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Nausea und Erbrechen
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Stephan Vavricka
Zentrum für Gastroenterologie und Hepatologie,<br> Zürich<br> E-Mail: stephan.vavricka@usz.ch
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Nausea und Erbrechen sind entwicklungsgeschichtlich wichtige Reflexe, welche verhindern, dass Menschen giftige Substanzen zu sich nehmen, oder ermöglichen, dass sie diese nach Aufnahme möglichst schnell wieder ausscheiden. Im Folgenden werden die wichtigsten Definitionen, Ursachen und das differenzialdiagnostische Vorgehen bei den beiden häufigen gastroenterologischen Symptomen näher beleuchtet.</p>
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<p class="article-content"><p>Nausea beschreibt das Empfinden, dringend erbrechen zu müssen, und geht dem eigentlichen Erbrechen in der Regel voraus. Im Rahmen des Erbrechens kommt es häufig zu einer Stimulation des sympathischen und parasympathischen Nervensystems, welche zu Symptomen wie Kaltschweissigkeit, Tachykardie, weiten Pupillen oder Hypotonie führen kann. Vom eigentlichen Erbrechen wird die Regurgitation unterschieden, welche meistens nicht mit Nausea assoziiert und häufig durch einen insuffizienten unteren Ösophagussphinkter oder durch eine Ösophagusstenose verursacht ist. Unter Rumination wiederum versteht man einen retrograden Transport von Mageninhalt (üblicherweise ohne Nausea), z.B. bei Patienten mit psychosomatischen Störungen. Ruktation (Görpsen) und Singultus (Schluckauf) sind Formen von Luftaufstossen (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s52_tab1.jpg" alt="" width="1450" height="906" /></p> <h2>Häufige Ursachen</h2> <p>Tabelle 2 zeigt die häufigsten Differenzialdiagnosen von Nausea und Erbrechen. Gesteigerter Hirndruck durch Tumoren, Blutungen oder Obstruktion des Liquorflusses erzeugen ein schwallartiges Erbrechen, welches meist ohne Nausea auftritt. Die Reizung des Labyrinthes führt bei der Reisekrankheit, beim Morbus Menière und beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel zu Nausea und Erbrechen. Eine Magenobstruktion kann durch maligne oder peptische Ursachen bedingt sein und ebenso wie die Dünn- und Dickdarmobstruktionen (zum Beispiel als Folge von Adhäsionen, Tumoren, Volvulus, Invaginationen oder bei Morbus Crohn) zu Nausea und Erbrechen führen. Es wird geschätzt, dass 20–40 % aller Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 eine diabetische Gastroparese entwickeln mit konsekutiver Nausea und Erbrechen. Eine Gastroparese kann jedoch auch nach Vagotomie, bei einem Pankreaskarzinom sowie bei Sklerodermie und Amyloidose auftreten. Das Erbrechen bei Pankreatitis, Cholezystitis und Appendizitis erfolgt über lokale viszerale Reizung und Motilitätsstörung.<br /> Das Arteria-mesenterica-superior-Syndrom stellt ein seltenes Krankheitsbild dar, das durch postprandiales Erbrechen und Gewichtsverlust charakterisiert ist. Pathogenetisch ist es auf eine Einengung des distalen Duodenums zwischen Aorta und A. mesenterica superior zurückzuführen, bedingt durch eine extrem spitzwinkelig von der Aorta abgehende A. mesenterica superior. Das Syndrom tritt vor allem bei bettlägerigen und kachektischen Patienten in Rückenlage auf, begleitet von krampfartigen Schmerzen im mittleren Oberbauch, welche sich charakteristischerweise nach Lagewechsel in die Knie-Ellenbogen-Lage bessern.<br /> Akutes Erbrechen bei Lebensmittelvergiftungen ist auf Staphylococcus aureus und Bacillus cereus zurückzuführen. Die Schwangerschaft ist die häufigste endokrine Ursache des Erbrechens. Bis zu 70 % aller Frauen im ersten Trimenon leiden daran. Als Hyperemesis gravidarum wird eine schwere Verlaufsform des Erbrechens in der Schwangerschaft beschrieben, welche zu einem erheblichen Flüssigkeitsverlust und Elektrolytstörungen führen kann. Weitere metabolische Ursachen von Erbrechen sind Urämie, Ketoazidose, Nebenniereninsuffizienz sowie Störungen der Schilddrüse und der Nebenschilddrüse.<br /> Die wohl häufigste Ursache von Erbrechen sind Medikamente. Grundsätzlich können alle Medikamente Nausea und Erbrechen auslösen. Zu den häufigsten gehören Antibiotika, Antiarrhythmika, Antihypertensiva, orale Antidiabetika, Kontrazeptiva und Chemotherapeutika (besonders Cisplatin). Die abdominale Strahlentherapie führt zu einer Störung der motorischen Funktion und Bildung von Strikturen. Toxine im Blut führen zu einer Stimulation der Area postrema (zum Beispiel Alkoholintoxikation).<br /> Beim Leberversagen werden ebenfalls endogene Toxine gebildet, welche zu Erbrechen führen. Kardiale Ursachen wie akuter Myokardinfarkt insbesondere der Hinterwand und die biventrikuläre Herzinsuffizienz können zu Übelkeit und Erbrechen führen. Das postoperative Erbrechen kommt bei bis zu 25 % aller Operationen vor und ist insbesondere nach Laparotomien, orthopädischen Eingriffen und bei Frauen gehäuft. Patienten mit psychiatrischen Leiden wie zum Beispiel Ess- und Angststörungen sowie Depression berichten häufig über starke Übelkeit mit verzögerter Magenentleerung und Erbrechen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s52_tab2.jpg" alt="" width="1444" height="2371" /></p> <h2>Art und Zeitpunkt des Erbrechens und Anamnese</h2> <p>Grundsätzlich wird zwischen dem akuten (Stunden bis Tage) und dem chronischen Erbrechen (Wochen bis Monate) unterschieden (Tab. 3a und 3b).<br /> Das Vorliegen eines Zweitsymptoms hilft häufig bei der weiteren Differenzialdiagnose (Tab. 4).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s52_tab3a.jpg" alt="" width="1414" height="462" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s52_tab3b.jpg" alt="" width="1438" height="891" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s52_tab4.jpg" alt="" width="1435" height="569" /></p> <h2>Abklärungsschritte bei Patienten mit Nausea und Erbrechen</h2> <p>Beim weiteren diagnostischen Vorgehen unterscheidet man zwischen einem akuten Auftreten von Nausea und Erbrechen (<1 Woche) und einem chronischen Persistieren von Nausea und Erbrechen (>1 Monat). Die Anamnese und die körperliche Untersuchung weisen meistens auf die richtige zugrunde liegende Diagnose. Beim Auftreten von Alarmsymptomen wie zum Beispiel einem Alter des Patienten >50 Lj., ungewolltem Gewichtsverlust, progressiver Dysphagie, persistierendem Erbrechen, einem Nachweis einer gastrointestinalen Blutung, einer positiven Familienanamnese für Magenkarzinome, einer veränderten Psyche, Abdominalschmerzen, fäkalem Erbrechen, Hämatochezie, Meläna und fokalen neurologischen Ausfällen sollten zwingend weiterführende Abklärungen erfolgen.<br /> Bei der Diagnosestellung des Erbrechens wird ein dreizeitiges Vorgehen empfohlen. In einem ersten Schritt sollen primär Elektrolyte, Glukose, Nieren- und Leberwerte, Amylase (bei Schmerzen), Digitalisspiegel bei entsprechender Anamnese sowie Urinstatus bestimmt und ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Bei Verdacht auf eine intestinale Obstruktion kann eine Abdomenleeraufnahme in zwei Ebenen hilfreich sein, bei welcher man Luft-Flüssigkeits-Spiegel im Dünndarm eruiert. Ein Ileus zeigt sich durch diffus dilatierte und luftgefüllte Darmschlingen. In einem zweiten Schritt werden gemäss Klinik Abdomensonografie, Ösophagogastroduodenoskopie, Stuhlkultur, EKG, TSH und ein Röntgenthorax empfohlen. In einem dritten Schritt erfolgen die Koloskopie, die CT/MRI-Untersuchung (CT vom Abdomen bei V.a. entzündliche Krankheit, CT/MRI vom Kopf zum Ausschluss einer zentralen Ursache, CT-/MR-Enterografie zum Ausschluss eines Dünndarmprozesses) sowie die Bestimmung der Urintoxikologie und der Porphyrine.</p></p>
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