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Musik und Medizin – eine virtuose Kombination

<p class="article-intro">MR Dr. Martin Donner ist Gründer der Camerata Pannonica sowie Begründer, Flötist und verantwortlicher Manager der Camerata Medica Wien. Im Interview spricht der Orthopäde aus Wien darüber, warum er letztendlich doch bei der Medizin gelandet ist und weshalb die beiden „Künste“ einander so gut ergänzen.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Kollege Donner, Sie sind Orthop&auml;de, ausgebildeter Fl&ouml;tist und Initiator eines Orchesters, dessen Mitglieder allesamt ein abgeschlossenes Studium auf ihrem Instrument nachweisen k&ouml;nnen, deren Brotberuf aber mit Musik nichts zu tun hat. Einmal im Jahr, an einem Sonntagvormittag im August, konzertiert das professionelle Laienorchester im Lisztzentrum in Raiding und bringt zu Geh&ouml;r, was in den Wochen davor erarbeitet worden ist. Dieses Konzert hat Suchtpotenzial.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Was Sie jetzt &bdquo;Suchtpotenzial&ldquo; genannt haben, nenne ich die &bdquo;emotionale Interaktion&ldquo;. Das Publikum sp&uuml;rt unsere Leidenschaft, wir, die Musiker, sp&uuml;ren die aufnahmebereite Spannung im Publikum, so heben wir einander in eine ganz besondere Stimmungslage.</p> <p><strong>Das erkl&auml;rt gut, warum jeder, der einmal dieses wertsch&auml;tzende Zusammenspiel geh&ouml;rt hat, unbedingt wiederkommen will. Der Begriff &bdquo;Camerata&ldquo; kann nicht nur f&uuml;r die besondere Gemeinschaft dieses Orchesters gelten, sondern auch die sich immer wieder einstellende Verbundenheit zwischen Musizierenden und Zuh&ouml;renden beschreiben.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Ja, die Camerata Pannonica ist ein von mir vor 25 Jahren gegr&uuml;ndetes &bdquo;Amateurorchester&ldquo; &ndash; aus einem Pool von ca. 7000 Kammermusikern auf der ganzen Welt, die der internationalen Vereinigung der Associated Chamber Music Players (ACMP) angeh&ouml;ren. Urspr&uuml;nglich spielten wir einige Jahre im ungarischen Schloss Eszterh&aacute;zy in Fert&ouml;d und seit 2006 im wunderbaren, vor allem akustisch einzigartigen Lisztzentrum Raiding, dem Geburtsort des Komponisten im Mittelburgenland. Jeden Sommer kommen circa 50 bis 60 &bdquo;Musikanten&ldquo; aus der ganzen Welt in die grenznahe ungarische Stadt K&ouml;szeg, genauer: in das dortige internationale Gymnasium, das im Sommer keinen Schulbetrieb hat, wo wir zehn Tage intensiv proben und dann im Lisztzentrum Raiding spielen &ndash; auf hochprofessionellem Niveau, was uns zum Beispiel erlaubt hat, mit der weltbekannten Pianistin Elisabeth Leonskaja zwei Konzerte &ndash; 2015 und 2016 &ndash; zu realisieren.</p> <p><strong>Ich habe diese Konzerte in sch&ouml;ner Erinnerung und auch das diesj&auml;hrige Konzert nicht vers&auml;umt &ndash; ich sagte ja: Suchtfaktor. Eine Frage zum Organisatorischen: Wie bewerkstelligen Sie alle Jahre wieder die Zusammensetzung dieses &bdquo;Gelegenheitsorchesters&ldquo;?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Zun&auml;chst besteht das Orchester zu gut zwei Dritteln aus einem harten Kern.</p> <p><strong>Das trifft auch auf das Publikum zu, mit besonderer Pr&auml;senz der Kollegenschaft.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Was ich sehr zu sch&auml;tzen wei&szlig;. Zur&uuml;ck zum harten Kern der Musiker. Jeder von ihnen ist in seiner Heimat mit anderen Musizierenden vernetzt. Wenn wir, zum Beispiel wie heuer, f&uuml;r die Auff&uuml;hrung der Symphonie &bdquo;Aus der neuen Welt&ldquo; viele Bl&auml;ser brauchen, animieren unsere Stammmusikanten Kolleginnen und Kollegen zum Mitspielen. So haben wir f&uuml;nf Blechbl&auml;ser aus Toronto in unsere Reihen bekommen.</p> <p><strong>Warum ausgerechnet aus Toronto?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Einer unserer Stammtrompeter ist geborener Burgenl&auml;nder und nach Toronto ausgewandert. Er hat Musikantenfreunde mitgebracht und &ndash; was mich besonders freut &ndash; die meisten Angeworbenen wollen wiederkommen.</p> <p><strong>Als musizierender Arzt sind Sie jedenfalls nicht allein und auch in bester Gesellschaft. Theodor Billroth studierte zun&auml;chst Musik und wechselte erst danach auf die medizinische Fakult&auml;t, er soll zeitlebens ein begeisterter Kammermusiker gewesen sein. Professor Anton Neumayr war Pianist und trat immer wieder als Solist auf, mein &bdquo;Nachbarskollege&ldquo;, ein regional bekannter Landarzt, musste sich bewusst zwischen Musik und Medizin entscheiden, beides w&auml;re eine Option gewesen. Wie war das bei Ihnen?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Bei mir war es der fr&uuml;he Kontakt mit diversen Blasinstrumenten, zu allererst Blockfl&ouml;ten, der meine Mutter veranlasste, mich im Schulalter in der Fl&ouml;tenklasse des Wiener Konservatoriums vorzustellen: bei einem sehr guten Lehrer, Professor Camillo Wanausek, Solofl&ouml;tist der Wiener Symphoniker. Am Beginn meines Medizinstudiums war ich so weit, dass ich an einem Probespiel f&uuml;r eine Erste-Fl&ouml;ten-Stelle in besagtem Orchester auf Empfehlung meines Lehrers teilnehmen durfte, welches ich erst im Finale verlor. Ich blieb bei der Medizin &ndash; zu meinem Gl&uuml;ck, wie ich sp&auml;ter erkannte!</p> <p><strong>Woran erkannten Sie, dass die Entscheidung f&uuml;r die Medizin Ihr Gl&uuml;ck war?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Schon w&auml;hrend meiner Substitutent&auml;tigkeit in mehreren Orchestern ist mir die materiell und vor allem arbeitsorganisatorisch schwierige Position vieler Berufsmusiker bewusst geworden. Jeder Beruf, auch der mit Freude ausge&uuml;bte, verlangt einem Kompromisse ab, setzt einen unter Erfolgsdruck, bringt nicht zuletzt &ouml;konomische Sachzw&auml;nge mit sich. Damit bin ich als Arzt gut zurechtgekommen. Die Musik aber &ndash; aktiv und passiv &ndash; konnte in all den Jahren meine ungetr&uuml;bte Leidenschaft bleiben. Unter anderem mit der Gr&uuml;ndung der Camerata Medica Wien, des Wiener Medizinisch-Pharmazeutischen Kammerorchesters, vor nunmehr 13 Jahren, in dem sich mehrheitlich Angeh&ouml;rige des gesamten medizinischen wie auch pharmazeutischen Bereichs zum Musizieren auf mittlerweile absolut professionellem Niveau zusammenfinden &ndash; mit Programmen quer durch die Jahrhunderte.</p> <p><strong>Sehen Sie in anderen akademischen Berufen ebenso viele Doppelbegabungen, oder gibt es eine besondere N&auml;he zwischen Musik und Medizin, zwischen Musiker und Mediziner?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Der von Ihnen schon genannte Professor Neumayr berichtete von Vorschriften im fr&uuml;hen Mittelalter f&uuml;r Medizinstudenten, etwa dass nur derjenige (Frauen hatten damals keinen Zugang zur Universit&auml;t) zum Studium zugelassen wurde, der ein Instrument vorf&uuml;hrungsreif beherrschte. Dieses &bdquo;Naheverh&auml;ltnis&ldquo; zwischen Musik und Medizin hat sich &uuml;ber Jahrhunderte erhalten und unter anderem immer wieder zur Gr&uuml;ndung von der Medizin nahestehenden, musikalischen Gruppierungen gef&uuml;hrt, wie zum Beispiel zu dem bekannten &bdquo;Wiener &Auml;rzteorchester&ldquo; in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts.</p> <p><strong>Unter diese Gr&uuml;nder haben Sie sich ja auch eingereiht. Noch einmal zu Ihrer Studienzeit: W&auml;hrend Ihres Medizinstudiums &ndash; haben Sie da auch regelm&auml;&szlig;ig musiziert oder war die Zuwendung zur Medizin zun&auml;chst mit einer vor&uuml;bergehenden Abwendung von der Musik verbunden?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Nein, keinesfalls. Ich musizierte weiter, auf Vermittlung meines Lehrers war ich sogar auch oft Substitut bei den Wiener Symphonikern. Die Musik hatte ununterbrochen ihren Platz neben der Medizin.</p> <p><strong>Vor Kurzem hatte ich Kontakt zu einer angehenden Medizinerin, die auch Theologie studiert. Sie beklagte, die aktuelle, straffe Studienordnung mit Anwesenheitspflicht beschneide die Zeit und die Energie f&uuml;r &bdquo;Zweitinteressen&ldquo; stark. Gehen hier Chancen des Studentenlebens verloren?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Nicht nur des Studentenlebens, die Verschulung der universit&auml;ren Ausbildung steht der &bdquo;universitas&ldquo; sicher im Weg und nimmt das Verk&uuml;mmern studienfachferner Talente in Kauf. Das f&uuml;hrt zu schmerzlichen Verlusten.</p> <p><strong>Musik ver&auml;ndert Menschen. Gemeinsam singen, Fanfaren zur festlichen Einstimmung, kriegerische M&auml;rsche, Kinderlieder als einer der ersten &bdquo;Lehrinhalte&ldquo; und oft das Letzte, das der Altersvergesslichkeit anheimf&auml;llt. Musik wendet sich an unsere Emotionen, wann ist Musik heilsam?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Professor Anton Neumayr hat zum Thema &bdquo;Medizin und Musik&ldquo; Grunds&auml;tzliches geschrieben; das Wichtigste ist, dass aktives Musizieren genauso wie &bdquo;passives&ldquo; Musikerleben den Mediziner die Psyche der Patienten wesentlich besser verstehen l&auml;sst. &ndash; Stichwort: zuh&ouml;ren, aufeinander h&ouml;ren. Dadurch lassen sich zahlreiche Beschwerden, die sich als &bdquo;k&ouml;rperlich&ldquo; darstellen, aber oft eine psychosomatische Kombination sind, erkennen. Aktive wie auch &bdquo;passive&ldquo; Musiker sind empathisch, und das ist wohl heilsam. Und hier muss auch das Wichtigste am gemeinsamen Musizieren genannt werden: Es f&uuml;hrt die Menschen dazu, etwas gemeinsam zu machen, nicht immer nur individuell/egoistisch &ndash; was f&uuml;r das Leben in der Gemeinschaft von entscheidender, positiver Bedeutung ist!</p> <p><strong>Eine Frage an den musizierenden Arzt: Es gibt Physiotherapeuten, die sich auf Musiker spezialisiert haben. Belastet das Spielen so manchen Instrumentes den Bewegungsapparat, w&auml;hrend es das Herz erfreut?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Mein Fach, die Orthop&auml;die, hat mir zahlreiche Patienten zugef&uuml;hrt, die aufgrund vor allem instrumentbedingter Fehlhaltungen Beschwerden am St&uuml;tzund Bewegungsapparat hatten, sowohl Streicher wie auch Bl&auml;ser. Meine Beobachtungen in mehreren Berufsorchestern wie auch in unserer Camerata Medica ergaben oft, dass vor allem die zu niedrige Einstellung der Notenpulte zu einer zu starken Vorbeugehaltung w&auml;hrend des Spielens f&uuml;hrt &ndash; mit entsprechenden &Uuml;berlastungssyndromen der Wirbels&auml;ule. Dies gilt vor allem f&uuml;r die Streicher.</p> <p><strong>Eine Pathogenese, die sich dem aktiven Musikerarzt sofort erschlie&szlig;t. Ich danke Ihnen f&uuml;r das Gespr&auml;ch und w&uuml;nsche Ihnen alles Gute f&uuml;r Ihre Projekte!</strong></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Der mehrmals zitierte Prof. Anton Neumayr gibt im Vorwort zu seinem Buch &bdquo;Musik und Medizin. Am Beispiel der Wiener Klassik&ldquo;, Edition Wien, 1988, einen historischen &Uuml;berblick &uuml;ber die enge Verbindung der beiden Disziplinen: von der im Altertum versuchten Beurteilung des Pulsschlages nach metrisch-musikalischen Zahlenproportionen &uuml;ber das Bestreben, Auskultationsbefunde mithilfe von Notenbeispielen zu veranschaulichen, bis hin zur Voraussetzung f&uuml;r den Erwerb des Doktorgrades der Medizin, eine Promotion in verschiedenen &bdquo;artes&ldquo;, hier vor allem der Musik, vorweisen zu k&ouml;nnen.</p> </div> </p>
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