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Die Libido der Frau

<p class="article-intro">Je nachdem, was Frauen ab dem Augenblick ihrer Geburt, oder eventuell schon vorher, an Erfahrungen im Umgang mit ihrer körperlichen und seelischen Integrität, ihren emotionalen und sozialen Bedürfnissen erleben durften, werden im ZNS Erinnerungen abgespeichert, die in ihnen Wohlgefühl oder Unbehagen bei sexuellen Begegnungen auslösen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Frauen tragen aber auch eine geschichtliche Last mit sich, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. In unserer christlichen Kultur galt &bdquo;der eheliche Akt&ldquo; als &bdquo;Verderben der Unversehrtheit, Abscheu, Entartung und Krankheit&ldquo;.<sup>1</sup> Der Zweck der Ehe waren Kinderzeugung und Vermeidung von Unzucht. Frauen hatten &bdquo;die eheliche Copula selbst unter Lebensgefahr zu leisten. Eher muss die Frau zugeben, dass sie get&ouml;tet wird, als dass ihr Mann s&uuml;ndigt&ldquo; (sich selbst befriedigt).<sup>1</sup> Noch im Jahr 1940 wurden unehrbare K&ouml;rperteile definiert, die man meiden sollte (Geschlechtsteile und Partien, die ihnen sehr nahe sind), genauso wie die weniger ehrbaren K&ouml;rperteile (Brust, R&uuml;cken, Arme, Schenkel).<sup>2</sup><br /> Klitoridektomie bei jungen M&auml;dchen, die sich sichtbar selbst befriedigten, galt bis Sigmund Freud noch als probate Heilmethode.<sup>1</sup> Noch 1975 erkl&auml;rte Papst Paul VI &bdquo;zu einigen Fragen der Sexualethik&ldquo;, dass &bdquo;Masturbierende der Liebe Gottes verlustig&ldquo; gehen.<sup>1</sup> Das und vieles mehr hat Konsequenzen. Weibliche Genitalien haben sehr oft keine Bezeichnung.<sup>3</sup> Noch immer gelten gesellschaftliche &bdquo;double standards&ldquo; f&uuml;r die pr&auml;genden Phasen der Sexualentwicklung beider Geschlechter. W&auml;hrend es f&uuml;r Buben eine heterosexuell permissive Kultur gibt, ist sie f&uuml;r M&auml;dchen eher restriktiv.<sup>4</sup> M&auml;dchen lernen dabei, ihren Fokus auf Bindungsaspekte und die emotionale Ebene zu legen, und Buben auf die genitale Ebene. Diese Fertigkeiten k&ouml;nnen f&uuml;r sie im Erwachsenenleben einerseits zu ihrer St&auml;rke, andererseits auch zu ihrer Schw&auml;che werden. Typische Themen ergeben sich dazu in sexualmedizinischen Beratungsgespr&auml;chen von Frauen, die ihren Partnern erkl&auml;ren, dass sie nur Sex haben k&ouml;nnen, wenn emotional und sozial zwischen ihnen alles &bdquo;passt&ldquo;, und von M&auml;nnern, die ihren Partnerinnen erkl&auml;ren, dass sie z&auml;rtlicher und emotional zugewandter w&auml;ren, wenn sie &ouml;fters Sex h&auml;tten.</p> <h2>Folgen der historischen Last</h2> <p>Noch orientieren sich die meisten Frauen an der &bdquo;m&auml;nnlichen&ldquo; Sexualit&auml;t, mit zum Teil verheerenden Folgen. Eine Befragung junger Studentinnen ergab, dass jede Dritte von ihnen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr hat. Jede Zweite davon schl&auml;ft trotzdem weiterhin mit ihrem Partner. Jede Dritte sagt ihm davon nichts und jede F&uuml;nfte spielt Freude vor. Warum? Sie wollen ihm den Sex nicht verderben, ihn nicht verletzen. Seine Freude geht vor.<sup>5</sup> Eine Studie aus dem Jahr 2016 beschreibt, dass Frauen mit sich selbst und ihrem K&ouml;rper weniger zufrieden sind und sie sich den M&auml;nnern unterlegen f&uuml;hlen.<sup>6</sup> Das wiederum f&uuml;hrt zu einem negativen Einfluss auf die sexuelle Begegnung und auf die sexuelle Zufriedenheit der Frauen.<sup>7</sup><br /> Laut einer Studie mit 31 581 befragten Frauen ist jede zehnte Frau lustlos und leidet darunter. Frauen zwischen 30 und 39 sind davon genauso h&auml;ufig betroffen wie Frauen zwischen 60 und 70.<sup>8</sup> Ist das alles nur eine Erfindung der Pharmaindustrie, wie kritische Sexualforscher anmerken?<sup>9</sup> Weisen die Kritiker zu Recht darauf hin, dass das Thema weibliche Sexualit&auml;t erst in der &Ouml;ffentlichkeit pr&auml;sent ist, seitdem die Industrie versucht, Pr&auml;parate gegen weibliche Sexualprobleme auf den Markt zu bringen? Ebenso, dass genitale Sch&ouml;nheitsoperationen so stark im Zunehmen sind, seitdem Intimit&auml;t mit neuen Sch&ouml;nheitsnormen als Markt entdeckt wurde? Ein Gro&szlig;teil der Frauen mit dem Verlangen nach kosmetischen Genitaloperationen gibt keine operationsw&uuml;rdigen Gr&uuml;nde an, eher psychosoziale, wie zum Beispiel kosmetische Gr&uuml;nde (53 % ), Selbstbewusstsein verbessern (33 % ) oder sich normaler f&uuml;hlen wollen (31 % ). Trotzdem wird auf der K&ouml;rperebene operativ interveniert.<sup>10</sup><br /> All das Genannte beeinflusst nat&uuml;rlich auch die Sexualit&auml;t der jungen Frauen und M&auml;nner (unterschiedlich). Unter 25-J&auml;hrige wurden gefragt, ob sie Sex immer genie&szlig;en. 42 % der M&auml;nner sagten Ja, w&auml;hrend nur 25 % der Frauen dies bejahten.<sup>11</sup> Es liegt ein Ungleichgewicht vor und das kann man nicht beheben, indem man die Sexualit&auml;t der Frauen jener der M&auml;nner anpasst.</p> <h2>Nicht nach &uuml;berholtem Wissen handeln</h2> <p>Bei der Behandlung weiblicher Sexualst&ouml;rungen ist es wichtig, nicht nach &uuml;berholtem Wissen zu handeln. Wenn Frauen keine Lust haben, hei&szlig;t es noch lange nicht, dass sie lustlos sind. Was d&auml;mpft ihr sexuelles Interesse?<br /> Spontane Lust und Erregung, die noch bei Masters &amp; Johnson<sup>12</sup> oder Kaplan<sup>13</sup> in ihren Modellen aufscheinen, empfinden nur 50 % der Frauen. Ein Teil der Frauen in l&auml;ngeren Beziehungen empfindet zwar selten, aber doch diese spontane Lust. Meist haben sie aber Sex aus vielen anderen Gr&uuml;nden, die eher auf der emotionalen Ebene liegen. Sie wollen zum Beispiel ihrem Partner emotional nah sein, f&uuml;hlen sich dann von ihm verstanden, sorgen durch Sex f&uuml;r famili&auml;ren Frieden und vieles mehr.<sup>14</sup> Ihr Fokus liegt noch dort, wo ihn Generationen von Frauen schon hatten, auf der emotionalen/sozialen Ebene. Das erkl&auml;rt, warum ihr System vor allem auf emotionale Signale des Partners anspricht und nicht auf explizit sexuelle.<br /> Wenn wir in unserer t&auml;glichen Praxisarbeit mit Frauen, die unter vermindertem sexuellem Interesse leiden, alle organischen Ursachen ausgeschlossen haben, sollte die Exploration auf die psychosoziale Ebene verlegt werden. Dazu geh&ouml;rt zu erfragen, ob ihre Lebensumst&auml;nde (berufliche und private) lustf&ouml;rdernd sind, genauso wie die momentane (sexuelle) Beziehung.<br /> Sexuell verunsicherte Patientinnen brauchen sexualmedizinisch sichere Ansprechpartner. Eine Befragung von sexualmedizinisch interessierten &ouml;sterreichischen &Auml;rzten ergab, dass die H&auml;lfte nicht nach der sexuellen Gesundheit ihrer Patienten fragt, weil sie &uuml;ber zu wenig sexualmedizinisches Wissen und Zeit verf&uuml;gt. Sexualmedizin ist aber mit entsprechendem Basiswissen gut in den Arbeitsalltag integrierbar.<br /> Die &Ouml;sterreichische Akademie der &Auml;rzte bietet heuer wieder im Rahmen der &bdquo;Sexualmedizinischen Woche&ldquo; in Wien die Gelegenheit, sich in vier Tagen dieses Basiswissen anzueignen. N&auml;here Information unter: www.arztakademie.at/basismodulsexualmedizin.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ranke-Heinemann U: Eunuchen f&uuml;r ein Himmelreich. M&uuml;nchen: Verlag Heyne, 1988 <strong>2</strong> Jone H: Katholische Moraltheologie. 12. Auflage. Paderborn: Sch&ouml;ningh, 1940 <strong>3</strong> Richardson J, Schuster MA: Everything you never wanted your kids to know about sex (but were afraid they'd ask). New York: Three Rivers Press, 2003 <strong>4</strong> Petersen JL, Hyde JS: A meta-analytic review of research on gender differences in sexuality, 1993&ndash;2007. Psychol Bull 2010; 136: 21-38 <strong>5</strong> Elmerstig E et al: Prioritizing the partner's enjoyment. J Psychosom Obstet Gynaecol 2013; 34(2): 82-9 <strong>6</strong> Elmerstig E et al: Being "good in bed"-body concerns, selfperceptions, and gender expectations among Swedish heterosexual female and male senior high-school students. J Sex Marital Ther 2016; 9: 1-17 <strong>7</strong> Pujols Y et al: The association between sexual satisfaction and body image in women. J Sex Med 2010; 7(2 Pt 2): 905-16 <strong>8</strong> Shifren JL et al: Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstet Gynecol 2008; 112: 970-8 <strong>9</strong> Meixel A et al: Hypoactive sexual desire disorder: inventing a disease to sell low libido. J Med Ethics 2015; 41(10): 859-62 <strong>10</strong> Goodman MP et al: A large multicenter outcome study of female genital plastic surgery. J Sex Med 2010; 7(4 Pt 1): 1565-77 <strong>11</strong> De Graaf H et al: Seks onder je 25e: seksuele gezondheid van jongeren in Nederland anno 2012 [Sex under the age of 25: sexual health among youth in the Netherlands in 2012]. Delft: Eburon, 2012 <strong>12</strong> Masters W, Johnson V: Die sexuelle Reaktion. Frankfurt am Main: Akademische Verlagsges., 1967 <strong>13</strong> Kaplan H: Disorders of sexual desire. New York: Brunner/Mazel, 1979 <strong>14</strong> Basson R: Using a different model for female sexual response to address women's problematic low sexual desire. J Sex Marital Ther 2001; 27(5): 395-403</p> </div> </p>
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