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Die ärztliche Beurteilung der Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Johannes Mathis
Leiter Zentrum für Schlafmedizin<br> Inselspital Bern<br> Adresse ab 2020:<br> Praxis für Schlafmedizin am Neurozentrum<br> Schänzlistrasse 33, 3013 Bern<br> E-Mail: johannes.mathis@hin.ch
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31.10.2019
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<p class="article-intro">Wir Ärzte werden regelmässig in die Pflicht genommen, bei unseren Patienten aktiv nach krankhaften Ursachen einer eingeschränkten Fahreignung zu suchen und diese aus medizinischer Sicht, zunehmend mit Fokus auf die Problematik bei Tagesschläfrigkeit, zu beurteilen. Neben gezielter Diagnostik und wirksamer Therapie der Schläfrigkeit gehört es zu unserer Sorgfaltspflicht, die rechtlichen Vorschriften zu beachten und die optimalen Abklärungsschritte zu wählen, welche sich je nach Zuweisungsgrund, Führerausweis sowie der Arbeit eines Fahrzeuglenkers unterscheiden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Beurteilung der Fahreignung gehört bei jeder Konsultation zur Sorgfaltspflicht des behandelnden Arztes.</li> <li>Der Patient wird auf seine Selbstverantwortung aufmerksam gemacht und soll instruiert werden, dass bei Schläfrigkeit kein Motorfahrzeug gelenkt werden darf, wobei diese Fahreignungsaufklärung in den Krankenakten vermerkt wird.</li> <li>Die umfassende Abklärung und die gezielte Therapie bei unklarer Tagesschläfrigkeit oder Tagesmüdigkeit sollen in Zusammenarbeit mit dem Schlafspezialisten oder mit dem Schlaf-Wach-Zentrum erfolgen.</li> <li>Bei der periodischen Beurteilung der Fahreignung von Fahrzeuglenkern über 70 Jahre oder Berufschauffeuren mit möglicher Tagesschläfrigkeit soll der Schlafmediziner frühzeitig einbezogen werden.</li> <li>Der einzige objektive und rechtlich verbindliche Test zur objektiven Messung der Tagesschläfrigkeit ist der multiple Wachhaltetest (MWT) im Schlaflabor, nicht aber z. B. der Apnoe-Hypopnoe-Index.</li> </ul> </div> <h2>Gesetzeslage in der Schweiz</h2> <p>Der Anteil der Verkehrsunfälle, welche durch Sekundenschlaf verursacht werden, wird auf 10 bis 20 % aller Unfälle geschätzt, was die Häufigkeit von alkoholbedingten Verkehrsunfällen klar übersteigt.<sup>1–5</sup> Insbesondere tödliche Unfälle sind häufig durch Einschlafen am Steuer bedingt, weil diese Unfälle ungebremst erfolgen und entsprechend schwerer verlaufen. Die Beurteilung der Fahreignung bzw. der Fahrfähigkeit ist grundsätzlicher Bestandteil der ärztlichen Sorgfaltspflicht bei jeder Konsultation. Die Verkehrskommission der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie hat im Jahr 2017 <em>neue Empfehlungen zur Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit </em>erarbeitet.<sup>1, 2</sup><br /> Gemäss der Verkehrszulassungsverordnung (VZV) sind in der Schweiz nur Personen zum Strassenverkehr zugelassen, welche «keine Nervenkrankheiten mit dauernder Behinderung aufweisen» und «keine periodischen Bewusstseinsstörungen oder Bewusstseinsverluste erleben», wozu zunächst auch unbehandelte «<em>Erkrankungen mit Tagesschläfrigkeit</em>» gehören.<br />Die Sorgfaltspflicht des behandelnden Arztes gebietet es (OR Art. 398), die Patienten über eine allfällige Einschränkung der Fahreignung und die entsprechenden Gefahren aufzuklären, wobei der Arzt bei Personen, deren Fahreignung fraglich oder nicht mehr gegeben ist, ein Melderecht, aber keine Meldepflicht gegenüber den Behörden hat (SVG, Art. 15d), und zwar auch ohne Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht. Dieses Aufklärungsgespräch soll aus juristischen Gründen in den Krankenakten vermerkt werden.<br />Nach den Erneuerungen unter «Via sicura » werden die Fahrzeuglenker aufgrund des Führerausweises in die medizinische Gruppe 1 (private Fahrer) und die Gruppe 2 (Berufsfahrer) eingeteilt.<sup>6</sup> Für Lokomotivführer, Piloten oder Personen in ähnlich verantwortungsvollen Berufen gelten besondere Richtlinien.<sup>7, 8</sup> Anstelle der Bezeichnung «Vertrauensarzt» wird für den Arzt mit Anerkennung für verkehrsmedizinische Untersuchungen nach VZV umgangssprachlich der Begriff «Stufe-1-» bzw. «Stufe-2-»Arzt verwendet.<br />Für Berufschauffeure und ab dem Alter von 70 Jahren sind <em>periodische amtsärztliche Überprüfungen</em> der Fahreignung durch einen Vertrauensarzt der Stufe 1 oder 2 für alle Fahrzeuglenker nötig (VZV, Art. 27), wobei dieser Arzt gegenüber den Behörden eine <em>Meldepflicht</em> hat.<sup>6</sup></p> <p>Unter dem Begriff «<em>Fahreignung</em>» wird die <em>permanent</em> vorhandene Fähigkeit verstanden, ein Fahrzeug sicher im Strassenverkehr zu lenken. Dabei müssen Voraussetzungen, wie genügendes Sehvermögen und genügende kognitive Fähigkeiten, vorhanden sein und es dürfen keine Bewusstseinsstörungen oder eine chronisch erhöhte Tagesschläfrigkeit vorliegen.<br /> Wenn die Fähigkeit für ein sicheres Lenken nur momentan eingeschränkt ist, spricht man von einer eingeschränkten «Fahrfähigkeit». Im Strassenverkehrsgesetz (Art. 31) wird festgelegt: «Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die geforderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.» Es ist aber klar, dass zwischen den Begriffen fliessende Übergänge bestehen.</p> <p><strong>Das akzeptierbare Risiko</strong></p> <p>Jede Gesellschaft legt fest, welche Risiken akzeptiert werden können, was beispielhaft anhand des tolerierten Alkoholspiegels im Blut beim Autofahren ablesbar ist. Bei der aktuell in der Schweiz gültigen Limite am Steuer von < 0,5 Promille geht man von einem zweifach höheren Risiko für Verkehrsunfälle (Odds-Ratio = 2,0) im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung aus, was offenbar in unserer Gesellschaft akzeptiert werden soll. Im Vergleich dazu liegt die Odds-Ratio für das Unfallrisiko der meisten Krankheiten zwischen 0,9 und 1,9 (z. B. bei Epilepsie 1,84).<sup>9</sup> <em>Krankheiten mit einer Tagesschläfrigkeit</em> (obstruktive Schlafapnoe und Narkolepsie) weisen mit einer Odds-Ratio von 3,71 ein deutlich höheres Risiko auf, was möglicherweise mit der verzögerten Diagnose und Therapie zusammenhängt.<br />Beim Festsetzen der Regeln muss verhindert werden, dass sich die Patienten wegen zu strenger Regeln bei der Beurteilung der Fahreignung aus Angst, den Führerausweis zu verlieren, der ärztlichen Behandlung entziehen und unbehandelt weiterfahren.</p> <h2>Die ärztlichen Aufgaben bei Patienten mit Tagesschläfrigkeit</h2> <p>Es stehen zurzeit keine validierten Testverfahren zur Verfügung, mit welchen die Unfallgefahr bei exzessiver Tagesschläfrigkeit verlässlich vorausgesagt werden kann. Folgende Faktoren spielen eine Rolle und müssen bei der Beurteilung des Unfallrisikos und damit der Fahreignung durch den Arzt miteinbezogen werden:</p> <ol> <li>der Schweregrad der Schläfrigkeit,</li> <li>die Fähigkeit, eine Schläfrigkeit rechtzeitig wahrzunehmen,</li> <li>das vernünftige Verhalten des Fahrers,</li> <li>allfällige Komorbiditäten, die das Sekundenschlafrisiko erhöhen könnten.</li> </ol> <p>Für den behandelnden Arzt geht es bei der Diagnostik und Therapie u. a. auch darum, die Fahreignung seiner Patienten zu erhalten bzw. wiederherzustellen, was bei Tagesschläfrigkeit oft auch möglich ist.<br /> Die <em>primäre Verantwortung</em> für die sichere Führung eines Motorfahrzeugs liegt ganz klar beim Fahrer selbst. Dieser ist verantwortlich dafür, seine Symptome und Krankheiten dem Arzt und gegebenenfalls auch dem Arbeitgeber zu melden, sofern die Fahreignung oder die Arbeitsfähigkeit dadurch beeinträchtigt wird.<br /> Für den Arzt ist es wichtig, bereits bei der <em>ersten Konsultation</em> daran zu denken, dass er nicht nur die Krankheit diagnostizieren und behandeln, sondern auch das Risiko beim Lenken von Motorfahrzeugen abschätzen muss. Er soll sich im Klaren sein, dass die Fahrfähigkeit oder Fahreigung bei Bewussteinsverlusten inklusive einer abnormen Einschlafneigung und auch bei vielen internistischen und neurologischen Krankheiten aufgrund der geltenden Gesetze primär nicht gegeben ist. Arzt und Patient haben somit die Aufgabe, die primär fehlende Fahreignung zu widerlegen, nötigenfalls nach einer erfolgreichen Fahrrehabilitation (s. u.). Der Arzt sollte sich auch informieren, welche Erfordernisse der Patient am Arbeitsplatz erfüllen muss, wobei es sich bei der Luftfahrt oder bei Bahnbetrieben lohnt, zusätzliche Informationen beim medizinischen Dienst der Betriebe einzuholen.<sup>1, 7, 8</sup><br />Weil angenommen werden darf, dass Schläfrigkeit vom Fahrzeuglenker rechtzeitig bemerkt wird, darf sich der behandelnde Arzt bei den meisten Fahrzeuglenkern der Gruppe 1 mit der spezifischen Fahreignungsaufklärung (Kasten 1) über die Gefahr des Sekundenschlafes und über die rechtlichen und versicherungstechnischen Konsequenzen bei einem allfälligen Sekundenschlaf- Unfalls begnügen, welche in den Krankenakten abgelegt werden soll. Bei Patienten mit chronischer Schläfrigkeit gilt es zu bedenken, dass sie die Risiken eventuell nicht mehr korrekt einschätzen können, auch wenn sie ihre Schläfrigkeit bemerken, weil sie die Situation als «normal» interpretieren. Die nötigen Abklärungen sollten zügig vorangetrieben werden, damit die Schläfrigkeit innert ca. 3 Monaten wirksam behandelt werden kann.<br /> Bei Fahrzeuglenkern, welche bereits einen Unfall oder Fast-Unfall wegen Sekundenschlafs am Steuer erlitten haben, bei Berufschauffeuren oder bei schwerer Tagesschläfrigkeit (Einschlafen in aktiven Situationen oder Epworth-Score ≥ 14) ist es angezeigt, bis zur erfolgreichen Therapie eine <em>Fahrkarenz</em> auszusprechen, was aber oft gleichzeitig eine Arbeitsunfähigkeit bedeutet.<sup>10</sup> Berufschauffeure und ähnlich exponierte Arbeitnehmer (Piloten, Lokomotivführer, Kranführer etc.) sollen aufgefordert werden, ihre aufgehobene Fahrfähigkeit dem Arbeitgeber zu melden.</p> <p><strong>Fahrrehabilitation in Diagnostik und Therapie</strong></p> <p>Tagesschläfrigkeit ist ein häufiges Symptom bei vielen Krankheiten, was eine umfassende Diagnostik verlangt, damit schliesslich eine gezielte Therapie möglich wird.<sup>11–14</sup> Der behandelnde Arzt sucht in einem ersten Schritt nach anamnestischen Hinweisen für eine Schlafinsuffizienz oder eine ungenügende Schlafhygiene mit variablen Bettgeh- oder Aufstehzeiten, bevor im zweiten Schritt die internistischen, neurologischen oder psychiatrischen Ursachen von Schläfrigkeit inkl. Drogen und Medikamentenkonsum klinisch und labormässig abgeklärt werden. Zur klinischen Diagnose des obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS) steht ein gut brauchbarer Algorithmus zur Verfügung (Kasten 2), wobei zur definitiven Diagnose eine respiratorische Polygrafie (rPG) oder eine Polysomnografie (PSG) nötig ist. Zuletzt müssen im Schlaflabor zur Diagnostik der «zentralen Hypersomnolenzen» wie Narkolepsie oder idiopathischer Hypersomnie neben der PSG auch Tagesuntersuchungen wie der multiple Schlaflatenztest (MSLT) und der multiple Wachhaltetest (MWT) hinzugezogen werden.<sup>12, 13</sup> Nicht selten liegen mehrere Ursachen der Schläfrigkeit vor, die im Sinne einer umfassenden <em>Fahrrehabilitation</em> möglichst alle (inkl. Schlafmanko) erkannt und behandelt werden sollten, bevor die Fahreignung definitiv beurteilt werden kann.<br /> Die Beurteilung der Fahreignung soll nicht von einer Diagnose wie z. B. einem Schlafapnoesyndrom oder einer Narkolepsie abhängig gemacht werden. Nach neusten Erkenntnissen darf auch der Apnoe-Hypopnoe- Index (AHI) nicht als verlässliches Mass für die Schläfrigkeit interpretiert werden.<sup>15</sup> Eine entsprechende Meldepflicht bestimmter Diagnosen an die Behörden («categorial reporting») besteht in der Schweiz nicht.<br /> Entscheidend sind vielmehr das Ausmass der Tagesschläfrigkeit, die Fähigkeit, eine Schläfrigkeit wahrzunehmen und vernünftig damit umzugehen. Bei iatrogen bedingter Schläfrigkeit durch Verordnung sedierender Medikamente ist es besonders wichtig, den Patienten vor Therapiebeginn auf diese potenzielle Nebenwirkung aufmerksam zu machen, weil bei dieser ärztlichen Handlung eine klare <em>Aufklärungspflicht</em> besteht.<br /> Es existieren leider keine einfachen <em>Messparameter</em> zur verlässlichen Beurteilung des Schweregrades der Schläfrigkeit. Das beste Instrument bleibt die ärztliche Anamnese und die klinische Untersuchung mit einer integrativen Beurteilung aller zur Verfügung stehenden Befunde und Zusatzuntersuchungen. Standardisierte Fragebögen, wie z. B. die Epworth-Skala, sind lediglich als Screening-Instrumente nützlich, nicht aber zur definitiven Beurteilung der Fahreignung.<sup>10</sup> Epworth-Werte > 10 gelten bereits als Indikatoren für eine Schläfrigkeit, bei Werten ≥ 14, welche nicht therapierbar sind, sollte eine Weiterweisung an ein akkreditiertes Zentrum für Schlafmedizin (AZSM) zur genaueren Abklärung der Schläfrigkeit erfolgen.<sup>1</sup> Der AHI korreliert nur bedingt mit dem Ausmass der Tagesschläfrigkeit.<sup>15</sup> Trotzdem sollte man bei AHI-Werten > 30/h, welche nicht therapierbar sind, ebenfalls eine Abklärung im AZSM vornehmen und allenfalls mit einem MWT den Schweregrad der Schläfrigkeit objektivieren. AHI-Werte unter 30/h erlauben im Einzelfall keine Aussage bezüglich der Schwere der Tagesschläfrigkeit und somit auch nicht in Bezug auf die Fahreignung. Eine schlechte Compliance bei der CPAP-Therapie («continuous positive airway pressure», < 4 h pro Nacht) gilt als Risikofaktor für Verkehrsunfälle und sollte eine Weiterweisung an ein AZSM nach sich ziehen, weil eine Polysomnografie unter PAP-Therapie oft eine Erklärung für die schlechte Verträglichkeit liefern kann.<br />Wegen der hohen Prävalenz des OSAS und seiner Folgekrankheiten sollte eine relevante Tagesschläfrigkeit auch dann nicht übersehen werden, wenn der Patient aus anderen Gründen (Adipositas, arterielle Hypertonie, COPD etc.) in die Sprechstunde kommt.</p> <p><strong>Black-out am Steuer und Sekundenschlaf</strong></p> <p>Obwohl der grösste Teil der Unfälle wegen «Black-out am Steuer» ungeklärt bleibt, soll man die häufigsten Ursachen, wie Alkohol, Drogen und Medikamente, epileptische Anfälle, Synkopen, transiente ischämische Attacken, Hypoglykämie und Sekundenschlaf mit Unterstützung der jeweiligen Spezialisten systematisch abklären. Nebst der Anamnese bezüglich Vorerkrankungen und einer Fremdanamnese, soll, wenn möglich, auch der Unfallhergang anhand des Unfallprotokolls studiert werden. Der Sekundenschlafunfall ereignet sich typischerweise bei monotonen Strassenverhältnissen, gutem Wetter und zu Tageszeiten, zu denen die Vigilanz ein relatives Minimum erreicht, wie z. B. in der Nacht zwischen 2 und 4 Uhr, aber auch postprandial am frühen Nachmittag. Laboruntersuchungen bezüglich sedierender Drogen oder Medikamente und die Alkoholblutbestimmung müssen möglichst früh durchgeführt werden und können bei einem positiven Resultat eine Verdachtsdiagnose stützen. Ein negatives Resultat erlaubt es aber nicht, eine entsprechende Ursache auszuschliessen. Bei rezidivierenden Bewusstseinsverlusten soll nach Möglichkeit eine Video-EEG- polygrafische Ableitung «in flagranti» erzwungen werden.<br /> Die Behörde ist bei einem polizeilich registrierten Unfall mit möglicher medizinischer Ursache verpflichtet, die Fahreignung durch einen Arzt der Stufe 1 oder der Stufe 2 nach VZV oder durch einen Verkehrsmediziner abklären zu lassen, was bei einem Sekundenschlafunfall meist in Zusammenarbeit mit einem AZSM erfolgt.</p> <p><strong>Wahrnehmung der Schläfrigkeit, Verlässlichkeit und Risikoverhalten</strong></p> <p>Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Schläfrigkeit am Steuer <em>immer</em> wahrgenommen wird, bevor die Fahrleistung relevant beeinträchtigt ist. Weniger klar ist jedoch, ob die Betroffenen diese Schläfrigkeit korrekt einschätzen und auch korrekt danach handeln. Zweifel an der Wahrnehmung oder dem vernünftigen Handeln sollten bei Fahrzeuglenkern aufkommen, welche bereits einen Sekundenschlaf am Steuer mit oder ohne Unfälle oder «Fast-Unfälle» erlitten haben. Wenn Hinweise bestehen, dass der Betroffene seine eigene Schläfrigkeit falsch einschätzt, wenn der Patient nicht kooperativ ist oder wenn an der Verlässlichkeit der Angaben gezweifelt wird, soll die Fremdanamnese eingeholt und gegebenenfalls eine objektive Untersuchung in einem AZSM durchgeführt werden. Ein erhöhtes Risikoverhalten sollte auch bei <em>Komorbiditäten</em> wie Alkoholoder Medikamentenabusus, ungenügender Schlafhygiene mit häufigem Schlafmanko oder bei kognitiven Defiziten in Betracht gezogen werden.<br /> Bei Uneinsichtigkeit des Patienten, sich weiter abklären und behandeln zu lassen, oder auf das Lenken eines Fahrzeuges zu verzichten, darf der Arzt von seinem Recht einer Meldung an die Strassenverkehrsbehörde Gebrauch machen. Einem nicht einsichtigen Patienten die Fahreignung abzusprechen, ist für den behandelnden Arzt aber oft eine äusserst unangenehme Aufgabe. Es ist deswegen in solchen Situationen meistens sinnvoller, den Betroffenen zur genaueren Abklärung einem AZSM zuzuweisen. Bei der Zuweisung an ein rechtsmedizinisches Institut oder an das Strassenverkehrsamt zur ärztlich begleiteten Fahrprobe sollte man sich stets im Klaren sein, dass dies gleichbedeutend ist mit einer Meldung an die Behörden und dass die Gefahr eines Führerscheinentzugs ohne Rekursmöglichkeit droht.</p> <p><strong>Periodische Beurteilung der Fahreignung<sup>6</sup></strong></p> <p>Die Ärzte der Stufen 1 und 2 nach VZV, welche die Aufgabe übernommen haben, Berufschauffeure sowie alle Fahrzeuglenker über 70 Jahre in periodischen Zeitabständen bezüglich der Fahreignung zu beurteilen, stehen nicht mehr in einem therapeutischen Verhältnis zu ihrem Patienten, was mit einer <em>Meldepflicht</em> gegenüber den Behörden verbunden ist. Die behandelnden Ärzte sollten solche Fahrzeuglenker schon vor der periodischen Kontrolluntersuchung optimal therapieren, allenfalls in Zusammenarbeit mit einem Facharzt mit Fähigkeitsausweis in Schlafmedizin oder mit einem AZSM, damit im Idealfall die Fahreignung bei der periodischen Kontrolle gar nicht in Zweifel gezogen werden muss. Weil nicht alle Patienten mit Schlafapnoe an einer Tagesschläfrigkeit leiden, kann es sich manchmal sogar lohnen, diese Tatsache im MWT vor der Kontrolluntersuchung zu objektivieren.<sup>15</sup> Dieses Vorgehen kann den Patienten unnötige und teure Abklärungen ersparen. Wenn die Fahreignung trotz optimaler Therapie fraglich bleibt, müssen die Ärzte der Stufen 1 oder 2 Meldung an die Strassenverkehrsbehörde machen, was dann weitergehende kostenpflichtige verkehrsmedizinische Untersuchungen zur Folge haben wird.</p> <p><strong>Kontrollen</strong></p> <p>Patienten mit schlafmedizinischen Erkrankungen und relevanter Tagesschläfrigkeit sollten grundsätzlich in jährlichen Abständen bei einem Facharzt mit Fähigkeitsausweis in Schlafmedizin kontrolliert werden. Dieses Intervall sollte bei instabiler klinischer Situation, bei unzuverlässigen Patienten oder bei multiplen Komorbiditäten auf 6 Monate verkürzt werden. Bei Fahrzeuglenkern der Gruppe 1 kann das Kontrollintervall bei gutem Verlauf auf maximal 3 Jahre verlängert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Innere_1905_Weblinks_lo_innere_1905_s8_fragebogen_mathis.jpg" alt="" width="1512" height="1317" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Mathis J et al.: http://swiss-sleep.ch/wp-content/uploads/ 2017/02/Fahreignung-bei-Tagesschlaefrigkeit-Ver.- 2017.01.01_ de.pdf <strong>2</strong> Mathis J et al.: Fahreignung bei Tagesschläfrigkeit. Empfehlungen für Ärzte und Schlaf- Wach-Zentren bei der Betreuung von Patienten mit Tagesschläfrigkeit. Swiss Medical Forum 2017; 17: 442-7<strong> 3</strong> Mathis J et al.: Excessive daytime sleepiness, crashes and driving capability. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2003; 154: 329-38 <strong>4</strong> Laube I et al.: Accidents related to sleepiness: review of medical causes and prevention with special reference to Switzerland. Schweiz Med Wochenschr 1998; 128: 1487-99<strong> 5</strong> Horstmann S et al.: Sleepinessrelated accidents in sleep apnea patients. Sleep 2000; 23: 383-9 <strong>6</strong> Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin: Neuerungen durch Via sicura, Schweizerische Ärztezeitung 2015; 96: 1511-14 <strong>7</strong> https://www.bav.admin.ch/bav/ de/home/rechtliches/rechtsgrundlagen-vorschriften/richtlinien/ richtlinien-bahn/medizinische-tauglichkeitsuntersuchungen. html (25.8.2019) <strong>8</strong> https://www.bazl.admin.ch/ bazl/de/home/fachleute/ausbildung-und-lizenzen/flugmedizinischer- dienst.html (25.8.2019) <strong>9</strong> Klemenjak W et al.: Immortal Deliverable A3.2 Final Programme Report Public 2005; 1-106 <strong>10</strong> Bloch et al.: German version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration 1999; 66: 440-447<strong> 11</strong> Mathis J, Schreier D: Tagesschläfrigkeit und Fahrverhalten. Therapeutische Umschau 2014; 71: 679-86 <strong>12</strong> Mathis J: Narkolepsie und andere «zentrale Hypersomnolenzen». Praxis 2018; 107: 1161-7 <strong>13</strong> Mathis J: Narkolepsie, immer schläfrig. Hausarztpraxis 2019; 14: 12-16 <strong>14</strong> McNicholas W et al.: New standards and guidelines for drivers with obstructive sleep apnoea syndrome (2013). http://ec.europa.eu/transport/ road_safety/pdf/behavior/sleep_apnoea.pdf <strong>15</strong> Ye L et al.: The different clinical faces of obstructive sleep apnoea: a cluster analysis. Eur Respir J 2014; 44: 1600-7</p>
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