
Update der Chicago-Klassifikation für Motilitätsstörungen des Ösophagus
Bericht: Reno Barth
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Im vergangenen Jahr wurde die Version 4.0 der Chicago-Klassifikation der Motilitätsstörungen des Ösophagus publiziert. Sie enthält unter anderem ein neues Messprotokoll für die High-Resolution-Manometrie und einige veränderte Definitionen pathologischer Entitäten.
Die High-Resolution-Ösophagus-Manometrie (HR-Manometrie) misst die Druckverhältnisse der Speiseröhrenmuskulatur. Während bei der herkömmlichen Manometrie vier bis fünf Druckabnehmer zum Einsatz kommen, sind es bei der HR-Manometrie 36, die über die gesamte Länge des Ösophagus inklusive des oberen und unteren Ösophagussphinkters Druckwerte aufzeichnen, was eine deutlich feinere Charakterisierung der Druckwelle vom oberen zum unteren Sphinkter ermöglicht. Dafür muss die Sonde lediglich einmal transnasal eingeführt und statisch fixiert werden.
Indikationen für die HR-Manometrie sind, so Priv.-Doz. Dr. Christine Kapral vom Ordensklinikum Linz, die nicht obstruktive Dysphagie, der nicht kardiale Thoraxschmerz und die ösophageale Mitbeteiligung bei rheumatischen oder neuropathischen Systemerkrankungen. Bei der Refluxkrankheit kann die HR-Manometrie eingesetzt werden, um eine Motilitätsstörung als Ursache der Beschwerden auszuschließen oder um die optimale chirurgische Vorgehensweise zu definieren. Darüber hinaus kommt die HR-Manometrie zum Einsatz, um eine korrekte Platzierung von pH-Metrie-Sonden zu erreichen, sowie postinterventionell bei persistierenden oder wieder aufgetretenen Beschwerden, zum Beispiel infolge von Achalasie. Auch Hiatushernien können mittels HR-Manometrie nicht nur diagnostiziert, sondern genau vermessen werden.
Die wichtigsten mit der HR-Manometrie bestimmten Parameter:
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Der „integrated relaxation pressure“ (IRP) ist der mittlere Druck maximaler schluckreflektorischer Relaxation während vier Sekunden, die nicht zusammenhängend sein müssen, innerhalb eines 10-Sekunden-Fensters nach dem Einschlucken. Er ist ein Maß für die Relaxationsfähigkeit des unteren Ösophagus. Der Normalwert liegt unter 15mmHg, erhöhte Werte werden bei der Achalasie I–III oder der Abflussstörung („outflow obstruction“) gemessen.
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Die distale Latenz (DL) sollte über 4,5 Sekunden liegen. Kürzere Werte werden beim distalen Ösophagusspasmus und bei der Achalasie Typ III gemessen.
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Das „distal contractility integral“ (DCI) ist eine Maßzahl für die Kontraktionsfähigkeit des Ösophaguskörpers. Bei zu niedrigen Werten liegt ein amotiler oder schwach kontraktiler Ösophagus vor, zu hohe Werte zeigen einen hyperkontraktilen Ösophagus an.
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Weiters lassen sich mittels HR-Manometrie auch die für die Achalasie II typische panösophageale Druckerhöhung und eine ineffektive Peristaltik im Sinne einer peristaltischen Pause („peristaltic break“) feststellen.
Neue Chicago-Klassifikation der Motilitätsstörungen publiziert
Die Einteilung der mittels hochauflösender Manometrie ermittelten Motilitätsstörungen des Ösophagus erfolgt nach der Chicago-Klassifikation, die kürzlich in ihrer vierten Version publiziert wurde. Ein wichtiger Unterschied zwischen Chicago 3.01 und 4.02 betrifft einmal das Messprotokoll: Chicago 3.0 sah vor, dass zunächst im Liegen mittels Ruhedruckmessung die Ausgangswerte für den oberen und den unteren Ösophagussphinkter ermittelt werden. In einer zweiten Phase tranken die Patienten einzelne Schlucke zu fünf Milliliter. OÄ Dr. Franziska Baumann-Durchschein von der Medizinischen Universität Graz weist darauf hin, dass dieses Protokoll vielfach als unphysiologisch kritisiert wurde, weil sowohl das Trinken im Liegen unüblich ist als auch die Trinkmenge deutlich kleiner ist als ein realer Schluck. Mit diesem Protokoll blieben rund 20% der Motilitätsstörungen unentdeckt. Daher wurde für die Chicago-Klassifikation 4.0 eine Änderung des Messprotokolls vorgenommen.
Das Standardprotokoll wird nun nicht mehr nur im Liegen, sondern auch im Sitzen durchgeführt und zusätzlich zu den einzelnen kleinen Wasserschlucken werden Provokationstests durchgeführt. Bei den „multiple rapid swallows“ werden schnell fünf kleine Schlucke getrunken und dieser Test wird bis zu dreimal wiederholt. Der Test erlaubt eine Bewertung inhibitorischer Mechanismen während des Schluckaktes sowie der Clearance-Funktion des Ösophagus. Der zweite Provokationstest ist die „rapid drinking challenge“, bei der der Patient gebeten wird, schnell 200ml Wasser mit dem Strohhalm zu trinken. Der Test erlaubt nicht nur eine Bewertung der deglutitiven Hemmung und der kontraktilen Reserve, sondern vor allem auch den Ausschluss einer Abflussstörung („outflow obstruction“). Im Falle eines symptomatischen Patienten mit bis zu diesem Punkt unauffälliger Manometrie empfiehlt Chicago 4.0 eine Reihe weiterer Provokationstests wie die Festspeisenmanometrie. Hierbei soll der Patient entweder eine gesamte Testmahlzeit verzehren oder einzelne Festspeisenschlucke durchführen. Für feste Nahrung muss der Ösophagus mehr Kraft aufwenden als für Flüssigkeiten, weshalb für die Festspeisenmanometrie andere Normwerte vorgegeben werden. Der IRP soll unter 25mmHg bleiben und auf mindestens 20% der pharyngealen Schlucke soll eine effektive ösophageale Peristaltik folgen. Baumann-Durchschein betont, dass auch bei Gesunden oft nur jeder vierte oder fünfte Schluck von einer effektiven Peristaltik gefolgt wird. Die effektive Peristaltik wird definiert durch ein DCI über 1000 (im Gegensatz zu 450 für flüssige Schlucke) und darf nicht fragmentiert sein.
Die Chicago-Klassifikation gibt einen Algorithmus vor, der eine Einteilung der Motilitätsstörungen anhand der Ergebnisse der HR-Manometrie erlaubt. Dabei wird zunächst nach den ersten zehn Schlucken in liegender Position grob zwischen Peristaltikstörungen und Abflussstörungen unterschieden. Dabei bestehen einige Unterschiede zwischen Version 3.0 und 4.0: Unter anderem sind die Kriterien für die Diagnose einer Abflussstörung („esophagogastric junction (EJG) outflow obstruction“) strenger geworden, und diese soll nur noch diagnostiziert werden, wenn sie auch klinisch relevant ist, also dem Patienten Beschwerden verursacht. Auf der Seite der Peristaltikstörungen entfällt in Chicago 4.0 die Einteilung in schwere und leichte Störungen. Die fragmentierte Peristaltik ist keine eigenständige Motilitätsstörung mehr und für die ineffektive Motilitätsstörung wurden die Kriterien verändert. Insgesamt erhöht Chicago 4.0 den diagnostischen Aufwand erheblich, verbessert jedoch die Treffsicherheit ganz wesentlich. Beispielsweise habe sich gezeigt, so Baumann-Durchschein, dass nur 15% der Patienten, bei denen im Liegen eine EGJ-Abflussstörung gemessen wird, diese auch im Sitzen zeigen.
Management der Achalasie: Intervention und Chirurgie
Die Diagnostik nach den Kriterien der HR-Manometrie hat therapeutische Konsequenzen. Im Falle der Achalasie wird das in aller Regel auf ein interventionelles oder chirurgisches Vorgehen hinauslaufen, wie Dr. Hansjörg Schlager von der Medizinischen Universität Graz ausführt (Abb. 1). Die Ausnahme stellen Patienten dar, bei denen aufgrund von Komorbiditäten oder einer deutlich eingeschränkten Lebenserwartung von invasiven Therapien Abstand genommen werden sollte. In diesen Fällen ist die Botox-Injektion in den unteren Sphinkter die Methode der Wahl. Die Ergebnisse sind gut, die Wirksamkeit nimmt jedoch mit der Zeit ab und geht nach einiger Zeit auch bei wiederholten Injektionen verloren.
Bei fitteren Patienten mit Achalasie III wird eine perorale endoskopische Myotomie (POEM) empfohlen. Bei Achalasie I und II ist das weitere Vorgehen mit dem Patienten abzustimmen, infrage kommen die pneumatische Dilatation, die laparoskopische Hellermyotomie oder die POEM. Von medikamentösen Therapieversuchen wird generell abgeraten. Jedes einzelne dieser Verfahren hat seine Vor- und Nachteile:
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Die pneumatische Dilatation wird in mehreren Sitzungen mit graduellem Anstieg der Dilatation mit einem luftgefüllten Ballon durchgeführt. Der Vorteil der Methode liegt in ihrer breiten Verfügbarkeit und in relativ geringen Refluxraten. Der Nachteil ist ein Perforationsrisiko, das zwischen 1,9 und 4% pro Eingriff angegeben wird.
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Bei der Myotomie nach Heller wird entweder laparoskopisch oder thorakoskopisch eine Durchtrennung der zirkulären Muskelfasern des Ösophagus mit gleichzeitiger Fundoplicatio vorgenommen. Die Effektivität ist mit annähernd 90% nach drei Jahren hoch. Allerdings handelt es sich um ein chirurgisches Verfahren mit den möglichen Risiken einer Operation. Bei der Achalasie III ist die Effektivität deutlich geringer.
Aus diesem Grund ist bei der Achalasie III auch die POEM die Methode der Wahl. Dabei wird ein submuköser Tunnel generiert und im Anschluss werden die zirkulären Muskelfasern selektiv durchtrennt. Die Effektivität liegt zwischen 90 und 92%. Die Methode bedarf einer hohen Expertise und kann nur in wenigen Zentren angeboten werden. Eingriffsdauer und Hospitalisierung sind länger als bei der pneumatischen Dilatation. Zusätzlich tritt relativ häufig ein Reflux auf.
Primäres Ziel all dieser Therapien ist die Beschwerdefreiheit, als zusätzliches mögliches Ziel kann eine objektive Verbesserung der ösophagealen Entleerung angestrebt werden. In Studien kommt der Eckhardt-Score zum Einsatz, der durch die Therapie auf einen Wert unter drei gesenkt werden sollte.
Ein Vergleich zwischen den einzelnen Modalitäten ist angesichts der beschränkten Evidenz schwierig. Die Entscheidung für eine Therapie sollte daher entsprechend den patientenspezifischen Charakteristika und den Präferenzen des Patienten nach ausreichender Aufklärung erfolgen. Auch die Expertise des jeweiligen Zentrums stellt ein Kriterium bei der Wahl der Methode dar. Schlager betont, dass nach den aktuellen Guidelines – mit Ausnahme der Achalasie III – alle drei Optionen als in etwa gleichwertig zu betrachten sind.3
Quelle:
„HR-Manometrie: Wiederholung der Grundlagen und wichtigsten Parameter“, Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Christine Kapral, Linz; „Chicago Classification 4.0: Was ist neu und was ist anders zu Chicago Classification 3.0“, Vortrag von OÄ Dr. Franziska Baumann-Durchschein, Graz; „Therapeutische Konsequenzen der HR-Manometrie und ,New kids on the block‘“, Vortrag von Dr. Hansjörg Schlager, Graz, im Rahmen des „liVeline GastroHepatology“ am 6. April 2021
Literatur:
1 Kahrilas PJ et al.: Neurogastroenterol Motil 2015; 27(2): 160-74 2 Yadlapati R et al.: Neurogastroenterol Motil 2021; 33(1): e14058 3 Vaezi MF et al.: Am J Gastroenterol 2020; 115(9): 1393-411