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Universimed 2020
Embolieprophylaxe – worauf muss der Allgemeinmediziner achten?
DAM
Autor:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Andrea Podczeck-Schweighofer
5. Medizinische Abteilung mit Kardiologie Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien<br> E-Mail: andrea.podczeck-schweighofer@wienkav.at
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
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<p class="article-intro">Die orale Antikoagulation wird als elementare Therapie zur Verhinderung von Schlaganfällen bei Patienten mit Vorhofflimmern eingesetzt und ihr Nutzen steht außer Zweifel. Die Wahl der für den jeweiligen Patienten geeigneten Medikation stellt nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen massiven Einschränkungen eine verantwortungsvolle Aufgabe für den verordnenden Arzt dar.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Vorhofflimmern ist für bis zu ein Fünftel aller Schlaganfälle verantwortlich, und das Schlaganfallrisiko steigt mit der Zeit. Es scheint außerdem, dass Frauen mit Vorhofflimmern gegenüber der Kontrollgruppe ein höheres Risiko haben als Männer mit dieser Erkrankung (Abb. 1). Der Nutzen einer oralen Antikoagulation (OAK) bei Vorhofflimmern zur Verhinderung einer (zerebralen) Embolie ist in der Literatur ausreichend gesichert. Dies inkludiert sowohl die länger zurückliegenden Daten zur Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA; Marcoumar, Sintrom) als erst recht die Analyse an viel größeren Patientenkohorten, bei denen Vita­min-K-Antagonisten mit den neuen Substanzen, den sogenannten NOAK/DOAK (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban), verglichen wurden (Abb. 2). Aufgrund dieser Datenlage empfiehlt die Europäische kardiologische Gesellschaft auch, NOAK als Therapieform der ersten Wahl anzusehen, wenn ein Patient mit Vorhofflimmern einer OAK bedarf. Inzwischen ist auch durch sehr rezente Analysen gesichert, dass die Therapie mit ASS (Acetylsalicylsäure) keinerlei Nutzen zur Verhinderung von Schlaganfällen bringt und mit einem gleich hohen Risiko für Blutungen verbunden ist wie eine Behandlung mit OAK.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite12_1.jpg" alt="" width="576" height="519" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite12_2.jpg" alt="" width="577" height="520" /></p> <h2>Was soll der Allgemeinmediziner diesbezüglich wissen?</h2> <p>Ganz wichtig ist die Identifikation dieser Patienten, d.h. zunächst die Dokumentation von Vorhofflimmern mittels EKG. Dies kann besonders bei paroxysmalem Vorhofflimmern, das mit wenigen Symptomen assoziiert ist, durchaus problematisch sein (es dauert oft lange, bis eine EKG-Dokumentation gelingt!). Wichtig ist auch zu wissen, dass es für die Stellung einer Indikation zur OAK-Therapie egal ist, ob bei dem Patienten Vorhofflimmern sporadisch (paroxysmal) auftritt oder ob sich bereits permanentes Vorhofflimmern manifestiert hat.<br /> Im Folgenden gilt es, für jeden Patienten mittels des gut etablierten CHADS2- bzw. CHADS-Vasc-Scores das jeweils individuelle Risiko für einen Schlaganfall zu bestimmen (Abb. 3) und den Patienten von der Sinnhaftigkeit einer OAK-Therapie zu überzeugen.<br /> Natürlich ist dem Embolierisiko prinzipiell das individuelle Blutungsrisiko gegenüberzustellen, anhand von anamnestischen Angaben über vorangegangene Blutungen, insbesondere zerebrale Blutungen. Von betreuenden Medizinern wird immer wieder eine diffuse Angst, einem Patienten durch OAK im Hinblick auf Blutungen zu schaden, zum Anlass genommen, einen Patienten nicht auf OAK einzustellen – das inkludiert auch die Neigung zu Stürzen, die natürlich bei älteren Patienten durchaus besteht. Allerdings gibt es auch dazu Untersuchungen. Patienten können durchaus häufiger stürzen und dennoch durch eine OAK weniger lebensbedrohlich gefährdet sein, als wenn man ihnen diese vorenthält. Dennoch mag es vereinzelt Patienten geben, bei denen man sich als Arzt aktiv gegen die Etablierung einer OAK entscheidet – sollte es bei diesen Patienten Hinweise auf ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko geben (z.B. schon durchgemachter Insult), dann wären auch alternative Therapiemöglichkeiten wie etwa die Implantation eines in den linken Vorhof platzierten Devices an einer kardiologischen Spezialklinik angezeigt.<br /> Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Nierenfunktion vor Initiierung einer OAK. Denn trotz Überlegenheit der neuen Substanzen (NOAK/DOAK) gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten gibt es klare Limitationen bzw. Kontraindikationen in Zusammenhang mit diesen Therapien. Dies betrifft zunächst Patienten mit Mitralstenose sowie Träger von mechanischen Herzklappenersätzen – diese Patienten müssen mit Vitamin-K-Antagonisten behandelt werden. Eine relevant eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR <30ml/min/m2) stellt ebenso eine klare Kontraindikation gegen DOAK dar. Niereninsuffiziente Patienten haben per se einerseits ein erhöhtes Embolierisiko, andererseits ein erhöhtes Blutungsrisiko, welches unter OAK noch zunimmt. Deshalb ist auch die Nierenfunktionskontrolle im Therapieverlauf wichtig: Die Initiierung einer DOAK-Therapie unter noch nicht wesentlich eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR >30 ml/min/m2) bedeutet nicht, dass sich gerade bei älteren Patienten, auch getriggert durch Infektion/Exsikkose, die Nierenfunktionswerte nicht dramatisch verschlechtern können.<br /> Bei Verschreibung von NOAK ist es ganz entscheidend, die „richtige“ Dosis zu verordnen. Es ist bekannt, dass Ärzte häufig dazu neigen, Patienten mit der Indikationsstellung NOAK bei Vorhofflimmern die niedrigste verschreibbare Dosis zu verordnen – die Effizienz ist aber nur für die adäquate Dosis dokumentiert und niedrigere Dosen (also z.B. Pradaxa 2x 110mg statt 2x 150mg) sind nur bei Einschränkung der Nierenfunktion oder in den seltenen Fällen einer sogenannten Tripletherapie (also in Kombination mit ASS und Clopidogrel) indiziert.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1606_Weblinks_Seite14.jpg" alt="" width="567" height="382" /></p> <h2>Antidot für NOAK-Therapie</h2> <p>Bei der Einführung der NOAK kam immer wieder der Ruf nach einem Antidot auf, nachdem man über viele Jahre in der Vorstellung gelebt hatte, dass im Notfall einer anstehenden dringlichen Operation oder einer schweren Blutungskomplikation mit der p.o. oder i.v. Gabe von Vitamin K ein wirksames „Antidot“ gegen die Vitamin-K-Antagonisten zur Verfügung stünde. Nach Etablierung der Therapie mit NOAK sind mittlerweile zahlreiche Untersuchungen erfolgt, welche die Häufigkeit solcher Situationen in der klinischen Praxis und den Verlauf bei den betroffenen Patienten analysiert haben. Einerseits handelt es sich tatsächlich um ein sehr seltenes Ereignis, Blutungskomplikationen sind mit den NOAK einfacher zu bewältigen. Inzwischen steht aber tatsächlich für Pradaxa ein „echtes“ Antidot zur Verfügung, das die Wirkung der Antikoagulation extrem schnell aufhebt – allerdings bisher wenig zum Einsatz gekommen ist.<br /> Schließlich erscheint mir ganz wichtig, bei den Patienten auch das nötige Bewusstsein für diese Therapieform zu schaffen – der Einsatz von OAK in welcher Form auch immer bedeutet eine Veränderung der Gerinnung, ein höheres Blutungsrisiko etc. Es empfiehlt sich unbedingt, den Patienten die von den jeweiligen Firmen zur Verfügung gestellten Gerinnungsausweise auszuhändigen.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es ist nochmals zu betonen, dass die OAK mit den lange erprobten Vitamin-K-Antagonisten (Marcoumar, Sintrom) mit all ihren Einschränkungen wie auch mit den neuen Substanzen, den NOAK/DOAK, eine elementare Therapie für Patienten mit Vorhofflimmern zur Verhinderung von – auch tödlichen, aber in jedem Fall oft massiv beeinträchtigenden – Schlaganfällen darstellt. Der sorgfältige Umgang damit obliegt dem verschreibenden Arzt.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>Literatur bei der Verfasserin</p>
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