Psychopharmaka und Cushing-Syndrom gefährden den Knochen

<p class="article-intro">Die Risiken einer unbehandelten psychischen Störung müssen gegen die potenziellen Nebenwirkungen einer Medikation, zu denen auch die Beeinträchtigung des Knochens gehört, abgewogen werden. Auch das (unbehandelte) Cushing-Syndrom führt zu verminderter Knochendichte und höherem Frakturrisiko.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die Ergebnisse einer holl&auml;ndischen Studie &uuml;ber die Verschreibungspraxis bei Psychopharmaka spiegeln durchaus die Situation in &Ouml;sterreich wider: In den sechs Wochen vor ihrer ersten osteoporotischen Fraktur hatten die meisten der befragten Patienten (n = 4854) nicht etwa Antidepressiva (12,7 %) eingenommen, sondern Benzodiazepine (25,3 %). Danach folgten Antikonvulsiva bzw. Antiepileptika (3,9 %), Antipsychotika (3,5 %) und Lithium (0,2 %).<sup>1</sup></p> <h2>Antidepressiva und Knochenstoffwechsel</h2> <p>Ein wichtiger Einflussfaktor beim Einsatz von Antidepressiva ist neben der Dosis und der Einnahmedauer die Intensit&auml;t der 5HT-Rezeptorinhibition. Letztere beeinflusst insbesondere die Knochenmineralisierung und das Sturz- und Frakturrisiko.<sup>2&ndash;4</sup> &bdquo;Der Einfluss von Tryptophan auf die Osteoblastendifferenzierung spielt in der Bewertung der Antidepressiva ebenfalls eine wichtige Rolle&ldquo;, erkl&auml;rt Priv.-Doz. Dr. Annamaria Painold, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Medizinische Universit&auml;t Graz. Tryptophan wird einerseits &uuml;ber Serotonin und Melatonin (Serotonin im Darm und Hirn, Melatonin wirkt hinsichtlich der Knochen anabol und antiresorptiv), andererseits &uuml;ber den Kynurenin-Stoffwechsel abgebaut. Damit sind verschiedene Effekte auf den Knochen, z. B. Hemmung der Proliferation mesenchymaler Knochenmarksstammzellen, verbunden. Bei der zentralen und peripheren Serotonin-Knochenwirkung steht am Ende insgesamt der Knochenverlust, wobei sich besonders das periphere Serotonin (Gut 5HT) verst&auml;rkt auf den Knochenabbau und negativ auf die Knochenbildung auswirkt. Das zentrale Serotonin (Brain 5HT) wirkt &uuml;ber Rezeptoren im Hypothalamus durch die Reduktion der sympathikotonen Aktivit&auml;t sogar knochenf&ouml;rdernd.</p> <h2>SSRI und SNRI</h2> <p>Selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) weisen eine vergleichbare Inhibitionspotenz von Gehirn- und Knochen-5HT-Rezeptoren auf. Die Gabe von Fluoxetin ist mit einer verminderten Knochenmineralisierung verbunden.<sup>5</sup> Das Sturzrisiko ist nicht nur mit Fluoxetin, sondern auch mit Citalopram bei jeder Dosierung gr&ouml;&szlig;er, mit Paroxetin und Sertralin nur bei h&ouml;herer Dosierung. Das Risiko nimmt mit der Zeit ab, bleibt aber aufgrund der metabolischen Effekte der SSRI erh&ouml;ht. &bdquo;Was den Knochen betrifft, kann man von allen SSRI nach derzeitigem Stand sicherlich am meisten Escitalopram empfehlen&ldquo;, so Painold. Bei dieser chemischen Abwandlung von Citalopram wurden keine Effekte auf die Knochenumbaumarker beobachtet.<sup>6</sup> Daneben gehen in einer Studie die Verminderung der &szlig;-Crosslaps und die Erh&ouml;hung von Osteocalcin mit einer Depressionsverbesserung einher.<sup>7</sup><br /> Ein Serotonin-Noradrenalin-Reuptake- Inhibitor (SNRI) wie etwa Venlafaxin f&uuml;hrte im Mausmodell zu einem erh&ouml;hten Verlust des Alveolarknochens. Das Frakturrisiko stieg nicht an, erh&ouml;hte Spiegel wurden bei den &szlig;-Crosslaps gemessen, jedoch nur bei Therapieversagern. &bdquo;Es spricht einiges daf&uuml;r, dass es auch unabh&auml;ngig von einer Medikation einen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen bzw. Depressionen und Knochenstoffwechselproblemen gibt&ldquo;, so Painold. Kein erh&ouml;htes Sturzrisiko wurde bei Milnacipran, das v&ouml;llig CYP-interaktionsfrei verstoffwechselt wird, beobachtet, was vor allem f&uuml;r polypharmazeutisch behandelte Patienten von Bedeutung ist. Das Frakturrisiko ist jedenfalls erh&ouml;ht in der Kombination von SSRI und SNRI. Kein dosisabh&auml;ngig erh&ouml;htes Frakturrisiko wurde bei selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (NARI, Reboxetin), Tetrazyklika (Mianserin), MAO-Hemmern (Moclobemid) und noradrenergen und spezifisch serotonergen Antidepressiva (NaSSA, Mirtazapin) registriert.<sup>8</sup><br /> Sehr gute antiosteoporotische Effekte zeigten sich in Rattenstudien bei zwei Substanzen mit nicht klassischer Serotonin- Wiederaufnahmehemmung: Bei Tianeptin als Modulator glutamaterger Synapsen wird die knochenf&ouml;rdernde Wirkung durch Inhibition der HPA-Achse, der Stress- und Osteoklastogenese-provozierenden Faktoren postuliert.<sup>9</sup> Der Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion wirkte bei den ovarektomierten (OVX)- Ratten durch die supprimierende Wirkung auf Osteoklastogenese-induzierende Faktoren und Inflammation osteoprotektiv.<sup>10</sup> F&uuml;r Lithium ist die Datenlage nach wie vor unklar, es erh&ouml;ht zwar die Kalziumaufnahme und f&ouml;rdert die Osteogenese, kann aber zum Hyperparathyreoidismus f&uuml;hren.<sup>11</sup></p> <h2>Benzodiazepine und Stimulanzien</h2> <p>Mit den oft verschriebenen Benzodiazepinen ist das Frakturrisiko, bedingt durch das erh&ouml;hte Sturzrisiko von etwa 50 %, dosisabh&auml;ngig etwa um ein Viertel erh&ouml;ht. Die als Schlafmittel eingesetzten Nicht- Benzodiazepin-Agonisten (&bdquo;Z-Substanzen&ldquo;) wirken ebenfalls &uuml;ber den GABARezeptorkomplex und geh&ouml;ren zu den kurz wirksamen Substanzen. &bdquo;Die Hoffnung auf eine besseres Suchtverhalten hat sich mit ihnen leider nicht erf&uuml;llt. Das Nebenwirkungsprofil hinsichtlich St&uuml;rzen bzw. Frakturen ist den Benzodiazepinen ebenso &auml;hnlich&ldquo;, so Painold. Unter den Stimulanzien sind vor allem die bei ADHS am h&auml;ufigsten eingesetzten Medikamente Methylphenidat, das auf Noradrenalin und Dopamin einwirkt, sowie Atomoxetin, das besonders auf Noradrenalin wirkt, zu nennen. Bei diesen Substanzen sind Langzeit-Negativeffekte auf die Knochendichte, m&ouml;glicherweise vermittelt durch die vor allem bei Jugendlichen deutliche Appetitsuppression (Mangelern&auml;hrung), aber auch durch erh&ouml;hte Katecholamine, in Diskussion. Bei betroffenen Jugendlichen sollte die &Uuml;berwachung des Wachstums und der ausreichenden Kalziumaufnahme erfolgen.</p> <h2>Morbus Cushing und Osteoporose</h2> <p>Beim Morbus Cushing (betrifft 70&ndash;80 % des Cushing-Syndroms) liegt eine &Uuml;berproduktion von ACTH im Hypophysenvorderlappen bzw. von CRH im Hypothalamus vor. Das glandotrophe Hormon ACT wird angeregt, wodurch es wiederum durch Stimulierung der Nebennierenrinde zu einer &uuml;berm&auml;&szlig;igen Kortisolaussch&uuml;ttung kommt. Der Glukokortikoid-Exzess kann aber auch andere Ursachen haben (Cushing-Syndrom).<br /> Die negativen Effekte auf den Knochen sind seit &uuml;ber 80 Jahren bekannt. Zahlreiche Studien zeigten eine hohe Variabilit&auml;t bezogen auf die zugrunde liegende Erkrankung (Morbus Cushing, adrenales Cushing- Syndrom, ektopes Cushing-Syndrom) und bezogen auf die Zeit bis zur Diagnosestellung des Cushing-Syndroms. &bdquo;Ein unbehandeltes Cushing-Syndrom ist mit erh&ouml;htem Frakturrisiko und einer h&ouml;heren Wahrscheinlichkeit f&uuml;r eine erniedrigte Knochendichte bzw. osteoporotische Knochendichte in der Knochendichtemessung assoziiert&ldquo;, erkl&auml;rt Dr. Marlene Pandis, Klinische Abteilung f&uuml;r Endokrinologie und Diabetologie, Medizinische Universit&auml;t Graz.<br /> Etwa 70 % der Betroffenen leiden unter einem metabolischen Syndrom (arterielle Hypertonie, Dyslipid&auml;mie, Diabetes mellitus Typ 2). Bei etwa 65 % treten Hautver&auml;nderungen auf und bei der Mehrheit der Patienten ist das Muskel- und Skelettsystem betroffen (Osteoporose, Lumbalgien, Muskelschwund an Extremit&auml;ten, Schw&auml;che). Daneben kommt es zu psychischen Ver&auml;nderungen (Psychosen, Lethargie, Depression). 95 % der Patienten mit Morbus Cushing sind adip&ouml;s, mit den &auml;u&szlig;eren Kennzeichen &bdquo;Vollmondgesicht&ldquo;, &bdquo;B&uuml;ffelnacken&ldquo; und Stammbetonung. Bei etwa 80 % der Frauen kommt es zur Virilisierung (Oligound Amenorrh&ouml;, Hirsutismus). Die 5-Jahres- Mortalit&auml;t liegt &uuml;ber 50 %.</p> <h2>Pathogenese und Frakturrisiko</h2> <p>Pathogenetisch besteht einerseits eine direkte Auswirkung durch einen endogenen oder exogenen Glukokortikoid-Exzess, andererseits auch eine indirekte Wirkung durch die Glukokortikoide (Glukokortikoid- induzierte Osteoporose) auf Osteoblasten, Osteoklasten und Osteozyten. Die Osteoklasten steigen an, die Osteoblasten und Osteozyten vermindern sich. Von der indirekten Wirkung ist vor allem die Gonadenachse betroffen (Verminderung der Sexualhormone), es kommt aber auch zur Supprimierung der Wachstumsachse und Reduzierung der Wachstumshormone, was sich negativ auf die Osteoblasten auswirkt.<br /> Eine 2006 publizierte Studie<sup>12</sup> nahm spezifisch auch das Frakturrisiko im Wirbelk&ouml;rper ins Visier: Verglichen wurden 80 Patienten mit Cushing-Syndrom mit ebenso vielen gesunden Probanden einer Kontrollgruppe. Wirbelk&ouml;rperfrakturen wurden mittels R&ouml;ntgen detektiert, wobei eine Fraktur durch einen H&ouml;henunterschied von mindestens 20 % definiert wurde.<br /> Es konnte gezeigt werden, dass Wirbelk&ouml;rperfrakturen zu 76 % in der Gruppe mit Cushing-Syndrom auftraten (BWK 52 %, LWK 23 %, Kombination BWK und LWK 25 %). 85 % davon hatten multiple Wirbelk&ouml;rperfrakturen, 52 % waren symptomatisch (Schmerzen, funktionelle Einschr&auml;nkungen, Gr&ouml;&szlig;enabnahme von 3&ndash;10 cm). Lediglich sieben Patienten mit Frakturen (11 %) hatten eine normale Knochendichte (BMD), ansonsten war diese signifikant niedriger im Vergleich zur Kontrollgruppe (LWS-Bereich p &lt; 0,01; Femur p &lt; 0,05). Keine Korrelation gab es zwischen erniedrigter Knochendichte und erh&ouml;htem Kortisolspiegel. Das Osteocalcin war signifikant erniedrigt (p &lt; 0,05) im Vergleich zu den Patienten der Kontrollgruppe, w&auml;hrend es bez&uuml;glich Kalzium, Phosphat, PTH und Vitamin-D-Spiegel keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen gab.</p> <h2>Therapie</h2> <p>&bdquo;Im Vordergrund steht die Heilung der Grunderkrankung, wobei die Therapie der Wahl eine Hypophysenoperation beim Morbus Cushing bzw. eine Andrenalektomie bei adrenalem Cushing-Syndrom darstellt&ldquo;, so Pandis. Nach Normalisierung der Kortisolwerte tritt meist auch eine Normalisierung des Frakturrisikos ein, indem es zu einer Erh&ouml;hung der Knochendichte und auch des Osteocalcins kommt. Gelingt die Heilung eines Morbus Cushing durch eine Operation nicht, stehen alternativ Bestrahlung oder medikament&ouml;se Therapie zur Verf&uuml;gung. Bez&uuml;glich der osteoporotischen Therapie beim endogenen Cushing-Syndrom liegen keine randomisierten Studien vor. Standardm&auml;&szlig;ig erfolgt die Therapie der Osteoporose durch die Gabe von Vitamin D und Kalzium. Eine Glukokortikoidinduzierte, d. h. exogene Osteoporose, wird mit Bisphosphonaten, Teriparatid oder Denosumab behandelt.<sup>13</sup></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> van de Ven LI et al.: Association between use of antidepressants or benzodiazepines and the risk of subsequent fracture among those aged 65+ in the Netherlands. Osteoporos Int 2018; 29(11): 2477-85 <strong>2</strong> Fernandes BS et al.: Effects of depression and serotonergic antidepressants on bone: mechanism and implications for the treatment of depression. Drugs Aging 2016; 33(1): 21-5 <strong>3</strong> Vestergaard P et al.: Selective serotonin reuptake inhibitors and other antidepressants and risk of fracture. Calcif Tissue Int 2008; 82(2): 92-101 <strong>4</strong> Rizzoli R et al.: Antidepressant medications and osteoporosis. Bone 2012; 51(3): 606-13 <strong>5</strong> Warden SJ et al.: Inhibition of the serotonin (5-hydroxytryptamine) transporter reduces bone accrual during growth. Endocrinology 2005; 146(2): 685-93 <strong>6</strong> Diem SJ et al.: Effects of escitalopram on markers of bone turnover: a randomised clinical trial. J Clin Endocrinol Metab 2014; 99(9): E1732-7 <strong>7</strong> Aydin H et al.: Treatment of a major depression episode suppresses markers of bone turnover in premenopausal women. J Psychiatr Res 2011; 45(10): 1316-20 <strong>8</strong> Wang CY et al.: Serotonergic antidepressant use and the risk of fracture: a population- based nested case-control study. Osteoporos Int 2016; 27(1): 57-63 <strong>9</strong> Alkhamees OA et al.: Anti-osteoporotic effects of an antidepressant tianeptine on ovariectomized rats. Biomed Pharmacother 2017; 87: 575-82 <strong>10</strong> Abuohashish HM et al.: The antidepressant bupropion exerts alleviating properties in an ovariectomized osteoporotic rat model. Acta Pharmacol Sin 2015; 36(2): 209-20 <strong>11</strong> Liu B et al.: Lithium use and risk of fracture: a systemic review and meta-analysis of observational studies. Osteoporos Int 2019; 30(2): 257-66 <strong>12</strong> Tauchmanova et al.: Bone demineralization and vertebral fractures in endogenous cortisol excess: role of disease etiology and gonadal status. J Clin Endocrinol Metab 2006; 91(5): 1779-84 <strong>13</strong> Hardy RS et al.: Glucocorticoids and bone: consequences of endogenous and exogenous excess and replacement therapy. Endocr Rev 2018; 39(5): 519-48</p> </div> </p>
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