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Alleinige Teilbrustbestrahlung: Ist die Zeit reif für die Ablösung der Ganzbrustbestrahlung?
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Günther Gruber
Institut für Radiotherapie<br> Klinik Hirslanden<br> E-Mail: guenther.gruber@hirslanden.ch
30
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29.09.2016
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<p class="article-intro">Die adjuvante Ganzbrustbestrahlung verbessert die lokale Tumorkontrolle sowie das Gesamtüberleben. Doch bei Weitem nicht alle Patientinnen profitieren davon; eine genaue Definition dieser Subgruppe ist bislang aber nicht gelungen. Eine Möglichkeit, Aufwand und Nebenwirkungen für selektionierte Patientinnen zu reduzieren, stellt die alleinige Teilbrustbestrahlung dar. Neue Daten wurden vor Kurzem am Europäischen Brustkrebskongress (EBCC) in Amsterdam vorgestellt.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die perkutane Ganzbrustbestrahlung ist nach wie vor Standard in der adjuvanten Therapie beim brusterhaltend operierten Mammakarzinom.</li> <li>Bei Patientinnen mit niedrigem Rückfallrisiko wird die alleinige Teilbrustbestrahlung in zahlreichen Studien (mit verschiedenen Bestrahlungstechniken) evaluiert.</li> <li>Kürzlich publizierte Phase-III-Studien zeigen exzellente 5-Jahres-Ergebnisse, bei IORT mit leicht schlechterer lokaler Kontrolle im Vergleich zur Ganzbrustbestrahlung.</li> <li>Das Gesamtüberleben ist vergleichbar, es gibt sogar erste Hinweise auf eine Verbesserung durch die Teilbrustbestrahlung.</li> <li>Weitere Nachbeobachtungszeit muss abgewartet werden, bei gut selektionierten und älteren Patientinnen – und nach Abwägen von Vor- und Nachteilen – ist die alleinige Teilbrustbestrahlung aber durchaus eine Option.</li> </ul> </div> <p>Neben Chirurgie und Systemtherapie ist die adjuvante perkutane Radiotherapie (RT) ein Eckpfeiler in der Behandlung des Mammakarzinoms. Im Rahmen des brusterhaltenden Konzepts wird die postoperative Nachbestrahlung der Brust generell empfohlen. Eine 2011 publizierte Metaanalyse<sup>1</sup> der Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG) konnte zeigen, dass die 10-Jahres-Krankheitsrückfallrate durch eine zusätzliche Ganzbrustbestrahlung von 35 % auf 19,3 % gesenkt wird (2p<0,0001). Für das lokoregionäre Rückfallrisiko betrugen die Werte 25,1 % vs. 7,7 % . Die Verbesserung der Tumorkontrollrate durch die RT führte auch zu einer Reduktion der durch Brustkrebs bedingten Todesfälle von 25,2 % auf 21,4 % nach 15 Jahren (absolut –3,8 % ; bei pN0: –3,3 % ; bei pN+: –8,5 % ).<br /> Nach Brusterhaltung bestehen vor allem Unklarheiten bzgl. der optimalen Volumenwahl. Radioonkologisch besonders interessant ist dabei die Frage, ob die standardmässige Ganzbrustbestrahlung bei selektio­nierten Patientinnen durch eine alleinige Teilbrustbestrahlung ersetzt werden kann.</p> <h2>Rationale zur alleinigen Teilbrustbestrahlung</h2> <p>Lokale Rezidive treten häufig im Bereich des ehemaligen Primärtumorareals auf. Als Konsequenz wurden randomisierte Studien aufgelegt, in denen die Wertigkeit der alleinigen Teilbrustbestrahlung der ehemaligen Primärtumorregion («partial breast irradiation», PBI) im Vergleich zur Ganzbrustbestrahlung überprüft wird. Eine PBI kann mit mehreren durchaus sehr unterschiedlichen Bestrahlungstechniken erfolgen. Fast allen liegt zugrunde, dass die PBI akzeleriert, d.h. beschleunigt durchgeführt wird, je nach Schema sogar zweimal täglich, und die Bestrahlungsdauer deutlich verkürzt werden kann.</p> <h2>Intraoperativ von Vorteil? TARGIT-A und ELIOT</h2> <p>Den Extremfall der Verkürzung stellt eine intraoperativ verabreichte Einmalbestrahlung (IORT) dar. Dies ist aus Sicht der Patientinnen natürlich besonders attraktiv, da bei Operationsende bereits auch die adjuvante RT abgeschlossen wäre. Aus RT-Sicht ist es auch attraktiv, dass bei der IORT das Tumorbett gut definiert werden kann. Auch kann die RT vor einer eventuellen Verschiebeplastik erfolgen. Es gibt eine Reihe von Literaturdaten, die belegen, dass die Bestimmung des Tumorbetts postoperativ Schwierigkeiten bereitet.<br /> Die IORT wird mit Photonen (im Bereich von kV) oder Elektronen (im Bereich von MV) durchgeführt. Beide Methoden wurden in Phase-III-Studien (50kV: TARGIT-A Trial; MV-Elektronen: ELIOT) bei selektionierten Patientinnen evaluiert und vor Kurzem publiziert.<sup>2, 3</sup> Im TARGIT-A Trial<sup>2</sup> wurden insgesamt 3451 Patientinnen randomisiert. Die Tumoren waren häufig klein (pT1: 87 % ), gut oder mässig differenziert (G1/G2: 85 % ), nodal negativ (pN0: 84 % ) oder Östrogenrezeptor(ER)-positiv (ER: 93 % ). 1721 wurden intraoperativ bestrahlt, 1730 erhielten eine externe perkutane Ganzbrust-RT (EBRT) mit zusätzlichem Boost (Kontrollarm). Die Anwendung von 50kV-Photonen erlaubt aufgrund des steilen Dosisabfalls (in 1cm Entfernung nur noch ein Drittel bis ein Viertel Restdosis im Vergleich zur Applikatoroberfläche) eine ergänzende EBRT. Bei 239 von 1721 Patientinnen (15 % ) wurde aufgrund von histopathologisch ungünstigen Parametern postoperativ zusätzlich eine EBRT durchgeführt. Auch erlaubte das Protokoll, die IORT entweder während der Tumorentfernung, d.h. vor definitiver Histologie («prepathology stratum», n=1140) durchzuführen oder aber erst nach Bestätigung des Fehlens histopathologisch «schlechter» Kriterien («postpathology stratum», n=581). Bei Letzterem wurde die Wundhöhle zur Durchführung der IORT nochmals eröffnet. Die Nachbe­obachtung war mit median 29 Monaten noch kurz, zumindest 1222 Patientinnen hatten aber eine mediane Nachbeobachtungszeit von 5 Jahren. Die Lokalrezidiv­rate betrug für den IORT-Arm 3,3 % vs. 1,3 % für den Kontrollarm (p=0,042). Ein Unterschied war vor allem bei Patientinnen mit bestätigter Niedrigrisikokonstellation im «postpathology stratum» vorhanden (IORT: 5,4 % vs. EBRT: 1,7 % ). Das 5-Jahres-Gesamtüberleben hingegen war tendenziell leicht besser mit IORT (96,1 % vs. 94,7 % ; p=0,099). Dies beruhte auf einer signifikant niedrigeren Inzidenz von nicht durch Brustkrebs bedingten Todesfällen mit IORT. Die absoluten Fallzahlen waren gering (kardiovaskulär 2 Pat. vs. 11 Pat., Zweitmalig­nome 8 Pat. vs. 16 Pat., und das zeitliche Auftreten unerwartet früh, sodass die weitere Nachbe­obachtung zeigen muss, ob dieser Unterschied wirklich bestehen bleibt (Abb. 1).<br /> Beim ELIOT Trial<sup>3</sup> wurden 1305 Patientinnen randomisiert, 651 mit IORT und 654 mit EBRT (50Gy Ganzbrust-RT + 10Gy Boost). Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 5,8 Jahre. Die Selektion von Patientinnen war ähnlich dem TARGIT A Trial. Was den molekularen Subtyp anbelangt, waren 38 % luminal A, 52 % luminal B, 3 % HER2-positiv (nicht luminal) und 6 % tripelnegativ. Das 5-Jahres-Gesamtüberleben war in beiden Behandlungsarmen mit fast 97 % identisch, die lokoregionäre Tumorrezidivrate signifikant höher im IORT-Arm (5,4 % vs. 0,8 % ; p<0,0001). 199 Patientinnen mit zu­mindest einem Risikokriterium (Tumorgrösse >2cm, 4 oder mehr positive axilläre Lymphknoten [LK], G3-Differenzierung, Tripelnegativität) hatten ein 5-Jahres-in-Brust-Rezidivrisiko von 11,3 % vs. 1,5 % bei 452 Patientinnen, bei denen diese ungüns­tigen Kriterien fehlten (p<0,0001).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Gyn_1603_Weblinks_seite9.jpg" alt="" width="739" height="1412" /></p> <h2>Interstitielle Brachytherapie (GEC-ESTRO) und PBI am LINAC (Italian Trial, IMPORT LOW)</h2> <p>Eine weitere Möglichkeit der Teilbrustbestrahlung ist die interstitielle Brachytherapie, bei der mittels Plastik­app­likatoren eine Iridiumquelle die ehemalige Tumorregion postoperativ bestrahlt. 5-Jahres-Daten der randomisierten GEC-ESTRO-Studie mit insgesamt 1184 Patientinnen wurden vor Kurzem publiziert.<sup>4</sup> Die Lokalrezidivrate betrug im Teilbrustbestrahlungsarm 1,44 % , nach der Ganzbrustbestrahlung 0,92 % (p=0,42). Zu Spätkomplikationen der Haut von Grad 2/3 kam es in 3,2 % (mit PBI) vs. 5,7 % (p=0,08), schwere Fibrosen der Brust (G3) traten in 0 % (mit PBI) bzw. 0,2 % auf (p=0,46). Ebenfalls keinen statistisch signifikanten Unterschied gab es beim krankheitsfreien und Gesamtüberleben.<br /> Mit sehr ähnlichen Ergebnissen warten die Studien zur intensitätsmodulierten Teilbrustbestrahlung am Gantry-Linearbeschleuniger auf, dem Gerät, welches auch sonst für die perkutane postoperative Brustbestrahlung verwendet wird. Livi et al<sup>5</sup> randomisierten 520 Patientinnen. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 5 Jahre. Bisher traten je 3 In-Brust-Rezidive auf (1,5 % im PBI-Arm vs. 1,4 % ; p=0,86). Bezüglich Spättoxizität der Haut gab es leichte Vorteile zugunsten der PBI (Grad1/2: 4,5 % bei PBI vs. 11,2 % , p=0,004), dies betraf aber praktisch nur Grad-1-Reaktionen. Es gab insgesamt nur zwei Grad-2-Reaktionen (beide im Ganzbrust-RT-Arm).<br /> Viel beachtet und erstmals am EBCC 2016 in Amsterdam präsentiert wurden die 5-Jahres-Lokalrezidivraten der IMPORT-LOW-Studie.<sup>6</sup> Bei dieser Studie wurden 15 Teilbrustbestrahlungsfraktionen (Gesamtdosis 40Gy; n=669) mit einer Ganzbrustbestrahlung mit dem gleichen Bestrahlungsschema (n=675) ver­glichen. In einem dritten Behandlungsarm (n=674) wurde die Gesamtdosis ausserhalb der ehemaligen Tumorregion um 10 % reduziert. Die Lokalrezidivraten waren in allen 3 Therapiearmen sehr niedrig und betrugen 0,5 % (95 % CI: 0,2–1,4), 1,1 % (95 % CI: 0,5–2,3) und 0,2 % (95 % CI: 0,02–1,2). Auch diese Studie inkludierte selektionierte Patientinnen (z.B. Tumordurchmesser max. 3cm; Alter >50 J.; 10 % Differenzierungsgrad 3; 3 % pN+). Mässige/markante Gewebsveränderungen traten bei 20 % (134/674) der Patientinnen mit Ganzbrustbestrahlung vs. 14 % (92/670) nach PBI auf. Die Fotoauswertung (Veränderung der Brust nach 2 Jahren) zeigte keinen statistischen Unterschied.</p> <h2>Teilbrustbestrahlung und Gesamtüberleben</h2> <p>Keine der bisher publizierten Studien konnte einen signifikanten Unterschied im Gesamtüberleben zeigen. Zum selben Schluss kam eine vor Kurzem publizierte Metaanalyse.<sup>7</sup> Das Gesamtüberleben war zum Beispiel im TARGIT-A Trial tendenziell leicht besser mit PBI (96,1 % vs. 94,7 % ; p=0,099). Dies beruhte, wie bereits erwähnt, auf einer signifikant niedrigeren Inzidenz von nicht durch Brustkrebs bedingten Todesfällen mit IORT. Eine Metaanalyse, welche Studien mit zumindest 5 Jahren Nachbeobachtung und auch die neueren Publikationen<sup>4, 5</sup> einschliesst, ist zurzeit in Vorbereitung:8 Im Brustkrebs-spezifischen Überleben besteht kein Unterschied (p=0,999), die Raten an Todesfällen aufgrund anderer Ursachen sind bei der PBI aber signifikant geringer (p=0,023). Für das Gesamtüberleben betrug der p-Wert 0,05. Man darf auf weitere (Langzeit-)Daten gespannt sein!</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Ein DEGRO-Expertenpanel kam vor Kurzem zu folgenden Schlussfolgerungen: Die optimalen Selektionskriterien für die alleinige Teilbrustbestrahlung sind nach wie vor nicht genau definiert. Der Einsatz der alleinigen PBI ausserhalb einer klinischen Studie wurde kontrovers beurteilt, letztlich aber als eine Option betrachtet für Patientinnen mit folgenden Voraussetzungen: Alter >70 J., Tumorgrösse <2cm, invasive duktale Histologie, negative axilläre LK, R0, fehlende extensive intraduktale Komponente und Luminal-A-Subtyp (ER und PR+; G1–2; HER2-negativ). Regelmässige Nachbeobachtung und Dokumentation des Verlaufs müssen zudem gewährleistet sein.<sup>9</sup> Gemäss Diskussion und Schlussfolgerung am EBCC 2016 in Amsterdam ist aufgrund der limitierten Langzeitdaten die Zeit noch nicht reif für die Ablösung der Ganzbrustbestrahlung. Lange wird es aber wohl nicht mehr dauern!</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group (EBCTCG); Darby S et al: Effect of radiotherapy after breast-conserving surgery on 10-year recurrence and 15-year breast cancer death: meta-analysis of individual patient data for 10801 women in 17 randomised trials. Lancet 2011; 378: 1707-16 <strong>2</strong> Vaidya JS et al: Risk-adapted targeted intraoperative radiotherapy versus whole-breast radiotherapy for breast cancer: 5-year results for local control and overall survival from the TARGIT-A randomised trial. Lancet 2014; 383: 603-13 <strong>3</strong> Veronesi U et al: Intraoperative radiotherapy versus external radiotherapy for early breast cancer (ELIOT): a randomised controlled equivalence trial. Lancet Oncol 2013; 14: 1269-77 <strong>4</strong> Strnad V et al: 5-year results of accelerated partial breast irradiation using sole interstitial multicatheter brachytherapy versus whole-breast irradiation with boost after breast-conserving surgery for low-risk invasive and in-situ carcinoma of the female breast: a randomised, phase 3, non-inferiority trial. Lancet 2016; 387: 229-38 <strong>5</strong> Livi L et al: Accelerated partial breast irradiation using intensity-modulated radiotherapy versus whole breast irradiation: 5-year survival analysis of a phase 3 randomised controlled trial. Eur J Cancer 2015; 51: 451-63 <strong>6</strong> Coles C et al: Partial breast radiotherapy for women with early breast cancer: first results of local recurrence data for IMPORT LOW (CRUK/06/003). EBCC 2016, Abstract 4LBA <strong>7</strong> Marta G et al: Accelerated partial irradiation for breast cancer: systematic review and meta-analysis of 8653 women in eight randomized trials. Radiother Oncol 2015; 114: 42-9 <strong>8</strong> Wenz F, personal communication, EBCC 2016 <strong>9</strong> Sedlmayer F et al: DEGRO practical guidelines: radiotherapy of breast cancer I: radiotherapy following breast conserving therapy for invasive breast cancer. Strahlenther Onkol 2013; 189: 825-33</p>
</div>
</p>