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Demenzbehandlung

Verschiedene individuell angepasste Therapiebausteine

<p class="article-intro">Die pathologischen Veränderungen im Gehirn bei Demenz sind sehr komplex, weshalb es schwierig ist, Therapien zu entwickeln. An der Frühjahrstagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin in Basel erklärte Prof. Dr. med. Egemen Savaskan, wie eine leitliniengerechte Therapie aussieht. Dabei gilt es zwei grosse Schwierigkeiten zu beachten: die Multimorbidität und die Polypharmazie. In erster Linie werden nicht medikamentöse Massnahmen angewendet. Reichen diese nicht aus oder liegt aufgrund der akuten Symptome eine Gefährdung vor, kommen Medikamente zum Einsatz.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Je fr&uuml;her wir mit der Therapie einsetzen, desto besser &ndash; damit kann das Fortschreiten der Demenz gebremst werden&raquo;, sagte Prof. Dr. med. Egemen Savaskan, Chefarzt der Klinik f&uuml;r Alterspsychiatrie an der psychiatrischen Universit&auml;tsklinik Z&uuml;rich. Mehr als 120&thinsp;000 Menschen leiden in der Schweiz zurzeit an Demenz. &laquo;Bis 2050 verdreifacht sich die Zahl vermutlich, wenn wir bis dahin keine kausale Therapie haben&raquo;, so Savaskan. Die Betreuung zu Hause kostet mehr als 55&thinsp;000 Franken pro Person und Jahr, die Betreuung im Heim mehr als 68&thinsp;000 Franken.<sup>1</sup> Die Kosten zu Hause werden zu einem grossen Teil von den Angeh&ouml;rigen getragen.<br /> Als man in den 1980er-Jahren feststellte, dass es bei den Alzheimerpatienten zu einem Mangel an Acetylcholin im Gehirn kommt, vor allem im Nucleus basalis Meynert, wurden Acetylcholinesterase-Hemmer entwickelt. &laquo;Damals dachte man, das Problem sei damit gel&ouml;st. Aber es kommt auch zum Verlust anderer Neurotransmitter, was die Therapie schwierig macht.&raquo; So geht die Konzentration von Noradrenalin im Nucleus coeruleus um 50&ndash;70 % zur&uuml;ck und diejenige von Serotonin in den Raphekernen um 20&ndash;40 % .<sup>2</sup> Die Abnahme dieser Neurotransmitter erkl&auml;rt die neuropsychiatrischen Symptome, auch als behaviorale und psychologische Symptome der Demenz bezeichnet (BPSD). Unter neuropsychiatrischen Beschwerden, zum Beispiel Depression, Angst, Wahn oder Aggressivit&auml;t, leiden viele Patienten (Tab. 1). &laquo;Diese Symptome erschweren die Betreuung oft mehr als die kognitiven Probleme und belasten die Angeh&ouml;rigen enorm&raquo;, berichtete Savaskan. Die H&auml;lfte der Patienten leidet von Anfang an unter einer Depression. Oft ist sie der Grund, weshalb die Betroffenen einen Arzt aufsuchen. Neuropsychiatrische Symptome belasten nicht nur Patient und Angeh&ouml;rige, die Betroffenen m&uuml;ssen auch fr&uuml;her in ein Heim, ihre kognitiven F&auml;higkeiten bauen schneller ab, die Lebensqualit&auml;t sinkt, und sie haben eine schlechtere Prognose.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite15.jpg" alt="" width="812" height="570" /></p> <h2>Nicht medikament&ouml;se Massnahmen</h2> <p>Wegen der Symptomvielfalt besteht die Behandlung aus verschiedenen Therapiebausteinen, die individuell zusammengestellt werden (Abb. 1). Savaskan hat gemeinsam mit Experten verschiedener Schweizer Fachgesellschaften 2014 Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD erarbeitet.<sup>3</sup> In der Behandlung der Demenz werden in erster Linie nicht medikament&ouml;se Interventionen und psychosoziale Massnahmen angewendet. Medikamente kommen zum Einsatz, wenn diese Massnahmen nicht ausreichen oder wenn aufgrund der akuten Symptome eine Gef&auml;hrdung vorliegt. Eine grosse Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass Demenzpatienten h&auml;ufig multimorbid sind und viele Medikamente einnehmen m&uuml;ssen. &laquo;Oft erreicht man schon viel, indem man die Indikation dieser Medikamente pr&uuml;ft und die nicht mehr notwendigen absetzt&raquo;, sagte Savaskan. &laquo;Wir versuchen das gleich am Anfang der Behandlung. Das hilft oft schon, die Symptome zu lindern, die durch Nebenwirkungen der Medikamente verursacht sind.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1604_Weblinks_Seite16.jpg" alt="" width="803" height="494" /> Die nicht medikament&ouml;sen Massnahmen, die auch pr&auml;ventive und symptomlindernde Wirkungen haben k&ouml;nnen, sind viel wichtiger als die Medikamente. Studien haben positive Effekte gezeigt f&uuml;r kreative Aktivit&auml;t, k&ouml;rperliche Bewegung, ausgewogene Ern&auml;hrung mit viel Gem&uuml;se und Obst, ein aktives soziales Leben und die Behandlung der vaskul&auml;ren Risikofaktoren wie Hypertonie.<sup>4</sup> &laquo;W&uuml;rden alle so leben, k&ouml;nnten wir vermutlich viele Demenzkrankheiten, viel Leid und auch viele Kosten sparen&raquo;, sagte Savaskan. &laquo;Man muss mit einem gesunden, aktiven Lebensstil aber schon sehr fr&uuml;h anfangen.&raquo;</p> <h2>Medikament&ouml;se Behandlung</h2> <p>Helfen nicht medikament&ouml;se Massnahmen nicht, sollten zuerst Antidementiva eingesetzt werden. Diese wirken nicht nur gegen kognitive St&ouml;rungen, sondern auch gegen BPSD und sie verursachen weniger Nebenwirkungen als zum Beispiel Neuroleptika. Die World Federation of Societies of Biological Psychiatry empfiehlt bei beginnender kognitiver St&ouml;rung, die nicht den Schweregrad einer Demenz erreicht, keine Antidementiva, weil es daf&uuml;r keine ausreichende Evidenz gibt.<sup>5</sup> F&uuml;r die folgenden Substanzen gibt es gute Evidenz f&uuml;r deren Wirksamkeit bei Alzheimerdemenz: Acetylcholinesterase-Hemmer (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin), Memantin und Ginkgo biloba. Alle zeigen einen moderaten, aber signifikanten Effekt. Symptome werden gelindert, aber die Krankheit an sich kann nicht r&uuml;ckg&auml;ngig gemacht werden.<br /> <br /><strong> Ginkgo biloba</strong><br /> Der standardisierte Ginkgo-biloba-Extrakt wirkt ebenfalls auf kognitive Symptome und auf BPSD, vor allem bei Angst, Reizbarkeit, Apathie und Depression.<sup>6&ndash;8</sup> &laquo;Das Problem sind aber die oft geringe Therapieadh&auml;renz und die kurze Einnahmedauer&raquo;, sagte Savaskan. &laquo;Man muss mit Ginkgo biloba fr&uuml;h im Krankheitsprozess anfangen und es regelm&auml;ssig nehmen.&raquo; Viele Patienten seien dem Pr&auml;parat gegen&uuml;ber sehr offen, erz&auml;hlte der Psychiater, weil es ein pflanzliches Mittel ist. &laquo;Aber dann f&uuml;hren sie die Behandlung nicht kontinuierlich fort.&raquo;<br /> <br /><strong> Acetylcholinesterase-Hemmer</strong><br /> Acetylcholinesterase-Hemmer wirken bei leichter bis mittelschwerer Demenz. Es soll die h&ouml;chste vertr&auml;gliche Dosis angestrebt werden, aber man steigt zun&auml;chst mit geringen Dosen ein. Die Auswahl des Acetylcholinesterase-Hemmers orientiert sich gem&auml;ss S3-Leitlinie<sup>9</sup> prim&auml;r am Nebenwirkungsprofil, da es bisher keine ausreichenden Hinweise gibt, dass eine dieser Substanzen besser wirken w&uuml;rde als die anderen. Acetylcholinesterase-Hemmer lindern sowohl die kognitiven Symptome, als auch die BPSD, vor allem Depression, Angst und Apathie.<br /> <br /><strong> Memantin</strong><br /> Der nicht kompetitive NMDA-Rezeptor-antagonist Memantin wird bei mittelschwerer bis schwerer Demenz empfohlen. Er wirkt vor allem auf Agitation, Aggressivit&auml;t und psychotische Symptome. Es gibt Hinweise darauf, dass Patienten von der Kombination von Memantin mit einem Acetylcholinesterase-Hemmer mehr profitieren als von der Einzeltherapie.<sup>10</sup><br /> <br /><strong> Antidepressiva</strong><br /> Viele Demenzpatienten leiden, oft von Anfang an, unter einer Depression. &laquo;Mit einer effektiven antidepressiven Therapie k&ouml;nnen wir auch die anderen Symptome positiv beeinflussen&raquo;, so Savaskan. Die Depression verschlechtert Kognition und Alltagsfunktionen zus&auml;tzlich. Es gibt wenige kontrollierte Studien &uuml;ber Antidepressiva bei &auml;lteren Menschen. Trizyklische Antidepressiva werden wegen der anticholinergen Nebenwirkungen nicht empfohlen. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer k&ouml;nnen die Depression bei korrekter Indikationsstellung bessern.<br /> <br /><strong> Schlafmittel</strong><br /> Benzodiazepine waren lange Zeit die am h&auml;ufigsten verordneten Medikamente gegen Schlafst&ouml;rungen. &laquo;Sie sind aber sehr problematisch wegen der Nebenwirkungen &ndash; unter anderem St&uuml;rze und Atemdepression &ndash; und wegen des Abh&auml;ngigkeits- potenzials&raquo;, warnte Savaskan. &laquo;Sie sollten nur im Notfall, zeitlich limitiert und in niedrigster Dosierung eingesetzt werden. Grunds&auml;tzlich sollten Demenzpatienten m&ouml;glichst keine Benzodiazepine erhalten.&raquo; Benzodiazepin-Analoga verursachen etwas weniger Nebenwirkungen, es gibt aber kaum Studien zur Wirksamkeit. Auch Melatonin in Kombination mit einer Lichttherapie kann versucht werden, aber auch dazu gibt es nur ungen&uuml;gende Daten. &laquo;Viel wichtiger als Medikamente ist eine gute Schlafhygiene&raquo;, betonte Savaskan, &laquo;also eine geordnete Tagesstruktur mit physischer Aktivit&auml;t, regelm&auml;ssige Essenszeiten, keine Stimulanzien wie Kaffee oder Alkohol ab dem Nachmittag und geringe Reiz&uuml;berflutung mit ruhiger Umgebung. Das hilft gut und verursacht keine Nebenwirkungen.&raquo; <br /> <br /><strong> Neuroleptika</strong><br /> Der Einsatz von Neuroleptika bei Demenzpatienten ist sehr problematisch. Einige kontrollierte Studien zeigen, dass sie bei BPSD wirken. &laquo;Das macht es schwierig, Neuroleptika nicht zu empfehlen. Aber wegen der schweren Nebenwirkungen sollte man die Indikation alle sechs Wochen &uuml;berpr&uuml;fen und versuchen, die Pr&auml;parate abzusetzen, wenn die Symptome verschwinden.&raquo; Eine Behandlung sollte mit der geringstm&ouml;glichen Dosis unter engmaschiger Kontrolle und zeitlich limitiert erfolgen. Klassische Neuroleptika wie Haloperidol d&uuml;rfen nur bei &Uuml;berg&auml;ngen zum Delir eingesetzt werden. Alte Substanzen wie Pipamperon kann man unter Ber&uuml;cksichtigung der Nebenwirkungen bei Agitation und Aggressivit&auml;t verschreiben, aber die Wirksamkeit ist nicht in kontrollierten Studien belegt. Zunehmend werden neuere Substanzen wie atypische Neuroleptika bei BPSD eingesetzt, etwa Risperidon, Aripiprazol, Olanzapin oder Quetiapin. Bis auf Risperidon erfolgt der Einsatz dieser Medikamente &laquo;off-label&raquo;. Atypische Neuroleptika wirken gut bei Aggressivit&auml;t, Unruhe und psychotischen Symptomen.<br /> Antipsychotika gehen mit einem erh&ouml;hten Mortalit&auml;tsrisiko einher, sie verursachen zerebrovaskul&auml;re Ereignisse, Herzrhythmusst&ouml;rungen, St&ouml;rungen des Metabolismus wie metabolisches Syndrom und k&ouml;nnen zu Pneumonien, Beinvenenthrombosen oder Blutbildver&auml;nderungen f&uuml;hren. Vor dem Einsatz sollte neben einer klinischen Anamnese genau nach Krankheiten in der Familie gefragt werden, ein EKG muss durchgef&uuml;hrt, die Elektrolyte m&uuml;ssen bestimmt werden und man muss pr&uuml;fen, ob es Interaktionen mit anderen Medikamenten gibt.<br /> <br /><strong> Schmerzbehandlung</strong><br /> Schmerzen k&ouml;nnen BPSD verst&auml;rken, aber auch ausl&ouml;sen. &laquo;Schmerzen m&uuml;ssen bei Demenzkranken gezielt behandelt werden&raquo;, sagte Savaskan. Dabei muss man aber das delirogene Potenzial der Substanzen beachten. &laquo;Eine ad&auml;quate Schmerztherapie hilft wahrscheinlich auch, die kognitive Funktion zu verbessern. Es gibt daf&uuml;r zwar noch keine Evidenz, zurzeit laufen aber gute Studien zu diesem Thema.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Schweizerische Alzheimervereinigung, 2012 <br /><strong>2</strong> Lanari A et al: Neurotransmitter deficits in behavioural and psychological symptoms of Alzheimer&rsquo;s disease. Mech Ageing Dev 2006; 127: 158-65 <br /><strong>3</strong> Savaskan E et al: Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychiatrischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis 2014; 103: 135-48 <br /><strong>4</strong> Plassmann BL et al: Systematic review: factors associated with risk for and possible prevention of cognitive decline in later life. Ann Intern Med 2010; 153: 182-93 <br /><strong>5</strong> Ihl R et al: World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for the biological treatment of Alzheimer&rsquo;s disease and other dementias. World J Biol Psychiatry 2011; 12: 2-32 <br /><strong>6</strong> Napryeyenko O et al: Efficacy and tolerability of Ginkgo biloba extract EGb 761 by type of dementia: analyses of a randomised con-trolled trial. J Neurol Sci 2009; 283: 224-9 <br /><strong>7</strong> Ihl R et al: Baseline neuropsychiatric symptoms are effect modifiers in Ginkgo biloba extract (EGb 761&reg;) treatment of dementia with neuropsychiatric features. Retrospective data analyses of a randomized controlled trial. J Neurol Sci 2010; 299: 184-7 <br /><strong>8</strong> Herrschaft H et al: Ginkgo biloba extract EGb 761&reg; in dementia with neuropsychiatric features: a randomised, placebo-controlled trial to confirm the efficacy and safety of a daily dose of 240 mg. J Psychiatr Res 2012; 46: 716-23 <br /><strong>9</strong> DGPPN: S3-Leitlinie &laquo;Demenzen&raquo;, 1. Revision, August 2015. <a href="https://www.dgppn.de/publikationen/s3-leitlinie-demenzen.html" target="_blank">https://www.dgppn.de/publikationen/s3-leitlinie-demenzen.html</a> <br /><strong>10</strong> Lopez OL et al: Long-term effects of the concomitant use of memantine with cholinesterase inhibition in Alzheimer disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2009; 80: 600-7 <br /><strong>11</strong> Steinberg M et al: Point and 5-year period prevalence of neuropsychiatric symptoms in dementia: the Cache County Study. Int J Geriatr Psychiatry 2008; 23: 170-7</p> </div> </p>
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