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Herzinsuffizienz – muss jeder behandelt werden?
DAM
Autor:
Prof. Dr. Hans-Peter Brunner-La Rocca
Maastricht University Medical Center<br> Director Division of Structural Heart Diseases<br> Department of Cardiology<br> E-Mail: hp.brunnerlarocca@mumc.nl
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
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<p class="article-intro">Diese Frage kann mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet werden. Dies hat verschiedene Gründe und betrifft Prognose, Beschwerden und Folgeerscheinungen der Herzinsuffizienz (HI). Die Prognose ist trotz aller zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden für HI-Patienten noch immer deutlich schlechter als diejenige der meisten Krebspatienten. Patienten, die wegen HI im Krankenhaus waren, haben ein mittleres Überleben von <5 Jahren. Unbehandelt ist die Prognose noch viel schlechter!</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die HI führt zu erheblichen bis hin zu invalidisierenden Beschwerden und zu einer Verschlechterung der Lebensqualität. Deshalb müssen auch Patienten, bei denen die Verbesserung der Prognose nicht unbedingt im Vordergrund steht (z.B. sehr betagte Patienten), in jedem Fall behandelt werden. Denn auch hier trägt die Behandlung zu einer wesentlichen Verbesserung bei.<br /> <br /> Schließlich beeinflusst die HI die Funktion der anderen Organe wesentlich. So kann zum Beispiel die Funktion von Nieren und Leber deutlich vermindert sein. Auch eine Verminderung der Kognition kann Ausdruck der HI sein. Auch hier gilt, dass die Behandlung der HI die Funktion der anderen Organe verbessern kann. Selbst eine Hypotonie verbessert sich oft, wenn die HI adäquat behandelt wird. Meist ist nämlich bei fortgeschrittener HI die Hypotonie Ausdruck der Herzschwäche und nicht der Behandlung derselben. Die Frage, die sich hinsichtlich der Behandlung der HI stellt, ist also nicht, ob jeder behandelt werden muss, sondern vielmehr, ob alle gleich behandelt werden müssen.</p> <h2>Diagnostik – bei Herzinsuffizienz wesentlich</h2> <p>Es gibt drei wichtige Gründe, warum die Diagnostik bei (beinahe) allen Patienten mit dem Verdacht auf HI zentraler Baustein jeder Behandlung ist.<br /> <br /> Erstens muss die Diagnose bestätigt werden. Die Behandlung der HI bedeutet Polypharmazie; also ist es für Patienten mindestens so wichtig zu wissen, dass sie keine HI haben, wie zu wissen, dass diese Diagnose gestellt ist. Ein ganz normales EKG und niedrige BNP-Werte (<35pg/ml) oder NT-proBNP-Werte (<125pg/ml) schließen eine HI beinahe aus.<sup>1</sup> Wenn die Vermutung weiter besteht, ist an sich eine Echokardiografie angezeigt. Die Diagnose selbst wird dann aufgrund von Beschwerden, klinischen Zeichen und einer strukturellen oder funktionellen Abweichung des Herzens in der Echokardiografie gestellt. Bei einzelnen Patienten (z.B. sehr betagten) und fehlenden klinischen Konsequenzen (z.B. wird die HI-Medikation wegen Hypertonie ohnehin schon gegeben) kann davon abgesehen werden. Aktuell wird dies allerdings viel zu oft getan.<br /> <br /> Zweitens geht es darum zu sehen, ob die linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) vermindert ist oder nicht. Dies hat erhebliche therapeutische Konsequenzen, weil die aktuell verfügbare Behandlung lediglich bei verminderter Auswurffraktion (LVEF <40–45 % ) wirkt, bei erhaltener LVEF (= HI mit erhaltener Pumpfunktion = HFpEF) aber nicht. Entsprechend beschränkt sich bei Letzterer die Behandlung auf die Therapie der Symptome (z.B. Diuretika) und die Behandlung der zugrunde liegenden Ursache (Abb. 1).<br /> <br /> Drittens ist es unabhängig von der LVEF wichtig, die zugrunde liegende Ursache zu kennen und zu behandeln. Die Echokardiografie gibt darüber wichtige Aufschlüsse (z.B. durchgemachter Herzinfarkt, relevante Klappenerkrankung wie Aortenstenose). Weitere (kardiologische) Abklärungen sind individuell unterschiedlich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite16.jpg" alt="" width="993" height="940" /></p> <h2>Behandlung – vieles gemäß Leitlinien, aber nicht alles</h2> <p>Die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) wurden Ende Mai 2016 publiziert.<sup>1</sup> Für den klinischen Alltag sind diese zu einem großen Teil unverändert gegenüber der Version 2012. Hinsichtlich Therapie ist eine neue Klasse von Medikamenten hinzugekommen, die sogenannten Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI). Das einzige derzeit verfügbare Mittel ist Entresto. Es ist eine Kombination des Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten Valsartan und von Sacubitril. Letzteres hemmt Neprilysin, das für den Abbau verschiedener Peptide, unter anderem natriuretischer Peptide, verantwortlich ist. Der Effekt von Entresto in einer Studie mit mehr als 6.000 Patienten gegenüber einem ACE-Hemmer war beeindruckend: Der positive Effekt von ACE-Hemmern wird verdoppelt und betraf nicht nur die Prognose, sondern auch die Lebensqualität.<sup>2</sup> Es wurden allerdings lediglich Patienten eingeschlossen, die ACE-Hemmer bereits tolerierten und deren LVEF bei ≤35 % lag.<br /> <br /> Überhaupt gelten alle Empfehlungen der Leitlinien hinsichtlich der Behandlung der HI (Abb. 1) lediglich bei Patienten mit eingeschränkter LVEF (≤40 % ). Hier ist die Behandlung bei allen Patienten im Wesentlichen gleich. Im klinischen Alltag gibt es natürlich zahlreiche Gründe, weshalb die Behandlung individuell angepasst wird oder werden muss (siehe unten). Es ist aber sehr wichtig, dass diese Gründe nicht als Entschuldigung missbraucht werden, um Patienten nicht leitlinientreu zu behandeln. Das heißt, dass sehr kritisch geschaut werden muss, ob die Gründe, um von den Leitlinien abzuweichen, auch tatsächlich stichhaltig sind. Anders sieht es bei Patienten aus, deren LVEF >40 % ist. Hier wissen wir – wie bereits erwähnt – (noch) nicht, welche Therapie zu einer Verbesserung der Prognose führt.<br /> <br /> Unverträglichkeiten sind die wichtigsten Gründe dafür, dass die Therapie bei LVEF <40–45 % nicht gemäß Leitlinien eingehalten werden kann (Tab. 1). Allerdings gilt es zu beachten, dass vermeintliche Nebenwirkungen von Medikamenten Symptome der HI sein können. Hypotonie ist ein wichtiges Beispiel. Asymptomatische Hypotonie oder Hypotonie mit nur leichten orthostatischen Beschwerden ist kein Grund, um die HI-Therapie nicht weiter auszubauen oder gar abzubauen bzw. zu stoppen. Individuelle, vorsichtige Anpassung der Behandlung ist hier gefragt. Husten ist ein weiteres, häufiges Beispiel (ACE-Hemmer oder HI?). Eine Verschlechterung der Nierenfunktion kann Ausdruck einer Unverträglichkeit einer Hemmung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems sein, ist aber oft Ausdruck der HI oder der zugrunde liegenden Atherosklerose. Vorsichtiges Auftitrieren der Medikation/Dosierung mit regelmäßigen Kontrollen von Kreatinin und Kalium sind hierbei wichtig. Ein Anstieg des Serum-Kreatinins von 30–50 % nach Start dieser Medikamente kann akzeptiert werden. Weiter muss kritisch auf die Dosierung der Diuretika geachtet werden. Diese sind für die Behandlung der Kongestion wichtig, im Langzeitverlauf werden sie aber oft in zu hoher Dosierung weiter verschrieben. Da Diuretika die Prognose nicht verbessern und die Nierenfunktion vermindern können, ist das Ziel, diese in der geringstmöglichen Dosierung zu verabreichen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite15.jpg" alt="" width="574" height="395" /></p> <h2>Herzinsuffizienz braucht regelmäßige Kontrolle</h2> <p>Die HI ist meistens eine progressive Erkrankung. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Zustand der Patienten immer stabil bleibt – selbst wenn die Therapie optimal ist. Entsprechend ist es wichtig, Patienten mit einer HI regelmäßig zu kontrollieren (mindestens alle 6 Monate, wenn stabil; bei Bedarf häufiger). Hierzu gehört auch eine Kontrolle der Nierenfunktion und der Elektrolyten (Lebertests und Hb 1x/Jahr; Rest abhängig vom individuellen Patienten).</p> <h2>Interdisziplinäre Zusammenarbeit</h2> <p>Diese ist bei Patienten mit HI sehr wichtig, weil das Krankheitsbild komplex ist und die Patienten oft auch an anderen zusätzlichen Erkrankungen leiden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert die Prognose und wird von den Leitlinien unbedingt empfohlen.<sup>1</sup> Hierfür gibt es auch in Österreich in verschiedenen Regionen bereits entsprechende Programme für HI-Patienten.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ponikowski P et al: Eur Heart J 2016 May 20 [Epub ahead of print]<br /><strong>2</strong> McMurray JJ et al: N Engl J Med 2014; 371(11): 993-1004</p>
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