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Ärzte müssen sich möglichen Gefahren aus dem Netz stellen
Leading Opinions
30
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01.09.2016
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<p class="article-intro">Im Internet lauert überall «big brother»: Menschen, die unsere Daten möchten, um daraus Profit zu ziehen. Wie kann man sich als Arzt dagegen wehren? Den Organisatoren der Frühjahrsversammlung der SGAIM war das Thema so wichtig, dass sie ihm eine Trend Lecture widmeten. David-Olivier Jaquet-Chiffelle, Professor an der Fakultät für Recht, Kriminalwissenschaften und öffentliche Verwaltung an der Universität Lausanne, nahm das Publikum mit auf eine spannende Reise in die digitale «Unterwelt». So manch einem Zuschauer blieb vor Staunen der Mund offen, als er sah, wie viel sich auf digitale Weise über uns herausfinden lässt. Ärzte müssen sich den Gefahren stellen, so Jaquet-Chiffelle, und je mehr man wisse, desto besser könne man sich schützen.</p>
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<p class="article-content"><p>Alles, was wir in der digitalen Welt machen, hinterlässt Spuren: ob private Tätigkeiten oder berufliche, ob gesetzlich oder nicht. Kaufen wir per Kreditkarte ein oder gehen wir spazieren, haben viele von uns das Mobiltelefon dabei, und man kann mit der Geo-Lokalisierung leicht herausfinden, wo wir gerade sind. Suchen wir etwas im Internet, speichert die Suchmaschine unsere Suchbegriffe ab und weiss so Bescheid, wofür wir uns interessieren. «Die Grenze zwischen der realen und der virtuellen Welt verschwindet immer mehr – das ist eine Tatsache», sagte Jaquet-Chiffelle. Viele unserer «körperlichen Identitäten» haben jetzt ein «virtuelles Pendant». So gibt es zum Beispiel kaum noch das Papierfoto, sondern wir nutzen für den Reisepass oder unser Profil im Internet nur noch ein digitales Bild. Die handschriftliche Unterschrift wird durch die digitale ersetzt, Dokumente werden nicht mehr in einem Tresor geschützt, sondern mithilfe von Kryptografie und Passwörtern. Immer mehr Spitäler stellen von Patientenakten aus Papier auf digitale Dossiers um, der normale Brief wird durch E-Mail, SMS oder WhatsApp ersetzt. Das Problem bei gewissen digitalen Identitäten – insbesondere in sozialen Kommunikationsnetzwerken – ist, dass sie mehr Informationen liefern als das analoge Pendant und nicht immer sicher sind. So kann man beispielsweise bei einem Digitalfoto oft rasch herausfinden, wo und mit welchem Apparat es aufgenommen wurde. «Des Weiteren lassen sich digitale Objekte nicht so rasch beseitigen wie materielle», sagte Jaquet-Chiffelle. Einen Brief kann man im Schredder so zerkleinern, dass man nichts mehr lesen kann. Löscht man jedoch E-Mails und auch den Computer-Papierkorb, kann sie jeder, der sich mit Computern auskennt, oft ziemlich schnell wieder zum Vorschein bringen. Digitale Patientenakten sind praktisch und der Arzt kann die Daten jederzeit abrufen. Aber auch pfiffige Hacker haben Zugriff, während die Papierakten im Stationszimmer gut aufgehoben waren.<br /> «Wir brauchen die moderne Technologie, aber wir müssen auch für Verlässlichkeit und Sicherheit sorgen.» In der Medizin sei es zwar wichtig, dass Ärzte einen leichten Zugang zu den Daten des Patienten hätten, aber die Sicherheit der Daten und die Vertraulichkeit des Arztgeheimnisses müssten absolut gewährleistet sein.<br /> Mit einer SWOT-Analyse lassen sich Vor- und Nachteile von Projekten verschiedener Art, Standorten oder Personen auf einen Blick darstellen (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite13.jpg" alt="" width="421" height="447" /></p> <p>SWOT steht für Stärken («strengths»), Schwächen («weaknesses»), Möglichkeiten («opportunities») und Bedrohungen («threats»). Sie lasse sich wunderbar auch auf die digitale Welt anwenden, so Jaquet-Chiffelle. Die Stärken: Man überwindet Zeit und Raum, hat jederzeit und sehr rasch Zugang zu relevanten Informationen, egal wo auf der Welt man sich gerade befindet. Ärzte können sich jederzeit neuste Publikationen herunterladen und auf ihrem Rechner oder in der Cloud speichern, und sie können auf Patientendaten zugreifen. Ein weiteres Plus sei, dass man «big data» generieren und analysieren könne, also riesige Datenmengen.</p> <div id="rot"> <p>«Ich sage nicht, man solle Google, Facebook, Twitter, WhatsApp & Co. nicht benutzen, man muss sich aber damit auskennen und wissen, ob und wie die Daten geschützt werden.» - D.-O. Jaquet-Chiffelle, Lausanne</p> </div> <p>«Das Problem mit der Cloud ist aber, dass man genau schauen muss, wo der Leistungserbringer der Cloud seinen Gerichtsstand hat», sagte der Professor. «Die Datenschutzbestimmungen unterscheiden sich nämlich von Land zu Land.» Eine weitere Frage ist, wer die Daten auf dem Weg von Klinik, Praxis oder Büro zum Server und wer die Daten in der Cloud lesen kann. «Es gibt Chiffrierungsprogramme, die eine hohe Sicherheit gewährleisten. Man muss aber prüfen, ob der Leistungserbringer diese auch verwendet.»<br /> Wer dachte, der eigene Rechner sei sicher, den belehrte Jaquet-Chiffelle eines Besseren. «Heutzutage sind die Hacker sehr pfiffig. Sie könnten Ihnen problemlos eine E-Mail schicken, die so aussieht, als käme sie von Ihrem Chef.» Den Rechner zu Hause solle man bezüglich Datensicherheit wie einen «Feind» sehen. «Ihre Computer zu Hause sind nicht viel sicherer als die Cloud, die über uns schwebt.»<br /> Die grösste Schwäche der digitalen Welt ist, dass man den persönlichen Kontakt verliert. «Es kommt zu einer Dehumanisierung der Medizin.» Wenn ein Patient nur digital Kontakt mit einem Arzt hat, wenn er z.B. einen «Internet-Arzt» anschreibt, weiss er nicht, ob am anderen Ende der Tastatur auch wirklich ein «echter» Arzt sitzt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite14_1.jpg" alt="" width="582" height="388" /></p> <p>Die Möglichkeiten der digitalen Welt sind jedoch gerade in der Medizinwelt enorm. Man kann Erfahrungen mit Kollegen austauschen, von seinen Patienten berichten und sich rasch Rat holen. Mithilfe von Apps für Mobiltelefone, Armbändern, Uhren oder anderen Sensoren messen Tausende von Menschen täglich ihre Körperfunktionen – das können wichtige Informationen für den Arzt sein. So manche bisher unentdeckte Herzrhythmusstörung wurde zum Beispiel entdeckt, weil der Patient dem Arzt per E-Mail sein EKG geschickt hatte. «Das ist ganz toll, aber es birgt auch Risiken.» Medizinische Daten sind per se sensibel und dürfen nicht an Leute gelangen, für die sie nicht bestimmt sind. «Das Internet schafft neue Gelegenheiten für Kriminelle, Gesundheitsdaten zu stehlen.» Eine bestimmte Software, ein sogenannter Keylogger, registriert zum Beispiel jede Taste, die man am Rechner benutzt. Damit lassen sich etwa Nutzername und Passwort herausfinden, die wir nutzen, um uns in den eigenen Computer, ins Spitalnetz oder in die Cloud einzuloggen. «Sobald der Kriminelle sich eingeloggt hat, kann er alle Daten stehlen, die auf dem Computer oder in der Cloud sind.» Die Verbrecher erpressen dann die Betroffenen: Entweder der Arzt bezahlt oder die Patientendaten werden veröffentlicht. Bezahlt wird mit Bitcoins, der virtuellen Währung im Internet. Viele vergessen, dass E-Mails das Pendant einer Postkarte sind. «So wie der Postbote die Karte lesen kann, können Hacker im Internet auch E-Mails lesen.» Twitter ist so, als würde man im Radio oder im Fernsehen sprechen. Die Informationen, die über Twitter mitgeteilt werden, sind nicht verschlüsselt und für jeden ersichtlich, der auf dem Kanal ist. Im Gegensatz dazu werden Nachrichten auf WhatsApp seit Kurzem verschlüsselt übertragen.<br /> Es ist erschreckend, wie einfach sich anhand der Informationen von Twitter alles Mögliche herausfinden lässt. Jaquet-Chiffelle zeigte zur Illustration, was er mit einer speziellen Software in Kürze über einen Prominenten herausgefunden hatte: Auf Google Maps zeigte er dem faszinierten Publikum zum Beispiel eine mit kleinen Punkte übersäte Karte, die darstellte, wo die Person ihre Tweets abgesetzt hat. Anhand einer Häufung der Punkte liess sich sein Wohnort eruieren und durch Vergrösserung der Karte sogar sein Haus finden. Nun wollte Jaquet-Chiffelle wissen, ob die Person auch etwas Medizinisches getwittert hatte – so könnten Versicherungen vorgehen, wenn sie etwas über den Gesundheitszustand eines Menschen herausfinden wollen. Er suchte dafür alle Tweets mit der Endung «scopy» und liess diese auf Google Maps darstellen. Die Person hatte demnach mehrmals Endosko-pien und hatte das munter per Twitter kommentiert. «Über Twitter sollte am besten nur anonymisierte Daten senden – die Informationen sind sehr leicht wieder aufzufinden.»<br /> Will man seine Daten schützen, muss man eine Punkt-für-Punkt-Chiffrierung machen, und zwar von der Ursprungsquelle, also vom eigenen Computer an. WhatsApp bietet seit April 2016 zwar auch so eine Punkt-für-Punkt-Chiffrierung an, aber der Firmensitz von WhatsApp befindet sich in den USA und es gilt folglich US-amerikanisches Recht. Eine Alternative wäre der E-Mail-Dienst ProtonMail, der E-Mails verschlüsselt. «Der Dienst ist einfach, benutzerfreundlich und sehr sicher – wie ein Diplomatenkoffer.» Alle Server und auch der Gerichtsstand befinden sich in der Schweiz.<br /> Wer glaubt, «das Internet» sei die gesamte digitale Welt, irrt sich gewaltig. Was Google und andere Suchmaschinen finden, ist nur die Spitze des Eisberges (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite14_2.jpg" alt="" width="361" height="507" /></p> <p>«Diese Suchdienste finden nur die indizierten Seiten, also die Seiten, die öffentlich zugänglich sind», erklärte Jaquet-Chiffelle. Unter dem Meeresspiegel gibt es noch viel mehr, nämlich zunächst das sogenannte Deep Web, auch verstecktes Web genannt. Dieses ist mit den gängigen Suchmaschinen nicht zugänglich. Es umfasst Inhalte, die nicht frei zugänglich sind, beispielsweise Bankkontodaten. Wenn man noch weiter abtaucht, gelangt man ins Darknet. Das Darknet ist ein mehrfach verschlüsselter, abgeschotteter Teil des Internets, der über das sogenannte Tor-Netzwerk zu erreichen ist. Über das Darknet können Oppositionelle in autoritären Regimen unbemerkt miteinander kommunizieren, aber auch Terrororganisationen nutzen das Darknet für ihre interne Kommunikation, und es werden vielerlei illegale Geschäfte, z.B. mit Waffen und Drogen, betrieben. Jaquet-Chiffelle demonstrierte, wie einfach man mit ein paar Klicks auf die Darknet-Seite BitPharma kommt – ein Portal, auf dem man verschreibungspflichtige Medikamente und Drogen kaufen kann. Es ist erschreckend, wie einfach die Seiten aufrufbar sind.<br /> Man darf die neuen Techniken jedoch nicht verteufeln – die digitale Welt kann gerade im Bereich der Medizin viel Nützliches leisten. «Ich sage nicht, man solle Google, Facebook, Twitter, WhatsApp & Co. nicht benutzen», resümierte Jaquet-Chiffelle. «Man muss sich aber damit auskennen und wissen, ob und wie die Daten geschützt werden.»</p></p>
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