
Medikamente absetzen – aber richtig!
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Besonders problematisch sei die Polypharmazie bei multimorbiden, geriatrischen Patienten, erklärt Dr. Stephanie Poggenburg, Allgemeinärztin in Hart bei Graz. „Wir wissen, dass bei mehr als fünf Medikamenten pro Patient die Interaktionen und die einzelnen Nebenwirkungen nicht mehr absehbar sind“, sagt sie. Vor allem, wenn Patienten von verschiedenen Fachärzten Medikamente verordnet bekommen, kann es zu sogenannten Verschreibungskaskaden kommen. Das bedeutet, dass Nebenwirkungen aufgrund der Interaktionen verschiedener Substanzen auftreten, die dann mit weiteren Medikamenten behandelt werden. „Das Absurde ist, dass es trotz der medikamentösen Überversorgung in vielen Fällen zur Untertherapie kommt, weil die notwendigen Mittel vergessen werden könnten“, so Poggenburg. Deshalb sollte sich jeder Arzt, der multimorbide Patienten behandelt, beim Auftreten von Nebenwirkungen fragen, ob diese nicht eventuell die Folge der Polypharmazie sein könnten, und prüfen, welche Medikamente verzichtbar sind, betont die Ärztin.
Der Hausarzt als Koordinator
Eine der Ursachen, warum oft zusätzliche Medikamente verordnet werden, ohne dass die bisherige Medikation angepasst wird, ist systemischer Natur: „Multimorbide Patienten sind bei mehreren Fachärzten in Behandlung und jeder behandelt nur das Krankheitsbild seines Fachbereichs. Dabei wird aber nie der Überblick gewahrt“, sagt Poggenburg. Hier kommt der Hausarzt ins Spiel, denn er kennt seine Patienten und ihre Krankengeschichten am besten. Die Koordination der verschiedenen Therapien und der Überblick über die verordneten Medikamente (idealerweise in Zusammenarbeit mit einem unabhängigen Pharmazeuten) seien daher ureigenste Aufgaben des Hausarztes, betont die Allgemeinärztin. Doch das stellt die Ärzte vor extreme Herausforderungen. Einerseits seien valide Studiendaten zur Polypharmazie rar, weshalb es auch lediglich Empfehlungen gibt, wie man generell damit umgehen sollte.2 „Zum Beispiel gibt eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin dem Hausarzt Instrumente an die Hand, um bei polypharmazierten Patienten Medikamente zu sortieren“, so Poggenburg. Zudem gebe es Tools im Internet, die unterstützend eingesetzt werden können. Wichtig ist, strukturiert vorzugehen (Abb. 1).3

Andererseits ist der Aufwand für die Beratung und Betreuung polypharmazierter Patienten ein Problem: „Man muss sich viel Hintergrundwissen aneignen und jeden Fall differenziert betrachten. Bei der abnehmenden Zahl an Kassenarztstellen ist das kaum noch zu leisten“, warnt die Ärztin.
Um die Situation zu verbessern und den Hausärzten wieder die Möglichkeit zu geben, sich auch um beratungsintensive Fälle zu kümmern, wünscht sich Poggenburg vor allem die Anerkennung der Leistung vonseiten der Kasse und der Politik – und mehr Zeit für die Patienten. Dies sei nur möglich, wenn der einzelne Arzt weniger Patienten betreut, aber unterm Strich nicht weniger verdient, betont sie. „Wie müssen weg von der Frequenzmedizin, die wir gar nicht machen wollen“, sagt sie.
Das „De-Prescribing“ in der Praxis
So geht sie beispielsweise bei Bewohnern von Altenheimen gemeinsam mit dem Pflegepersonal jeden Patienten einzeln durch. Beurteilt wird, wie es ihm geht und welche Beschwerden aktuell im Vordergrund stehen. Gemeinsam wird dann entschieden, welche Medikamente notwendig sind und welche sofort oder allmählich wegfallen können. Dann evaluiert sie regelmäßig, ob die Entscheidung noch gerechtfertigt ist. „In der Praxis kommen inzwischen auch viele ältere Patienten und fragen von sich aus, welche Medikamente sie weglassen können“, sagt die Hausärztin. Die Fragen, die man dazu stellen sollte, sind: Was quält sie am meisten? Welches Therapieziel wird angestrebt? Steht eher die Lebensqualität als die -quantität im Vordergrund? Die meisten Patienten wollen vor allem gut leben. Das gebe Hinweise darauf, welche Medikamente verzichtbar sind, weil sie die Lebensqualität einschränken, weiß Poggenburg. So sei beispielsweise ein Cholesterinsenker bei einem jungen Patienten, der noch viele Lebensjahre vor sich hat, sinnvoll und notwendig, bei einem geriatrischen Patienten übersteige aber oft das Risiko den Nutzen. Bei jeder weiteren Konsultation sollte man nachfragen, ob die Medikation noch passt, und entsprechend reagieren.
Tabelle 1 bietet eine Checkliste mit den wichtigsten Fragen, die man sich im Zusammenhang mit dem Absetzen von Medikamenten stellen sollte. Anhand der Antworten kann man eine Priorisierungstabelle erstellen. Ein Beispiel zeigt Abbildung 2. „Das ist nur beim Hausarzt möglich“, erklärt Poggenburg. Dafür sei jedoch eine fundierte Ausbildung notwendig. „Und deshalb brauchen wir auch in Österreich den Facharzt für Allgemeinmedizin!“, fordert sie.


Bericht:
Dr. Corina Ringsell
Literatur:
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http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/255263/1/WHO-HIS-SDS-2017.6-eng.pdf?ua=1&ua=1
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DEGAM: Hausärztliche Leitlinie: Multimedikation ( www.degam.de )
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Schuler J: Der Umgang mit Polypharmazie und die Rolle der Hausärzte. Z Allg Med 2018; 94: 156-60
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Hanlon JT et al.: A method for assessing drug therapy appropriateness. J Clin Epidemiol 1992; 45: 1045-51