
Ist Gicht heilbar?
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Um die Gicht ranken sich viele Vorurteile: Daran stirbt man nicht, lautet eines, das betrifft nur Personen, die zu viel Alkohol trinken, ein anderes. Prof. Dr. med. Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie am Universitätsspital Basel, sorgte an der «digital MedArt» für mehr Klarheit im Umgang mit der Erkrankung.
Keypoints
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Gicht ist eine ernst zu nehmende Krankheit mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko.
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Die Diagnose erfolgt durch Kristallnachweis.
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Die Anfallstherapie besteht aus NSAR oder ggf. Colchizin* oder Steroiden.
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Lebensstilveränderungen gehören zur Prophylaxe, haben aber nur eine beschränkte Wirkung.
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Mittel der Wahl für die Anfallsprophylaxe ist Allopurinol. 300mg/d sind nicht immer ausreichend.
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Bei ungenügender Wirkung von Allopurinol Wechsel auf Febuxostat oder Kombinationstherapie mit einem Urikosurikum!
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Febuxostat kann auch bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance ≥30ml/min) verabreicht werden.
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Der Harnsäurezielwert liegt bei <360µmol/l, bei Tophi bei <300µmol/l.
Wie sich schnell herausstellte, ist das Vorurteil, an Gicht sterbe man nicht, falsch. «Gicht kommt selten allein, sondern ist mit zahlreichen Komorbiditäten assoziiert», sagte der Spezialist. Am häufigsten handelt es sich dabei um kardiovaskuläre Risikofaktoren, wie arterielle Hypertonie, Übergewicht oder Diabetes.1 Aber auch manifeste Krankheitsbilder wie Myokardinfarkt, Schlaganfall oder chronische Nierenerkrankung treten mit steigenden Harnsäurespiegeln häufiger auf als bei Personen mit normalen Harnsäurewerten.2 Ähnlich verhält es sich mit dem Mortalitätsrisiko: Wie die Ergebnisse einer grossen prospektiven Studie bei Männern zeigte, war die Gesamtmortalität der Probanden mit Gicht verglichen mit der von Personen, die nicht an Gicht litten, signifikant erhöht. Der Treiber dafür war auch bei Männern ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung vorwiegend das erhöhte Risiko, an einer kardiovaskulären Erkrankung, namentlich einer koronaren Herzkrankheit, zu sterben.3
Ohne Medikamente geht es meistens nicht
Gicht tritt auf, wenn die Löslichkeitsgrenze für Natriumurat überschritten wird. In der Folge kommt es entweder in den Gelenken oder gelenksnah zur Ausfällung von Harnsäurekristallen.4 Der Nachweis von Harnsäurekristallen im Gelenkspunktat oder Tophusmaterial sichert die Diagnose.
Die Ursache ist multifaktoriell. Verantwortlich sind vor allem zwei Mechanismen: eine erhöhte Harnsäureproduktion oder eine verminderte Harnsäureausscheidung. Eine erhöhte Harnsäureproduktion kann die Folge einer purin- oder fruktosereichen Ernährung sein. «Auch ein übermässiger Konsum alkoholischer Getränke, darunter vor allem Bier und Schnaps, erhöht die Harnsäurewerte», bestätigte der Spezialist das gängige Vorurteil. Eine reduzierte Harnsäureexkretion tritt bei chronischer Nierenerkrankung, metabolischen oder endokrinen Erkrankungen, aber auch im Zusammenhang mit Medikamenten, wie beispielsweise Diuretika, auf.
Umgekehrt lässt sich durch Lifestylemassnahmen, wie eine Ernährungsumstellung und die Reduktion von alkoholhaltigen Getränken oder Softdrinks, körperliche Bewegung und Gewichtsabnahme, eine Reduktion der Harnsäurewerte um 10–20% erzielen. Um den Harnsäurespiegel unter die Löslichkeitsgrenze für Natriumurat von <360µmol/l zu senken, ist in den meisten Fällen eine medikamentöse Therapie erforderlich. Bei Vorliegen von Gichttophi ist der Zielwert mit <300µmol/l noch niedriger. «Gicht ist heilbar», sagte Kyburz. Durch eine korrekte Prophylaxe können den Patienten weitere Gichtschübe erspart werden.
Bei ungenügender Wirkung Kombinationstherapie einsetzen
Der Xanthinoxidase(XO)-Hemmer Allopurinol ist nach wie vor das Mittel der Wahl zur Behandlung der Gicht. Die Initialdosis beträgt 100mg/Tag, anschliessend sollte die Dosis alle 2 bis 4 Wochen um 100mg/Tag erhöht werden. Bei Patienten mit normaler Nierenfunktion und Harnsäurewerten >360µmol/l kann bis auf die tägliche Maximaldosis von 900mg gesteigert werden. «Die meisten Patienten erhalten eine Zieldosis von 300mg Allopurinol pro Tag», sagte Kyburz. Eine Studie zeigte allerdings, dass mit dieser Dosis lediglich bei 28% der untersuchten Patienten die angestrebten Harnsäurewerte von <300µmol/l erzielt wurden. Erhielten die Patienten eine Dosis von 600mg/Tag, erreichten 78% das Therapieziel. Tritt unter der Therapie mit Allopurinol ein Gichtanfall auf, soll der Anfall behandelt (Abb. 1) und Allopurinol weitergeführt werden. Bei ungenügender Wirkung kann der XO-Hemmer mit einem Urikosurikum kombiniert werden. Dazu eignet sich entweder der URAT1-Inhibitor Lesinurad (Zurampic®) in einer Dosierung von 200mg/Tag oder alternativ Probenecid (Santuril®). Die Behandlung wird mit 2x250mg/Tag begonnen und nach einer Woche auf 2x500mg Probenecid erhöht.
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Abb. 1: Therapie des akuten Gichtanfalls (nach: Prof. Dr. med. D. Kyburz)
Gichtpatienten mit einer eingeschränkten Nierenfunktion sollten auf die Behandlung mit dem selektiven, nicht purinbasierten XO-Hemmer Febuxostat (Adenuric®) umgestellt werden. Ein Vorteil dieser Behandlung ist, dass die Dosis auch bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance ≥30ml/min) nicht angepasst werden muss. Initial erhalten die Patienten eine halbe Tablette Febuxostat (40mg/Tag). Bei anhaltend hohen Harnsäurespiegeln (>360µmol/l) sollte die Dosis nach 2 bis 4 Wochen auf 1 Tablette (80mg/Tag) verdoppelt werden.
Publikumsfragen an Prof. Dr. med. Diego Kyburz
Reduziert eine adäquate Gichttherapie das Mortalitätsrisiko der Patienten?
D. Kyburz: Es gibt zwar keine grossen randomisierten kontrollierten Studien, die diese Frage untersucht haben. Epidemiologische Untersuchungen bei Patienten mit Herzinsuffizienz sowie Surrogat-Parameter wie eine bessere Blutdruckkontrolle oder erhöhte Leistungstoleranz bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit deuten aber darauf hin, dass Patienten, deren Gicht mit XO-Hemmern behandelt wird, ein niedrigeres Mortalitätsrisiko haben.
Sollte die Behandlung mit Allopurinol erst auf eine Maximaldosis von 900mg/Tag erhöht werden, bevor die Kombination mit einem Urikosurikum erfolgt?
D. Kyburz: Immer vorausgesetzt, dass es sich um Patienten mit einer normalen Nierenfunktion handelt, empfehlen wir die Dosierung von Allopurinol auf >300mg/Tag zu erhöhen, bevor zusätzlich ein Urikosurikum eingesetzt wird. Für Patienten mit Gicht und eingeschränkter Nierenfunktion existiert ein spezielles Dosierungsschema.
Sollte eine asymptomatische Hyperurikämie behandelt werden und wenn ja, ab welchem Harnsäurespiegel?
D. Kyburz: Aktuell wird bei Patienten mit erhöhten Harnsäurewerten, die noch keinen Gichtanfall hatten, keine prophylaktische Behandlung empfohlen. Während man früher mit der Gicht-
therapie erst nach 3 bis 4 Anfällen begonnen hat, sollte man heute jedoch schon nach dem ersten Gichtanfall mit dem Patienten über eine Behandlung diskutieren.
Welche Rolle spielt Colchizin* heute noch bei der Gichttherapie?
D. Kyburz: Das Mittel der 1. Wahl bei einem Gichtanfall ist die Behandlung mit NSAR.
Colchizin ist ein sehr gutes Medikament zur Behandlung des akuten Gichtanfalls und kann bei Kontraindikationen gegen NSAR als Alternative zu Glukokortikosteroiden eingesetzt werden. Es ist auch für die oft Monate dauernde Prophylaxe nach einem Anfall gut geeignet und hat gerade bei Patienten mit nur leichter Niereninsuffizienz Vorteile gegenüber Glukokortikosteroiden.
* Colchizin ist in der Schweiz nicht mehr auf dem Markt.
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Medizinjournalistin
Quelle:
digital MedArt Basel.20, 7. bis 8. Mai 2020
Literatur:
1 Zhu Y et al.: Comorbidities of gout and hyperuricemia in the US general population: NHANES 2007-2008. Am J Med 2012; 125: 679-87.e1 2 Bos MJ et al.: Uric acid is a risk factor for myocardial infarction and stroke: the Rotterdam study. Stroke 2006; 37: 1503-7 3 Choi HK et al.: Independent impact of gout on mortality and risk for coronary heart disease. Circulation 2007; 116: 894-900 4 Terkeltaub R: Update on gout: new therapeutic strategies and options. Nat Rev Rheumatol 2010; 6: 30-8