
Es lohnt sich, genau hinzusehen
Bericht: Dr. Norbert Hasenöhrl
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die chronische Urtikaria ist bei Kindern und Jugendlichen eine durchaus nicht seltene Erkrankung – 1–2% aller Kinder sind betroffen.1 Die gute Nachricht ist: Es gibt gute Behandlungsoptionen, wie Prof. Dr. Marcus Maurer von der Charité in Berlin bei einem Webinar erklärte
Die chronische Urtikaria (cU) ist definiert durch eine Dauer von mehr als sechs Wochen. Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern gibt es zwei Formen der cU, nämlich die spontane und die induzierte Form. Während die Beschwerden bei einer spontanen Urtikaria (csU) unabhängig von erkennbaren Auslösern auftreten, werden sie bei der induzierten Form durch Kontakt der Haut z.B. mit Kälte, Wärme oder Licht ausgelöst.2
Die typischen Symptome der Urtikaria sind einerseits Quaddeln, die sich durch oft extrem starken Juckreiz auszeichnen, andererseits Angioödeme.2
Differenzialdiagnosen
Es gibt eine Reihe von Differenzialdiagnosen der cU, sie sind in Abbildung 1 schematisch dargestellt.3 „Bei Patienten mit Quaddeln sind dies angeborene oder erworbene autoinflammatorische Syndrome (AIS) und die Urtikaria-Vaskulitis, bei Patienten mit Angioödemen zum Beispiel das hereditäre, also angeborene Angioödem und das ACE-Hemmer-induzierte Angioödem“, zählte Prof. Dr. Marcus Maurer, Forschungsdirektor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, bei einem Webinar auf.
„Vor allem bei wiederkehrendem unklarem Fieber, Gelenks- und Knochenschmerzen sowie reduziertem Allgemeinzustand muss man an AIS denken, besonders bei Kindern im 1. Lebensjahr. Solche Symptome kommen bei der chronischen Urtikaria nicht vor“, so Maurer. „Die Urtikaria-Vaskulitis ist selten. Daran denken muss man, wenn die einzelne Quaddel länger als einen Tag bestehen bleibt. In diesem Fall ist eine Biopsie zur diagnostischen Abklärung erforderlich“, fuhr Maurer fort.
„AIS und Urtikaria-Vaskulitis sind IL-1-vermittelt und werden daher beispielsweise mit Canakinumab, Anakinra oder Rilonacept behandelt. Auf der Seite der Angioödeme ist ein ACE-Hemmer als Ursache bei pädiatrischen Patienten wohl kaum zu finden. Es könnte sich aber, vor allem wenn auch abdominelle Attacken auftreten, um ein hereditäres Angioödem (HAE) handeln. Es lohnt sich unbedingt, da genau hinzuschauen“, betonte Maurer, „denn das HAE ist eine gefährliche Erkrankung, die zwar gut behandelbar ist, aber eine andere Therapie erfordert als die chronische Urtikaria. Da die genannten Angioödeme über Bradykinin vermittelt werden, benötigen sie eine Therapie mit Icatibant, C1-Inhibitor oder Kallikreininhibitoren.“
Epidemiologie und Verlauf
Die chronische spontane Urtikaria (csU) kann in jedem Lebensalter auftreten.2 „Es gibt jedoch Unterschiede der csU bei pädiatrischen Patienten im Vergleich zu Erwachsenen. Erstens ist die Erkrankung bei pädiatrischen Patienten häufiger, zweitens treten Angioödeme seltener auf und drittens sprechen die Patienten besser auf die Therapie an“, erläuterte Maurer.

Abb. 1: Chronische Urtikaria und Differenzialdiagnosen (nach Maurer M et al.)3
Die Prävalenz der cU liegt in Europa, über alle Altersgruppen gemittelt, bei ca. 0,5–1%.1 Im Erwachsenenalter sind Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer, das Geschlechterverhältnis liegt bei 3:1 bis 4:1. Im Kindesalter gibt es die Geschlechtsprädilektion nicht.1 Und die Inzidenz der cU ist weltweit im Anstieg begriffen.4 „Bei pädiatrischen Patienten haben ungefähr 40% ein Angioödem – bei den Erwachsenen sind es bis zu 70%“, berichtete der Dermatologe.5,6
Die Krankheitsdauer der cU bei pädiatrischen Patienten kann viele Jahre betragen. Nach drei bis fünf Jahren ist ca. die Hälfte der Fälle von cU abgeheilt.5,6
Beeinträchtigte Lebensqualität
Die chronische spontane Urtikaria beeinträchtigt die Lebensqualität in jedem Lebensalter stark.2,7 Daten, die bei Erwachsenen mittels des Dermatology Life Quality Index (DLQI) erhoben wurden, zeigten, dass Juckreiz und chronische Urtikaria jene Hautkrankheiten sind, welche die Lebensqualität mit am stärksten einschränken.7 Und es gibt auch Daten für Kinder, die zeigten, dass Urtikaria eine schlimmere Beeinträchtigung der Lebensqualität darstellt als Enuresis, Epilepsie oder Psoriasis; Asthma bronchiale und Urtikaria liegen in dieser Untersuchung etwa gleichauf.8
Diagnostik
Laut der aktuell gültigen internationalen Leitlinie sollte man bei Verdacht auf csU Differenzialdiagnosen und schwere Entzündungen ausschließen sowie feststellen, wie aktiv und wie schlimm die Erkrankung ist und ob sie kontrolliert ist.2
Ursachen und Pathophysiologie
Die Ursachen der csU liegen in zwei Formen von Autoimmunitätsreaktionen, der Autoimmunität vom Typ I und IIb. Die Unterscheidung dieser beiden Autoimmunitätsformen ist insofern von Interesse, als sie gewisse Konsequenzen für das Ansprechen auf eine Therapie hat. So weist der Typ I (autoallergische csU) normale oder hohe IgE-Spiegel auf und spricht daher gut und schnell auf Omalizumab an, während der Typ IIb (autoimmune csU) niedrige IgE-Spiegel zeigt und weniger gut auf Omalizumab und auch Antihistaminika anspricht.9
Pathophysiologisch ist auf Faktoren zu achten, welche die Degranulation von Mastzellen modulieren. Dazu gehören Stress, bestimmte Nahrungsmittel, Medikamente und Infektionen, vor allem bakterielle und virale. Acetylsalicylsäure und andere NSAR sollten gemieden werden.3

Abb. 2: Therapie der chronischen Urtikaria (nach Zuberbier T et al.)2
Therapie der chronischen spontanen Urtikaria
„Das Therapieziel besteht darin, Patienten vor den Symptomen ihrer Erkrankung, Quaddeln und Angioödemen, zu schützen. Wichtig dabei ist: Es gibt in der Langzeitbehandlung von Patienten mit bei csU keine Therapie bei Bedarf, sondern stets nur eine regelmäßige Prophylaxe!“, betonte Maurer.„Eine strikt kausale Therapie ist bei diesen Formen der Autoimmunität derzeit noch nicht möglich. Was bleibt, ist eine auf die Mastzellen und ihre Mediatoren wirkende Therapie“, stellte der Dermatologe fest.
Dabei sollte die Erkrankung so lange behandelt werden, bis sie von alleine abheilt, und es sollte so gut behandelt werden, dass Patienten keine Beschwerden haben.2 Abbildung 2 zeigt den entsprechenden Therapiealgorithmus aus der internationalen Leitlinie. Man beginnt mit einer Standarddosis eines nicht sedierenden Antihistaminikums der zweiten Generation (1 Tablette am Tag). Wenn nach zwei bis vier Wochen weiterhin Symptome auftreten, sollte die Antihistaminikadosis erhöht werden (bis zum Vierfachen möglich).2
Ist auch das nicht ausreichend, so folgt als Stufe 3 die zusätzliche Verabreichung von Omalizumab. Bei unzureichendem Ansprechen sollte der Patient in ein Spezialzentrum, zum Beispiel ein Urticaria Center of Reference and Excellence (UCARE), überwiesen werden. Die weiteren Therapieschritte, wie z.B. der Einsatz von Cyclosporin, sollten dort erfolgen.2
Für Kinder sind folgende H1-Antihistaminika der zweiten Generation zugelassen: Desloratadin ab 12 Monaten, Cetirizin, Loratadin, Levocetirizin und Rupatadin ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr.2
Omalizumab ist in der Indikation csU ab zwölf Jahren zugelassen (bei Asthma bronchiale ab sechs Jahren).2 „Wichtig ist, dass orale Kortikosteroide gelegentlich bei akuter Urtikaria zum Einsatz kommen können; bei chronischer spontaner Urtikaria haben sie aber, vor allem als Erstlinientherapie, nichts verloren“, mahnte Maurer. „Auch sedierende Antihistaminika der ersten Generation sollten vor allem bei pädiatrischen Patienten vermieden werden“, fuhr der Dermatologe fort.
Insgesamt funktioniert eine Therapie mit Antihistaminika der zweiten Generation bei pädiatrischen Patienten mit csU besser als im Erwachsenenalter; dennoch ist auch bei adäquater Dosiserhöhung ein Therapieerfolg bei weniger als 50% der Patienten zu erwarten.10 „Die Therapie mit Omalizumab funktioniert in der Regel sehr gut und kann auch über Jahre gegeben werden“, betonte Maurer abschließend.
Quelle:
„Jucken, Quaddeln, Schwellungen – Urtikaria bei Kindern und Jugendlichen richtig behandeln“, Online-Symposium mit Prof. Dr. Marcus Maurer, Forschungsdirektor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie; Charité Universitätsmedizin Berlin; gehalten am 26. Jänner 2021 auf www.vielgesundheit.at
Literatur:
1 Fricke J et al.: Allergy 2020; 75(2): 423-32
2 Zuberbier T et al.: Allergy 2018; 73(7): 1393-414
3 Maurer M et al.: J Dtsch Dermatol Ges 2018; 16(5): 585-9
4 Kim BR et al.: J Dermatol 2018; 45(1): 10-16
5 Chansakulporn S et al.: J Am Acad Dermatol 2014; 71(4): 663-8
6 Sahiner UM et al.: Int Arch Allergy Immunol 2011; 156(2): 224-30
7 Lewis V und Finlay AY: J Investig Dermatol Symp Proc 2004; 9(2): 169-80
8 Beattie PE und Lewis-Jones MS: Br J Dermatol 2006; 155(6): 1249-55
9 Kolkhir P et al.: J Allergy Clin Immunol 2017;139(6):1772-1781.e1771
10 Maurer M et al.: Allergy 2011; 66(3): 317-30