabreicht werden. Die Medikamente können das Risiko für eine vorzeitige Ovarialinsuffizienz senken,<sup>5</sup> aber ein langfristiger Effekt, d.h. über fünf bis sieben Jahre nach der Chemotherapie, ist bisher nicht nachgewiesen.<sup>6</sup> GnRH-Agonisten sind gemäss bisheriger Datenlage sicher: Bei hormonrezeptorpositiven Frauen beeinflussen sie das rezidivfreie Überleben nicht, bei hormonrezeptornegativen Frauen verlängern sie es sogar.<sup>7</sup></p> <h2>Wenig Zeit: Kryokonservierung</h2> <p>Durch ovarielle Stimulation und Follikelpunktion lassen sich Oozyten gewinnen, die unfertilisiert oder fertilisiert kryokonserviert werden können. «Dank neuer Protokolle können wir jetzt unabhängig vom Zyklustag der Patientin jederzeit anfangen zu stimulieren», sagte Prof. von Wolff. «So brauchen wir nur noch maximal zwei Wochen.» Mit Antagonisten und einer Ovulationsinduktion mit GnRHAgonisten können heute zudem ovarielle Überstimulationen vermieden werden, die früher noch zu einer Verschiebung der Chemotherapie geführt hätten. Die Geburtenchance beträgt pro einmaliger Stimulation und Kryokonservierung von Oozyten bei Frauen unter 35 Jahren im Schnitt rund 30–40 % .<sup>8, 9</sup> Bei Frauen über 35 Jahre scheint eine Stimulation mit Kryokonservierung von Oozyten effektiver zu sein als Kryokonservierung von Ovargewebe. Für Frauen unter 35 Jahren kommt sowohl eine Stimulation infrage als auch eine Kryokonservierung von Ovargewebe, weil sie in der Regel eine hohe Ovarialreserve und eine hohe Follikeldichte haben. «Die Technik ist auch geeignet, wenn wir nur eine halbe Woche Zeit haben bis zum Beginn der Chemotherapie », erklärte Prof. von Wolff. «Denn eine Stimulation mit Eizellentnahme dauert mit etwa zwei Wochen dann zu lange.» Etwa eine von drei Patientinnen mit Kryokonservierung von Ovargewebe wird gemäss neuesten <em>Ferti</em>PROTEKT-Zahlen schwanger,<sup>10</sup> die besten Chancen haben Frauen unter 35 Jahren. Die einzelnen Methoden können auch kombiniert werden, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. «Hierbei ist es von Vorteil, eine gewisse Reihenfolge einzuhalten », erklärte der Referent. «Das heisst, zuerst entnehmen wir Ovargewebe, ab dem zweiten postoperativen Tag können wir stimulieren und am Tag der Follikelpunktion geben wir GnRH-Agonisten.»<br /> So schön die Geburt eines Wunschkindes ist: So manch eine Frau sorgt sich, ob sich die Schwangerschaft negativ auf ihre Brustkrebserkrankung auswirkt. Bei Frauen mit nodal-negativem Befund scheint eine Schwangerschaft die Brustkrebsmortalität sogar leicht zu senken, bei Frauen mit nodal-positivem Befund allerdings nicht.<sup>11</sup> «Vielleicht ist das Immunsystem bei Schwangeren im Sinne einer besseren Tumorabwehr aktiviert», mutmasst Prof. von Wolff. «Viel wichtiger für die Prognose bleiben aber die histologischen und genetischen Eigenschaften des Tumors. Sprechen diese für eine gute Prognose, steht auch bei Krebspatientinnen einem Wunschkind mehrere Jahre nach der Krebserkrankung nichts im Wege.»</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 5<sup>th</sup> World Congress of the International Society for Fertility
Preservation, 16.–18. November 2017, Wien
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> von Wolff M et al.: Reprod Biomed Online 2015; 31: 605- 612 <strong>2</strong> Gnerlich JL et al.: J Am Coll Surg 2009; 208: 341-347 <strong>3</strong> Goldhirsch A et al.: Ann Oncol 1990; 1: 183-188 <strong>4</strong> Sukumvanich P et al.: Cancer 2010; 116: 3102-3111 <strong>5</strong> Senra JC et al.: Ultrasound Obst Gynecol 2018; 51: 77-86 <strong>6</strong> Demeestere I et al.: J Clin Oncol 2016; 34: 2568-2474 <strong>7</strong> Regan MM et al.: Ann Oncol 2017; 28: 2225-2232 <strong>8</strong> Alvarez RM, Ramanathan P: Hum Reprod 2016; [epub ahead of print] <strong>9</strong> Lawrenz B et al.: Fertil Steril 2010; 94: 2871-2873 <strong>10</strong> Van der Ven H et al.: Hum Reprod 2016; 31: 2031-2041 <strong>11</strong> Azim HA et al.: Eur J Cancer 2011; 47: 74-83 <strong>12</strong> von Wolff M, Seitz S: Fertilitätserhalt bei gonadotoxischen Therapien. FORUM 2017; 32: 126-133</p>
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