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„Krisenintervention bedeutet, am Puls der Gesellschaft zu sein“
Jatros
30
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08.03.2018
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<p class="article-intro">„Aufbruch im Umbruch – neue Wege in der Krisenintervention“ lautete das Thema der Jubiläumstagung des Kriseninterventionszentrums (KIZ), mit der der Verein im Dezember 2017 sein 40-jähriges Bestehen feierte. Freunde und Partner des KIZ, Mitarbeiter, Experten aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen und Interessierte erschienen zahlreich und füllten das Gartenbaukino bis auf den letzten Platz.</p>
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<p class="article-content"><p>Die damalige Bundesministerin Doz.in Dr.in Pamela Rendi-Wagner lieferte in ihren Begrüßungsworten einen wichtigen Grund für dieses große Interesse: „Das Kriseninterventionszentrum ist eine besondere Einrichtung, denn hier wird eine dringende und schwierige Aufgabe bewältigt. Das KIZ deckt einen wichtigen Bereich der psychosozialen Versorgung ab, für den die klassische klinische Versorgung in Ambulanzen, Spitälern und Ordinationen oft nicht ausreicht.“ Ing. Harald Ettl, ehemaliger Gesundheitsminister, Vorstandsvorsitzender des KIZ, ergänzte: „Wir sind die einzige ambulante Einrichtung in Wien, deren Aufgabe die Suizidprävention ist. Unsere Leistungen sind mit keinen direkten Kosten für Patienten verbunden und es wird auch jenen Menschen geholfen, die sich psychotherapeutische Betreuung nicht leisten können. Die Betreuung sozial benachteiligter Personen ist uns ein großes Anliegen.“<br /> Auch Prof. Christian Haring, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention, würdigte die Arbeit des KIZ im Allgemeinen und im Speziellen auf dem Gebiet der Suizidprävention: „Die Suizidprävention in Österreich ist engstens verknüpft mit dem KIZ in Wien, mit Claudius Stein, Gernot Sonneck, Thomas Kapitany und dem gesamten KIZ-Team.“ Die Experten des KIZ waren wesentlich an der Entwicklung des Konzepts Suizidprävention Austria (SUPRA) – der Basis für die Erstellung einer nationalen Suizidpräventionsstrategie – beteiligt. Suizidprävention sei immer Teamarbeit, so Haring. Daher sei es der Gesellschaft für Suizidprävention im Zusammenhang mit der Entwicklung von SUPRA sehr wichtig gewesen, dass Suizidprävention institutionalisiert würde: zum einen im KIZ in Wien und zum anderen in der Koordinationsstelle in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) des Sozialministeriums. Die Qualität des nationalen Suizidpräventionsprogramms SUPRA wurde durch die Auswahl als Beispiel guter Praxis für den Report „Good Practices for Mental Health and Well-being – Mental Health at Work, in Schools, Prevention of Depression and Suicide“ durch den „EU-Compass for Action on Mental Health and Well-being“ bestätigt.<br /><br /> Ing. Harald Ettl betonte in seinem kurzen geschichtlichen Hintergrund (siehe Kasten) zur Entstehung des KIZ: „1938 wurden alle Aktivitäten im Bereich der psychosozialen Betreuung verboten. Bis 1945 galt die Selbsttötung als gesunder Reinigungsprozess des Volkes von minderwertigen Elementen. Man kann das nicht oft genug hervorheben.“ Erst später sei es zum Umdenken gekommen und es entstand die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen und Maßnahmen zur Verhinderung von Suiziden zu setzen. „Das heutige KIZ mit dem rechtlichen Status einer privaten Krankenanstalt kämpft gegen die Verzweiflung in den Familien, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Dabei entwickeln wir unsere Methodik laufend weiter.“<br /><br /> Die Notwendigkeit dieser stetigen Weiterentwicklung umriss Dr. Claudius Stein, ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des KIZ, in seinem Vortrag: „Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auf unsere Kriseninterventionsarbeit auswirken, sind vielfältig und reichen von wirtschaftlichen Umbrüchen über technologische Fortschritte, Veränderungen in den Geschlechterrollen, die steigende Lebenserwartung bis hin zu Flucht- und Migrationsbewegungen.“ Stein brachte zwei Beispiele für die Folgen dieser Veränderungen, die maßgebliche Auswirkungen auf die Krisenintervention haben und deutlich machen, dass bestehende Konzepte immer wieder überdacht und an die sich wandelnden Bedürfnisse der Klienten adaptiert werden müssen. Zum einen sind das mit der steigenden Lebenserwartung einhergehende Krisen im höheren Lebensalter, die in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema wurden. Zum anderen erfordert die Krisenintervention im Zeitalter der neuen Medien ein breiteres Beratungsspektrum, dem das KIZ in Form von E-Mail- Beratung Rechnung trägt. „Wir konnten die Erfahrung machen, dass es leicht ist, auch über dieses Medium eine gute Beziehung zu unseren Klienten herzustellen – interessanterweise manchmal schneller als mithilfe anderer Beratungsformen“, so Stein. 2017 wurden rund 5400 Personen im KIZ beraten, 201 davon über E-Mail-Kontakt.<br /> In diesem Licht formulierte Prof. Haring seine Wünsche für das KIZ zum Jubiläum: „Ich wünsche dem Team des Kriseninterventionszentrums, dass eure Wahrnehmung, was gesellschaftliche Veränderungen betrifft, auch weiterhin auf eure Arbeit Einfluss nimmt. Denn Krisen sind nicht nur individuelle Krisen, es sind oft auch gesellschaftliche Krisen. Wenn wir Krisenbewältigung nur an das Individuum binden, kann es sein, dass wir gesellschaftliche Krisen übersehen.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jubiläumstagung des Kriseninterventionszentrums, 1. Dezember 2017, Wien
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