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Das diabetische Fußsyndrom – mögliche Wege aus dem Desaster
DAM
Autor:
Dr. Elisabeth Krippl
Fachärztin für innere Medizin (Schwerpunkt Diabetes), zertifizierte Wundmanagerin, Ärztin für Allgemeinmedizin, Mayr-Ärztin<br> Funktion: Ärztliche Leitung EK MedCenter, Schwerpunktzentrum für Diabetologie, Regenerationsmedizin und Gewichtsmanagement sowie chronische Wundbehandlung<br> 1130 Wien, <a href="http://www.ek-med.center" target="_blank">www.ek-med.center</a>
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13.10.2016
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<p class="article-intro">Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine der am schwersten wiegenden und kostenintensivsten Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus. Es ist die Hauptursache für Hospitalisierung. Allerdings könnte durch geeignete Prophylaxe und rechtzeitig eingeleitete adäquate Therapie die Hälfte aller diabetisch bedingten Amputationen verhindert werden. </p>
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<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1608_Weblinks_seite14.jpg" alt="" width="659" height="676" /></p> <p>Die Zahl der Diabetiker steigt stetig und somit auch die Zahl derer, die an Spätschäden wie dem DFS erkranken. Hauptprobleme dabei: fehlender Leidensdruck und mangelnde Aufklärung. Dadurch sind der Entstehung bedrohlicher, aber meist vermeidbarer Folgeerkrankungen keine Grenzen gesetzt. Das Resultat sind steigende Behandlungskosten und damit verbunden eine enorme gesundheitsökonomische Belastung, ganz zu schweigen vom persönlichen Leid der Betroffenen. Diese verstehen oft erst bei Einlieferung ins Krankenhaus oder der drohenden Amputation, worum es geht. Die Prophylaxe hat deshalb einen extrem hohen Stellenwert.</p> <h2>Ursachen des DFS</h2> <p>Die Ursachen des DFS sind die diabetische Polyneuropathie (PNP) und die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK). Auslöser sind meist Bagatellverletzungen und Druckstellen durch falsches Schuhwerk und am Ende steht oft die Amputation, die in vielen Fällen vermeidbar wäre. Bereits 1989 wurde bei einem Treffen der Weltgesundheitsorganisation (damals WGO) und der International Diabetes Federation (IDF) in San Vincente von den Regierungen unter anderem gefordert, die Zahl der Gliedamputationen aufgrund diabetischer Gangrän um die Hälfte zu reduzieren. Leider ist dies bis heute nicht einmal im Ansatz gelungen, obwohl es durchaus möglich und realistisch wäre.</p> <p>Motorische Neuropathie verändert die Biomechanik, führt zur Deformierung und Druckmaximierung plantar im Fußballenbereich und zur Ausbildung von Druckulzera – den sogenannten Mala perforantes. Weiters kommt es zu einem Verlust der Schweißsekretion und dadurch bedingt zu trocken schuppender Haut, Bildung von Hyperkeratosen und durch den Ausfall der sympathischen Nervenfasern zur Vasodilatation, dadurch wiederum zur Hyperperfusion – die Füße sind typischerweise warm, rosig, oft hyperpigmentiert und trocken.</p> <p>Sensible Neuropathie ist verantwortlich für Par- und Hyp­ästhesien, die Patienten haben entweder ein vermindertes bis gar kein Schmerzempfinden oder Ruheschmerzen in allen Qualitäten. Ersteres ist für die Patienten wenig belastend, jedoch gefährlich, Zweiteres äußerst unangenehm bis nahezu unerträglich. Gefährlich ist das verminderte Schmerzempfinden deshalb, weil die Warnfunktion der Schmerzsymptomatik ausfällt und z.B. zu enges Schuhwerk, zu heißes Wasser oder Fremdkörper wie kleine Steinchen im Schuh Verletzungen, die von Patienten unbemerkt bleiben, verursachen können. Aufgrund von verzögerter Wundheilung durch Diabetes, erhöhter Infektionsgefahr, mangelnder Aufklärung und mangelhafter Ausbildung der Ärzte auf dem Gebiet von chronischen Wunden und DFS führt dies leider allzu oft zur Amputation – in den meisten Fällen absolut unnötig. Weitere Folgen sind Wundheilungsstörungen an der Amputationsstelle (Abb. 1), Nachamputation – die sogenannte Salamitaktik –, oft folgen der soziale Absturz, Depressionen und die Patienten werden zu Pflegefällen.</p> <p>Bei zusätzlichem Vorliegen einer pAVK bleiben die typischen Claudicatiobeschwerden aus, da aufgrund der Neuropathie das Schmerzempfinden deutlich reduziert oder gar nicht mehr vorhanden ist, deshalb wird die Diagnose pAVK viel zu spät gestellt und eine Revaskularisierung ist oft nicht mehr oder nur erschwert durchführbar – die Amputation bleibt als einzige Möglichkeit übrig. Deshalb muss frühzeitig daran gedacht werden, Gefäßscreenings durchzuführen und einen Gefäßstatus zu erheben.</p> <p>Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der mangelnden Durchblutung auch das Infektionsrisiko erhöht und die Immunabwehr deutlich reduziert ist.</p> <p>Leider werden manche Läsionen und Ulzera nur als Hühnerauge oder Hornhaut abgetan und es wird nicht erkannt, um welch schwerwiegendes Problem es sich tatsächlich handelt. Rasches und vor allem richtiges Handeln ist von äußerster Wichtigkeit, um aus einer Bagatelle keinen Super-GAU werden zu lassen.</p> <h2>Therapieoptionen</h2> <p>Zu Beginn der Behandlung steht die richtige Einschätzung der Wundsituation (Blutzucker, Durchblutung, Neuropathie, Infektion, Ausmaß, Wundbeschaffenheit, Druck, Knochenbeteiligung – Osteomyelitis, sonstige Ursache?).</p> <p>Ganz wichtig ist aus meiner Sicht auch ein Blick über den Wundrand hinaus. Man darf nie die Ursachen außer Acht lassen. Dazu kommen noch die Psyche der Patienten und ihr soziales Umfeld, die gerade im Bereich der chronischen Erkrankungen wesentliche Faktoren sind. Das heißt, man sollte auch die Lebenspartner miteinbeziehen und die Therapie muss mit dem (Berufs-)Alltag vereinbar sein. Sonst fehlt die notwendige Compliance und ein Therapieerfolg bleibt aus. Für eine erfolgreiche Therapie ist auch die entsprechende Kooperation des Patienten nötig.</p> <p>Für jeden Patienten muss ein individuelles Therapiekonzept erstellt werden: ein Wundbehandlungskonzept, das den Erfordernissen des jeweiligen Patienten angepasst ist. Ziel ist, die Mobilität und Lebensqualität der Pa­tienten zu erhalten, Infektionen und Komplikationen zu verhindern und so die Heildauer zu verkürzen und Kosten zu senken. Wesentlich ist eine ganzheitliche Behandlung bestehend aus der Behandlung der Grundkrankheiten, ergänzenden Therapien und der lokalen Wundtherapie.</p> <h2>Behandlung der Grundkrankheiten</h2> <p>Primär sollte die Blutzuckereinstellung optimiert werden. Bei Vorliegen einer pAVK ist eine Gefäßrevaskularisierung durchzuführen. Dies kann entweder konservativ (Gehtraining, hämorheologische Maßnahmen mit vasoaktiven Substanzen, Antikoagulation) erfolgen oder interventionell bzw. gefäßchirurgisch (PTA, Dilatation, pedale Bypässe, Profundaplastik). Der Blutdruck sollte genau eingestellt und der Fettstoffwechsel optimiert werden. Eine Gewichtsreduktion sowie eine Lifestyleumstellung (am besten mit einer Detox-Kur nach F. X. Mayr) sind ebenso wünschenswert wie Nikotinkarenz. Enorm wichtig ist die Infektionskontrolle. Bei einer Infektion ist eine systemische Antibiotikatherapie nach Antibiogramm einzuleiten. (Niemals lokale Antibiotika anwenden! Diese schaffen nur Resistenzen und das Keimspektrum ist gering.) Bei Osteomyelitis (Abb. 2) sind der Einsatz von knochengängigen Antibiotika und eine Behandlung über mehrere Wochen bis Monate angezeigt. Die Behandlung sollte immer in Kombination mit Probiotika durchgeführt werden. Wenn möglich ist der beteiligte Knochen zu entfernen. Eine Druckentlastung der betroffenen Bereiche durch Krücken, Rollstuhl, langfristig die Versorgung mit einem orthopädischem Maßschuh ist anzustreben. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1608_Weblinks_seite16.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Ergänzende Therapien</h2> <ul> <li>Patientenschulung und Lifestyleänderung</li> <li>Beseitigung vorliegender Ödeme durch Lymphdrainage. Diese ist fast immer von Vorteil, da aufgrund des Gewebedefektes und der meist bestehenden Fehlernährung auch das Lymphsystem „out of order“ ist. Kontraindiziert ist sie jedoch bei akuten Infektionen, Herzinsuffizienz und Karzinomen.</li> <li>Beseitigung von Ernährungsdefiziten durch Nahrungsergänzungsmittel (Aminosäuren, Zink und Selen, Vitamine, Spurenelemente etc.)</li> <li>Thromboseprophylaxe bei immobilen Patienten</li> <li>Nach Möglichkeit ergänzend Low-Level-Lasertherapie, Hämolaser, Ozontherapie etc.</li> </ul> <h2>Lokale Wundtherapie</h2> <p>Neben der Behandlung von Grundkrankheiten unter Einbeziehung aller verursachenden Faktoren ist die lokale Wundtherapie eine wesentliche Maßnahme im Kampf gegen das DFS. Wundbeläge stören die Mikrozirkulation nachhaltig und können sie zum völligen Erliegen bringen, es kommt an der Wundoberfläche und am Wundrand zum Untergang von intaktem Gewebe. Es hat keinen Sinn, auf abgestorbenes Gewebe Wundauflagen zu geben. Nach einem ausgiebigen Débridement (Entfernen aller avitalen Gewebeanteile, Schaffung eines sauberen Wundgrundes) muss eine adäquate, phasengerechte Wundversorgung nach den Richtlinien des modernen Wundmanagements durchgeführt werden (Abb. 3).</p> <p>Feuchte Wundbehandlung durch Wundkonditionierung mit interaktiven Wundverbänden ist angebracht. Der gewebeschonende, atraumatische Verbandwechsel ist für einen optimalen Heilungsverlauf von grundlegender Bedeutung. Verbandswechsel sollten in der Regel, sofern keine massive Infektion vorliegt, 2- bis 3-mal pro Woche erfolgen. Die Wunde braucht auch „Wundruhe“ zur Heilung. Meine Message: Mit den entsprechenden Verbänden richtig umzugehen muss wirklich gelernt sein und erfordert auch ein gewisses Maß an Erfahrung! Der Verband alleine ist nie ausreichend als Therapie zur Behandlung einer chronischen Wunde, man kann aber mit falschen Verbänden bzw. der nicht adäquaten Anwendung von Verbandsmaterial viel Schaden anrichten!</p> <h2>Resümee</h2> <p>Pro Jahr werden österreichweit 2.400 (!) Amputationen bei Diabetikern durchgeführt (laut ÖDG 7/2007). Dementsprechend muss die Prävention einen extrem hohen Stellenwert haben! Beim diabetischen Fußsyndrom wäre mit Geduld und dem richtigen Know-how unter Mitarbeit des Patienten ein Großteil der Amputationen zu verhindern, bei gleichzeitiger Einsparung von Kosten. Dies erfordert ein individuell erstelltes Therapieregime mit Blick über den Wundrand hinaus unter Einbeziehung aller auslösenden und verursachenden Faktoren, auch unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes. Oberstes Ziel sollte die Erhaltung der Mobilität und Lebensqualität unserer Patienten so lange wie möglich sein.</p></p>
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<p>Literatur bei der Verfasserin<br /><br /></p>
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