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ERS 2016

Tuberkulosescreening in den Industrienationen

<p class="article-intro">Wer soll auf latente Tuberkulose (TB) gescreent werden und wie soll das Screening erfolgen? Diese Frage beantwortet eine Leitlinie der WHO, die auf die Gegebenheiten in Ländern mit niedriger TB-Prävalenz zugeschnitten wurde.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite22.jpg" alt="" width="625" height="686" /></p> <p>Tuberkulose ist in den westlichen Industrienationen heute gl&uuml;cklicherweise von untergeordneter Bedeutung. Doch verschwunden ist sie nicht. Sorgen bereitet nicht nur die m&ouml;gliche Wiederkehr der Erkrankung (mit m&ouml;glicherweise resistenten Erregern), sondern auch die Reaktivierung latenter Tuberkulose durch immer h&auml;ufiger eingesetzte immunsuppressive oder immunmodulierende Therapien. Die WHO hat aus diesem Grund Guidelines f&uuml;r das Management der latenten TB in &bdquo;low burden countries&ldquo; erarbeitet, die im Rahmen des ERS-Kongresses in London er&ouml;rtert wurden. Die WHO erstellt ihre Leitlinien nach dem GRADE-System, das nicht nur Nutzen und Schaden abw&auml;gen und bevorzugte Vorgehensweisen benennen, sondern auch die Nutzung von Ressourcen einbeziehen soll. Letzteres ist im Zusammenhang mit der TB auch insofern wichtig, als die WHO seit Jahren die Wirksamkeit von Antibiotika als &bdquo;nat&uuml;rlicher Ressource&ldquo; also gewisserma&szlig;en als wertvollen Rohstoff einstuft. Eine starke Empfehlung bedeutet, dass die meisten Patienten die empfohlene Handlungsweise &bdquo;wollen w&uuml;rden&ldquo;, w&auml;hrend dies bei einer eingeschr&auml;nkten (&bdquo;conditional&ldquo;) Empfehlung nur auf eine Mehrheit der Patienten zutrifft. Bei eingeschr&auml;nkten Empfehlungen sollen Kliniker die Patienten bei ihrer Entscheidung beraten.</p> <h2>Weltweit enorme Pr&auml;valenz der latenten TB</h2> <p>Die latente Tuberkulose wird von der WHO definiert als &bdquo;Zustand persistierender Immunantwort auf Stimulation durch Mycobacterium-tuberculosis-Antigen ohne Hinweis auf klinisch manifeste, aktive TB.&ldquo; Dieser Zustand ist keineswegs selten, wie Dr. Haileyesus Getahun vom Global TB Programme der WHO betont. In S&uuml;dostasien ist davon fast die H&auml;lfte der Bev&ouml;lkerung betroffen und selbst im Niedrigrisiko-Kontinent Europa sind es noch 14 % .<sup>1</sup> Nach Sch&auml;tzungen k&ouml;nnten 30 % der Weltbev&ouml;lkerung betroffen sein. Eine Reaktivierung der TB ist m&ouml;glich. Laut Sch&auml;tzungen der WHO werden so aus weltweit rund 2 Mrd. latent Infizierten j&auml;hrlich etwa 9 Mio. aktive Tuberkulosef&auml;lle.<br /> Die neue WHO-Leitlinie richtet sich an 113 L&auml;nder mit mittlerem oder hohem Pro-Kopf-Einkommen und einer TB-Inzidenz unter 100 F&auml;llen auf 100.000 Einwohner. Die empfohlenen Ma&szlig;nahmen entsprechen zwar einem &bdquo;public health approach&ldquo;, sollten aber nicht auf Kosten des individuellen Benefits gehen. Die Empfehlungen f&uuml;r ein Screening auf latente TB fallen folglich auch sehr restriktiv aus. Eine starke Empfehlung f&uuml;r ein Screening auf latente TB und subsequente Therapie wurde gegeben f&uuml;r Personen mit HIV-Infektion, Erwachsene und Kinder mit Kontakt zu TB-Patienten, vor Beginn einer Therapie mit einem TNF-Inhibitor, vor Organtransplantationen, f&uuml;r Patienten an der Dialyse und f&uuml;r Patienten mit Silikose. In Erw&auml;gung gezogen werden sollte ein Screening (&bdquo;conditional recommendation&ldquo;) bei H&auml;ftlingen, medizinischem Personal, Obdachlosen, Drogenkonsumenten sowie Migranten aus Hochrisikoregionen. Dr. Getahun f&uuml;gt allerdings hinzu, dass die Evidenz f&uuml;r diese Empfehlungen schwach bis sehr schwach ist. Bei allen anderen Personengruppen, bei denen Screeningma&szlig;nahmen angedacht werden, wie zum Beispiel Rauchern oder Diabetikern, spricht sich die WHO gegen ein systematisches Screening aus.<br /> Der Test auf latente Tuberkulose kann in L&auml;ndern mit niedrigem Risiko mittels Tuberkulin-Hauttest (TST) oder Interferon-Gamma Release Assay (IGRA) erfolgen. Allerdings soll der TST in L&auml;ndern mit hohem Risiko nicht den &uuml;berlegenen IGRA ersetzen. Basis dieser Empfehlung ist eine von der WHO durchgef&uuml;hrte Metaanalyse verschiedener Studien, die den Pr&auml;diktionswert der Tests im Hinblick auf eine Reaktivierung der Tuberkulose untersuchten. Dabei ergab sich kein nennenswerter Unterschied. &bdquo;Das gen&uuml;gt nicht, um zu sagen, einer w&auml;re besser als der andere. Es gibt daher eine starke Empfehlung, allerdings bei schwacher Evidenz, da direkte Vergleichsstudien fehlen.&ldquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Pneumo_1605_Weblinks_seite23.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Aktive TB mittels Anamnese und R&ouml;ntgen ausschlie&szlig;en</h2> <p>Eine aktive TB muss mittels Anamnese und unter Umst&auml;nden mittels eines Thoraxr&ouml;ntgens ausgeschlossen werden, bevor eine latente TB behandelt wird (Abb.&nbsp;1). Die Kombination von Anamnese und R&ouml;ntgen weist eine Sensitivit&auml;t von 100 % auf, es ist also nicht damit zu rechnen, dass TB-F&auml;lle &uuml;bersehen werden. Dr. Getahun: &bdquo;Wenn Klinik und R&ouml;ntgen unverd&auml;chtig sind, k&ouml;nnen Sie davon ausgehen, dass keine aktive Tuberkulose im Spiel ist und die latente TB behandeln.&ldquo; Allerdings liegt die Spezifit&auml;t bei lediglich 61 % , sodass weiterf&uuml;hrende Untersuchungen erforderlich sind, wenn TB-Symptome angegeben oder radiologische Auff&auml;lligkeiten gefunden werden.<br /> Bei positivem Test und nach Ausschluss einer aktiven TB empfiehlt die WHO unterschiedliche antibiotische Regime: Isoniazid &uuml;ber sechs Monate (6H), Isoniazid &uuml;ber neun Monate (9H), Rifapentin und Isoniazid &uuml;ber drei Monate (3HP), drei bis vier Monate Rifapentin plus Rifampicin (3&ndash;4HR) oder drei bis vier Monate Rifampicin-Monotherapie (3&ndash;4R). Allerdings wurde, so Dr. Getahun, die Empfehlung f&uuml;r Rifampicin sowohl in Kombination als auch in Monotherapie lediglich mit einer knappen Mehrheit im Leitlinien-Komitee ausgesprochen. Dr. Getahun: &bdquo;In der Diskussion konnte kein Konsens erreicht werden &ndash; was ungew&ouml;hnlich war &ndash; und wir mussten abstimmen. Mit knapper Mehrheit wurde entschieden, dass Rifampicin den anderen Optionen gleichwertig ist.&ldquo; Um die verf&uuml;gbare Evidenz zu bewerten, wurde ein komplizierter Review von Vergleichsstudien zwischen den einzelnen Regimen im Hinblick auf die TB-Inzidenz und die Hepatotoxizit&auml;t durchgef&uuml;hrt. Sie zeigt eine vergleichbare Wirksamkeit aller empfohlenen Therapien, allerdings mit einer deutlich h&ouml;heren Hepatotoxizit&auml;t von Rifampicin im Vergleich zu Isoniazid.<br /> Hinsichtlich des Managements der Nebenwirkungen werden die Kontrolle in Form monatlicher Visiten sowie die gr&uuml;ndliche Aufkl&auml;rung der Patienten &uuml;ber m&ouml;gliche Nebenwirkungen empfohlen. Basierend auf dem individuellen Risiko sollten vor Beginn der Therapie Laborwerte erhoben werden. Studiendaten zeigen bei korrekter Anwendung der Therapien kein signifikantes Risiko der Entwicklung von Resistenzen. Das Guideline-Komitee empfiehlt jedoch, nationale Programme zur &Uuml;berwachung m&ouml;glicher Resistenzentwicklungen zu etablieren.<br /> Die neue Leitlinie enth&auml;lt auch Empfehlungen, wie bei Personen vorgegangen werden soll, die Kontakt zu Patienten mit multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) hatten. Die Leitlinie empfiehlt keine medikament&ouml;se Therapie, aber engmaschiges Monitoring hinsichtlich des Auftretens aktiver Tuberkulose &uuml;ber mindestens zwei Jahre. Ein Update dieser Empfehlung sei jedoch, so Dr. Getahun, gegenw&auml;rtig in Arbeit.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Corbett EL et all: The growing burden of tuberculosis: global trends and interactions with the HIV epidemic. Arch Intern Med 2003; 163(9): 1009-21</p> </div> </p>
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