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„Im Fernsehen haben’s g’sagt …“

<p class="article-intro">Das Medieninteresse für Hausarztabwertung und Zweiklassenmedizin steigt. Das Jahr 2016 hat die Verantwortlichen für die Krankenversorgung auf den Boden der Realität zurückgeholt. Konnten wir bis ins Vorjahr aus ihrem Munde nur den Stehsatz vom „besten Gesundheitssystem der Welt“ vernehmen, setzten diverse Medienberichte im laufenden Kalenderjahr diesem Schönfärben ein jähes Ende.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Arztsuche f&uuml;r Purkersdorf schl&auml;gt hohe Wellen</h2> <p>Eine frei bleibende Kinderarztkassenstelle in Purkersdorf fand den Weg in die Schlagzeilen gro&szlig;er Tageszeitungen: &bdquo;Kinderarzt verzweifelt gesucht!&ldquo; H&auml;tte die Wienerwaldgemeinde mit ihren knapp 10.000 Einwohnern einen der &Ouml;ffentlichkeit unbekannten B&uuml;rgermeister, der nach Nachbesetzung einer Vertragsarztstelle ruft, w&auml;re das enorme Medienecho ausgeblieben. So aber stand bei der Arztsuche vom Anfang an ein ehemaliger SP&Ouml;-Innenminister an der Spitze der Akteure. Das sorgte daf&uuml;r, dass dieser Fall weit &uuml;ber die Grenzen der Lokalberichterstattung hinausging. Ortschef Mag. Karl Schl&ouml;gl machte bei jeder Gelegenheit Werbung f&uuml;r die unbesetzte Kassenplanstelle in &bdquo;seiner&ldquo; Stadt. In einem Statement war von insgesamt 10 P&auml;diatern die Rede, welche vom B&uuml;rgermeister pers&ouml;nlich angesprochen wurden. Vergeblich! Erstmals versp&uuml;rte ein ehemaliger Spitzenpolitiker am eigenen Leib, dass die Unterschrift unter einem Kassenvertrag l&auml;ngst nicht mehr die Attraktivit&auml;t besitzt, wie sie von seinen Parteikollegen in der Gebietskrankenkasse angepriesen wird. Das kr&auml;fteraubende Durchschleusen von Patientenmassen, wie es das Honorierungssystem der Kassen betriebswirtschaftlich vorgibt, ist nicht mehr zeitgem&auml;&szlig;. Die Purkersdorfer Kinder&auml;rztin Dr. Christa Levin-Leitner hatte oft t&auml;glich bis zu 100 Patienten zu versorgen. Ihr Eingest&auml;ndnis: &bdquo;Mit 62 Jahren halte ich dem nicht mehr stand.&ldquo; Bereits am 7. M&auml;rz gab sie bekannt, ihren Vertrag mit der N&Ouml;. Gebietskrankenkasse (N&Ouml;GKK) mit 1. Oktober zur&uuml;ckzulegen. Die &Auml;rztekammer N&Ouml; schrieb daraufhin die freie Stelle in Permanenz aus. Keine Reaktion! Bei Redaktionsschluss f&uuml;r diese Ausgabe (11. Oktober) lag keine einzige Bewerbung vor. Schl&ouml;gl stellte am 6. Oktober fest: &bdquo;Zwischen Wien und St. P&ouml;lten gibt es nun keinen einzigen Kinderarzt mit N&Ouml;GKK-Vertrag.&ldquo; Der Purkersdorfer NEOS-Gemeinderat Christoph Angerer steht der Problematik ziemlich hilflos gegen&uuml;ber. Er d&uuml;rfte der irrigen Meinung anh&auml;ngen, irgendwo m&uuml;ssen massenweise besch&auml;ftigungslose Kinder&auml;rzte herumlungern, die nur darauf warten, im Anzeigenteil von &bdquo;Kurier&ldquo; oder &bdquo;Kronen Zeitung&ldquo; eine freie Kassenplanstelle zu entdecken. Anders kann ich mir sein Statement nicht erkl&auml;ren: &bdquo;Wir m&uuml;ssen neue Wege bei der Suche gehen. Es reicht nicht aus, dass die Ausschreibung auf der Seite der &Auml;rztekammer steht und sonst nirgends.&ldquo; In Sachen Niedergang der Kassenmedizin hat der Fall Purkersdorf gro&szlig;e Bedeutung. Mit jedem zus&auml;tzlichen Monat der Stellenvakanz bekommen die Verantwortlichen einen Spiegel vorgehalten. Es sind ihre Vers&auml;umnisse, die jetzt zur Wirkung kommen.</p> <h2>Thema &bdquo;Zwangsjacke Kassenvertrag&ldquo; als Sp&auml;tz&uuml;nder</h2> <p>Noch vor einigen Monaten war die Flucht aus dem Kassenvertrag kein Thema. Nur in Ortschaften, wo von einem Arzt solch ein Schritt gesetzt wurde, kannten die betroffenen Patienten diese Problematik: Pl&ouml;tzlich wirft ein Allgemeinmediziner, der &uuml;ber viele Jahre einen Kassenvertrag hatte, seine Vertr&auml;ge mit der Gebietskrankenkasse und der Sozialversicherung der Bauern hin. Am 2. Juni kam es erstmals in dieser Angelegenheit zum &ouml;ffentlichen Auftreten dreier Haus&auml;rzte: Dr. Gertrude Bartke, Dr. Anton Biedermann und Dr. G&uuml;nther Loewit sprachen im ORF KulturCafe offen &uuml;ber ihre Beweggr&uuml;nde f&uuml;r diesen Schritt. Das mediale Echo auf die Veranstaltung war mager. Der 28. Juli hingegen brachte die Wende. Die ORF-Sendung &bdquo;Am Schauplatz&ldquo; widmete sich dem Thema &bdquo;Zweiklassenmedizin&ldquo;. Dr. Biedermann bekam ausf&uuml;hrlich Gelegenheit, die Gr&uuml;nde f&uuml;r die Kassenk&uuml;ndigung darzulegen. Seine Patienten zeigten in den ORF-Interviews Verst&auml;ndnis f&uuml;r diesen Schritt ihres Vertrauensarztes. Biedermanns plakative Vergleiche in Sachen geringer Kassenhonorierung wurden auch in andere ORF-Sendungen eingespielt. Der Bann war gebrochen! Hie&szlig; es bisher in Insiderkreisen, das Niederlegen der Kassen f&uuml;hre f&uuml;r einen praktischen Arzt zum betriebswirtschaftlichen Niedergang, drehte der mutige Allgemeinmediziner aus Ober-Grafendorf mit seinen knalligen Statements den Spie&szlig; um. Als Wahlarzt hat er nur ein Viertel seiner fr&uuml;heren Patienten verloren. <br />Pl&ouml;tzlich begannen sich Journalisten f&uuml;r das Thema zu interessieren. Der Begriff &bdquo;Zwangsjacke Kassenvertrag&ldquo; krallte sich auch bei einigen Sozialversicherern und diversen Gesundheitspolitikern fest. Anfang Oktober brachte Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser die aktuelle Situation der Kassenmedizin in einem Zeitungsinterview auf den Punkt: &bdquo;Ich kenne eine Menge &Auml;rzte, die den Kassenvertrag zur&uuml;ckgelegt haben und nur noch kleine Kassen oder eine Privatpraxis haben, weil man in Kassenpraxen nur durch eine entsprechende Frequenz auf eine ad&auml;quate Entlohnung kommt. Das hei&szlig;t, man muss m&ouml;glichst viele Patienten in kurzer Zeit behandeln. Das wollen viele, vor allem junge Kollegen nicht mehr.&ldquo; Obwohl die Entwicklung seit Jahren zu beobachten ist, wurde damit erstmals von h&ouml;chster Stelle die wahre Situation exakt dargestellt.</p> <h2>Permanente Abwertung der Haus&auml;rzte</h2> <p>Kein Politikerstatement ist abgedroschener als die Forderung nach Aufwertung des heimischen Hausarztes. Tats&auml;chlich wurden die Kassen-Allgemeinmediziner in den vergangenen Monaten mehr erniedrigt als in allen Zeiten davor: von Mystery Shopping &uuml;ber verpflichtende Ausweiskontrollen bei Fremdpatienten bis zur Registrierkassenpflicht. Eine geballte Ladung an b&uuml;rokratischen Erniedrigungen. Die Drohung der ELGA-Macher, die E-Medikation gegen den Willen der Kassenvertrags&auml;rzte ausrollen zu wollen, brachte die Stimmung unter der betroffenen Kollegenschaft zum Kochen. Die Koordination der Medikamente ist seit Jahren die Dom&auml;ne des Hausarztes, ein Service zum Nulltarif. Hausarztpatienten halten bei geplantem Spitalsaufenthalt die schriftliche Medikamentenaufstellung ihres Behandlers stets parat. Chaotisch l&auml;uft es nur bei Patienten ab, die ihre &Auml;rzte nach Belieben wechseln und dabei den diversen Behandlern die rezeptpflichtigen Verschreibungen des jeweils anderen verheimlichen. &Ouml;sterreich hat die Krankenversorgung zu einem Selbstbedienungsladen verkommen lassen. Der Hausarzt wurde bewusst ins Out gedr&auml;ngt. In der ZiB 1 des ORF am 4. Oktober l&auml;sst sich Hofrat Dr. Gerald Bachinger als Sprecher aller Patientenanw&auml;lte zu einem entlarvenden Statement hinrei&szlig;en. Er will nicht verstehen, dass Vertrags&auml;rzte von jeder Form von Fremdbestimmung die Nase voll haben, so auch vom Teilnahmezwang an der bisher an Pannen reichen E-Medikation. Bei seiner Drohung, dieses f&uuml;r Patienten kostenlose Service ausschlie&szlig;lich den Apothekern &uuml;bertragen zu wollen, rutscht ihm ein Eingest&auml;ndnis heraus. Die seit Jahren anhaltende Talfahrt der Allgemeinmediziner wird von ihm mit folgenden Worten erkl&auml;rt: &bdquo;Dann m&uuml;ssen sich die Haus&auml;rzte eigentlich bei ihrer Standesvertretung herzlich bedanken, denn das wird zu einer weiteren Abwertung der Haus&auml;rzte f&uuml;hren.&ldquo; Wer von weiterer Abwertung spricht, best&auml;tigt eine bisher bestehende.</p> <p><strong>Vom fraglichen Gl&uuml;ck, gleich beim Facharzt zu landen</strong></p> <p>Mein DAM-Beitrag <a href="http://at.universimed.com/fachthemen/7472" target="_blank">&bdquo;Mit Ohrenschmalz zum Kapazunder&ldquo;</a> nahm den Gesundheitsteil der &bdquo;Kronen Zeitung&ldquo; (Teil der Samstag-Ausgabe) aufs Korn. Ein Leser dieses Artikels stellte mir die Frage, warum ich nur dieses Massenblatt exemplarisch vorf&uuml;hre. Auch andere Zeitungen, so seine Meinung, w&uuml;rden das Spezialistentum und die Apparatemedizin verherrlichen. Die Herabw&uuml;rdigung der Allgemeinmedizin zeige sich in vielen Beitr&auml;gen. Dieser Feststellung kann ich nur voll zustimmen und so beziehe ich mich diesmal auf einen &bdquo;Kurier&ldquo;-Beitrag im Gesundheitsteil vom 8. Oktober. Redakteur Ernst Mauritz nimmt sich darin thematisch des Mangels an Kassenpsychiatern an. Wurden fr&uuml;here Haus&auml;rztewarnungen vor dem Aufkommen einer Zweiklassenmedizin vehement abgetan, geh&ouml;rt es heute zum guten Ton jedes Mediums, &uuml;ber diese Form der Entsolidarisierung unserer Krankenversorgung zu berichten. Aus der angeblichen Schwarzmalerei kritischer &Auml;rzte ist bitterer Ernst geworden. Die Dementis der Verantwortlichen haben sich in kurzer Zeit selbst L&uuml;gen gestraft. Als ich vor vielen Jahren in den Wiener Innenstadtr&auml;umlichkeiten der &bdquo;Gesundheit &Ouml;sterreich GmbH&ldquo; das Explodieren der Anzahl von Wahlarztordinationen dokumentierte, erntete ich nur ungl&auml;ubiges Kopfsch&uuml;tteln. Diese vielen kleinen Praxen seien nicht versorgungsrelevant, lautete damals der Konter. In besagtem Beitrag von Mauritz kommt die Wahrheit ans Tageslicht. &Uuml;ber ein Extrembeispiel des Niedergangs der Kassenmedizin wird geklagt: Die Psychiatrie sei das einzige Fach, in dem es viermal so viele Privat- wie Kassen&auml;rzte gebe. Viele &bdquo;junge&ldquo; Kollegen auch dieses Faches, so mein Eindruck, denken nicht im Traum daran, sich das Joch des Kassenvertrages umh&auml;ngen zu lassen. Leider kann es sich einer der Interviewten nicht verbei&szlig;en, eine abwertende &Auml;u&szlig;erung &uuml;ber Haus&auml;rzteverschreibungen fallen zu lassen. Univ.-Doz. Dr. Werner Sch&ouml;ny berichtet &uuml;ber eine &auml;ltere Patientin mit Depressionen, die schon vor Jahrzehnten den Weg vom Hausarzt in seine Ordination fand: &bdquo;Zum Gl&uuml;ck kam sie zu mir, denn der Allgemeinmediziner wollte ihr ein Medikament mit hohem Suchtpotenzial verschreiben, das bei wiederkehrenden Depressionen aber nicht angebracht ist.&ldquo; Weder Kollege Sch&ouml;ny noch Redakteur Mauritz ahnen, was sie mit der Ver&ouml;ffentlichung solch einer abwertenden Feststellung anrichten. &Auml;ltere Kollegen haben gegen&uuml;ber Geringsch&auml;tzungen dieser Art einen Schutzmantel aufgebaut, Jung&auml;rzte hingegen scheuen sich, von Anfang an das Image eines Halbgebildeten aufgedr&uuml;ckt zu bekommen. Mit jeder &ouml;ffentlichen &Auml;u&szlig;erung dieser Art schwindet die Bereitschaft von jungen Kollegen, Kassen-Allgemeinmediziner zu werden. Was diese Feststellung von Sch&ouml;ny betrifft, zeige ich auf die andere Seite der Medaille: Der &uuml;berwiegende Teil an psychiatrischen Patienten wird von den Haus&auml;rzten auf das Beste versorgt. Die knapp 150 Kassenpsychiater &ouml;sterreichweit w&auml;ren nicht imstande, die Masse an depressiven St&ouml;rungen im Alleingang zu behandeln.</p></p>
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