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Klinisches Alarmsymptom oder funktionelle Störung?
DAM
Autor:
Univ.-Prof. Dr. med. Almuthe Hauer
GPGE-Weiterbildungszentrum für Pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung<br> Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz<br> E-Mail: almuthe.hauer@medunigraz.at
30
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25.05.2017
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<p class="article-intro">Gastrointestinale Alarmsymptome sind variabel und bedürfen rascher Diagnostik. Leitsymptome wie Diarrhö und Obstipation können nicht nur auf organische Ursachen, sondern auch auf eine funktionelle gastrointestinale Störung hinweisen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Schmerzen, die persistieren, durch die man aufwacht oder aufgrund derer man Lieblingsaktivitäten unterbricht, sind ebenso ernst zu nehmen wie eine positive Familienanamnese (Tab. 1). Leitsymptome wie Diarrhö und Obstipation können aber auch auf eine dringend abzugrenzende funktionelle gastrointestinale Störung („functional gastrointestinal disorder“, FGID) hinweisen.<br /> FGID sind variable Kombinationen chronischer, rezidivierender gastrointestinaler Symptome und weder durch strukturelle noch biochemische Abnormitäten erklärbar. Man kann sie mittels standardisierter Kriterien (der Rom-Kriterien für Kinder 2 Monate) und das Fehlen von Alarmzeichen wesentlich sind. Nach angemessener medizinischer Evaluation ermöglichen die Rom-Kriterien eine symptomorientierte Diagnose dann, wenn die Symptome nicht einer klar definierten organischen Erkrankung zuzuordnen sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="812" /></p> <h2>Diarrhö als Alarmsymptom und deren Ursachen</h2> <p>Bei der Diarrhö ist die Stuhlmenge erhöht (>10g Stuhl/KG/Tag) und die Stuhlkonsistenz herabgesetzt. Besteht die Diarrhö länger als zwei Wochen, ist sie definitionsgemäß chronisch. Einer angeborenen chronischen Diarrhö liegen meist ernste Erkrankungen zugrunde, die komplexer stationärer Diagnostik bedürfen. Prinzipiell aber kann die chronische Diarrhö mit konsekutiver Mangelernährung Leitsymptom von Erkrankungen vor allem des Dünndarms, aber auch des Dickdarms, des Pankreas, der Leber und endokriner Organe sein.<br /> Diagnostisch ist initial die Stuhlanalyse wesentlich (makroskopischer Aspekt, Quantifizierung der Stuhlmenge nach 24 Stunden Fasten, pH- und Elektrolytbestimmung etc. zur Einteilung in osmotische, sekretorische oder gemischt osmotisch- sekretorische Diarrhö; Tab. 2). Erhöhte Calprotectinspiegel im Stuhl weisen auf eine intestinale Inflammation hin.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="634" /><br /><br /> <strong>Chronische Dünndarm-Diarrhö</strong><br /> Ihr liegt eine anatomische Malformation, eine Abnormität der Mukosa oder – selten – eine angeborene Resorptionsstörung zugrunde. Anatomische Malformationen werden mittels Bildgebung erfasst und angeborene Resorptionsstörungen durch spezifische Labortests. Häufigste Ursache dieser Durchfallerkrankung ist aber die Schleimhautabnormität, die Enteropathie – wichtigstes Diagnostikum ist hierbei die histologische Aufarbeitung endoskopisch entnommener Biopsien. Beispiele einer Enteropathie sind unter anderem Zöliakie, gastrointestinale Kuhmilchallergie oder Postenteritissyndrome.<br /><br /> <strong>Fruktosemalabsorption</strong><br /> Hier sei zudem auf die Fruktosemalabsorption hingewiesen – bisher ungeklärt, aber häufigste Ursache chronischer Diarrhö bei Kleinkindern („Apfelsaft“-Diarrhö). Dabei führt ein relatives Überangebot Fruktose- (bzw. Sorbit)-haltiger Nahrungsmittel oder Getränke zu Diarrhö, Meteorismus und krampfartigen Bauchschmerzen. Bei exorbitantem Apfelsaftkonsum können Gedeihstörungen und Malnutrition ernste Folgen sein.<br /><br /> <strong>Blutige Diarrhö</strong><br /> Ebenfalls alarmierend ist die blutige Diarrhö – Akutsymptom unter anderem bei einer bakteriellen Infektion, chronisch- rezidivierend aber Hinweis auf eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (vor allem Colitis ulcerosa, CU). Bei CU ist die blutige Diarrhö so ausgeprägt, dass die Diagnose meist rasch erfolgt. Weitere CUtypische Symptome sind imperativer Stuhldrang, krampfartige Bauchschmerzen mit Besserung nach Defäkation und nächtliche Diarrhö. Die häufige Blutungsanämie mit beeinträchtigtem Allgemeinzustand ist oft ausschlaggebend für die rasche Klinikeinweisung.</p> <h2>Obstipation – funktionell versus organisch bedingt</h2> <p>Zur Abgrenzung funktioneller von organisch bedingter Obstipation bedarf es zunächst einer adäquaten Beschreibung. Prinzipiell liegt ein Abweichen vom normalen Stuhlmuster vor (seltenere Stuhlfrequenz, erhöhte Stuhlkonsistenz, schmerzhafte Defäkation). Dabei variiert die tägliche Stuhlfrequenz – vor allem beim voll gestillten Säugling – auch physiologischerweise beträchtlich. Entscheidend ist stets, dass der Allgemeinzustand des Kindes gut und das Gedeihen unbeeinträchtigt ist.<br /> Definiert wird die Obstipation als „erschwerte bzw. verzögerte Defäkation seit über zwei Wochen“. Die wichtigsten organischen Ursachen bei Neugeborenen und Säuglingen ist der Mb. Hirschsprung, gefolgt von kongenitalen anorektalen Malformationen und neurologischen Erkrankungen (Tab. 3). Bei Kleinkindern >1 Jahr liegt bei rund 90 % der Fälle eine funktionelle Obstipation vor, aber auch in dieser Altersstufe steht der Mb. Hirschsprung an 1. Stelle der organischen Ursachen, gefolgt von Zöliakie und zystischer Fibrose.<br /><br /> Alarmzeichen für eine <strong>organisch bedingte Obstipation</strong>:</p> <ul> <li>Mekoniumabgang >48 Stunden post partum (reifes Neugeborenes)</li> <li>Kleinkalibriger Stuhl, enger Sphinkter, leeres Rektum</li> <li>Abnorme Position des Anus (kongenitale anorektale Malformation)</li> <li>Reduzierter Tonus und reduzierte Muskeleigenreflexe der unteren Extremitäten</li> <li>Fehlender Cremaster- (bei Buben) und/oder Analreflex (Rückenmarksanomalie)</li> <li>Pilonidalsinus</li> <li>Gedeihstörung mit gehäuften respiratorischen Infektionen (zystische Fibrose?)</li> </ul> <p><br /> Damit eine <strong>funktionelle Obstipation</strong> laut Rom-Kriterien diagnostiziert werden kann, müssen 2 der folgenden Symptome mind. 1x pro Woche seit mindestens 1 Monat auftreten:</p> <ul> <li>=2 Stuhlgänge pro Woche (auf der Toilette; ab =4 Jahren)</li> <li>Mindestens 1x Stuhlinkontinenz pro Woche</li> <li>Anamnestisch Zurückhalten bei Stuhldrang</li> <li>Anamnestisch schmerzhafte Defäkation</li> <li>Stuhlmassen im Rektum</li> <li>Anamnestisch die Toilette okkludierender Stuhl</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s28_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="851" /></p> <h2>Diarrhö und Obstipation als Ausdruck einer funktionellen gastrointestinalen Störung</h2> <p>Die hohe Prävalenz der FGID ist bekannt (rund 50 % der Zuweisungen an Gastroenterologen), wobei krampfartige Bauchschmerzen, teils mit Diarrhö, Obstipation oder beidem, besonders häufig sind (Reizdarmsyndrom, RDS).<br /> Auch im Kindes- und Jugendalter ist das RDS eine der wesentlichsten FGID. In der dazu umfassendsten Analyse wurden 16 Querschnittsstudien mit >38 000 pädiatrischen RDS-Patienten zusammengefasst: Es ergab sich eine Prävalenz von 12 % (Streuung bis 26 % ) mit leichter Mädchenwendigkeit (1,4:1,0). In einer englischen Studie aus einem Spezialzentrum erwies sich das RDS als häufigste Ursache für Bauchschmerzen, wobei bei 75 % der umfassend untersuchten Kinder sämtliche Befunde inkl. Endoskopien unauffällig waren.<br /><br /> <strong>Leitsymptome des pädiatrischen RDS</strong><br /> sind außer Bauchschmerzen und variablem Stuhlmuster noch mindestens 2 der folgenden Symptome:</p> <ul> <li>Häufigere oder seltenere Defäkation als bisher</li> <li>Änderung des Stuhlaspektes im Vergleich (wässriger/klumpiger als bisher)</li> <li>Besserung nach dem Stuhlgang Fakultativ (nach der Mahlzeit) besteht wässrige Diarrhö, mühevolle Defäkation oder Schleimabgang.</li> </ul> <p><br /> Die empfohlene Diagnostik sollte „umschrieben und vernünftig“ sein; sie basiert auf einem präzisen, über 2 Wochen zu führenden Symptomkalender.<br /> Ergänzend erfolgt noninvasive Diagnostik (Harnanalyse inkl. Kultur sowie Stuhlanalysen in Hinsicht auf Parasiten, okkultes Blut, Calprotectin), sodann die Bestimmung von Inflammationsmarkern aus dem Blut (Blutbild mit Differenzialverteilung, CRP, BSG). Je nach Symptomatik können zusätzlich serologische Zöliakiemarker und Schilddrüsenfunktionsparameter untersucht werden.<br /> Als noninvasive radiologische Diagnostik ist initial die Sonografie von Oberbauchorganen und Harntrakt empfehlenswert, sodann evtl. funktionelle Tests (H<sub>2</sub>- Atemtests bzgl. Fruktose oder Laktose; Kohlenhydratmalabsorption).<br /> Die Ursachen eines RDS sind ungeklärt; es basiert wohl auf einer komplexen Interaktion hereditärer und Umgebungsfaktoren mit Störung der sogenannten „brain-gut axis“. Die Therapie ist individuell: Zu Beginn der Diagnostik soll auf die Möglichkeit einer FGID als positive Diagnose (im Gegensatz zu: „Man hat nichts gefunden“) hingewiesen und diesbezüglich bereits beruhigt werden.<br /> Beim RDS mit prädominanter Diarrhö kann man eine fruktosearme Ernährung versuchen, eventuell – nach diätologischer Beratung – auch eine „FODMAP“-reduzierte. Steht die Obstipation im Vordergrund, ist eine individuell angepasste, unter Umständen längere Medikation mit Polyethylenglykol (z.B. Movicol Junior<sup>®</sup>) anzuraten.</p> <h2>Resümee</h2> <p>Beim Leitsymptom Diarrhö geht es vorrangig um die Fragen, ob die Diarrhö chronisch oder blutig ist (oder nächtlich auftritt), was stationär geklärt werden muss. Bei der Obstipation ist wesentlich, ob sie funktionell sein könnte. Dies ist wahrscheinlich, wenn das Kind >1 Jahr alt ist, sein Mekoniumabgang in den ersten 48 Lebensstunden erfolgt ist und die Stuhlanamnese beim Nahrungsaufbau unproblematisch war. Ist das der Fall, sind erste Diagnoseschritte die präzise Anamnese und klinische Untersuchung mit probatorischer Gabe von Polyethylenglykol und engmaschiger Kontrolle.</p></p>
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<p>bei der Verfasserin</p>
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