
Mesalazin – der Wolf im Schafspelz?
Autorin:
OÄ Dr. Simone Megymorecz
Abteilung für Innere Medizin und Gastroenterologie
Klinikum Klagenfurt
E-Mail: simone.megymorecz@kabeg.at
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Wie schwierig es manchmal sein kann, den „Schurken“ und Treiber der Erkrankung zu entlarven, soll folgender Fall aus dem Klinikum Klagenfurt demonstrieren, wo ein interdisziplinäres Vorgehen zum Erfolg geführt hat.
Keypoints
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Mesalazin stellt die Basistherapie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) dar, seltene Nebenwirkungen durch diese Therapie sollten jedoch nicht außer Acht gelassen werden.
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Sehr selten beschrieben treten bei weniger als 1/10000 Patienten pulmonale Nebenwirkungen auf.
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Eine Mesalazin-induzierte Nebenwirkung ist vor allem bei Polymedikation gegenüber einer extraintestinalen CED-Manifestation schwer zu differenzieren.
Anamnese
Der 57-jährige Patient stellte sich über unsere zentrale Notaufnahme erstmalig im April 2019 vor. Er klagte über Übelkeit, Diarrhö sowie Schwächegefühl, klinisch zeigte sich also das Bild einer Gastroenteritis, wobei kein Fieber bestand. Die Leukozyten waren primär auf 14000 eleviert, das CRP geringgradig auf 3mg/dl. Der Patient erhielt zunächst die Empfehlung einer kurzfristigen Kontrolle beim Hausarzt, ebenso eine symptomatische Therapie mittels Pantoprazol, Yomogi und Metoclopramid. Darunter kam es jedoch zu keiner Besserung, im Gegenteil, die Diarrhöen nahmen zu, mit einer Frequenz von nunmehr 12 Stühlen pro Tag. Ebenso bestandenBlutbeimengungen, der Hb war abgefallen auf 9,2g/dl bei einem zuletzt gemessenen Vorwert von 10,9mg/dl.
Diagnostische Abklärung und therapeutisches Vorgehen
Zwischenzeitlich wurde bereits über den Hausarzt eine Colidimin-Therapie eingeleitet, in der unsererseits nun durchgeführten Sonografie zeigte sich das Bild einer Enterocolitis mit diskret wandbetontem Colon descendens und Sigma.
Zunächst änderten wir die Antibiose –es erfolgte eine Umstellung auf Ciprofloxacin–, die symptomatische Therapie wurde fortgeführt, Stuhlkulturen wurden empfohlen.
Da sich der Allgemeinzustand des Patienten jedoch weiter verschlechterte, stellte er sich kurzfristig erneut in unserer zentralen Notaufnahme vor. Nun erfolgte die stationäre Aufnahme, um das inzwischen doch gravierende Krankheitsbild näher abzuklären. Die Stuhlgänge waren zu diesem Zeitpunkt weiterhin mit Blutbeimengungen vorhanden, dies mit einer Frequenz von bis zu 10x täglich. Es bestand eine Leukozytose mit 14200 Leukozyten, das CRP war weiter ansteigend auf 6,5mg/dl. In den nun vorliegenden Stuhlkulturen zeigten sich keine pathogenen Keime.
Abb. 1: Ileokoloskopie: mittelschwere, kontinuierliche Colitis mit ödematöser Schleimhaut, Verlust der Gefäßzeichnung und Ulcera mit Fibrinbelägen, Schleimhauteinblutungen
Wir führten eine Ileokoloskopie durch, wobei sich eine Pancolitis ulcerosa makroskopisch und schließlich auch mikroskopisch bestätigte (Abb. 1). Histologisch konnten Kryptenarchitekturstörungen und -abszesse nachgewiesen werden. Die entzündliche Aktivität war vor allem im Rektum und Sigma, aber auch im Colon descendens vorhanden. Endoskopisch zeigte sich ein Mayo-Score von 3.
Es erfolgte die Einleitung einer Steroidtherapie mit initial 50mg Prednisolon, das nach 5 Tagen auf 37,5mg reduziert werden konnte. Begleitend erhielt der Patient eine PPI-Therapie, ebenso wurde Mesalazin in Granulat-Form und als Klysmen verordnet.
Das Calprotectin im Stuhl betrug initial 1856mg/kg, was in weiterer Folge als Zeichen des Therapieerfolgs und einhergehend mit einer deutlich gebesserten Klinik des Patienten rasch auf 484mg/kg abfiel.
In den weiteren Kontrollen in unserer CED-Ambulanz präsentierte sich der Patient rasch beschwerdefrei mit normal gefärbten und geformten Stuhlgängen, sodass das Tapern wie geplant durchgeführt werden konnte. Nach dem vollständigen Absetzen der Steroidmedikation kam es zu leichten neuerlichen abdominellen Beschwerden, das Calprotectin im Stuhl betrug zu diesem Zeitpunkt 78mg/kg, der Start eines Biologikums wurde überlegt, man einigte sich aber vorerst auf die Weiterführung engmaschiger Kontrollen. Mesalazin wurde als Granulat mit 4g täglich fortgeführt, die Mesalazin-Zäpfchen konnten ausgeschlichen werden.
Nun auch Pneumonie
Zwei Monate später stellte sich der Patient erneut in der CED-Ambulanz vor, er berichtete über eine hartnäckige Pneumonie, die bereits über den Hausarzt primär mit Roxithromycin und nun Moxifloxacin behandelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt betrug das CRP 11,7mg/dl, ebenso zeigte sich eine Leukozytose mit 13000/µl. Seitens der Colitis ulcerosa bestand die derzeitige Therapie lediglich aus Mesalazin-Granulat, welches weiterhin mit 4g täglich eingenommen wurde. Das Calprotectin betrug zu diesem Zeitpunkt 20mg/kg. Wir entschlossen uns, die etablierte Therapie fortzuführen, um die aktuelle Remission zu erhalten.
Abb. 2: CT mit milchglasartigen flächigen Infiltraten mit Konsolidierungsarealen sowie teils bronchiektatischen Ausweitungen
Zwischenzeitlich stellte sich der Patient beim niedergelassenen Pulmologen vor, da sich die Dyspnoe und der Allgemeinzustand nicht besserten, der Patient fieberte weiterhin. Es wurde ein Thorax-CT durchgeführt (Abb. 2). In diesem bestätigte sich ein ausgedehntes Infiltrat links, ebenso war der Patient in der Blutgasanalyse respiratorisch partialinsuffizient, nach Zuweisung durch den Pulmologen erfolgte nun die stationäre Aufnahme auf unserer Lungenabteilung, wo eine High-Flow-CPAP-Therapie eingeleitet wurde, ebenso erhielt der Patient eine antibiotische Therapie mittels Piperacillin/Tazobactam.
Trotz mehrmals täglicher CPAP-Atemtherapien blieben die Entzündungswerte weiterhin deutlich eleviert, ebenso blieb die respiratorische Partialinsuffizienz bestehen, weiterhin fieberte der deutlich beeinträchtigte Patient.
Nun erfolgte ein Switch auf Meropenem als antibiotische Therapie, prinzipiell besserte sich der Allgemeinzustand des Patienten jedoch erst, als eine Steroidtherapie eingeleitet wurde. Darunter kam es zum raschen Abfiebern und rückläufigem CRP.
Zur Abklärung wurde neuerlich ein CT der Lunge durchgeführt, wobei sich der Verdacht einer eosinophilen Pneumonie stellte. In der durchgeführten Bronchoskopie wurde eine BAL (bronchoalveoläre Lavage) durchgeführt, ebenso wurden periphere Gewebeproben entnommen. Hier konnte jedoch weder die eosinophile Pneumonie noch eine COP (kryptogen organisierende Pneumonie) bestätigt werden. Die respiratorische Situation besserte sich jedoch weiterhin zunehmend. Somit konnte der Patient unter der Steroidmedikation und der CED-spezifischen Therapie mittels Mesalazin entlassen werden. Ein PPI und eine symptomatische Therapie wurden ebenfalls verordnet.
Mesalazin als Trigger?
In den weiteren Kontrollen in der Lungenambulanz konnte jedoch weiterhin nativ radiologisch ein Infiltrat nachgewiesen werden, trotz inzwischen guten AZ des Patienten und laborchemisch normalisierter Entzündungsparameter (Abb. 3). Somit wurde schlussendlich Mesalazin als möglicher „Trigger“ der Pneumonie vermutet und abgesetzt, auch bestand zu diesem Zeitpunkt weiterhin eine Remission der CU. Die Steroidtherapie wurde unverändert mit 25mg pro Tag fortgeführt unter PPI-Gaben.
In den weiteren Kontrollen zeigte sich pulmonal ein stabiler Zustand ohne Fieber, Husten oder Atemnot, der Patient war wiedergut belastbar. Nach Absetzen des Mesalazinskam es jedoch neuerlich zu einem Calprotectin-Anstieg auf zunächst 110mg/kg, sodass wir uns für den Beginn einer Azathioprin-Therapie entschlossen. Nach langsamer Steigerung der Therapie in den wirksamen Bereich von 2mg/kg KG kam es jedoch zu Bauchschmerzen und einem Anstieg der Lipase auf 400, sodass wir andere Ursachen bildgebend ausschlossen, dies als Azathioprin-bedingt annahmen und es absetzten.
Umstieg auf Biologikum
Seitens der Lunge war das Infiltrat nun bildgebend (CT) vollständig rückgebildet, wir führten nun ein TNF-alpha-Screening gemäß der Checkliste der ÖGGH durch und begannen eine Therapie mit Adalimumab s.c. Nach initialer Induktion wurde diese mit 40mg s.c. alle zwei Wochen fortgeführt. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Calprotectin-Wert 914mg/kg, im Verlauf schwankte dieser und sechs Monate nach Beginn der Therapie war er erneut auf 2228mg/kg angestiegen. Klinisch war der Patient jedoch seitens des Abdomens völlig beschwerdefrei. Zur Beurteilung der aktuellen Ausdehnung der Colitis ulcerosa wurde nun erneut eine Ileokoloskopie durchgeführt, hier bestätigte sich ein Mayo-Score von 2 bei einer floriden Linksseitencolitis. Ebenso haben wir die Adalimumab- Antikörper und den Talspiegel bestimmt.
Aufgrund erhöhter Antikörper (36U/ml; Ziel: <10U/ml) und eines verminderten Talspiegels (<0,5µg/ml) entschieden wir uns für eine Umstellung auf Vedolizumabmit einer i.v.Induktion und schließlich für die Weiterführung der Therapie subkutan mit 108mg alle 2 Wochen. Darunter kam es zu einem raschen, kontinuierlichen Calprotectin-Abfall, derzeit ist dieses im Normbereich und der Patient klinisch völlig beschwerdefrei.
Mesalazin: Nebenwirkungen
Mesalazin wird von uns Gastroenterologen in der CED Therapie häufig und meist bedenkenlos eingesetzt. Bezüglich der Wirksamkeit zur Remissionserhaltung ist es unsere unumstrittene Basistherapie, die manchmal als alleinige Medikation ausreicht. Besonders effektiv sind vor allem auch Klysmen und Zäpfchen beim distalen Befall.
Wir dürfen jedoch die möglichen Nebenwirkungen der Therapie nicht vergessen, pulmonale Nebenwirkungen (NW) sind zwar sehr selten beschrieben (<1/10000), bei Auftreten dieser ist jedoch immer auch an eine „drug induced pneumonia“ zu denken, sofern andere Ursachen ausgeschlossen werden können. Als NW sind allergische und fibrotische Lungenreaktionen (inkl. Dyspnoe, Husten, Bronchospasmus), eine allergische Alveolitis, pulmonale Eosinophilie, interstitielle Lungenerkrankungen und Pneumonien beschrieben.
Schwierig ist sicherlich auch die primäre Differenzialdiagnose einer extraintestinalen Manifestation der CED, wo ja auch der obere Respirationstrakt, die Pleura, das Lungeninterstitium oder auch das Perikard mitbetroffen sein können. Lungeninfiltrate können beimehreren CED Medikamenten (u.a. auch TNF-Alpha-Blockern) auftreten und entsprechend schwierig ist es, bei Polymedikation eine Kausalität mit Mesalazin zu diagnostizieren, zumal auch der genaue Pathomechanismus der Lungenerkrankung unklar ist. Die typischen Symptome mit Fieber, Atemnot und Husten treten in der Regel innerhalb der ersten sechs Monate der Therapie mit Mesalazin auf. Zunächst wird ein Absetzen empfohlen, bei schweren Verläufen kann – wie in unserem Fall – eine längerfristige Steroidtherapie vonnöten sein (meist 3–6 Monate).
Fazit
Auch seltene Nebenwirkungen eines nicht nur lokal wirksamen Medikaments sollten in Betracht gezogen werden. Lokal erreicht Mesalazin an der betroffenen Darmmukosa therapeutische Wirkstoffkonzentrationen, jener Anteil, der durch Absorption im Dünndarm in den systemischen Kreislauf gelangt, kann aber für ein breites NW-Spektrum sorgen – typisch sind Diarrhö und Kopfschmerzen, Schwindel und Anstieg der Transaminasen. Man kann davon ausgehen, dass unter der Voraussetzung einer „normalen“ Darmmotilität bis zum Erreichen des Ileums schon 50% des Wirkstoffs freigesetzt werden, was pharmakokinetische Untersuchungen zeigten. In Bewusstsein dieses Wissens sollten systemische NW durchaus Platz in unseren Behandlungsüberlegungen haben.
Literatur:
• Bartal C et al.: Drug-induced eosinophilic pneumonia: A review of 196 case reports. Medicine (Baltimore) 2018; 97(4): e9688 • Park M et al.: Recurrent Eosinophilic Pneumonia Associated with Mesalazine Suppository in a Patient with Ulcerative Colitis. Korean J Gastroenterol 2019; 73(4): 225-9 • Akiyama N et al.: [THREE CASES OF DRUG-INDUCED PNEUMONIA CAUSED BY MESALAZINE]. Arerugi 2015; 64(10): 1334-40 • Gupta A, Gulati S: Mesalamine induced eosinophilic pneumonia. Respir Med Case Rep 2017; 21: 116-7 • Michy B et al.: [Organizing pneumonia during treatment with mesalazine]. Rev Mal Respir 2014; 31(1): 70-7 • Tanigawa K et al.: Mesalazine-induced eosinophilic pneumonia. Respiration 1999; 66(1): 69-72 • Moeser A et al.: Lung disease and ulcerative colitis--mesalazine-induced bronchiolitis obliterans with organizing pneumonia or pulmonary manifestation of inflammatory bowel disease? Z Gastroenterol 2015 ;53(9): 1091-8 • Inoue M et al.: Three cases of mesalazine-induced pneumonitis with eosinophilia. Respir Investig 2014; 52(3): 209-12