
Update Behandlungsalgorithmen Morbus Crohn
Autor:
Dr. Simon Reider
Universitätsklinik für Innere Medizin mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie
Kepler Universitätsklinikum, Johannes Kepler Universität Linz
E-Mail: simon.reider@jku.at
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Die aktuellen Therapieempfehlungen bei Morbus Crohn werden aufgrund der Vielschichtigkeit und chronischen Natur der Erkrankung sowie aufgrund vieler, gegenwärtiger Erkenntnisse zur Diagnostik und Therapie zunehmend komplexer. Derzeit stehen Steroide, Thiopurine sowie verschiedene Biologika zur Verfügung. Die optimale Therapie für den einzelnen Patienten auszuwählen stellt eine große Herausforderung dar.
Keypoints
Die Empfehlungen der verfügbaren Leitlinien beim Morbus Crohn beziehen sich in erster Linie auf die ileocolonische Erkrankung.
Während für schwere Verläufe ein zunehmend unübersichtliches therapeutisches Repertoire zur Verfügung steht, besteht im Bereich der milden und moderaten Erkrankung Bedarf an weiteren Therapieoptionen.
Lokal wirksame und systemische Steroide, Thiopurine, Methotrexat sowie verschiedene Biologika mit unterschiedlichen Angriffspunkten zählen zum therapeutischen Armamentarium. Ihre genaue Priorisierung ist aber weitgehend unklar.
Eine bestmögliche klinische und mukosale Krankheitskontrolle ist für einen günstigen Verlauf der Erkrankung entscheidend.
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, wie der Morbus Crohn, können mit einer signifikanten Morbidität, v.a. auch bei jungen Patienten, einhergehen. Daher ist eine effektive Kontrolle der Krankheitsaktivität essenziell. Die verfügbaren Therapiestrategien zielen auf unterschiedliche Aspekte der chronischen Entzündung ab. Die Empfehlungen der Leitlinien folgen dabei primär dem Schweregrad und dem anatomischen Befallsmusterder Erkrankung. Komplikationen und Vorhandensein von extraintestinalen Manifestationen spielen ebenfalls eine Rolle. Es werden milde von moderaten und schweren Verlaufsformen unterschieden und unterschiedliche Empfehlungen für milde bis moderate sowie für moderate bis schwere Verläufe gegeben. In klinischen Studien wird zu diesem Zweck üblicherweise der Crohn’s Diseae Activity Index (CDAI) verwendet, der im klinischen Alltag jedoch aufwendig zu erheben ist und nur eingeschränkt mit der mukosalen Heilung korreliert. Daher hat sich in der Routine eher eine Kombination aus klinischer Einschätzung (oft anhand des Harvey-Bradshaw-Index), aus endoskopischem Bild, aus Schnittbildgebung und aus Biomarkern (fäkales Calprotectin, C-reaktives Protein) etabliert.
Die Empfehlungen beziehen sich primär auf den Befall des Ileums und des Kolons. Andere Erkrankungslokalisationen, wie im oberen Gastrointestinaltrakt (in 10% der Fälle betroffen), aber auch im Dünndarm (Mitbeteiligung in bis zu 80%, isolierter Befall in 30%), werden aufgrund der schlechten Evidenzlage weitgehend ausgespart. Auch milde und moderate Erkrankungsverläufe werden durch den Fokus der aktuellen Studien auf den schweren Morbus Crohn nicht ausreichend behandelt.
Empfehlungen zur Induktionstherapie bei mild-moderatem Morbus Crohn
Bei der mild-moderaten Erkrankung kann beim Vorliegen einer Ileitis terminalis bzw. auch bei Beteiligung des ileocolonischen Übergangs sowie des Colon ascendens eine lokale Steroidtherapie mit Budesonid in einer Dosierung von 9mg täglich erfolgen. Das Aufteilen auf mehrere Gaben im Tagesverlauf hat keinen Vorteil. Für weiter distal lokalisierte Erkrankungsmuster ist bei Morbus Crohn kein lokal wirksames Steroid zugelassen. Somit muss bei diesen Patienten auf eine systemische Steroidtherapie, beispielsweise mit Prednisolon in einer Dosierung von 1mg/kg Körpergewicht täglich (max. 75mg), ausgewichen werden. Bei sehr distalem Befall kann in Einzelfällen eine Lokaltherapie mit Suppositorien bzw. Klysmen erfolgen, die Datenlage zu diesem Vorgehen ist jedoch lückenhaft, sodass keine Empfehlung ausgesprochen wird. Die Anwendung von 5-Aminosalicylaten bei Morbus Crohn wird in den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen. Eine rezente Auswertung einer europaweiten Kohorte zeigte jedoch, dass dies dennoch im Alltag eingesetzt wird und auch eine gewisse Wirksamkeit besteht. Ältere placebokontrollierte Studien deuteten auch einen Effekt von Sulfasalazin bei colonischem Morbus Crohn an, auch dafür wird auf Basis der Datenlage keine Empfehlung abgegeben. Dies reflektiert das relativ schmale Therapierepertoire und einen nicht ausreichend abgedeckten, therapeutischen Bedarf bei milder Erkrankungsintensität, insbesondere bei distaler Lokalisation. Der Fokus von neuentwickelten pharmakologischen Zugängen und Studien liegt eindeutig auf schweren Erkrankungsverläufen.
Empfehlungen zur Induktionstherapie bei moderatem bis schwerem Morbus Crohn
Die moderate bis schwere Erkrankung ist nach wie vor die Domäne der systemischen Steroidtherapie. Diese wird beispielsweise mit Prednisolon in einer Dosierung von 1mg/kg (max. 75mg) täglich zur Induktionstherapie für ca. 8 Wochen umgesetzt. Neben der raschen Wirksamkeit punktet die Steroidtherapie hier auch in ihrer Rolle als „Triagetool“: Die Klassifizierung in steroidresponsive, steroidabhängige und steroidrefraktäre Verläufe beeinflusst die weiteren Therapieentscheidungen. Primär steroidresponsive Patienten profitieren ggf. von einer Kombination mit einem Thiopurin oder Methotrexat.
Eine Steroidabhängigkeit wird in den aktuellen Guidelines mit einem Steroidbedarf von über 10mg Prednisolon/Tag bzw. über 3mg Budesonid/Tag 3 Monate nach Therapiebeginn bzw. der Notwendigkeit von mehreren Steroidstößen innerhalb eines Jahres definiert. Diese Situation bzw. auch ein steroidrefraktärer Verlauf sollten den frühen Beginn einer Biologika-basierten Therapie bedingen.
Tab. 1: Risikofaktoren für einen schweren Verlauf bei Morbus Crohn (modifiziert nach Agrawal M et al. 2021)
Patienten mit einem hohen Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf (Tab. 1) profitieren von einer frühen intensivierten Therapie. Bei ihnen sollte eine primäre Induktionstherapie mit einem Biologikum erwogen werden.
Auch Thiopurine spielen beim moderaten bis schweren Morbus Crohn weiterhin eine Rolle. Auch wenn die aktuellen Empfehlungen keinen Einsatz als Monotherapie in der Induktion vorsehen, stellen diese Präparate nach wie vor Therapieoptionendar, einerseits als Kombinationspartner zu Steroiden bzw. zu Anti-TNF-α-Antikörpern, andererseits auch bei ausgewählten Patienten als Monotherapie in der Erhaltungsphase. Die Zieldosis für Azathioprin liegt hierbei bei 2–2,5mg/kg Körpergewicht täglich. Eine Bestimmung des Thiopurin-S-Methyltransferase-Genotyps mit allfälliger Dosisanpassung oder ein „Einschleichen“ unter Kontrolle von Blutbild und sowie Cholestaseparametern wird empfohlen.
Weiters ist die Kombination des Anti-TNF-α-Antikörpers Infliximab mit einem Thiopurin bzw. mit Methotrexat empfohlen, dabei kann die Rate des sekundären Therapieversagens durch Bildung sog.„anti-drug antibodies“ verringert werden. Für einen zweiten Anti-TNF-α-Antikörper, Adalimumab, zeigte sich jedoch kein signifikant besseres Ansprechen unter einer Kombinationstherapie. Studien zu Kombinationen von Thiopurinen mit Vedolizumab oder Ustekinumab sind bislang nicht publiziert, wobei erste vorab kommunizierte Ergebnisse darauf hindeuten, dass hier kein Benefit zu erwarten ist.
Wahl des Biologikums
Die verfügbaren antikörperbasierten Therapiestrategien bei Morbus Crohn umfassen Anti-TNF-α-Antikörper (Infliximab, Adalimumab), den Anti-Integrin-a4b7-Antikörper Vedolizumab sowie den IL-12-/IL-23-Blocker Ustekinumab. Diese Biologika werden derzeit als gleichwertig geeignet zur Induktions- und Erhaltungstherapie des moderaten bis schweren Morbus Crohn gesehen. Die Auswahl eines Biologikums erfolgt in der Praxis anhand patientenbezogener Faktoren (Infektneigung, Alter, extraintestinale Manifestationen, Komorbiditäten) sowie anderer nichtmedizinischer Faktoren, wie Verfügbarkeit, Kosten, Erstattungsregelung und Präferenz für eine subkutane bzw. intravenöse Verabreichung. Daten aus direkten Vergleichsstudien zu Biologika fehlen bislang. Neulich wurde mit SEAVUE die ersteVergleichsstudie vorgestellt. Dabei wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Adalimumab mit jener von Ustekinumab bei moderatem bis schwerem Morbus Crohn verglichen. Nach einem Jahr zeigten sich ein vergleichbares Sicherheitsprofil und Ansprechen, die Persistenz auf Therapie war in der Ustekinumab-Gruppe etwas höher. Neben solchen direkten Vergleichsstudien gelten vor allem Studien zur Biomarker-gesteuerten Therapieauswahl im Sinne personalisierter Medizin zu den drängendsten Prioritäten, wenngleich solchen Strategien bislang der Sprung in die klinische Umsetzung nicht gelang.
Erhaltungstherapie
Langfristige Therapiezielesind die Erhaltung einer steroidfreien Remission und die Normalisierung der Lebensqualität. Bei leichteren Verläufen kann dies durch eine Thiopurin-Monotherapie (nach Ausschleichen einer initialen Steroidtherapie) erreicht werden. Alle Biologika und neuen Therapeutika sind sowohl zur Induktions- als auch zur Erhaltungstherapie geeignet und werden in der Erhaltungstherapie weitergeführt.
Die Bestimmung von therapeutischen Antikörperspiegeln beim Einsatz von Anti-TNF-α-Antikörpern wird derzeit aufgrund der unklaren Datenlage nicht generell empfohlen. Konzeptionell handelt es sich dabei um Substanzen mit einer hohen therapeutischen Breite, sodass ein engmaschig spiegelkontrolliertes Vorgehen nicht notwendig erscheint. In Einzelfällen kann die Bestimmung von Spiegeln therapeutischer und neutralisierender Anti-Drug-Antikörper bei Wirkverlust zur Steuerung des weiteren Vorgehens dienen.
Spezielle Situationen
Für den Morbus Crohn mit Befall des oberen Gastrointestinaltrakts besteht eine schlechte Datenlage. Generell werden eine systemische Steroidtherapie sowie der großzügige und frühzeitige Einsatz von Biologika empfohlen.
Beim isolierten ileocoecalen Befall zeigte sich eine primäre Ileocoecalresektion über ein medianes Follow-up von 4 Jahren gleichwertig zu einer Anti-TNF-α-Therapie mit Infliximab. Somit stellt ein primär chirurgisches Vorgehen eine Option für eine selektierte Gruppe von Patienten dar.
Therapieziele
Zur Evaluierung des Therapieerfolges wurden zum Teil komplexe zeitlich abgestufte Konzepte vorgestellt, die im Rahmen von Studien ihre Berechtigung hatten. Im klinischen Alltag sind sie jedoch oft schwer umsetzbar. Das „Treat-to-target“-Konzept ist jedoch gelebte Praxis: Beim Erreichen der Therapieziele soll die Therapie unverändert fortgesetzt werden, andernfalls können eine Intensivierung, ein Wechsel des therapeutischen Prinzips oder eine Kombinationstherapie erwogen werden. Neben der klinischen Remission stellen auch die Senkung bzw. Reduktion des fäkalen Calprotectins sowie endoskopische oder sogar die histologische Entzündungsfreiheit mögliche und sinnvolle Ziele dar. Pragmatisch lässt sich dies im klinischen Alltag mit der Formel „no symptoms, no steroids, no ulcers“ zusammenfassen. Dabei gelten eine frühe Diagnose und Risikostratifizierung, der zeitgerechte Einsatz effektiver Medikamente sowie das Erreichen einer adäquaten Krankheitskontrolle als Eckpfeiler einer adäquaten Therapie.
Therapiedeeskalation
Die verfügbaren Leitlinien geben kaum Hinweise auf das mögliche Vorgehen bei der Deeskalation der Therapie. Diese sollte generell nur in stabiler, tiefer Remission angedacht werden. Stratifizierungsmarker zur Auswahl geeigneter Patienten fehlen. Publizierte Daten zeigen, dass 24 Monate nach dem Absetzen ca. 50% der Patienten wiederum Krankheitsaktivität aufweisen. Somit wird in Einzelfällen das Absetzen von Biologika unter engmaschigem Monitoring und gemeinsamer Entscheidung mit dem Patienten möglich sein. Die Bestimmung von fäkalem Calprotectin kann als sensitiver Marker eines Relaps dienen. Beim allfälligen Wiederbeginn der Therapie wird meist wiederum ein gutes Ansprechen erreicht.
Fazit
Die Therapie des Morbus Crohn wird durch das expandierende therapeutische Repertoire zunehmend komplexer. Dabei ist die Anzahl neuer Präparate bei schwerer Erkrankung groß, während insbesondere für mittelschwere Verläufe wenig Optionen bestehen. In Zukunft wird die optimale Auswahl der Therapiestrategie zur Herausforderung. Biomarker-basierte Ansätze im Rahmen einer personalisierten Medizin sind bislang nicht verfügbar.
Literatur:
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