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ANIM 2017

Schlaganfallbehandlung auf neuen Wegen

<p class="article-intro">1600 Experten diskutierten bei der ANIM 2017 in Wien aktuelle Erkenntnisse in der Neurologie, Neurointensivmedizin und Neurochirurgie. Ein wichtiger Schwerpunkt lag dabei auf neuen Therapieoptionen des Schlaganfalls.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>MTE in &Ouml;sterreich fl&auml;chendeckend eingef&uuml;hrt</h2> <p>&bdquo;Die mechanische Thrombektomie &ndash; MTE &ndash; ist eine bahnbrechende neue Methode in der akuten Schlaganfalltherapie und &auml;ndert die Behandlungsm&ouml;glichkeiten bei schwer betroffenen Schlaganfallpatienten grundlegend&ldquo;, betont Prof. Dr. Stefan Kiechl, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurologie in Innsbruck und Pr&auml;sident der &Ouml;GSF. Mittels eines Mikrokatheters wird die verstopfte Hirnarterie von dem Blutgerinnsel befreit. Die Hirndurchblutung kann so rasch wiederhergestellt und schwere Behinderungen durch den Schlaganfall oft vermieden werden. Die neue Behandlung kommt bei Schlaganf&auml;llen zur Anwendung, bei denen gro&szlig;e Hirngef&auml;&szlig;e durch entsprechend gro&szlig;e Gerinnsel verschlossen sind und die bisherigen Behandlungsmethoden oft nicht ausreichend angesprochen haben.<br /><br /> Eine fl&auml;chendeckende Rund-um-die- Uhr-Versorgung mit dieser neuen Schlaganfalltherapie ist in ganz Europa eine gro&szlig;e Herausforderung. &bdquo;In &Ouml;sterreich wurden 2016 bereits rund 650 Schlaganfallpatienten mit einer mechanischen Thrombektomie behandelt, doppelt so viele wie noch im Jahr 2014&ldquo;, so Prof. Kiechl. &bdquo;&Ouml;sterreich ist eines der ersten L&auml;nder in Europa, das eine fl&auml;chendeckende Versorgung von zumindest 95 % des Bundesgebietes bereits umgesetzt hat. Das Bundesministerium f&uuml;r Gesundheit und Frauen &uuml;berwacht in Zusammenarbeit mit der &Ouml;GSF und den radiologischen Fachgesellschaften die Behandlungsqualit&auml;t mittels l&uuml;ckenloser Dokumentation des Behandlungsergebnisses.&ldquo;</p> <h2>Grauzone der MTE-Indikation</h2> <p>2015 wurden sieben Studien zur MTE vorgelegt, die zur Etablierung der MTE als evidenzbasierter Behandlung gef&uuml;hrt haben. Ein aktueller Review zeigt, dass die MTE die Chance f&uuml;r ein gutes Ergebnis um 56 % erh&ouml;ht und die Sterblichkeit um 14 % mindert.<sup>1</sup> Dies gilt den Studien zufolge f&uuml;r distale Karotisverschl&uuml;sse (Karotis-T-Verschl&uuml;sse) und M1-Verschl&uuml;sse (Verschl&uuml;sse des Mediahauptstammes). Es gibt keine ausreichende Evidenz f&uuml;r weitere distale Mediaverschl&uuml;sse, sogenannte M2-Verschl&uuml;sse, sowie f&uuml;r die Basilararterienverschl&uuml;sse.<br /><br /> In dieser Grauzone ist es jedoch sehr sinnvoll, Basilararterienverschl&uuml;sse neben einer intraven&ouml;sen Lyse mit einer MTE zu behandeln, weil die Prognose dieses Krankheitsbildes au&szlig;erordentlich ung&uuml;nstig ist und weil die MTE hier schon seit vielen Jahren in Einzelf&auml;llen erfolgreich angewandt wird. Anders sieht es bei distalen Mediaverschl&uuml;ssen (distale M2) aus; hier ist das Risiko einer Perforation, einer Subarachnoidalblutung, einer Verschleppung von Thromben nicht unerheblich. Hier sind weitere Studien zu fordern.<br /><br /> V&ouml;llig unklar ist das Vorgehen bei Arteria- cerebri-anterior- und Arteria-cerebriposterior- Verschl&uuml;ssen, die zu erheblichen neuropsychologischen und neurokognitiven Ausf&auml;llen f&uuml;hren k&ouml;nnen. Diese Arterienverschl&uuml;sse wurden in den Studien nicht untersucht. Bei schwer betroffenen Patienten kann im Einzelfall in einer Grauzone der Indikationsstellung eine MTE erwogen werden. Weitere Studien sind auch hier erforderlich.</p> <h2>&bdquo;Off-label&ldquo; &ndash; Therapie des Schlaganfalls</h2> <p>Beim isch&auml;mischen Schlaganfall steht mit der systemischen Thrombolyse eine effektive und sichere Akutbehandlung zur Verf&uuml;gung, die allerdings an strenge Indikationskriterien gebunden ist. Diese Therapie mit der Verabreichung eines Gerinnsel-aufl&ouml;senden Medikaments ist nur innerhalb der ersten 4,5 Stunden nach dem Schlaganfallereignis zugelassen. Bei jedem f&uuml;nften Patienten ist der genaue Zeitpunkt des Schlaganfalls jedoch unbekannt, beispielsweise wenn die Symptome beim morgendlichen Erwachen aus dem Schlaf bemerkt werden. Allein aufgrund des fehlenden Wissens um das Zeitfenster ist eine gro&szlig;e Gruppe von Patienten derzeit von einer Thrombolyse ausgeschlossen. Bei etwa j&auml;hrlich 2 Millionen Schlaganfallpatienten in der Europ&auml;ischen Union betrifft das rund 400 000 Patienten pro Jahr.<br /><br /> <strong>Intraven&ouml;se Thrombolyse bei unbekanntem Zeitfenster</strong><br /> &bdquo;In der t&auml;glichen Praxis der Schlaganfallbehandlung wenden Neurologen in ausgew&auml;hlten F&auml;llen die Thrombolyse unter sorgf&auml;ltiger Abw&auml;gung von Nutzen und Risiko auch jenseits der Zulassung, also ,off-label?, an&ldquo;, so PD Dr. G&ouml;tz Thomalla, Klinik und Poliklinik f&uuml;r Neurologie am Universit&auml;tsklinikum Hamburg- Eppendorf. &bdquo;F&uuml;r die Thrombolyse bei unbekanntem Zeitfenster kommt hier der erweiterten Bildgebung mittels CT oder MRT f&uuml;r die Patientenauswahl eine besondere Bedeutung zu. In den vergangenen Jahren konnte in wissenschaftlichen Arbeiten gezeigt werden, dass unter Verwendung multiparametrischer MRT &ndash; basierend auf dem Konzept des ,FLAIR-DWIMismatch ? &ndash; das Alter einer isch&auml;mischen L&auml;sion im Gehirn abgesch&auml;tzt werden kann.&ldquo; Mit diesem Konzept k&ouml;nne mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob ein Patient sich noch in einem Zeitfenster befindet, in dem eine Thrombolyse effektiv und sicher angewandt werden kann. <br /><br /><strong>WAKE-UP-Studie soll Klarheit zur Patientenauswahl bringen</strong><br /> Inzwischen gibt es eine zunehmende Anzahl von Publikationen zu Thrombolyse- Ergebnissen bei Patienten mit unbekanntem Zeitfenster. &bdquo;Hier wurden bisher keine H&auml;ufungen schwerwiegender Komplikationen berichtet, und es hat sich der Eindruck ergeben, dass bei sorgf&auml;ltiger Auswahl der Patienten die ,Off-label?- Thrombolyse bei unbekanntem Zeitfenster &auml;hnliche Ergebnisse zeigen kann wie bei Anwendung innerhalb der Indikationsstellung&ldquo;, betont PD Dr. Thomalla. Da sich dies aber letztlich nur durch eine randomisierte kontrollierte klinische Studie beweisen l&auml;sst, haben europ&auml;ische Forscher unter Leitung des Universit&auml;tsklinikums Hamburg-Eppendorf vor einigen Jahren die WAKE-UP-Studie gestartet, welche genau diese Frage beantworten soll. Dazu der Coordinating Investigator PD Dr. Thomalla: &bdquo;WAKE-UP soll den Nachweis erbringen, dass eine Thrombolyse bei Patienten mit unbekanntem Zeitfenster des Symptombeginns nach Auswahl mittels MRT effektiv und sicher ist.&ldquo; Die WAKEUP- Studie wird in rund 60 Zentren in acht europ&auml;ischen L&auml;ndern durchgef&uuml;hrt, mehr als die H&auml;lfte der geplanten 800 Patienten wurde bereits in die Studie randomisiert: &bdquo;Bei dem erwarteten positiven Ergebnis ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse von WAKE-UP unverz&uuml;glich Eingang in nationale und internationale Leitlinienempfehlungen halten und unmittelbar die klinische Praxis ver&auml;ndern werden.&ldquo; (red)</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: ANIM 2017, 34. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), 16.–18. Februar 2017, Wien </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Rodrigues et al: BMJ 2016; 353: I1754; doi: 10.1136/bmj. i1754</p> </div> </p>
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