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Obstipation und Diarrhö bei Kindern und Jugendlichen

Klinisches Alarmsymptom oder funktionelle Störung?

<p class="article-intro">Gastrointestinale Alarmsymptome sind variabel und bedürfen rascher Diagnostik. Leitsymptome wie Diarrhö und Obstipation können nicht nur auf organische Ursachen, sondern auch auf eine funktionelle gastrointestinale Störung hinweisen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Schmerzen, die persistieren, durch die man aufwacht oder aufgrund derer man Lieblingsaktivit&auml;ten unterbricht, sind ebenso ernst zu nehmen wie eine positive Familienanamnese (Tab. 1). Leitsymptome wie Diarrh&ouml; und Obstipation k&ouml;nnen aber auch auf eine dringend abzugrenzende funktionelle gastrointestinale St&ouml;rung (&bdquo;functional gastrointestinal disorder&ldquo;, FGID) hinweisen.<br /> FGID sind variable Kombinationen chronischer, rezidivierender gastrointestinaler Symptome und weder durch strukturelle noch biochemische Abnormit&auml;ten erkl&auml;rbar. Man kann sie mittels standardisierter Kriterien (der Rom-Kriterien f&uuml;r Kinder 2 Monate) und das Fehlen von Alarmzeichen wesentlich sind. Nach angemessener medizinischer Evaluation erm&ouml;glichen die Rom-Kriterien eine symptomorientierte Diagnose dann, wenn die Symptome nicht einer klar definierten organischen Erkrankung zuzuordnen sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="812" /></p> <h2>Diarrh&ouml; als Alarmsymptom und deren Ursachen</h2> <p>Bei der Diarrh&ouml; ist die Stuhlmenge erh&ouml;ht (&gt;10g Stuhl/KG/Tag) und die Stuhlkonsistenz herabgesetzt. Besteht die Diarrh&ouml; l&auml;nger als zwei Wochen, ist sie definitionsgem&auml;&szlig; chronisch. Einer angeborenen chronischen Diarrh&ouml; liegen meist ernste Erkrankungen zugrunde, die komplexer station&auml;rer Diagnostik bed&uuml;rfen. Prinzipiell aber kann die chronische Diarrh&ouml; mit konsekutiver Mangelern&auml;hrung Leitsymptom von Erkrankungen vor allem des D&uuml;nndarms, aber auch des Dickdarms, des Pankreas, der Leber und endokriner Organe sein.<br /> Diagnostisch ist initial die Stuhlanalyse wesentlich (makroskopischer Aspekt, Quantifizierung der Stuhlmenge nach 24 Stunden Fasten, pH- und Elektrolytbestimmung etc. zur Einteilung in osmotische, sekretorische oder gemischt osmotisch- sekretorische Diarrh&ouml;; Tab. 2). Erh&ouml;hte Calprotectinspiegel im Stuhl weisen auf eine intestinale Inflammation hin.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="634" /><br /><br /> <strong>Chronische D&uuml;nndarm-Diarrh&ouml;</strong><br /> Ihr liegt eine anatomische Malformation, eine Abnormit&auml;t der Mukosa oder &ndash; selten &ndash; eine angeborene Resorptionsst&ouml;rung zugrunde. Anatomische Malformationen werden mittels Bildgebung erfasst und angeborene Resorptionsst&ouml;rungen durch spezifische Labortests. H&auml;ufigste Ursache dieser Durchfallerkrankung ist aber die Schleimhautabnormit&auml;t, die Enteropathie &ndash; wichtigstes Diagnostikum ist hierbei die histologische Aufarbeitung endoskopisch entnommener Biopsien. Beispiele einer Enteropathie sind unter anderem Z&ouml;liakie, gastrointestinale Kuhmilchallergie oder Postenteritissyndrome.<br /><br /> <strong>Fruktosemalabsorption</strong><br /> Hier sei zudem auf die Fruktosemalabsorption hingewiesen &ndash; bisher ungekl&auml;rt, aber h&auml;ufigste Ursache chronischer Diarrh&ouml; bei Kleinkindern (&bdquo;Apfelsaft&ldquo;-Diarrh&ouml;). Dabei f&uuml;hrt ein relatives &Uuml;berangebot Fruktose- (bzw. Sorbit)-haltiger Nahrungsmittel oder Getr&auml;nke zu Diarrh&ouml;, Meteorismus und krampfartigen Bauchschmerzen. Bei exorbitantem Apfelsaftkonsum k&ouml;nnen Gedeihst&ouml;rungen und Malnutrition ernste Folgen sein.<br /><br /> <strong>Blutige Diarrh&ouml;</strong><br /> Ebenfalls alarmierend ist die blutige Diarrh&ouml; &ndash; Akutsymptom unter anderem bei einer bakteriellen Infektion, chronisch- rezidivierend aber Hinweis auf eine chronisch-entz&uuml;ndliche Darmerkrankung (vor allem Colitis ulcerosa, CU). Bei CU ist die blutige Diarrh&ouml; so ausgepr&auml;gt, dass die Diagnose meist rasch erfolgt. Weitere CUtypische Symptome sind imperativer Stuhldrang, krampfartige Bauchschmerzen mit Besserung nach Def&auml;kation und n&auml;chtliche Diarrh&ouml;. Die h&auml;ufige Blutungsan&auml;mie mit beeintr&auml;chtigtem Allgemeinzustand ist oft ausschlaggebend f&uuml;r die rasche Klinikeinweisung.</p> <h2>Obstipation &ndash; funktionell versus organisch bedingt</h2> <p>Zur Abgrenzung funktioneller von organisch bedingter Obstipation bedarf es zun&auml;chst einer ad&auml;quaten Beschreibung. Prinzipiell liegt ein Abweichen vom normalen Stuhlmuster vor (seltenere Stuhlfrequenz, erh&ouml;hte Stuhlkonsistenz, schmerzhafte Def&auml;kation). Dabei variiert die t&auml;gliche Stuhlfrequenz &ndash; vor allem beim voll gestillten S&auml;ugling &ndash; auch physiologischerweise betr&auml;chtlich. Entscheidend ist stets, dass der Allgemeinzustand des Kindes gut und das Gedeihen unbeeintr&auml;chtigt ist.<br /> Definiert wird die Obstipation als &bdquo;erschwerte bzw. verz&ouml;gerte Def&auml;kation seit &uuml;ber zwei Wochen&ldquo;. Die wichtigsten organischen Ursachen bei Neugeborenen und S&auml;uglingen ist der Mb. Hirschsprung, gefolgt von kongenitalen anorektalen Malformationen und neurologischen Erkrankungen (Tab. 3). Bei Kleinkindern &gt;1 Jahr liegt bei rund 90 % der F&auml;lle eine funktionelle Obstipation vor, aber auch in dieser Altersstufe steht der Mb. Hirschsprung an 1. Stelle der organischen Ursachen, gefolgt von Z&ouml;liakie und zystischer Fibrose.<br /><br /> Alarmzeichen f&uuml;r eine <strong>organisch bedingte Obstipation</strong>:</p> <ul> <li>Mekoniumabgang &gt;48 Stunden post partum (reifes Neugeborenes)</li> <li>Kleinkalibriger Stuhl, enger Sphinkter, leeres Rektum</li> <li>Abnorme Position des Anus (kongenitale anorektale Malformation)</li> <li>Reduzierter Tonus und reduzierte Muskeleigenreflexe der unteren Extremit&auml;ten</li> <li>Fehlender Cremaster- (bei Buben) und/oder Analreflex (R&uuml;ckenmarksanomalie)</li> <li>Pilonidalsinus</li> <li>Gedeihst&ouml;rung mit geh&auml;uften respiratorischen Infektionen (zystische Fibrose?)</li> </ul> <p><br /> Damit eine <strong>funktionelle Obstipation</strong> laut Rom-Kriterien diagnostiziert werden kann, m&uuml;ssen 2 der folgenden Symptome mind. 1x pro Woche seit mindestens 1 Monat auftreten:</p> <ul> <li>=2 Stuhlg&auml;nge pro Woche (auf der Toilette; ab =4 Jahren)</li> <li>Mindestens 1x Stuhlinkontinenz pro Woche</li> <li>Anamnestisch Zur&uuml;ckhalten bei Stuhldrang</li> <li>Anamnestisch schmerzhafte Def&auml;kation</li> <li>Stuhlmassen im Rektum</li> <li>Anamnestisch die Toilette okkludierender Stuhl</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="851" /></p> <h2>Diarrh&ouml; und Obstipation als Ausdruck einer funktionellen gastrointestinalen St&ouml;rung</h2> <p>Die hohe Pr&auml;valenz der FGID ist bekannt (rund 50 % der Zuweisungen an Gastroenterologen), wobei krampfartige Bauchschmerzen, teils mit Diarrh&ouml;, Obstipation oder beidem, besonders h&auml;ufig sind (Reizdarmsyndrom, RDS).<br /> Auch im Kindes- und Jugendalter ist das RDS eine der wesentlichsten FGID. In der dazu umfassendsten Analyse wurden 16 Querschnittsstudien mit &gt;38 000 p&auml;diatrischen RDS-Patienten zusammengefasst: Es ergab sich eine Pr&auml;valenz von 12 % (Streuung bis 26 % ) mit leichter M&auml;dchenwendigkeit (1,4:1,0). In einer englischen Studie aus einem Spezialzentrum erwies sich das RDS als h&auml;ufigste Ursache f&uuml;r Bauchschmerzen, wobei bei 75 % der umfassend untersuchten Kinder s&auml;mtliche Befunde inkl. Endoskopien unauff&auml;llig waren.<br /><br /> <strong>Leitsymptome des p&auml;diatrischen RDS</strong><br /> sind au&szlig;er Bauchschmerzen und variablem Stuhlmuster noch mindestens 2 der folgenden Symptome:</p> <ul> <li>H&auml;ufigere oder seltenere Def&auml;kation als bisher</li> <li>&Auml;nderung des Stuhlaspektes im Vergleich (w&auml;ssriger/klumpiger als bisher)</li> <li>Besserung nach dem Stuhlgang Fakultativ (nach der Mahlzeit) besteht w&auml;ssrige Diarrh&ouml;, m&uuml;hevolle Def&auml;kation oder Schleimabgang.</li> </ul> <p><br /> Die empfohlene Diagnostik sollte &bdquo;umschrieben und vern&uuml;nftig&ldquo; sein; sie basiert auf einem pr&auml;zisen, &uuml;ber 2 Wochen zu f&uuml;hrenden Symptomkalender.<br /> Erg&auml;nzend erfolgt noninvasive Diagnostik (Harnanalyse inkl. Kultur sowie Stuhlanalysen in Hinsicht auf Parasiten, okkultes Blut, Calprotectin), sodann die Bestimmung von Inflammationsmarkern aus dem Blut (Blutbild mit Differenzialverteilung, CRP, BSG). Je nach Symptomatik k&ouml;nnen zus&auml;tzlich serologische Z&ouml;liakiemarker und Schilddr&uuml;senfunktionsparameter untersucht werden.<br /> Als noninvasive radiologische Diagnostik ist initial die Sonografie von Oberbauchorganen und Harntrakt empfehlenswert, sodann evtl. funktionelle Tests (H<sub>2</sub>- Atemtests bzgl. Fruktose oder Laktose; Kohlenhydratmalabsorption).<br /> Die Ursachen eines RDS sind ungekl&auml;rt; es basiert wohl auf einer komplexen Interaktion heredit&auml;rer und Umgebungsfaktoren mit St&ouml;rung der sogenannten &bdquo;brain-gut axis&ldquo;. Die Therapie ist individuell: Zu Beginn der Diagnostik soll auf die M&ouml;glichkeit einer FGID als positive Diagnose (im Gegensatz zu: &bdquo;Man hat nichts gefunden&ldquo;) hingewiesen und diesbez&uuml;glich bereits beruhigt werden.<br /> Beim RDS mit pr&auml;dominanter Diarrh&ouml; kann man eine fruktosearme Ern&auml;hrung versuchen, eventuell &ndash; nach di&auml;tologischer Beratung &ndash; auch eine &bdquo;FODMAP&ldquo;-reduzierte. Steht die Obstipation im Vordergrund, ist eine individuell angepasste, unter Umst&auml;nden l&auml;ngere Medikation mit Polyethylenglykol (z.B. Movicol Junior<sup>&reg;</sup>) anzuraten.</p> <h2>Res&uuml;mee</h2> <p>Beim Leitsymptom Diarrh&ouml; geht es vorrangig um die Fragen, ob die Diarrh&ouml; chronisch oder blutig ist (oder n&auml;chtlich auftritt), was station&auml;r gekl&auml;rt werden muss. Bei der Obstipation ist wesentlich, ob sie funktionell sein k&ouml;nnte. Dies ist wahrscheinlich, wenn das Kind &gt;1 Jahr alt ist, sein Mekoniumabgang in den ersten 48 Lebensstunden erfolgt ist und die Stuhlanamnese beim Nahrungsaufbau unproblematisch war. Ist das der Fall, sind erste Diagnoseschritte die pr&auml;zise Anamnese und klinische Untersuchung mit probatorischer Gabe von Polyethylenglykol und engmaschiger Kontrolle.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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