
Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Operation?
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Helmut Friess
Direktor der chirurgischen Klinik & Poliklinik
Maximilian Kießler
Assistenzarzt der chirurgischen Klinik & Poliklinik
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
E-Mail: helmut.friess@tum.de
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Die chirurgische Therapie der chronischen Pankreatitis wird häufig erst nach Versagen der konservativen und endoskopischen Maßnahmen und beim Auftreten von Komplikationen in Betracht gezogen. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass diesen Patienten durch eine frühzeitige Operation effektiv Schmerzen genommen werden und die Pankreasfunktion erhalten werden kann.
Keypoints
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Bei Patienten mit chronischer Pankreatitis sollte die Behandlungsstrategie in einem interdisziplinären Pankreasboard festgelegt werden.
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Eine frühzeitige Operation ist bei Patienten mit einem Schmerzsyndrom indiziert, während eine zu lange konservativeTherapie die postoperative Reduktion der Schmerzsymptomatik verschlechtert.
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Eine Operation führt zu einer effektiveren und nachhaltigeren Behandlung des Schmerzsyndroms als ein endoskopisches Verfahren, wobei ein endoskopischer Behandlungsversuch vorgeschaltet werden kann.
Die chronische Pankreatitis (CP) ist eine fortschreitende, inflammatorisch-fibrosierende Erkrankung. Durch den fibrösen Untergang des Pankreasparenchyms kommt es im Krankheitsverlauf zur Abnahme der exokrinen und endokrinen Pankreasfunktion, welche durch Blutzuckereinstellung und Pankreasenzymsubstitution konservativ therapiert werden. Der Entzündungsprozess führt im Verlauf der Erkrankung bei vielen Patienten zu behandlungsbedürftigen Komplikationen, wie dem Verschluss des Pankreashauptganges, der Ausbildung von Pankreaspseudozysten, der Kompression/dem Verschluss des Ductus choledochus und der duodenalen Magendarmpassage. Daneben entwickeln viele Patienten ein Schmerzsyndrom unterschiedlichen Ausmaßes.
Beim Auftreten eines Schmerzsyndroms und von Komplikationen, wie beispielsweisePankreasgang- oder Gallenwegobstruktionen, stellt sich die Frage, wie diese am besten therapiert werden: interventionell (endoskopisch) oder chirurgisch. Durch endoskopische Stentverfahren können Gangobstruktionen behoben und Gangkonkrementedurch Papillotomie/Lithotripsie bzw. Steinbergung geborgen werden. Chirurgisch stehen Drainageoperationen (Partington-Rochelle, Puestow) und maßgeschneiderte resezierende Verfahren (Segmentresektion, longitudinaleV-Resektion, Resektion des Pankreaskopfes mit oder ohne Erhalt des Magens [Whipple], Duodenum-erhaltendePankreaskopfresektion, Pankreaslinksresektion, Pankreatektomie) zur Verfügung, mit denen die Komplikationen der CP sehr effektiv behandelt werden können.
Endoskopische vs. chirurgische Therapie
Das vielfach bei CP-Patienten vorliegende, schwere Schmerzsyndrom ist häufig medikamentös nicht beherrschbar und mit obstruktiven Komplikationen vergesellschaftet.1 In der Behandlungsstrategie konkurriert die chirurgische mit der interventionellen (endoskopischen) Therapie. Dabei drängt sich die Frage auf, welche Therapieform diesen Patienten angeboten werden sollte. Eine bereits 1993 publizierte retrospektive Studie zeigte, dass frühzeitig operierte CP-Patienten eine langsamere und geringere Abnahme der exokrinen und endokrinen Pankreasfunktion aufweisen als konservativ therapierte Patienten. Im zweiten Teil der Arbeit konnten diese Ergebnisse in einer kleinen randomisierten, kontrollierten Studie mit 17 Patienten bestätigt werden.2 Auch die erste größere randomisierte, kontrollierte Studie mit 72 eingeschlossenen Patienten zeigte, dass eine vollständige Schmerzfreiheit 5 Jahre nach Intervention signifikant häufiger durch eine Operation als durch eine endoskopische Intervention erreicht wurde (34% vs. 15%). Auch kam es bei den chirurgisch therapierten CP-Patienten signifikant häufiger zu einer Gewichtszunahme (47% vs. 29%).3 Eine neuere, im „New England Journal of Medicine“ publizierte randomisierte, kontrollierte Studie mit 39 Patienten bestätigte, dass eine Operation im 2-Jahres-Follow-up zu einer effektiveren Schmerzreduktion führt als endoskopische Verfahren. Aufgrund einer deutlichen Überlegenheit der Operation in einer Zwischenauswertung wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, da eine Fortführung der Patientenrekrutierung als unethisch angesehen wurde.4
Diese zwei randomisierten, kontrollierten Studien und die Berücksichtigung auch retrospektiver Auswertungen in einem systematischen Cochrane Review belegen deutlich, dass die chirurgische Therapie endoskopischen Verfahren in der Behandlung eines Pankreasgangaufstaues mit Schmerzsyndrom in Effizienz und Nachhaltigkeit signifikant überlegen ist.5
Optimales Timing der chirurgischen Therapie
In der aktuellen klinischen Praxis wird eine chirurgische Therapie bei CP-Patienten häufig aufgeschoben, bis konservative oder endoskopische Maßnahmen ausgereizt sind. Eine Vielzahl von Studien belegt jedoch, dass eine Änderung dieses Vorgehens hin zu einer im Krankheitsverlauf frühzeitigeren Operation zu einem besseren Langzeitergebnis bei CP-Patienten führen würde. So ermittelte eine retrospektive Beobachtungsstudie mit 66 CP-Patienten, zu welchem Zeitpunkt eine Operation durchgeführt werden muss, damit sie zu einer nachhaltigen Schmerzreduktion bzw. zu Schmerzfreiheit führt. Es zeigte sich eindeutig, dass durch eine Operation früher als 26,5 Monate nach Krankheitsbeginn signifikant häufiger eine Schmerzfreiheit erreicht und der Opioidbedarf reduziert werden kann. Auch der postoperative Bedarf an Pankreasenzympräparaten zeigte sich in der Gruppe der frühzeitig operierten Patienten tendenziell reduziert (Unterschied nicht signifikant).6 Analog konnte in einer weiteren Arbeit belegt werden, dass mit einer frühzeitigen Operation (<3 Jahre nach Krankheitsbeginn) signifikant häufiger eine Schmerzlinderung erzielt wurde (vollständige Schmerzfreiheit 69% vs. 47%). Darüber hinaus ergab sich eine niedrigere Rate von exokriner (60% vs. 80%) und endokriner (36% vs. 53%) Pankreasinsuffizienz im postoperativen Verlauf.7 Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine retrospektive, multizentrische Studie mit 266 CP-Patienten mit Schmerzen als Operationsindikation. Wurden die Patienten innerhalb von 3 Jahren nach Krankheitsbeginn operiert, waren diese signifikant häufiger schmerzfrei und wiesen seltener eine endokrine Pankreasinsuffizienz auf.8 Ferner war das fortgeschrittene Krankheitsstadium (bereits bestehende endokrine Insuffizienz mit Insulinbedarf) in einer weiteren Studie ein unabhängiger Risikofaktor für eine erhöhte postoperative Mortalität.9
Die hier genannten retrospektiven Auswertungen haben kürzlich Unterstützung durch die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Studie (ESCAPE Trial) erhalten. CP-Patienten mit einer Pankreasgangdilatation >5mm und moderaten, nichtbeeinträchtigenden Schmerzen wurden für die Studie registriert. Bei Schmerzzunahme, welche eine Opioidtherapie notwendig machte, oder beim Auftreten von mehr als drei starken Schmerzattacken pro Jahr wurden die Patienten in zwei Studienarme randomisiert. Je 44 CP-Patienten wurden einer direkten primären Operation oder einer Stufentherapie (zuerst konservative Schmerztherapie, dann endoskopische Interventionen und zuletzt Chirurgie) zugeführt. Die Studie konnte zeigen, dass die primär operierten Patienten im 18-monatigen Follow-up einen signifikant geringeren Schmerzscore aufwiesen (komplette oder partielle Schmerzlinderung: 58% vs. 39%) und signifikant weniger Interventionen benötigten (1 vs. 3), bei gleicher Behandlungskomplikationsrate und Mortalität. Darüber hinaus wurde in der Gruppe der zuerst endoskopisch therapierten Patienten in 30% der Fälle letztlich doch eine Operation notwendig.10
In der aktuellen Praxis wird eine chirurgische Therapie nach wie vor häufig zu spät und erst am Ende einer Stufentherapie eingesetzt. In der aktuellen Literatur erweist sich die frühzeitige Chirurgie nicht nur als wirksam, sondern auch der endoskopischen Therapie deutlich überlegen. Auch innerhalb der chirurgischtherapierten Patienten profitierten die Patienten in Bezug auf Schmerzlinderung und Pankreasfunktionserhalt mehr, wenn die Operation frühzeitig durchgeführt wurde. Eine Vorstellung beim Chirurgen sollte daher im frühen Krankheitsverlauf (<3 Jahre nach Krankheitsbeginn) erfolgen oder spätestens, wenn Opioide zur Schmerztherapie notwendig werden.
Literatur:
1 Beyer G et al.: Chronic pancreatitis. Lancet 2020; 396(10249): 499-512 2 Nealon WH, Thompson JC: Progressive loss of pancreatic function in chronic pancreatitis is delayed by main pancreatic duct decompression. A longitudinal prospective analysis of the modified puestow procedure. Ann Surg 1993; 217(5): 458-66 3 Díte P et al.: A prospective, randomized trial comparing endoscopic and surgical therapy for chronic pancreatitis. Endoscopy 2003; 35(7): 553-8 4 Cahen DL et al.: Endoscopic versus surgical drainage of the pancreatic duct in chronic pancreatitis. N Engl J Med 2007; 356(7): 676-84 5 Ali UA et al.: Endoscopic or surgical intervention for painful obstructive chronic pancreatitis. Cochrane Database Syst Rev 2015; 19(3): CD007884 6 Yang CJ et al.: Surgery for chronic pancreatitis: the role of early surgery in pain management. Pancreas 2015; 44(5): 819-23 7 Ke N et al.: Earlier surgery improves outcomes from painful chronic pancreatitis. Medicine (Baltimore) 2018; 79(19): e0651 8 Ali UA et al.: Clinical outcome in relation to timing of surgery in chronic pancreatitis: a nomogram to predict pain relief. Arch Surg 2012; 147(10): 925-32 9 Winny M et al.: Insulin dependence and pancreatic enzyme replacement therapy are independent prognostic factors for long-term survival after operation for chronic pancreatitis. Surgery 2014; 155(2): 271-9 10 Issa Y et al.: Effect of early surgery vs endoscopy-first approach on pain in patients with chronic pancreatitis: The ESCAPE randomized clinical trial. JAMA 2020; 323(3): 237-47
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