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31 ECNP Congress

Stress induziert neurologische Störungen bis in die nächste Generation

<p class="article-intro">Depressionen, Stress und Resilienz sind in unserer schnelllebigen Zeit zu einem wichtigen Thema geworden. Etwa 20 % der Europäer leiden unter einer Major Depression und die Hälfte dieser Menschen unter einer ängstlichen Depression. Dass Kindheitserlebnisse bei der Entwicklung einer Depression eine Rolle spielen können, ist bekannt. In welchem Ausmaß Stresssituationen zu Veränderungen im Gehirn führen und sogar den Nachwuchs betreffen können, wird zunehmend erforscht. Beim 31. Kongress des European College of Neuropsychopharmacology wurden interessante Erkenntnisse zu dem Thema präsentiert.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wird &uuml;ber die Widerstandskraft gegen Stress (Resilienz) diskutiert, so besteht das erste Problem bereits in der Begriffsfindung, erkl&auml;rte Nic van der Wee vom Leiden University Medical Center. Probleme mache, dass die Resilienz per se kein festzulegender Punkt sei, sondern heute eher als &Uuml;bergang oder als Prozess verstanden werde. Ausgangspunkt ist, dass ein akuter oder chronisch bestehender Stress zu einer Reaktion f&uuml;hrt, der eine Phase der Erholung folgt, bis eine Phase des langfristigen Ergebnisses und schlie&szlig;lich ein endg&uuml;ltiges Ergebnis erreicht wird. Im dynamischen Prozess der Traumaverarbeitung bei resilienten Personen wird eine Phase der direkten Heilung nach Stressaussetzung als automatischer psychologischer und biologischer Prozess beschrieben. Dem folgt in einer l&auml;ngerfristigen Phase ein mentaler Prozess, der bis hin zu einer Sinnfindung in dem Erlebten und einer Ver&auml;nderung des Lebensziels f&uuml;hren kann. Von Resistenz w&uuml;rde man sprechen, wenn es keine Sch&auml;digung w&auml;hrend oder nach der Stressaussetzung g&auml;be, bemerkte van der Wee. <br />Die Ans&auml;tze zur Erkl&auml;rung der psychologischen und psychosozialen Faktoren sind vielf&auml;ltig. Neurologische Ver&auml;nderungen im Gehirn von Personen mit hoher Stressresilienz scheinen die rechte anteriore Insula und den anterioren cingul&auml;ren Kortex (ACC) zu betreffen.<sup>1</sup> Dass ein spezielles Training zur Achtsamkeit vor Stressaussetzung positive Ver&auml;nderungen hervorrufen kann, zeigte eine Studie mit 281 angehenden Soldaten.<sup>2</sup> Nach dem Achtsamkeitstraining wurden geringere Neuropeptid-&gamma;-Plasmakonzen trationen und weniger Blutoxygenspiegel-abh&auml;ngige Signale in der rechten Insula und dem ACC beobachtet.</p> <h2>Kindheitserfahrungen und Resilienz brauchen individuelle Modelle</h2> <p>Es sei erstaunlich, dass in Millionen von Jahren der menschlichen Evolution Stress immer allgegenw&auml;rtig war, aber der Mensch so wenige Mechanismen entwickelt habe, um damit umzugehen, konstatierte Mathias V. Schmidt, Max-Planck-Institut, M&uuml;nchen. Es seien multiple epigenetische und molekulare Adaptionen aufgrund von Stress in fr&uuml;hen Lebensphasen bekannt, die lebenslange Konsequenzen auf die Psyche und das Verhalten des Individuums haben.<sup>3</sup> So ist die Stressaussetzung konsistent und signifikant mit einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r die Entwicklung einer Depression assoziiert.<sup>4</sup> Da das Risiko f&uuml;r eine psychiatrische St&ouml;rung laut epidemiologischen Studien durch fr&uuml;he Stressaussetzung erh&ouml;ht ist, sollten molekulare Anpassungen als Folge der fr&uuml;hen Stressaussetzung weniger gut vererbbar sein, erkl&auml;rte Schmidt. Allerdings seien die stressinduzierten Adaptionen gut erhalten und sehr spezifisch.<br /> In diversen Modellen wird versucht, der Auswirkung von fr&uuml;her Stressaussetzung auf sp&auml;tere Stressresilienz oder -vulnerabilit&auml;t Rechnung zu tragen. Das kumulative Modell erwartet mehr stressbedingte Erkrankungen, wenn der Stress kumuliert. Die Mismatch-Hypothese zielt hingegen darauf ab, dass eine genetische Pr&auml;disposition sowie bestimmte Situationen im Erwachsenenalter zusammenkommen m&uuml;ssen, um eine stressbedingte Erkrankung auszul&ouml;sen.<sup>5</sup> Die individuelle Pr&auml;disposition w&uuml;rde demnach eher dem kumulativen Modell entsprechen, wenn wenig Stress in fr&uuml;hen Lebensphasen bestand, oder dem Mismatch-Modell, wenn Personen einem starken programmierenden Effekt ausgesetzt waren. Dies konnte &ndash; zumindest im Tiermodell &ndash; best&auml;tigt werden.<sup>6</sup> Moderater Stress in fr&uuml;hen Lebensphasen erh&ouml;hte die Stressresilienz der M&auml;use. Dabei wurden diverse Genexpressionen in verschiedenen Hirnregionen identifiziert, die sich als pr&auml;diktiv f&uuml;r die individuelle Stressvulnerabilit&auml;t erwiesen.<sup>7</sup></p> <h2>Auf Kindesmissbrauch folgt st&auml;rkere biochemische Stressantwort</h2> <p>Bei &auml;ngstlichen Depressionen aufgrund eines Kindheitstraumas ver&auml;ndern sich h&auml;ufig die molekularen Strukturen im Gehirn und Standardmedikamente werden ineffektiv, so neue Erkenntnisse, die beim ECNP pr&auml;sentiert wurden.<sup>8</sup> Bei Patienten mit Major Depression und Angstst&ouml;rungen ist die Erkrankung meistens schwerer Natur, es wird ein schlechtes Therapieergebnis erreicht und das Selbstmordrisiko ist gegen&uuml;ber einer &bdquo;normalen&ldquo; Depression erh&ouml;ht. Wissenschaftler haben nun festgestellt, dass die Biochemie der Patienten mit &auml;ngstlicher Depression sich von anderen Depressionen unterscheidet und daher eine andere Behandlung erwogen werden sollte. Zudem weisen Patienten, die als Kinder sexuell missbraucht worden sind, mit h&ouml;herer Wahrscheinlichkeit eine ver&auml;nderte Biochemie auf. <br />Es wurden 144 Patienten mit Major Depression untersucht, von denen bei 78 Patienten eine &auml;ngstliche Depression festgestellt wurde. 30 % der Patienten mit &auml;ngstlicher Depression versus 16 % mit anderen Depressionen waren als Kind sexuell missbraucht worden und 76 % versus 58 % erlitten eine emotionale Vernachl&auml;ssigung. Es wurde auch ein Unterschied beider Gruppen im Umgang mit Stresshormonen beobachtet: Patienten mit &auml;ngstlicher Depression reagierten mit erh&ouml;hter Sensitivit&auml;t der HPA(Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden)-Achse, w&auml;hrend Patienten mit anderer Depression h&auml;ufiger eine reduzierte Sensitivit&auml;t zeigten. Patienten, die als Kinder sexuell missbraucht worden waren, wiesen ein reaktiveres Immunsystem auf, nicht so aber Patienten mit &auml;ngstlicher Depression, die nicht missbraucht woden waren. Demnach hat das fr&uuml;he Trauma im Leben der Patienten m&ouml;glicherweise zu einer Konditionierung des Immunsystems und damit zu einer anderen Art auf Stress zu reagieren gef&uuml;hrt. Da ein schlechterer Behandlungserfolg gesehen wird, sollte bei Patienten mit &auml;ngstlicher Depression und Kindheitstrauma m&ouml;glicherweise eine differenzierte Behandlung erwogen werden.</p> <h2>Schnellere DNA-Alterung nach Kindheitstrauma</h2> <p>Es verdichten sich auch die Hinweise darauf, dass schwere Depressionen und Traumata mit einer k&uuml;rzeren &Uuml;berlebenszeit assoziiert sind. Nun konnte ein internationales Wissenschaftlerteam zeigen, dass eine Major Depression messbare Ver&auml;nderungen der DNA-Methylierung bedingt, die mit den Werten &auml;lterer Menschen ohne Depression korrespondieren.<sup>9</sup> In die Untersuchung wurden 811 Patienten mit Depression und 319 Kontrollpersonen eingeschlossen. Laut Blutuntersuchungen waren Patienten des gleichen chronologischen Alters bei Vorliegen einer Depression um durchschnittlich 8 Monate &auml;lter als die nicht depressiven Kontrollen. In wenigen F&auml;llen mit extrem schwerer Depression wurde ein um 10&ndash;15 Jahre h&ouml;heres biologisches als chronologisches Alter festgestellt. Eine Hirnuntersuchung post mortem an 74 depressiven und 64 nicht depressiven Patienten best&auml;tigte diese Ergebnisse auch f&uuml;r das Hirngewebe. Patienten, die angaben, in einem Alter unter 16 Jahren emotionale Vernachl&auml;ssigung, sexuellen oder psychischen Missbrauch erlebt zu haben, zeigten eine um 1,06 Jahre vorgestellte Lebensuhr. Damit weist diese Studie auf die Notwendigkeit hin, Kindheitstraumen pr&auml;ventiv zu begegnen sowie Traumata fr&uuml;h zu behandeln, um depressiven St&ouml;rungen, aber auch epigenetischen Ver&auml;nderungen vorzubeugen.</p> <h2>Vom Vater auf seine Nachkommen vererbter Stress</h2> <p>Ob stressbedingte Erkrankungen vererbbar sind, damit besch&auml;ftigt sich Tracy L. Bale, School of Medicine, Baltimore, USA. In einer Keynote-Lecture pr&auml;sentierte sie beim ECNP in Barcelona Ergebnisse zum Einfluss von pr&auml;natalen Stresssituationen des Vaters auf die nachfolgende Generation. Dazu setzte sie m&auml;nnliche M&auml;use Stresssituationen aus, gab die M&auml;use zur Paarung mit den Muttertieren zusammen und untersuchte schlie&szlig;lich den Nachwuchs auf Ver&auml;nderungen der Keimbahnzellen und Einfl&uuml;sse auf die Gehirnentwicklung. Im Ergebnis konnten bei der Tochtergeneration Dysregulationen der HPA-Achse festgestellt werden. <br />Der v&auml;terliche Samen wurde zudem auf Ver&auml;nderungen der miRNA untersucht und ge&auml;nderte Expressionsmuster wurden sowohl in extrazellul&auml;ren Vesikeln (EV) der Samen als auch im Sperma der gestressten M&auml;use identifiziert. Wurde die miRNA der gestressten V&auml;ter in die Zygoten der M&uuml;tter injiziert, zeigte sich in der Tochtergeneration ein Stressph&auml;notyp. Ebenso scheint die Sperma-miRNA die gespeicherte mRNA der Muttertiere zu beeinflussen. Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass miRNA-haltige EV der Nebenhodenepithelzellen f&uuml;r die &bdquo;Stress-Programmierung&ldquo; bei der Befruchtung der Eizelle verantwortlich ist. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Erlebnisse der Eltern eine epigenetische Programmierung der Keimzellen induzieren k&ouml;nnen und die neurologische Entwicklung der Nachkommen beeinflussen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 31<sup>st</sup> ECNP Congress, 6.–9. Oktober 2018, Barcelona </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Haase L et al.: Mindfulness-based training attenuates insula response to an aversive interoceptive challenge. Soc Cogn Affect Neurosci 2016; 11: 182-90 <strong>2</strong> Johnson DC et al.: Modifying resilience mechanisms in at-risk individuals: A controlled study of mindfulness training in marines preparing for deployment. Am J Psychiatry 2014; 171: 844-53 <strong>3</strong> De Kloet ER et al.: Stress and the brain: From adaptation to disease. Nat Rev Neurosci 2005; 6: 463-75 <strong>4</strong> Culverhouse RC et al.: Collaborative meta-analysis finds no evidence of a strong interaction between stress and 5-HTTLPR genotype contributing to the development of depression. Mol Psychiatry 2018; 23: 133-42 <strong>5</strong> Nederhof E, Schmidt MV: Mismatch or cumulative stress: Toward an integrated hypothesis of programming effects. Physiol Behav 2012; 106: 691-700 <strong>6</strong> Santarelli S et al.: Evidence supporting the match/mismatch hypothesis of psychiatric disorders. Eur Neuropsychopharmacol 2014; 24: 907-14 <strong>7</strong> K&ouml;hler JC et al.: Early-life adversity induces epigenetically regulated changes in hippocampal dopaminergic molecular pathways. Mol Neurobiol 2018, doi:org/10.1007/ s12035-018-1199-1 <strong>8</strong> Lehrieder D et al.: Childhood trauma dependent anxious depression sensitizes HPA axis function. ECNP 2018, Poster #555 <strong>9</strong> Han L et al.: Epigenetic aging in major depressive disorder. ECNP 2018, Abstr. #S14.08</p> </div> </p>
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