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Behandlung der Benzodiazepinabhängigkeit – Dos and Don’ts
DAM
Autor:
Dr. Gerhard Rechberger
Verein Dialog, Integrative Suchtberatung Gudrunstraße, 1100 Wien<br> E-Mail: gerhard.rechberger@dialog-on.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Opioidsubstitution wird heute standardmäßig in der Behandlung opioidabhängiger Patienten angewandt. Nicht selten weisen Betroffene zusätzliche Abhängigkeiten auf, oft zu finden ist die Abhängigkeit von Benzodiazepinen. Einheitliche Leitlinien sollen Sicherheit bei der Behandlung der Benzodiazepinabhängigkeit schaffen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Verschreibung von Opioiden an opioidabhängige Patienten gilt heute als Therapie der Wahl bei Opioid­abhängigkeit. Sie führt zu einer deutlichen Senkung der Mortalität sowie zu einer Reduktion des Konsums nicht ärztlich verschriebener Opioide, insbesondere auch des intravenösen Opioidkonsums und damit verbundener Infektionserkrankungen. Abhängig vom Aufwand der ärztlichen (suchtmedizinischen, psychiatrischen und somatischen) Betreuung sowie begleitender psychosozialer Maßnahmen kann eine Opioidsubstitution weiters zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes, der beruflichen und sozialen Integration und damit dem Hauptziel, der Verbesserung der Lebensqualität Opioidabhängiger, führen.<br /> <br /> So erfolgreich die Opioidsubstitution Einfluss auf den zusätzlichen Konsum von Opioiden nehmen kann, so wenig ist sie jedoch in der Lage, den Konsum anderer Substanzen, wie z.B. von Alkohol, Benzodiazepinen oder Stimulanzien, positiv zu beeinflussen. Ein großer Teil der Opioidsubstituierten weist aber neben der Diagnose Opioid­abhängigkeit weitere Abhängigkeitsdiagnosen auf, die einen wesentlichen Einfluss auf Verlauf und Prognose der Suchterkrankung nehmen. In Österreich wie in anderen westlichen Ländern ist insbesondere die Abhängigkeit von Benzodiazepinen eine häufig diagnostizierte Komorbidität opioidabhängiger Substitutionspatienten. Benzodiazepine konsumiert in Kombination mit anderen atemdepressiven Substanzen spielen darüber hinaus eine wesentliche ursächliche Rolle bei tödlich verlaufenden Überdosierungen: 2014 fanden sich bei 83 % der durch Überdosierung verursachten Todesfälle Mischintoxikationen mit Opioiden. Das heißt, es wurde ein Suchtgift in Verbindung mit Alkohol und/oder Psychopharmaka (meist Benzodiazepine) festgestellt (GÖG 2014).</p> <h2>Ursachen der Benzodiazepinabhängigkeit</h2> <p>Die Ursachen der Benzodiazepinabhängigkeit bei Opioidabhängigen bzw. substituierten Patienten sind vielfältig: Häufig können zusätzliche psychiatrische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, Impulskontrollstörungen diagnostiziert werden, nicht selten bestehen frühkindliche Traumatisierungen.<sup>1</sup> Der Benzodiazepinkonsum kann in solchen Fällen der Versuch einer Selbstbehandlung der Symptome dieser Störungen sein. Das häufigste Motiv für den Konsum von Benzodiazepinen sind jedoch Schlafstörungen. Weitere Ursachen können Toleranzentwicklung und ein damit verbundener Verlust der Opioidwirkung, vor allem auch während einer Substitutionsbehandlung, sowie nicht ausreichende oder zu frühe Reduktion der Dosierung des Substitutionsmittels sein.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite9.jpg" alt="" width="597" height="956" /></p> <h2>Formen der Benzodiazepinabhängigkeit</h2> <p>Bei der „low-dose dependence“ werden Tagesdosen innerhalb der in den Fachinformationen angeführten Tageshöchstdosierungen eingenommen, es kommt zu keiner Dosissteigerung, es treten jedoch Entzugssymptome beim Absetzen auf. Die Beschaffung erfolgt meist über ärztliche Verschreibung, typischerweise sind diese Patienten älter. Dosisreduktionen bzw. Entzüge werden zumeist toleriert, jedoch ist die Rückfallrate relativ hoch.<br /> Die seltenere „high-dose dependence“ ist durch rasch entstehende Toleranzentwicklung und Dosissteigerung gekennzeichnet. Es besteht eine starke körperliche und psychische Abhängigkeit, konsumierte Mengen liegen ein Vielfaches über der in der Fachinformation angegebenen Höchstdosierung. Die Benzodiazepine werden entweder über den Schwarzmarkt beschafft oder durch ärztliche Verschreibung meist in Zusammenhang mit dem Phänomen des Doktor-Hoppings, also gleichzeitige Verschreibung durch mehrere Ärzte, die nicht von den Parallelverschreibungen wissen. Häufig finden sich zusätzliche psychiatrische Störungen sowie Abhängigkeitserkrankungen. Opioidsubstituierte Benzodiazepinabhängige weisen meist eine „high-dose dependence“ auf.</p> <h2>Häufigkeit und Behandlungsempfehlungen</h2> <p>Benzodiazepinkonsum unter Opioidsubstituierten ist häufig. Internationale Studien schätzen die Lebenszeitprävalenz für die Langzeiteinnahme von Benzodiazepinen bei Opioidabhängigen zwischen 36 und 94 % .<sup>2–5</sup> Eine nationale Untersuchung zeigt eine Häufigkeit von Benzodiazepinverschreibungen von 27 % der Opioidsubstituierten.<sup>6</sup><br /> Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass gute Leitlinien, wie mit diesem Phänomen umgegangen werden soll, fehlen. In der wissenschaftlichen Literatur angeführte Empfehlungen verfolgen fast ausschließlich abstinenzorientierte Strategien: stationäre Entzugsbehandlungen und Abstinenz von Benzodiazepinen. Gerade bei Hochdosis-Benzodiazepin-abhängigen Substituierten führen diese Empfehlungen jedoch selten zu einem längerfristigen Erfolg. Selbst jene Patienten, die für eine stationäre Entzugsbehandlung motivierbar sind, brechen diese häufig ab, im Fall einer erfolgreichen Behandlung ist die Rückfallquote hoch.7 Trotz geringer Datenlage mehren sich deshalb in den letzten Jahren Empfehlungen, die eine längerfristige Verschreibung von Benzodiazepinen an Hochdosisabhängige ähnlich der Opioidsubstitution vorschlagen.<sup>8, 9</sup><br /> Häufig auftretende Benzodiazepinabhängigkeit und nicht praxisgerechte Leitlinien haben in den letzten Jahren zu zunehmend problematischen Verschreibungen von Benzodiazepinen geführt (Verschreibung extrem hoher Dosierungen, häufige Verschreibung von Flunitrazepam, Parallelverschreibungen durch mehrere Ärzte etc.).<br /> <br /> Aus diesem Grund hat der im Bundesministerium für Gesundheit gemäß § 23k der Suchtgiftverordnung eingerichtete Ausschuss für Qualität und Sicherheit in der Substitutionsbehandlung die Problematik aufgegriffen und versucht, Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Diese wurden in Form einer Leitlinie des Bundesministeriums für Gesundheit im Mai 2012 erlassen, mit der Intention, einen Schritt in Richtung der Entwicklung eines State of the Art in der Behandlung der multiplen Substanzabhängigkeit zu setzen sowie fachliche Unterstützung im Umgang mit dem schädlichen Gebrauch und der Abhängigkeit von Benzodiazepinen bei der Behandlung von polytoxikomanen, multipel abhängigen Patienten in Erhaltungstherapie mit Opioiden zu bieten.<sup>10</sup></p> <h2>Leitlinie des Bundesministeriums für Gesundheit</h2> <p><strong>Zielgruppe</strong><br /> Die Leitlinien sind für die Behandlung mehrfach abhängiger Patienten in Opioidsubstitutionsbehandlung mit unkontrollierten, oft hochriskanten Mustern des Konsums von Benzodiazepinen gedacht.<br /> <br /><strong> Oberstes Ziel</strong><br /> Die Schadensbegrenzung und der Verbleib der Patienten in der Behandlung sowie die suchtmedizinische Begleitung des Krankheitsverlaufes wurden als primäre Zielsetzung vereinbart. Eine forcierte abstinenzorientierte Haltung zum Benzodiazepinkonsum würde dagegen die Gefahr des Abbruchs der Substitutionsbehandlung bergen und damit die Patienten einem erhöhten Mortalitätsrisiko aussetzen.<br /> <br /><strong> Indikation zur Benzodiazepinverschreibung</strong><br /> Vor Verschreibung sollte eine umfassende suchtmedizinische Diagnostik inkl. Harnuntersuchung auf Benzodiazepine erfolgen. Diese sollte angesichts der häufigen psychischen Komorbidität immer auch eine psychiatrische Abklärung sowie eine daraus abgeleitete psychophar­makologische Behandlung beinhalten. Weiters sind die Patienten über die Möglichkeit der stationären Teilentzugsbehandlung (Entzug von Benzodiazepinen unter Beibehaltung der Substitutionsmedikation) aufzuklären und bei entsprechender Motivation einer Spezialeinrichtung zuzuweisen.<br /> <br /><strong> „Off-label use“</strong><br /> Die Verschreibung von Benzodiazepinen an Benzodiazepinabhängige stellt einen „off-label use“ dar und ist daher mit einer besonderen Verantwortung, Dokumentations- und Aufklärungspflicht sowie auch Haftung des verschreibenden Arztes verbunden. Nur dann, wenn die Therapieziele der Suchtbehandlung nachvollziehbar nicht auf andere Weise erreicht werden können, ist im Einzelfall abzuwägen, ob die Verordnung von Benzodiazepinen notwendig ist.<br /> <br /><strong> Therapieplan</strong><br /> Eine längerfristige Verschreibung, insbesondere in Dosierungen über der laut Fachinformation zugelassenen Höchstdosierung, sollte immer im Rahmen eines Therapieplanes erfolgen. Auch wenn die Schadensbegrenzung das oberste Behandlungsziel darstellt, sollte doch in der Benzodiazepinverschreibung – anders als in der Opioiddauerverschreibung – eine Reduktionsbehandlung angestrebt werden, d.h. eine Reduktion der Tagesdosis bis zu der laut Fachinformation zugelassenen therapeutischen Dosis und darunter.<br /> Bei Konsum exzessiver Mengen bzw. riskantem, instabilem Konsummuster sollte in einem ersten Schritt eine individuelle therapeutische Tagesdosis festgelegt werden. Erfahrungsgemäß sind auch bei Hochdosisabhängigkeit Tagesdosen von bis zu 200mg Oxazepamäquivalent ausreichend, in seltenen Fällen sind höhere Dosen bis zu 300mg erforderlich.<br /> <br /><strong> Kontrollierte Abgabe gemeinsam mit dem Substitutionsmittel – „Auseinzelung“</strong><br /> Hochdosis-abhängige Patienten weisen zumeist keine ausreichende Kontrolle der Einnahme von Benzodiazepinen auf. Die Abgabe größerer Mengen von Benzodiazepinen (Wochen- oder Monatsbedarf) sollte deshalb wenn möglich vermieden werden. Zur Unterstützung der Stabilisierung des Konsums ist eine kontrollierte Abgabe des verschriebenen Benzodiazepins in der Apotheke gemeinsam mit dem Substitutionsmittel anzustreben. Diese sogenannte „Auseinzelung“ kann gemeinsam mit dem Monatsbedarf über das elektronische Bewilligungssystem der Krankenversicherungsträger beantragt werden.<br /> <br /><strong> Vermeidung von Mehrfachverschreibungen</strong><br /> Die Verschreibung der Benzodiazepine sollte möglichst durch den substituierenden Arzt erfolgen, wenn dies nicht möglich ist, sollten die behandelnden Ärzte über die jeweiligen Verschreibungen informiert sein, um Mehrfachverschreibungen zu vermeiden und die Behandlung zu koordinieren.<br /> <br /><strong> Verschreibung auf Kassenrezepten</strong><br /> Die Verschreibung von Benzodiazepinen sollte wenn möglich auf Kassenrezepten erfolgen, die Verschreibung von Privatrezepten sollte vermieden werden.</p> <h2>Zur Behandlung von Mehrfachabhängigen geeignete Wirkstoffe</h2> <p>Die Leitlinie stellt fest, dass die Verschreibung von Flunitrazepam (bzw. auch Nitrazepam) an Suchtkranke mit besonderen Risiken verbunden ist und deshalb grundsätzlich vermieden werden soll. Flunitrazepam ist eine im ZNS rasch anflutende Substanz. Diese Eigenschaft ist als suchtfördernder Faktor bekannt und führt zu raschen Abhängigkeitsentwicklungen mit teilweise extremen Konsummengen und schweren Verlaufsformen. Die lange Halbwertszeit von Flunitrazepam und das damit verbundene Risiko einer Kumulation spielen eine Rolle bei der Entstehung von letalen Überdosierungen durch Mischkonsum. Aus suchtmedizinischer Sicht sollte deshalb Flunitrazepam in der Behandlung mehrfach abhängiger Patienten nicht verwendet werden.<br /> <br /> Empfohlen werden langsam anflutende Benzodiazepine, die sich in der Praxis bewährt haben, wie das mittellang wirksame Oxazepam (Anxiolit, Praxiten), das lang wirksame Clonazepam (Rivotril) oder auch Diazepam (Gewacalm etc.). Clonazepam eignet sich auch zu einer täglichen Einnahme in der Apotheke, gemeinsam mit dem Substitutionsmittel im Rahmen einer „Auseinzelung“.<br /> <br /> Bei Vorliegen einer Risikoanamnese (Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitiden, vorangegangene epileptische Anfälle usw.) ist zur Prophylaxe eines Entzugsanfalles eine antiepileptische Abschirmung (z.B. Carbamazepin 2x 500mg) zu erwägen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Vogel M et al: Prolonged use of benzodiazepines is associated with childhood trauma in opioid-maintained patients. Drug Alcohol Depend 2011; 119(1-2): 93-8<br /><strong>2</strong> Brands B et al: The impact of benzodiazepine use on methadone maintenance treatment outcomes. J Addict Dis 2008; 27(3): 37-48<br /><strong>3</strong> Frei A, Rehm J: The prevalence of psychiatric co-morbidity among opioid addicts. Psychiatr Prax 2002; 29(5): 258-62<br /><strong>4</strong> Gelkopf et al: Characteristics of benzodiazepine abuse in methadone maintenance treatment patients: a 1 year prospective study in an Israeli clinic. Drug Alcohol Depend 1999; 55(1-2): 63-8<br /><strong>5</strong> Musshoff F et al: Cocaine and benzoylecgonine concentrations in fluorinated plasma samples of drivers under suspicion of driving under influence. Forensic Sci Int 2010; 200(1-3): 67-72<br /><strong>6</strong> Aeschbach Jachmann C et al: Office-based treatment in opioid dependence: a critical survey of prescription practices for opioid maintenance medications and concomitant benzodiazepines in Vienna, Austria. Eur Addict Res 2008; 14(4): 206-12<br /><strong>7</strong> Voshaar RC et al: Predictors of long-term benzodiazepine abstinence in participants of a randomized controlled benzodiazepine withdrawal program. Can J Psychiatry 2006; 51: 445-52<br /><strong>8</strong> Liebrenz M et al: Agonist substitution -- a treatment alternative for high-dose benzodiazepine-dependent patients? Addiction 2010; 105(11): 1870-4<br /><strong>9</strong> Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM): Medizinische Empfehlungen für substitutionsgestützte Behandlungen (SGB) bei Opioidabhängigkeit 2012; <a href="http://www.ssam.ch/SSAM/sites/default/files/Empfehlungen%20SGB_2012_FINAL_05%2003 % 202013.pdf" target="_blank">http://www.ssam.ch/SSAM/sites/default/files/Empfehlungen%20SGB_2012_FINAL_05%2003 % 202013.pdf </a>[accessed on 3 August 2016]<br /><strong>10</strong> Leitlinie des Bundesministers für Gesundheit zum Umgang mit dem schädlichen Gebrauch und der Abhängigkeit von Benzodiazepinen bei Patientinnen und Patienten in Erhaltungstherapie mit Opioiden; <a href="http://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Drogen_Sucht/Drogen/Leitlinie_zum_Umgang_mit_dem_schaedlichen_Gebrauch_und_der_Abhaengigkeit_von_Benzodiazepinen_bei_Patientinnen_und_Patienten_in_Erhaltungstherapie_mit_Opioiden" target="_blank">http://www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Drogen_Sucht/Drogen/Leitlinie_zum_Umgang_mit_dem_schaedlichen_Gebrauch_und_der_Abhaengigkeit_von_Benzodiazepinen_bei_Patientinnen_und_Patienten_in_Erhaltungstherapie_mit_Opioiden</a></p>
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