
Covid-19 und die Schilddrüse
Autoren:
Dr. med. Nathalie Rouiller
Prof. Dr. med. Gerasimos P. Sykiotis
Service d’endocrinologie, diabétologie et métabolisme Département de médecine interne Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), Lausanne
E-Mail: nathalie.rouiller@chuv.ch
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Die Covid-19-Pandemie, die die Welt seit nunmehr über einem Jahr in Atem hält, wird durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht, das erstmals im chinesischen Wuhan beschrieben wurde. Die klinischen Manifestationen von Covid-19 umfassen ein breites Spektrum – von Verläufen mit nur leichten Symptomen über Pneumonien mit der möglichen Komplikation eines akuten Atemnotsyndroms bis hin zu systemischen Erkrankungen mit Multiorganversagen. Auch Schilddrüsenerkrankungen wurden als Folge einer SARS-CoV-2-Infektion beobachtet. Gegenstand dieses Artikels ist die Auswertung von SARS-CoV-2-vermittelten Schilddrüsenveränderungen anhand der wichtigsten Artikel, die im Jahr 2020 veröffentlicht wurden – mit einem kritischen Blick auf die Zuverlässigkeit der berichteten Zusammenhänge und die Qualität der Evidenz für einen Kausalzusammenhang zwischen der Covid-19-Erkrankung und der potenziell assoziierten Schilddrüsenerkrankung.
Keypoints
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Die Erstellung eines Schilddrüsenprofils wird bei Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion nicht empfohlen, es sei denn, das klinische Bild weist auf eine Dysthyreose hin.
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Bei Covid-19-Patienten werden Störungen des Schilddrüsenprofils beobachtet, die multifaktoriell bedingt sind und vor allem auf einen Schutzmechanismus («non-thyroidal illness syndrome») sowie auf die Gabe von Dexamethason und Heparin zurückzuführen sind.
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Infolge einer SARS-CoV-2-Infektion kann sich eine subakute Thyreoiditis entwickeln.
Pathophysiologische Grundlagen
Die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen von Covid-19 umfassen einerseits eine direkte Organschädigung durch das Virus selbst und andererseits einen indirekten Mechanismus in Form einer überschiessenden Entzündungsreaktion, die durch einen Zytokinsturm vermittelt wird, insbesondere eine Aktivierung von Th1/Th17-Lymphozyten mit Bildung von Interleukin-6 und TNF-alpha.1 Es wurde gezeigt, dass SARS-CoV-2 über den ACE2-Rezeptor, der an die transmembrane Serinprotease 2 (TMPTRSS2) gekoppelt ist, in die Zellen eindringt. Interessanterweise wird der ACE2-Rezeptor in der Schilddrüse stärker exprimiert als in der Lunge. Diese Erkenntnis könnte möglicherweise einen viralen Tropismus für die Schilddrüse erklären. Darüber hinaus wurde im Rahmen von Autopsien das SARS-CoV-2-Genom im Hypothalamus und in der Hypophyse gefunden, was eine direkte Toxizität vermuten lässt, die zum Abfall von TRH («TSH-releasing hormone») und TSH («thyroid-stimulating hormone») beitragen könnte.2
Es ist bekannt, dass Schilddrüsenhormone bei Entzündungen eine Rolle spielen, indem sie die Immunantwort modulieren und die Freisetzung von Zytokinen beeinflussen. Darüber hinaus kann T4 durch eine Thrombozytenaktivierung eine gerinnungsfördernde Reaktion induzieren.2 IL-6 ist ebenfalls an entzündlichen Schilddrüsenerkrankungen beteiligt.1 Hier ist zu beachten, dass jede akute Phase von einer physiologischen Schutzreaktion begleitet wird, die darauf abzielt, die Bildung von Schilddrüsenhormonen zu verringern, indem die TRH- und TSH-Ausschüttung begrenzt wird. Dieses Phänomen wird als «non-thyroidal illness syndrome» (NTIS), «low T3 syndrome» oder «euthyroid sick syndrome» bezeichnet. Ausserdem hat sich gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und der Abnahme des TSH-Werts gibt.3, 4 Die WHO empfiehlt bei Patienten mit Covid-19 keine routinemässige Erstellung eines Schilddrüsenprofils, es sei denn, das klinische Bild des Patienten lässt die Abklärung einer Schilddrüsenerkrankung notwendig erscheinen. Diese Empfehlung ist sinnvoll angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, ein Schilddrüsenprofil zu finden, das auf ein NTIS hindeutet.2
Klinische Auswirkungen
In einer retrospektiven chinesischen Studie wurde das Schilddrüsenprofil von 50 hospitalisierten Patienten mit SARS-CoV-2-Pneumonie mit dem von Kontrollpatienten verglichen, die eine Pneumonie anderen Ursprungs, aber vergleichbaren Schweregrads aufwiesen.5 Dabei zeigten 64% der Covid-19-Patienten eine Konstellation, die mit einem NTIS vereinbar war. Zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und dem Abfall des TSH-Werts wurde eine Korrelation festgestellt, wie dies auch früher schon beobachtet wurde.3,4 Interessant ist jedoch, dass die TSH-Werte bei Patienten mit SARS-CoV-2-Pneumonie niedriger waren als in der Kontrollgruppe, obwohl der Schweregrad der Lungenschädigung in beiden Gruppen der gleiche war. Diese Beobachtung könnte auf einen zusätzlichen pathophysiologischen Mechanismus neben einem NTIS hindeuten, etwa auf einen direkten und/oder indirekten toxischen Effekt von SARS-CoV-2 auf die Hypothalamus-Hypophysen-Achse und die Schilddrüse in Form der oben beschriebenen direkten und indirekten Mechanismen, bei denen insbesondere Zytokine und der ACE2-Rezeptor eine Rolle spielen. Darüber hinaus verringert die Gabe von Glukokortikoiden die TSH-Ausschüttung; ein Störfaktor, der bei der Interpretation des Schilddrüsenprofils von Patienten mit Covid-19-Pneumonie, die mit Dexamethason behandelt werden, zu berücksichtigen ist.
In der italienischen retrospektiven monozentrischen Studie THYRCOV erfolgte eine Untersuchung des Schilddrüsenprofils und der IL-6-Spiegel von mehr als 280 überwiegend männlichen Patienten in den Sechzigern, die stationär, aber ausserhalb der Intensivstation behandelt wurden.1 Die Mehrheit (74%) wies eine normale Schilddrüsenfunktion auf, 5,2% hatten eine subklinische oder manifeste Hypothyreose und 20% litten an einer Hyperthyreose, die in mehr als der Hälfte der Fälle manifest war. Diese Hyperthyreosen wurden auf eine Thyreoiditis durch Zytokinfreisetzung zurückgeführt, die insbesondere durch IL-6 vermittelt wurde, wobei der IL-6-Spiegel umgekehrt mit dem TSH-Spiegel korrelierte.
Diese Ereignisse lassen an eine subakute Thyreoiditis (oder Thyreoiditis de Quervain) denken, eine bekannte Schilddrüsenerkrankung, die nach einer Virusinfektion auftritt und klassischerweise durch eine Phase der Hyperthyreose mit Hormonausschüttung, eine Phase der Euthyreose und dann durch eine vorübergehende oder dauerhafte Hypothyreose gekennzeichnet ist. Die Patienten beschreiben häufig starke Schmerzen, die sich auf beide Seiten der Trachea verlagern oder sogar bis zum Ohr ausstrahlen können. In der Anamnese findet sich oftmals eine kurz zurückliegende virale Atemwegsinfektion. Es ist daher nicht überraschend, dass SARS-CoV-2 eine subakute Thyreoiditis verursachen kann. Interessanterweise werden in der Literatur1, 6 Fälle von Thyreoiditis mit einer weniger ausgeprägten Symptomatik berichtet, die möglicherweise mit einer veränderten Lymphozytenreaktion (Lymphopenie im Rahmen der Viruserkrankung) und/oder der Einnahme von Dexamethason in Verbindung stehen. Hinzu kommt, dass Halsschmerzen im Kontext von Covid-19 mit Schluckweh verwechselt werden können. Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich der Begriff der atypischen Thyreoiditis. Letztere scheint Männer häufiger zu betreffen, möglicherweise aufgrund der stärkeren Verbreitung von ACE2-Rezeptoren im Vergleich zu Frauen.
Die therapeutischen Massnahmen, die bei hospitalisierten Patienten mit sauerstoffpflichtiger Covid-19-Lungenerkrankung zum Einsatz kommen, umfassen die Gabe von Glukokortikoiden (Dexamethason) und Heparin sowie Behandlungen, die das TSH senken bzw. das freie T4 erhöhen, indem sie dessen Bindung an das wichtigste Transportprotein «thyroid-binding globulin» (TBG) vermindern. Diese beiden Punkte sollten bei der Interpretation des Schilddrüsenprofils dieser Patienten im Auge behalten werden.
Zwei neuere Studien haben gezeigt, dass eine behandelte Hypo- oder Hyperthyreose kein zusätzliches Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion birgt und die Prognose bei einer Covid-19-Erkrankung nicht beeinflusst.7, 8
Mit Blick auf die indirekten Folgen von SARS-CoV-2 ist nicht zuletzt auch zu erwähnen, dass eine Verzögerung von Diagnosen beobachtet wurde – ein Phänomen, das sich nicht auf die Endokrinologie beschränkt und aus dem Verschieben von Konsultationen während des «Lockdowns» resultiert.2
Fazit
Die aktuelle Literatur legt nahe, dass SARS-CoV-2 die Schilddrüsenfunktion über verschiedene Mechanismen verändern kann. Bei direkter Beteiligung durch eine Entzündung der Schilddrüse kann es zu einer subakuten Thyreoiditis kommen, die als eher mild beschrieben wird. Alternative Mechanismen, die vor allem über Zytokine vermittelt werden, können die Hypothalamus-Hypophysen-Achse beeinflussen. Und schliesslich, wenig überraschend, wird über NTIS berichtet. Eine Hypo- oder Hyperthyreose wird weder als Risikofaktor betrachtet noch mit einer schlechten Prognose in Zusammenhang gebracht. Die oben beschriebenen Befunde beruhen überwiegend auf retrospektiven Studien mit kleinen Patientenkollektiven und es sind weitere Studien erforderlich, um die Auswirkungen von SARS-CoV-2 auf die Schilddrüsenfunktion weiter zu klären. In den vorliegenden Studien, wie auch in der klinischen Praxis, wird eine sorgfältige Interpretation der klinischen Befunde durch mehrere Faktoren erschwert, die mit der Covid-19-Krankheit und ihrer Behandlung zusammenhängen, welche wiederum Einfluss auf die Schilddrüsenwerte hat (Dexamethason, Heparin, NTIS usw.).
Erstpublikation in französischer Sprache inLeading Opinions Médecine interne 2/2021; Übersetzung: mt-g
Literatur:
1 Lania A et al.: Thyrotoxicosis in patients with COVID-19, the THYRCOV study. Eur J Endocrinol 2020; 183: 381-7 2 Scappaticcio L et al.: Impact on COVID-19 on the thyroid gland: an update. Rev Endocr Metab Disord 2020; 25: 1-13 3 Fliers E et al.: Thyroid function in critically ill patients. Lancet Diabetes Endocrinol 2015; 3: 816-25 4 Van den Berghe G: Non thyroidal illness in the ICU: a syndrome with different faces. Thyroid 2014; 24: 1456-65 5 Chen M et al.: Thyroid function analysis in 50 patients with COVID-19: a retrospective study. Thyroid 2021; 31: 8-11 6 Muller I et al.: SARS-CoV-2 related atypical thyroiditis. Lancet Diabetes Endocrinol 2020; 8: 739-41 7 van Gerwen M et al.: Outcomes of patients with hypothyroidism and COVID-19: a retrospective cohort study. Front Endocinol 2020; 11: 565 8 Brix H et al.: Risk and course of SARS-CoV-2 infection in patients treated for hypothyroidism and hyperthyroidism. Lancet Diabetes Endocrinol 2021; 9: 197-9