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Neue Leitlinie Gichtarthritis

Möglichst rasche Basistherapie, neue Medikamente gezielt einsetzen

<p class="article-intro">Vor Kurzem ist in Deutschland eine neue S2e-Leitlinie zur Gichtarthritis herausgekommen. LEADING OPINIONS Orthopädie & Rheumatologie sprach mit Dr. med. Andreas Krebs vom UniversitätsSpital Zürich über die wichtigsten Empfehlungen. Seine Tipps für die Praxis: Früh Allopurinol einsetzen, einschleichend und individuell dosieren, bei Unverträglichkeit oder Nebenwirkungen Febuxostat wählen und vor allem: den Patienten gut aufklären, um die Therapieadhärenz zu gewährleisten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Die deutsche Gesellschaft f&uuml;r Rheumatologie hat k&uuml;rzlich eine neue S2e-Leitlinie zur Gichtarthritis herausgegeben.<sup>1</sup> Was sind f&uuml;r Sie die wichtigsten Neuerungen?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Ich sehe vier: Erstens eine harns&auml;uresenkende Basistherapie m&ouml;glichst fr&uuml;h verschreiben. Zweitens Allopurinol einschleichend dosieren und langsam steigern. Drittens Allopurinol individuell dosieren. Viertens: Febuxostat ist eine gute Alternative.</p> <p><strong>In welchen F&auml;llen sollte man fr&uuml;h therapieren?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> In der Leitlinie heisst es: &laquo;Eine Indikation liegt dann vor, wenn mindestens ein sicherer Gichtanfall aufgetreten ist oder bereits eine chronische Arthritis vorliegt. Harns&auml;ureablagerungen in Form von Tophi sowie eine Nierensteinanamnese sollten ebenfalls zur Einleitung einer harns&auml;uresenkenden Therapie f&uuml;hren.&raquo; Sie wird auch dann empfohlen, wenn der Patient schon einmal Gichtanf&auml;lle hatte und eine Hyperurik&auml;mie bei eingeschr&auml;nkter Nierenfunktion vorliegt (ab eGFR &lt;90ml/ min/1,73m<sup>2</sup>). Die aktuell &uuml;berarbeitete, bisher noch nicht in der Langversion publizierte EULAR-Leitlinie empfiehlt eine harns&auml;uresenkende Therapie bereits nach dem ersten gesicherten Gichtanfall.<sup>2</sup></p> <p><strong>Warum empfehlen die Kollegen eine fr&uuml;he Therapie?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Vermutlich weil die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass es nicht bei dem einen Anfall bleiben wird. Umgekehrt gibt es aber manchmal auch Patienten, die nur einen Anfall oder alle paar Jahre einen einzelnen haben. Bei diesen scheint es mir vertretbar zu sein, zu warten. So empfiehlt auch das ACR eine harns&auml;uresenkende Behandlung erst ab dem zweiten oder dritten Anfall. Wenn aber jemand eine Niereninsuffizienz hat, beginne ich nach dem ersten Anfall mit der Therapie. Denn es gibt Hinweise darauf, dass man damit die Progression aufhalten kann.</p> <p><strong>Warum sollte man Allopurinol einschleichend dosieren?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Weil mit einschleichender Dosierung die gef&uuml;rchteten Allopurinol- Nebenwirkungen seltener auftreten. Das Einschleichen entspricht auch dem neuen Konzept von &laquo;treat to target&raquo;. Das bedeutet, dass das Therapieziel bei der Behandlung der Gicht die stabile klinische Remission ist, die als Freiheit von Gichtanf&auml;llen und der R&uuml;ckbildung von Tophi definiert ist.</p> <p><strong>Was bedeutet individuelles Vorgehen?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Man dosiert individuell, bis die Harns&auml;ure zuverl&auml;ssig im Zielbereich liegt, also sicher unter 360&mu;mol/l, beim Vorliegen von Tophi unter 300&mu;mol/l. Man f&auml;ngt bei normaler Nierenfunktion in der Regel mit 100mg Allopurinol t&auml;glich an und steigert alle 2&ndash;4 Wochen um 100mg.</p> <p><strong>Wie oft sollte man den Zielwert kontrollieren?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Anfangs etwa monatlich und &ndash; wenn man den Zielwert der Harns&auml;ure erreicht hat &ndash; halbj&auml;hrlich. Gegebenenfalls muss man die harns&auml;uresenkende Medikation erh&ouml;hen, um den Therapieerfolg sicherzustellen.</p> <p><strong>Welchen Stellenwert haben die neueren Medikamente?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Febuxostat ist eine gute Alternative zu Allopurinol, wenn ein Patient es nicht vertr&auml;gt oder wenn er eine Niereninsuffizienz hat. Wir f&uuml;rchten als Nebenwirkung vor allem das Allopurinol- Hypersensitivit&auml;tssyndrom und das Stevens-Johnson-Syndrom, die zwar selten sind, aber mit einer hohen Letalit&auml;t einhergehen. Sie treten h&auml;ufiger bei Niereninsuffizienz auf, deshalb muss man, wenn sie eintreten, unbedingt die Anfangsdosis reduzieren, je nach Nierenfunktion. Bei Febuxostat muss man bei leichter bis mittelschwerer Beeintr&auml;chtigung der Nierenfunktion, also einer Kreatinin- Clearance von 30&ndash;80ml/min, die Dosis nicht anpassen.</p> <p><strong>Patienten mit Gicht haben oft andere Krankheiten, die den Einsatz von NSAR, Colchicin oder Glukokortikoiden im akuten Anfall einschr&auml;nken. Welche Alternativen gibt es?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Hier kommen Interleukin- 1-Antagonisten in Frage, ebenso wenn man die Anf&auml;lle mit den &uuml;blichen Medikamenten nicht unter Kontrolle bringen kann. Gem&auml;ss Leitlinie sollte man bei Patienten mit rezidivierenden Gichtanf&auml;llen &ndash; also drei oder mehr pro Jahr &ndash;, bei denen die Vortherapie mit Colchicin, NSAR oder Glukokortikoiden nicht ausreichend wirksam war, bzw. bei Kontraindikationen gegen diese Substanzen den Interleukin-1-Antagonisten Canakinumab einsetzen. Interleukin-1-Antagonisten sind allerdings in der Schweiz weder offiziell f&uuml;r diese Indikation zugelassen noch werden sie von den Kassen verg&uuml;tet.</p> <p><strong>Was gibt es Neues im Bereich Harns&auml;uresenkung?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Ein relativ neues Reservemedikament ist Pegloticase, ein Urolytikum. Es kann bei Patienten eingesetzt werden, die auf eine Behandlung mit der H&ouml;chstdosis von Xanthinoxidasehemmern nicht angesprochen haben oder bei denen diese kontraindiziert sind und die einen schweren Verlauf mit Bildung von Gichtknoten und erosiven Gelenkver&auml;nderungen aufweisen. Pegloticase kann unter anderem bei toph&ouml;ser Gicht rasch zur Reduktion und Aufl&ouml;sung der Tophi f&uuml;hren und verbessert die Lebensqualit&auml;t.<sup>3&ndash;5</sup> Aber auch Pegloticase ist nicht offiziell zur Gichtbehandlung zugelassen.</p> <p><strong>Was unterscheidet die deutsche Leitlinie von anderen?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> In fast allen Punkten stimmen die deutschen Leitlinien mit den Guidelines des American College of Rheumatology (ACR) und den EULAREmpfehlungen &uuml;berein. Einzig bei der Empfehlung, bereits beim ersten Gichtschub eine Basistherapie zu beginnen, gibt es eine Differenz: Das ACR empfiehlt das erst beim dritten Schub, ausser bei Niereninsuffizienz.</p> <p><strong>In einer Pressemeldung vom Deutschen &Auml;rzteblatt<sup>6</sup> heisst es, die neue Leitlinie richte sich nicht nur an &Auml;rzte, sondern auch an nicht &auml;rztliche Berufsgruppen, Patienten und Angeh&ouml;rige. Kann man die Leitlinie Patienten einfach so empfehlen?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Ich denke, einigermassen gebildete und interessierte Laien k&ouml;nnen die Leitlinie auch verstehen. Allerdings ist sie sehr umfangreich und ausf&uuml;hrlich. F&uuml;r die meisten Patienten eignet sich eine einfachere, kurze Informationsbrosch&uuml;re besser. Es gibt zum Beispiel eine von der Rheumaliga Schweiz.</p> <p><strong>Werden Sie sich auch in der Schweiz nach der neuen Leitlinie richten?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Hierzulande haben wir ja kein so enges &laquo;Leitlinien-Konzept&raquo; wie in Deutschland. Wir richten uns neben der deutschen Leitlinie auch nach den Behandlungsempfehlungen des ACR<sup>7</sup> und der EULAR<sup>2</sup>.</p> <p><strong>Was sind besondere Herausforderungen in der Therapie?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Patienten mit einer Niereninsuffizienz, die ja h&auml;ufig an einer Hyperurik&auml;mie leiden. Hier ist eine harns&auml;uresenkende Behandlung besonders wichtig, weil es Hinweise darauf gibt, dass die Nierenfunktion damit erhalten werden kann. Umgekehrt m&uuml;ssen die Medikamente besonders vorsichtig dosiert werden.</p> <p><strong>Warum haben Gichtpatienten oft eine mangelnde Therapieadh&auml;renz?</strong><br /> <strong>A. Krebs:</strong> Die Medikamentenadh&auml;renz ist bei vielen chronischen Krankheiten ein Problem, vor allem wenn die Betroffenen nicht t&auml;glich Beschwerden haben, die sie an die Krankheit erinnern. Ein wichtiges Element zur Verbesserung der Compliance ist sicher eine gute Information der Patienten durch die behandelnden &Auml;rzte. Und die k&ouml;nnen nat&uuml;rlich nur gut erkl&auml;ren, wenn sie selbst gut ausgebildet sind. Wichtig ist auch, dass man dem Patienten immer wieder erkl&auml;rt, wie essenziell die nicht medikament&ouml;sen Massnahmen sind: Gewichtsreduktion, Reduktion des Konsums von fruktosehaltigen und alkoholischen Getr&auml;nken, Fleisch und Schalentieren und nat&uuml;rlich die Behandlung von Komorbidit&auml;ten wie Hypertonie und metabolischem Syndrom.</p> <p><strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p> <p><strong><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s64_abb1+2.jpg" alt="" width="1455" height="565" /></strong></p> <p><strong><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Ortho_1701_Weblinks_lo_ortho_1701_s65_abb3a+b.jpg" alt="" width="1468" height="753" /></strong></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Kiltz U et al: S2e-Leitlinie Gichtarthritis; AWMF-Leitlinien Register Nummer: 060/005 <strong>2</strong> Richette P et al: Ann Rheum Dis 2017; 76: 29-42 <strong>3</strong> Anderson A, Singh JA: Cochrane Database Syst Rev 2010(3); CD008335 <strong>4</strong> Sriranganathan MK et al: J Rheumatol Suppl 2014; 92: 63-9 <strong>5</strong> Strand V et al: J Rheumatol 2012; 39: 1450-7 <strong>6</strong> http://www.aerzteblatt.de/ nachrichten/70163 <strong>7</strong> Khanna D et al: Arthritis Care Res (Hoboken) 2012; 10: 1431-46, 1447-61</p> </div> </p>
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