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Kassenarzt als Diener zweier Herren
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Neben den Krankenkassen drängen sich die Länder als Geldgeber auf.</p>
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<p class="article-content"><p>Ich darf über zahlreiche Reaktionen auf meinen Beitrag „Allgemeinmediziner im Imagetief“ berichten: DAM-Leser bestätigen eine zunehmende Geringschätzung des Hausarztes. Unter anderem geht der Vorwurf unter die Haut, wir Allgemeinmediziner hätten Ausbildungsdefizite, zum Beispiel in Psychiatrie, und würden daher teils zu viele Benzodiazepine verschreiben. Eine Kollegin regt im persönlichen Gespräch an, ich solle doch auch positive Meldungen in meine Artikel aufnehmen. Bei der Lektüre von Geppert-Beiträgen, so der scherzhafte Vorwurf, bestehe die Gefahr, selbst eine Depression zu entwickeln. Gesagt, getan! Auf der Suche nach erfreulichen Statements zum Thema „Allgemeinmedizin & Psychiatrie“ werde ich bei einer Veranstaltung des Vorjahrs fündig: Im September 2017 findet in Wien ein Fachgespräch unter Experten statt. Die Rolle der Hausärzte in der Diagnose und Behandlung von Depression, Suizidalität und Angststörung ist Thema. Angesichts des Mangels an Fachärzten und psychiatrischen Kassenstellen ist allen klar: Erste Anlaufstelle für Patienten mit psychischen Erkrankungen muss der Allgemeinmediziner sein. Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, Vorstand der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien, zitiert bei diesem Treffen einen deutschen Psychiater: „80 Prozent können durch den Hausarzt behandelt werden.“</p> <h2>Kassenobmann plädiert für hausarztbasiertes System</h2> <p>Anlässlich der Goldegger Dialoge gibt Andreas Huss, Obmann der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK), ein für uns Allgemeinmediziner erfreuliches Statement ab. Die „Salzburger Nachrichten“ berichteten drüber. Nur schweren Herzens verteidigt der Kassenobmann die freie Arztwahl. Die große Wahlfreiheit führe zu Doppel- und Mehrfachbefunden, welche unser Gesundheitssystem finanziell enorm belasten: „Wir sehen aus unseren Abrechnungen, dass es Patienten gibt, die in einem Quartal zu dem einen Internisten gehen, im nächsten Quartal zu einem anderen und im dritten Quartal zum dritten.“ Huss weiter wörtlich: „Aber es gibt niemanden, der den Patienten durch das System navigiert.“ Der Kassenobmann deklariert sich als Verfechter eines hausarztbasierten Systems: „Der Hausarzt kennt die private und berufliche Situation, er weiß, wie viel Stress der Patient hat, er kennt die Vorbefunde.“ Sein Schlusssatz zu diesem Themenkomplex könnte schöner nicht sein: „Der Hausarzt hat den ganzen Menschen im Blick.“ Damit ist es mit den erfreulichen Meldungen auch schon wieder vorbei.</p> <h2>Unkoordinierte Hausarzt- Wiederbelebung</h2> <p>Das Wetteifern der Bundesländer um die angeblich wirksamste Methode zur Hausarzt-Wiederbelebung wird von einem „Kantönligeist“ sondergleichen beherrscht. Ginge es nicht um das traurige Thema Hausärztesterben, könnte über die teilweise stümperhaften Rettungsversuche ein abendfüllendes Kabarettprogramm entstehen. Die selbst ernannten Retter aus dem Land oberhalb der Enns verdienen besondere Beachtung. Da gibt es zum Beispiel einen Kassensprecher, welcher die bundesweite Hausarztverknappung überhaupt in Abrede stellt. In den „Oberösterreichischen Nachrichten“ darauf angesprochen, antwortet Mag. Harald Schmadlbauer, Kommunikationsleiter der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, unter anderem: „Von einem Hausärztemangel kann in Österreich, meiner Meinung nach, sowieso keine Rede sein. Wir haben die höchste Ärztedichte nach Griechenland.“ Das lockere Vermischen von allgemeiner Ärztedichte mit der Anzahl von Kassenpraktikern erinnert an das bewusste oder unbewusste Vermengen von Äpfeln mit Birnen. Schmadlbauer muss wohl wissen, dass die Kassen-Allgemeinmediziner als klassische Hausärzte zu betrachten sind. Bundesweit gibt es von diesen nur mehr 3840. Die Gesamtzahl der in Österreich tätigen Mediziner hingegen hat bereits die Rekordmarke von 45 000 überschritten. Damit liegt unsere Hausärzte-Quote bei nur mehr 8 % . Das ist ein absoluter Negativrekord.</p> <h2>Dr. Eckhart als Pionier der Ärztevernetzung</h2> <p>Im schönen Oberösterreich wird das Fest „Hausarzt neu“ an ständig wechselnden Örtlichkeiten gefeiert. Zuerst in Enns und Marchtrenk, dann in Haslach an der Mühl und zuletzt in der Region Sierning- Neuzeug/Waldneukirchen. Dort startet das angeblich erste Primärversorgungsnetzwerk (PVN) Österreichs. Die lokale Presse überschlägt sich dazu in Jubelmeldungen. „Pioniere in Sachen Gesundheit“ lautet die dicke Schlagzeile im „Neuen Volksblatt“. Im Beitrag hieß es unter anderem: „Oberösterreich wird immer mehr zum Pionierland in Sachen moderner Gesundheitsversorgung“. Während im Osten des Bundesgebietes ein erst seit wenigen Monaten in Betrieb befindliches Primärversorgungszentrum an internen Auseinandersetzungen zu scheitern droht, singen die Verantwortungsträger oberhalb der Enns noch laut das Hohelied der Primärversorgungseinheiten. Zurück zum „Hausärzte-Dreieck“ in Sierning-Neuzeug/ Waldkirchen. Die oberösterreichische Gesundheitslandesrätin, Christine Haberlander, lobt die Vernetzung der drei Ordinationen über den grünen Klee. Damit können Patienten, so ihre Feststellung, auch zu den Randzeiten versorgt werden. Solche Aussagen blenden die Vergangenheit komplett aus, denn Tatsache ist: Pionier in Sachen heimischer Ärztevernetzung ist und bleibt der ehemalige Präsident des NÖ. Hausärzteverbandes, Dr. Christoph Eckhart, mit seinem „Praxisnetzwerk Mödling“. Eine schlagkräftige Verbindung von Allgemeinmedizinern mit Fachkollegen sowohl im Kassen- als auch Wahlarztbereich. Die teilnehmenden Hausärzte sind von 7 bis 19 Uhr erreichbar. Man schreibt den Jänner 2004. Die Vorteile dieser Vernetzung, unter anderem in Bezug auf die Vergabe von Akutterminen, missachten die Verantwortlichen. Das Pionierstück versandet und gerät in Vergessenheit.</p> <h2>Selbstberufung zum Gesundheitspolitiker</h2> <p>Völlig neu auf dem gesundheitspolitischen Parkett ist der Bürgermeister der Stadtgemeinde Ternitz, LAbg. Rupert Dworak. In seiner Funktion als Präsident des niederösterreichischen Gemeindevertreterverbandes der SPÖ fordert er die Anstellung von Landärzten bei einer Landesgesellschaft. Auf diese Weise, so die Ansicht Dworaks, könne der Mangel an besagten Ärzten behoben werden. Der Vorstoß des SP-Politikers reiht sich in eine Unzahl von Lösungsvorschlägen ein. Alle angeblich den Hausarzt stärkenden Projekte der neun Bundesländer hier im Detail aufzuzählen würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen. Der gesundheitspolitische Fleckerlteppich Österreichs geht nicht nur in dieser Problematik bereits ins Unüberschaubare. Den zahlreichen Landespolitikern, welche mit allerlei Vorschlägen kommen, sei ins Stammbuch geschrieben: Es ist alleinige Aufgabe der Sozialversicherungsträger, für eine ausreichende Krankenbehandlung durch niedergelassene Ärzte zu sorgen. Anderen Institutionen kommt diese Rolle laut Gesetz nicht zu. Auf den Ternitzer Bürgermeister heruntergebrochen: Dworak müsste einen Autobus voll von betroffenen SPÖ-Bürgermeistern in Richtung St. Pölten zur NÖ. Gebietskrankenkasse (NÖGKK) steuern lassen, um dort dem NÖGKK-Obmann, seinem Parteifreund, die Leviten zu lesen. Für den Niedergang der Kassen-Allgemeinmedizin tragen die Parteikollegen Dworaks in der NÖGKK Mitverantwortung. Die Zusicherung der Kassenfunktionäre, man werde auch alle frei stehenden Landarztstellen mit fehlender Hausapothekenkonzession nachbesetzen, kann nicht eingehalten werden. Die restriktive Tarifgestaltung bei den Kassen-Allgemeinmedizinern zeigt jetzt ihre negative Wirkung. Mit Stichtag 10. Juni dieses Jahres sind in Niederösterreich 9 Hausarztplanstellen seit einiger Zeit unbesetzt.</p> <h2>Wien: Finanzspritze entbehrt rechtlicher Grundlage</h2> <p>In Wien hingegen wundern sich die Kassenpraktiker und die Vertragsärzte für Kinderheilkunde über eine Tarifanhebung um 30 % , dank der großen Finanzspritze vonseiten der Gemeinde Wien. Damit soll der Mangel an Haus- und Kinderärzten in der Bundeshauptstadt behoben werden. So erfreulich diese finanzielle Aufwertung auch sein mag, es fehlt die rechtliche Grundlage. Der besagte Geldfluss ist eine Kompetenzüberschreitung. Attraktive Honorare haben von der Kasse und nicht von der Stadt Wien zu kommen. Ärztevertreter, die Geldflüssen aus den Länderkassen in Richtung Vertragsärzteschaft die Zustimmung geben, missachten eine Binsenweisheit: „Wer zahlt, schafft an.“ Zur „Zwangsjacke Kassenvertrag“ kommt jetzt noch das „Joch der Landesfürsten“. Unfreiheit im Doppelpack! Ohne vorher gefragt zu werden, sind Kassenärzte damit Diener zweier Herren.</p></p>
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