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Neue Studie bei Migräne

Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko – welche therapeutischen Konsequenzen ergeben sich?

<p class="article-intro">Migräne scheint ein wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor zu sein: Wie eine neue Studie zeigt, ist Migräne mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall, venöse Thromboembolien und Vorhofflimmern assoziiert.<sup>1</sup> Der Kardiologe Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher und der Neurologe Prof. Dr. med. Peter Sandor erklären die klinischen Konsequenzen dieser Studie.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Rund eine Milliarde Menschen weltweit haben Migr&auml;ne, und die Lebensqualit&auml;t der Betroffenen ist oft enorm eingeschr&auml;nkt. Schon in fr&uuml;heren Studien war Migr&auml;ne assoziiert mit isch&auml;mischem Schlaganfall und isch&auml;mischen Herzkrankheiten, insbesondere bei Frauen und Migr&auml;nepatienten mit Aura.<sup>2, 3</sup> Bisher fehlten aber &uuml;berzeugende epidemiologische Daten. Deshalb analysierten Kasper Adelborg von der Universit&auml;t Aarhus und Kollegen aus Stanford Daten von 51 032 Migr&auml;nepatienten aus dem d&auml;nischen Patientenregister und von 510 320 gesunden Personen vergleichbaren Alters bei vergleichbarem Anteil der Geschlechter &uuml;ber einen Zeitraum von 19 Jahren.<sup>1</sup> In der Migr&auml;nekohorte erlitten 2451 Patienten ein kardiovaskul&auml;res Ereignis und 575 Patienten mehr als eines. &Uuml;ber den Beobachtungszeitraum von 19 Jahren war Migr&auml;ne positiv assoziiert mit Myokardinfarkten, Schlaganf&auml;llen, Thromboembolien und Vorhofflattern oder -flimmern.<br /><br /> Die Assoziationen berechneten die Forscher mittels kumulativer Inzidenz. So hatten beispielsweise pro 1000 Personen mit Migr&auml;ne 25 einen Myokardinfarkt, w&auml;hrend pro 1000 Personen ohne Migr&auml;ne nur 17 einen Infarkt bekamen. Bei isch&auml;mischem Schlaganfall waren es 45 pro 1000 bei den Personen mit Migr&auml;ne und 25 bei denen ohne. Migr&auml;ne war assoziiert mit einem erh&ouml;hten Risiko f&uuml;r Herzinfarkt (Risikoquotient 1,49; 95 % Konfidenzintervall 1,36&ndash;1,64), isch&auml;mischen Schlaganfall (2,26; 2,11&ndash;2,41), h&auml;morrhagischen Schlaganfall (1,94; 1,68&ndash;2,23), ven&ouml;se Thromboembolien (1,59; 1,45&ndash;1,74) und Vorhofflimmern oder -flattern (1,25; 1,16&ndash; 1,36). Diese Assoziationen persistierten, auch wenn andere Risikofaktoren wie Rauchen und der Body-Mass-Index ber&uuml;cksichtigt wurden. Die Zusammenh&auml;nge waren w&auml;hrend des ersten Jahres nach der Diagnose am deutlichsten, mit einem achtfach so hohen Risiko f&uuml;r Schlaganf&auml;lle und einem doppelt so hohen Risiko f&uuml;r Myokardinfarkte, ven&ouml;se Thromboembolien und Vorhofflattern oder -flimmern. In der Subgruppenanalyse hatten Patienten mit Aura ein h&ouml;heres kardiovaskul&auml;res Risiko, ausgenommen f&uuml;r ven&ouml;se Thromboembolien und Herzinsuffizienz. Auch Frauen hatten ein h&ouml;heres Risiko.<br /><br /> &laquo;Die Studie ist von beeindruckender Gr&ouml;sse und entsprechend wichtig sind die Ergebnisse&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Thomas F. L&uuml;scher, Director of Research, Education &amp; Development und Consultant of Cardiology am Royal Brompton &amp; Harefield Hospital Trust und Imperial College in London &laquo;Es scheint, und das macht konzeptionell Sinn, dass eine Erkrankung der Hirngef&auml;sse wie die Migr&auml;ne auch andere Gef&auml;sse bef&auml;llt.&raquo; Das kardiovaskul&auml;re Risiko berechnen Kardiologen in Europa mit dem Risikorechner-Score. Anhand des Geschlechts, des Alters, der H&ouml;he von Blutdruck und Cholesterinspiegel und der Tatsache, ob jemand raucht oder nicht, berechnen sie das Risiko, in den kommenden 10 Jahren an Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben. &laquo;Es k&ouml;nnte sein, dass Migr&auml;ne jetzt als weiterer wichtiger Risikofaktor dazukommt&raquo;, sagt L&uuml;scher.<br /><br /> Migr&auml;ne erh&ouml;ht das kardiovaskul&auml;re Risiko vermutlich auf verschiedenen Wegen. So haben Migr&auml;nepatienten per se mehr kardiovaskul&auml;re Risikofaktoren. Solche mit Aura haben &ouml;fter ein persistierendes Foramen ovale, was zu paradoxen Embolien und kardialen oder zerebralen Isch&auml;mien f&uuml;hren k&ouml;nnte. &laquo;Dass bei Aurapatienten das Risiko h&ouml;her war als bei normalen Migr&auml;nepatienten, k&ouml;nnte auch daran liegen, dass es bei der Aura zu einer Vasokonstriktion kommt&raquo;, sagt Prof. Dr. med. Peter Sandor, Chefarzt und &Auml;rztlicher Direktor Neurologie an der RehaClinic in Bad Zurzach. &laquo;Das k&ouml;nnte sich dann auch in den arteriellen Hirngef&auml;ssen bemerkbar machen, mit der Folge eines Schlaganfalls.&raquo;<br /><br /> Migr&auml;nepatienten nehmen oft nichtsteroidale Antiphlogistika, die mit einem erh&ouml;hten kardiovaskul&auml;ren Risiko einhergehen. Diskutiert werden zudem entz&uuml;ndliche, vaskul&auml;re, endotheliale oder prokoagulatorische Faktoren oder gemeinsame zugrunde liegende Genmutationen als Ursachen. &laquo;Neben strukturellen Ver&auml;nderungen der Gef&auml;sswand mit Einengungen der Koronararterien aufgrund von Cholesterineinlagerungen spielen Gef&auml;ssspasmen eine wichtige Rolle&raquo;, sagt L&uuml;scher. So sei zum Beispiel auch bekannt, dass eine Angina durch K&auml;lte und &Auml;rger verst&auml;rkt werde. &laquo;Beides sind Situationen, in denen es zu Gef&auml;ssspasmen kommt. Migr&auml;niker k&ouml;nnten besonders dazu neigen.&raquo; Ein Grund f&uuml;r das erh&ouml;hte Risiko f&uuml;r ven&ouml;se Thromboembolien k&ouml;nnte sein, dass die Patienten bei einer Attacke l&auml;ngere Zeit immobil sind. Sandor r&auml;t, bei jedem Migr&auml;nepatienten routinem&auml;ssig die &uuml;blichen kardiovaskul&auml;ren Risikofaktoren zu erfragen und zus&auml;tzlich das Ausmass an Bewegung und Stress im Leben. &laquo;Ich bespreche ausf&uuml;hrlich mit den Patienten, wie wir die anderen Risikofaktoren korrigieren k&ouml;nnen, beziehungsweise bitte den Hausarzt, dies zu tun.&raquo;<br /> Insgesamt gesehen war das absolute Risiko f&uuml;r Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der erw&auml;hnten Studie zwar gering &ndash; was mit dem jungen Lebensalter von Migr&auml;nepatienten zusammenh&auml;ngt &ndash;, aber im Hinblick auf die Gesamtbev&ouml;lkerung ist das Risiko bedeutend. Die Autoren regen an, eine prophylaktische Behandlung mit ASS oder Clopidogrel bei Migr&auml;nepatienten zu erw&auml;gen. Sandor ist jedoch skeptisch. &laquo;Ich halte das noch f&uuml;r verfr&uuml;ht, weil uns die Evidenz fehlt.&raquo; L&uuml;scher meint, die Patienten k&ouml;nnten eher von Medikamenten profitieren, die Gef&auml;ssspasmen verhindern, zum Beispiel Kalziumantagonisten wie Nifedipin oder Amlodipin. Es sei noch unklar, sagt L&uuml;scher, ob die Medikamente, mit denen man die klassischen Risikofaktoren behandelt, wie Statine oder Antihypertonika, auch das durch eine Migr&auml;ne erh&ouml;hte kardiovaskul&auml;re Risiko senken k&ouml;nnten. &laquo;Auf jeden Fall sollte man aber die klassischen Risikofaktoren gut im Griff haben und Migr&auml;nepatienten erkl&auml;ren, dass das gerade bei ihnen enorm wichtig ist.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1803_Weblinks_s63_abb1.jpg" alt="" width="2150" height="933" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Adelborg K et al.: Migraine and risk of cardiovascular diseases: Danish population based matched cohort study. BMJ 2018; 360: k96 <strong>2</strong> Kurth T et al.: Migraine and risk of cardiovascular disease in women: prospective cohort study. BMJ 2016; <strong>3</strong> Sch&uuml;rks M et al.: Migraine and cardiovascular disease: systematic review and meta-analysis. BMJ 2009; 339: b3914.</p> </div> </p>
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