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Musik und Medizin – eine virtuose Kombination
DAM
30
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19.10.2017
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<p class="article-intro">MR Dr. Martin Donner ist Gründer der Camerata Pannonica sowie Begründer, Flötist und verantwortlicher Manager der Camerata Medica Wien. Im Interview spricht der Orthopäde aus Wien darüber, warum er letztendlich doch bei der Medizin gelandet ist und weshalb die beiden „Künste“ einander so gut ergänzen.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Kollege Donner, Sie sind Orthopäde, ausgebildeter Flötist und Initiator eines Orchesters, dessen Mitglieder allesamt ein abgeschlossenes Studium auf ihrem Instrument nachweisen können, deren Brotberuf aber mit Musik nichts zu tun hat. Einmal im Jahr, an einem Sonntagvormittag im August, konzertiert das professionelle Laienorchester im Lisztzentrum in Raiding und bringt zu Gehör, was in den Wochen davor erarbeitet worden ist. Dieses Konzert hat Suchtpotenzial.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Was Sie jetzt „Suchtpotenzial“ genannt haben, nenne ich die „emotionale Interaktion“. Das Publikum spürt unsere Leidenschaft, wir, die Musiker, spüren die aufnahmebereite Spannung im Publikum, so heben wir einander in eine ganz besondere Stimmungslage.</p> <p><strong>Das erklärt gut, warum jeder, der einmal dieses wertschätzende Zusammenspiel gehört hat, unbedingt wiederkommen will. Der Begriff „Camerata“ kann nicht nur für die besondere Gemeinschaft dieses Orchesters gelten, sondern auch die sich immer wieder einstellende Verbundenheit zwischen Musizierenden und Zuhörenden beschreiben.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Ja, die Camerata Pannonica ist ein von mir vor 25 Jahren gegründetes „Amateurorchester“ – aus einem Pool von ca. 7000 Kammermusikern auf der ganzen Welt, die der internationalen Vereinigung der Associated Chamber Music Players (ACMP) angehören. Ursprünglich spielten wir einige Jahre im ungarischen Schloss Eszterházy in Fertöd und seit 2006 im wunderbaren, vor allem akustisch einzigartigen Lisztzentrum Raiding, dem Geburtsort des Komponisten im Mittelburgenland. Jeden Sommer kommen circa 50 bis 60 „Musikanten“ aus der ganzen Welt in die grenznahe ungarische Stadt Köszeg, genauer: in das dortige internationale Gymnasium, das im Sommer keinen Schulbetrieb hat, wo wir zehn Tage intensiv proben und dann im Lisztzentrum Raiding spielen – auf hochprofessionellem Niveau, was uns zum Beispiel erlaubt hat, mit der weltbekannten Pianistin Elisabeth Leonskaja zwei Konzerte – 2015 und 2016 – zu realisieren.</p> <p><strong>Ich habe diese Konzerte in schöner Erinnerung und auch das diesjährige Konzert nicht versäumt – ich sagte ja: Suchtfaktor. Eine Frage zum Organisatorischen: Wie bewerkstelligen Sie alle Jahre wieder die Zusammensetzung dieses „Gelegenheitsorchesters“?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Zunächst besteht das Orchester zu gut zwei Dritteln aus einem harten Kern.</p> <p><strong>Das trifft auch auf das Publikum zu, mit besonderer Präsenz der Kollegenschaft.</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Was ich sehr zu schätzen weiß. Zurück zum harten Kern der Musiker. Jeder von ihnen ist in seiner Heimat mit anderen Musizierenden vernetzt. Wenn wir, zum Beispiel wie heuer, für die Aufführung der Symphonie „Aus der neuen Welt“ viele Bläser brauchen, animieren unsere Stammmusikanten Kolleginnen und Kollegen zum Mitspielen. So haben wir fünf Blechbläser aus Toronto in unsere Reihen bekommen.</p> <p><strong>Warum ausgerechnet aus Toronto?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Einer unserer Stammtrompeter ist geborener Burgenländer und nach Toronto ausgewandert. Er hat Musikantenfreunde mitgebracht und – was mich besonders freut – die meisten Angeworbenen wollen wiederkommen.</p> <p><strong>Als musizierender Arzt sind Sie jedenfalls nicht allein und auch in bester Gesellschaft. Theodor Billroth studierte zunächst Musik und wechselte erst danach auf die medizinische Fakultät, er soll zeitlebens ein begeisterter Kammermusiker gewesen sein. Professor Anton Neumayr war Pianist und trat immer wieder als Solist auf, mein „Nachbarskollege“, ein regional bekannter Landarzt, musste sich bewusst zwischen Musik und Medizin entscheiden, beides wäre eine Option gewesen. Wie war das bei Ihnen?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Bei mir war es der frühe Kontakt mit diversen Blasinstrumenten, zu allererst Blockflöten, der meine Mutter veranlasste, mich im Schulalter in der Flötenklasse des Wiener Konservatoriums vorzustellen: bei einem sehr guten Lehrer, Professor Camillo Wanausek, Soloflötist der Wiener Symphoniker. Am Beginn meines Medizinstudiums war ich so weit, dass ich an einem Probespiel für eine Erste-Flöten-Stelle in besagtem Orchester auf Empfehlung meines Lehrers teilnehmen durfte, welches ich erst im Finale verlor. Ich blieb bei der Medizin – zu meinem Glück, wie ich später erkannte!</p> <p><strong>Woran erkannten Sie, dass die Entscheidung für die Medizin Ihr Glück war?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Schon während meiner Substitutentätigkeit in mehreren Orchestern ist mir die materiell und vor allem arbeitsorganisatorisch schwierige Position vieler Berufsmusiker bewusst geworden. Jeder Beruf, auch der mit Freude ausgeübte, verlangt einem Kompromisse ab, setzt einen unter Erfolgsdruck, bringt nicht zuletzt ökonomische Sachzwänge mit sich. Damit bin ich als Arzt gut zurechtgekommen. Die Musik aber – aktiv und passiv – konnte in all den Jahren meine ungetrübte Leidenschaft bleiben. Unter anderem mit der Gründung der Camerata Medica Wien, des Wiener Medizinisch-Pharmazeutischen Kammerorchesters, vor nunmehr 13 Jahren, in dem sich mehrheitlich Angehörige des gesamten medizinischen wie auch pharmazeutischen Bereichs zum Musizieren auf mittlerweile absolut professionellem Niveau zusammenfinden – mit Programmen quer durch die Jahrhunderte.</p> <p><strong>Sehen Sie in anderen akademischen Berufen ebenso viele Doppelbegabungen, oder gibt es eine besondere Nähe zwischen Musik und Medizin, zwischen Musiker und Mediziner?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Der von Ihnen schon genannte Professor Neumayr berichtete von Vorschriften im frühen Mittelalter für Medizinstudenten, etwa dass nur derjenige (Frauen hatten damals keinen Zugang zur Universität) zum Studium zugelassen wurde, der ein Instrument vorführungsreif beherrschte. Dieses „Naheverhältnis“ zwischen Musik und Medizin hat sich über Jahrhunderte erhalten und unter anderem immer wieder zur Gründung von der Medizin nahestehenden, musikalischen Gruppierungen geführt, wie zum Beispiel zu dem bekannten „Wiener Ärzteorchester“ in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts.</p> <p><strong>Unter diese Gründer haben Sie sich ja auch eingereiht. Noch einmal zu Ihrer Studienzeit: Während Ihres Medizinstudiums – haben Sie da auch regelmäßig musiziert oder war die Zuwendung zur Medizin zunächst mit einer vorübergehenden Abwendung von der Musik verbunden?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Nein, keinesfalls. Ich musizierte weiter, auf Vermittlung meines Lehrers war ich sogar auch oft Substitut bei den Wiener Symphonikern. Die Musik hatte ununterbrochen ihren Platz neben der Medizin.</p> <p><strong>Vor Kurzem hatte ich Kontakt zu einer angehenden Medizinerin, die auch Theologie studiert. Sie beklagte, die aktuelle, straffe Studienordnung mit Anwesenheitspflicht beschneide die Zeit und die Energie für „Zweitinteressen“ stark. Gehen hier Chancen des Studentenlebens verloren?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Nicht nur des Studentenlebens, die Verschulung der universitären Ausbildung steht der „universitas“ sicher im Weg und nimmt das Verkümmern studienfachferner Talente in Kauf. Das führt zu schmerzlichen Verlusten.</p> <p><strong>Musik verändert Menschen. Gemeinsam singen, Fanfaren zur festlichen Einstimmung, kriegerische Märsche, Kinderlieder als einer der ersten „Lehrinhalte“ und oft das Letzte, das der Altersvergesslichkeit anheimfällt. Musik wendet sich an unsere Emotionen, wann ist Musik heilsam?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Professor Anton Neumayr hat zum Thema „Medizin und Musik“ Grundsätzliches geschrieben; das Wichtigste ist, dass aktives Musizieren genauso wie „passives“ Musikerleben den Mediziner die Psyche der Patienten wesentlich besser verstehen lässt. – Stichwort: zuhören, aufeinander hören. Dadurch lassen sich zahlreiche Beschwerden, die sich als „körperlich“ darstellen, aber oft eine psychosomatische Kombination sind, erkennen. Aktive wie auch „passive“ Musiker sind empathisch, und das ist wohl heilsam. Und hier muss auch das Wichtigste am gemeinsamen Musizieren genannt werden: Es führt die Menschen dazu, etwas gemeinsam zu machen, nicht immer nur individuell/egoistisch – was für das Leben in der Gemeinschaft von entscheidender, positiver Bedeutung ist!</p> <p><strong>Eine Frage an den musizierenden Arzt: Es gibt Physiotherapeuten, die sich auf Musiker spezialisiert haben. Belastet das Spielen so manchen Instrumentes den Bewegungsapparat, während es das Herz erfreut?</strong><br /> <strong>M. Donner:</strong> Mein Fach, die Orthopädie, hat mir zahlreiche Patienten zugeführt, die aufgrund vor allem instrumentbedingter Fehlhaltungen Beschwerden am Stützund Bewegungsapparat hatten, sowohl Streicher wie auch Bläser. Meine Beobachtungen in mehreren Berufsorchestern wie auch in unserer Camerata Medica ergaben oft, dass vor allem die zu niedrige Einstellung der Notenpulte zu einer zu starken Vorbeugehaltung während des Spielens führt – mit entsprechenden Überlastungssyndromen der Wirbelsäule. Dies gilt vor allem für die Streicher.</p> <p><strong>Eine Pathogenese, die sich dem aktiven Musikerarzt sofort erschließt. Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Projekte!</strong></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>Der mehrmals zitierte Prof. Anton Neumayr gibt im Vorwort zu seinem Buch „Musik und Medizin. Am Beispiel der Wiener Klassik“, Edition Wien, 1988, einen historischen Überblick über die enge Verbindung der beiden Disziplinen: von der im Altertum versuchten Beurteilung des Pulsschlages nach metrisch-musikalischen Zahlenproportionen über das Bestreben, Auskultationsbefunde mithilfe von Notenbeispielen zu veranschaulichen, bis hin zur Voraussetzung für den Erwerb des Doktorgrades der Medizin, eine Promotion in verschiedenen „artes“, hier vor allem der Musik, vorweisen zu können.</p>
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