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Ein Update zum universellen Ultraschall-Hüftscreening bei Neugeborenen

<p class="article-intro">Die Mehrzahl der österreichischen Orthopäden ist mit der Selbstverständlichkeit eines generellen Hüftultraschall-Screenings Neugeborener ausgebildet worden, und kaum jemand käme auf die Idee, dessen Sinnhaftigkeit in Zweifel zu ziehen. International jedoch hat sich das universelle Screening bislang nicht durchgesetzt. Der folgende Artikel bietet einen Einblick in die laufende Diskussion.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die H&uuml;ftdysplasie (DDH) umfasst ein breites Spektrum an Pathologien, welches von einer leichten Azetabulumdysplasie mit oder ohne Instabilit&auml;t bis zu einer vollst&auml;ndigen Luxation bei der Geburt reichen kann.<sup>1</sup> Die Definitionen und die Diagnosemethoden sind unterschiedlich (klinische Untersuchung, R&ouml;ntgen, Ultraschall).<br /> Die gro&szlig;e Mehrheit der bei der Geburt klinisch instabilen H&uuml;ften stabilisiert sich innerhalb von 3 Monaten, w&auml;hrend eine bleibende morphologische H&uuml;ftgelenksdysplasie zu einer Degeneration des H&uuml;ftgelenks und einer vorzeitigen Arthrose f&uuml;hrt.<sup>2</sup> Eine leichte Dysplasie kann sich klinisch erst im Erwachsenenalter bemerkbar machen, w&auml;hrend eine schwere Dysplasie mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jugendalter symptomatisch wird. Die Inzidenz von beiden ist weitgehend unbekannt.<br /> Bildgebende Verfahren sind in der Lage, die verschiedenen Stadien von einer schwach dysplastischen, konzentrisch lokalisierten, stabilen H&uuml;fte bis zu einer stark dysplastischen, instabilen oder sogar dislozierten H&uuml;fte zu erfassen. Das rein klinische Screening kann m&ouml;glicherweise strukturelle oder funktionelle Anomalien detektieren, ist jedoch nicht in der Lage, eine leichte Dysplasie bei stabilen H&uuml;ften zu erkennen.<br /> W&auml;hrend die H&uuml;ftsonografie im deutschsprachigen Raum als taugliches Werkzeug f&uuml;r ein generelles H&uuml;ftscreening Neugeborener anerkannt ist, gibt es international bisher keinen Konsens &uuml;ber die geeignetste Untersuchungsmethode. In einer rezenten Umfrage waren 94 % der befragten Mitglieder der Nordamerikanischen Gesellschaft f&uuml;r Kinderorthop&auml;die (POSNA) der Meinung, dass ein generelles Ultraschallscreening in den USA nicht eingef&uuml;hrt werden sollte.<sup>3</sup> Dar&uuml;ber hinaus ist die &Uuml;bereinstimmung zwischen der rein klinischen Stabilit&auml;tsuntersuchung und der morphologischen Ultraschalluntersuchung gering. In einer Studie von Kyung et al. stellten sich 93 % der klinisch subluxierbaren H&uuml;ften als sonografisch normal oder unreif dar, und nur 74 % der dislozierten H&uuml;ften und 67 % der H&uuml;ften mit Abduktionseinschr&auml;nkung zeigten einen H&uuml;fttyp schlechter als Graf IIa.<sup>4</sup><br /> Das klinische Screening mit oder ohne selektiven Ultraschall scheint weithin akzeptiert zu sein, w&auml;hrend das universelle Ultraschall-Screening kontrovers diskutiert wird.<sup>2, 5, 6</sup> Letzteres ist seit 1992 Teil der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung in &Ouml;sterreich und seit 1996 Bestandteil der U3-Vorsorgeuntersuchung in Deutschland. Es konnten durch diese Programme sowohl eine Reduzierung der Zahl chirurgischer Eingriffe bei H&uuml;ftdysplasien als auch eine Kosteneffizienz erreicht werden.<sup>7, 8</sup> Gegner eines universellen Screenings verweisen auf eine hohe Rate an spontanen Korrekturen und falsch positiven Screening- Ergebnissen, welche zu einer &Uuml;berbehandlung und einer potenziell h&ouml;heren Rate an avaskul&auml;ren Nekrosen des Femurkopfes (AVN) f&uuml;hren k&ouml;nnen.<sup>5, 6</sup> In den klinischen Leitlinien der AAOS von 2014 empfahlen Mulpuri und Mitarbeiter daher ein rein klinisches Screening bei Kindern bis zum Alter von 6 Monaten. Ein universelles Ultraschall-Screening von Neugeborenen wurde nicht empfohlen. Es wurde jedoch vorgeschlagen, eine bildgebende Untersuchung vor dem 6. Lebensmonat bei S&auml;uglingen mit signifikanten Risikofaktoren durchzuf&uuml;hren.<sup>6</sup> Diese Empfehlung basierte jedoch lediglich auf zwei &auml;lteren, prospektivrandomisierten Studien, welche die Rate an falsch negativen Screening-Ergebnissen als Outcome-Parameter untersuchten. In mehreren &Uuml;bersichtsartikeln wurde in der Vergangenheit die am besten geeignete Screeningmethode diskutiert, wobei jedoch h&auml;ufig Studien mit niedrigeren Evidenzniveaus und damit die Mehrzahl an Daten zu diesem Thema ausgeschlossen wurden.<sup>5, 6</sup> Die Rate an versp&auml;teten Diagnosen (falsch negative Resultate) wird &uuml;blicherweise f&uuml;r die Bewertung eines Screening- Programms verwendet.<sup>9</sup> Dies erfordert jedoch eine gro&szlig;e Zahl an Patienten, um valide Ergebnisse zu erreichen. Valide Umfragedaten wurden als praktikable Alternative zur Beurteilung der Wirksamkeit des H&uuml;ftdysplasie- Screenings vorgeschlagen, um die Rate an operativen Ersteingriffen an den H&uuml;ften Neugeborener innerhalb der ersten 5 Lebensjahre zu bestimmen.<sup>8</sup> In j&uuml;ngeren Studien wurde die Rate an offenen Eingriffen innerhalb der ersten 5 Lebensjahre als Parameter f&uuml;r die Effektivit&auml;t der Screening- Programme herangezogen.<sup>10, 11</sup> Ein universelles Screening kann zu einer &Uuml;berbehandlung (falsch positive Ergebnisse) f&uuml;hren, welche eine H&uuml;ftkopfnekrose nach sich ziehen kann.<br /> Letztlich ist auch der Langzeiteffekt eines H&uuml;ft-Screenings auf die Rate an sp&auml;teren Eingriffen zur Korrektur einer H&uuml;ftdysplasie, wie korrigierende Osteotomien, ein entscheidender Parameter, um den Wert eines solchen Screenings zu bestimmen.<sup>7, 11</sup> In den letzten Jahren ist eine Reihe von Artikeln ver&ouml;ffentlicht worden, die diesem viel diskutierten Thema neue Aspekte hinzugef&uuml;gt haben.</p> <h2>Der nat&uuml;rliche Verlauf der H&uuml;ftdysplasie</h2> <p>Das Spektrum der morphologischen und klinischen Pathologien, die eine H&uuml;ftdysplasie ausmachen, ist gut bekannt, aber der nat&uuml;rliche Verlauf ist &uuml;berraschend schlecht untersucht. Die Kontroverse basiert auf einem unzureichenden Follow-up von gescreenten S&auml;uglingen bis zur Skelettreife und dem Mangel an gut geplanten, prospektiven Studien.<sup>5</sup> Die Pr&auml;valenz einer klinischen Instabilit&auml;t ist altersabh&auml;ngig, sie bildet sich innerhalb der ersten Lebenswochen infolge des erh&ouml;hten Muskeltonus zur&uuml;ck.<sup>2</sup> Sonografisch unauff&auml;llige H&uuml;ften in der Neugeborenenperiode haben ein 0,2 %iges Risiko, sich zu verschlechtern, und mehr als 90 % der als unreif kategorisierten Neugeborenenh&uuml;ften bessern sich innerhalb der ersten 6 Lebenswochen.<sup>10</sup> Bei dysplastischen oder dezentrierten H&uuml;ften besteht eine signifikante Korrelation zwischen der Dauer einer Abspreizbehandlung und dem Schweregrad der Dysplasie (Abb. 1).<sup>10</sup> Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, zu entscheiden, ob eine H&uuml;fte als unreif oder tats&auml;chlich als dysplastisch zu klassifizieren ist, und die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Ausreifung dysplastischer H&uuml;ften ist unbekannt, da nur wenige solcher H&uuml;ften unbehandelt bleiben.<br /> Die Ergebnisse einer kleinen randomisierten Studie, in der S&auml;uglinge mit stabilen, aber dysplastischen H&uuml;ften abgespreizt wurden, deuteten auf eine spontane Verbesserung im Rahmen des Wachstums und ohne Intervention hin.<sup>12</sup> Andererseits gilt eine persistierende Dysplasie bzw. Instabilit&auml;t der H&uuml;fte als Pr&auml;disposition f&uuml;r ein H&uuml;ftleiden im Erwachsenenalter. Die Ergebnisse einer Korrelation des norwegischen medizinischen Geburtenregisters mit dem Endoprothesenregister zeigten nach Ber&uuml;cksichtigung von Geschlecht und Geburtsjahr ein 2,6-fach erh&ouml;htes Risiko (95 % CI: 30&ndash;105) f&uuml;r Kinder mit einer Neugeborenen-H&uuml;ftinstabilit&auml;t, einem totalem H&uuml;ftgelenksersatz unterzogen zu werden. Von den 442 Patienten, die einen H&uuml;ftersatz erhielten, wurden 95 wegen einer degenerativen Gelenkerkrankung aufgrund einer H&uuml;ftdysplasie operiert, und nur 8 hatten eine neonatale H&uuml;ftinstabilit&auml;t. Es wurde vermutet, dass es eine signifikante Menge an H&uuml;ftdysplasien gibt, bei denen im Kindesalter keine physischen Befunde vorliegen, die jedoch sp&auml;ter im Erwachsenenalter symptomatisch werden.<sup>13</sup> Die klinische Herausforderung ist es daher, diejenigen bei der Geburt instabilen H&uuml;ften, welche sich spontan bessern, von jenen zu trennen, welche sp&auml;ter symptomatisch werden und zu fr&uuml;hen degenerativen Ver&auml;nderungen f&uuml;hren.</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s26_abb1.jpg" alt="" width="650" height="512" /></p> <h2>Versp&auml;tete Diagnose einer H&uuml;ftdysplasie</h2> <p>Die Problematik einer versp&auml;teten Diagnose liegt in der potenziell h&ouml;heren Invasivit&auml;t bzw. der h&ouml;heren Rate an Komplikationen bei der Behandlung der H&uuml;ftdysplasie.<sup>14</sup> Price et al. berichteten von einem 12-fachen Anstieg des relativen Risikos f&uuml;r eine offene Reposition nach einer versp&auml;teten Diagnose. Im Falle einer Diagnose vor der 6. Lebenswoche war eine Abduktionsbehandlung in 84 % erfolgreich, wohingegen 86 % der Kinder, die erst nach dem 10. Lebensmonat behandelt wurden, schlie&szlig;lich eine Operation mit offener H&uuml;ftgelenksreposition ben&ouml;tigten.<sup>15</sup> Eine der wenigen prospektiven Studien wurde von Holen et al. durchgef&uuml;hrt, welche ebenfalls die Rate an Sp&auml;tdiagnosen als Outcome-Parameter w&auml;hlten. Die prospektive randomisierte Studie umfasste 15 529 S&auml;uglinge mit zwei Screeningstrategien: entweder einem klinischen Screening und einer universellen Ultraschalluntersuchung oder einem klinischen Screening aller H&uuml;ften und einer selektiven Ultraschalluntersuchung. Die Rate an Sp&auml;tdiagnosen in Holens Studie betrug 0,13/1000 in der Gruppe mit universeller Ultraschalluntersuchung (wobei der Patient mit versp&auml;teter Diagnose keine Ultraschalluntersuchung hatte) und 0,65/1000 in der Gruppe mit selektiver Untersuchung.<sup>9</sup> Da der Unterschied nicht statistisch signifikant war, sahen Holen et al. keinen Vorteil in einem universellen Screening, was auch in vielen &Uuml;bersichtsarbeiten als Argument gegen ein universelles Screening herangezogen wird.<br /> In einer anderen prospektiven Studie verglichen Rosendahl et al. 3 &uuml;bereinstimmende Studiengruppen: universelles Ultraschall- Screening, Risikofaktor-Screening und rein klinisches Screening. Die Rate an Sp&auml;tdiagnosen betrug 0,3/1000, 0,7/1000 bzw. 1,3/1000, wobei auch in dieser Studie die Unterschiede nicht statistisch signifikant waren.<sup>16</sup><br /> Das enge Wickeln der Beine wurde k&uuml;rzlich als Risikofaktor f&uuml;r eine sp&auml;t auftretende H&uuml;ftdysplasie identifiziert.<sup>14</sup> In Japan war die traditionelle Methode, die Neugeborenen in H&uuml;ftextension eng zu wickeln, stark mit H&uuml;ftdysplasien verbunden, diese gingen nach einer Aufkl&auml;rungskampagne in Kyoto von 52,9 auf 5,6 pro 1000 Lebendgeborenen zur&uuml;ck.<sup>17</sup> Moderne Methoden der S&auml;uglingspflege und -lagerung in Industriel&auml;ndern, wie zum Beispiel das Pucken, k&ouml;nnten ebenso die H&uuml;ftentwicklung beeinflussen. Eine versp&auml;tet diagnostizierte H&uuml;ftdysplasie kann somit ein sekund&auml;res Ph&auml;nomen einer anfangs normalen H&uuml;fte sein.</p> <h2>Therapierate</h2> <p>Die oben zitierte Studie von Rosendahl ergab dar&uuml;ber hinaus, dass das generelle Ultraschall-Screening zu einer h&ouml;heren Behandlungsrate (3,4 %) f&uuml;hrte als das selektive Ultraschall-Screening (2,0 %) oder das klinische Screening (1,8 %). Die h&ouml;here Rate beim universellen Screening war statistisch signifikant.<sup>16</sup> Die Sonografiedaten aus &Ouml;sterreich legten jedoch eine Abnahme der Behandlungsraten mit zunehmender Screening-Erfahrung dar.<sup>18</sup> In einer prospektiven Kohortenstudie &uuml;ber einen Zeitraum von 20 Jahren zeigten Clarke et al. eine Abnahme der Zahl der versp&auml;teten Diagnosen von 1,28/1000 auf 0,74/1000 bei Anwendung eines selektiven H&uuml;ftultraschalls, jedoch eine h&ouml;here Rate als bei universellem Ultraschall-Screening.<sup>19</sup> In einer rezenten Publikation der eigenen Arbeitsgruppe lag die Behandlungsrate bei 28 092 nachuntersuchten H&uuml;ften bei 1 %, wenn man die F&auml;lle mit IIa+-H&uuml;ften ausnimmt, bei welchen empfohlen wurde, die Kinder breit zu wickeln. Chirurgische Eingriffe (geschlossene und offene Reposition) waren bei etwa 10 % der Patienten mit H&uuml;ftdysplasie erforderlich, die Rate an gr&ouml;&szlig;eren (offenen) Operationen betrug jedoch nur 0,4 % und war damit erheblich niedriger als in den bisher publizierten Studien.<sup>10</sup></p> <h2>Rate an Erstoperationen in den ersten 5 Lebensjahren</h2> <p>Godward und Dezateux zeigten, dass die Inzidenz an operativen Eingriffen aufgrund einer kongenitalen H&uuml;ftgelenksluxation in den ersten 5 Lebensjahren 0,78/1000 Lebendgeburten betrug, was der Pr&auml;valenz in fr&uuml;heren Studien in Gro&szlig;britannien entsprach.<sup>20</sup> Die Autoren stellten auch fest, dass eine H&uuml;ftgelenksluxation bei 70 % der Kinder, die dem nationalen orthop&auml;dischen &Uuml;berwachungssystem gemeldet wurden, nicht vor dem Alter von 3 Monaten durch ein Routine-Screening nachgewiesen worden war. Es wurde daraus geschlossen, dass das 1969 in Gro&szlig;britannien eingef&uuml;hrte klinische Screening-Programm die Inzidenz von chirurgischen Eingriffen aufgrund dieser Erkrankung nicht wirksam senken konnte und alternative Screening-Methoden notwendig sind.<br /> Von Kries et al. stellten eine Rate an Erstoperationen an der Neugeborenenh&uuml;fte in den ersten 5 Lebensjahren von 0,26/1000 Lebendgeburten in Deutschland fest &ndash; deutlich niedriger als vor der Einf&uuml;hrung eines universellen Ultraschall-Screening- Programms.<sup>8</sup></p> <h2>Rate an offenen operativen Eingriffen</h2> <p>Die Rate der Erstoperationen an Neugeborenenh&uuml;ften kann nur eingeschr&auml;nkt als Ma&szlig; f&uuml;r die Beurteilung der Wirksamkeit eines Screening-Programms herangezogen werden, da diese unabh&auml;ngig vom Zeitpunkt und damit der Invasivit&auml;t des Eingriffes ist. Schwere Formen einer prim&auml;ren H&uuml;ftdysplasie oder sekund&auml;re Dislokationen, die durch eine fr&uuml;he Diagnose geschlossen reduziert werden k&ouml;nnten, erfordern bei einer sp&auml;ten Diagnosestellung m&ouml;glicherweise eine offene Reposition.<sup>10</sup><br /> Die Rate an offenen operativen Eingriffen weist erhebliche regionale Unterschiede auf.<sup>21</sup> In einer Publikation aus Taiwan lag die Rate an kongenitalen H&uuml;ftgelenksluxationen und Sp&auml;tdiagnosen bei 1,2/1000 Lebendgeburten. 40 % dieser Kinder wurden operiert, 85 % davon hatten gr&ouml;&szlig;ere Eingriffe. Dies lie&szlig; die Autoren zu dem Schluss kommen, dass ihr Screening-Programm insuffizient sei.<sup>22</sup> Die Inzidenz an gr&ouml;&szlig;eren Operationen pro 1000 Lebendgeburten (bzw. der Prozentsatz der offenen Repositionen mit oder ohne Osteotomie von allen chirurgischen Eingriffen) bei rein klinischem Screening betrug 0,38 (47 %) in Nordirland,<sup>23</sup> 0,3 (47 %) in Gro&szlig;britannien<sup>20</sup> und 0,15 (29 %) in S&uuml;daustralien<sup>24</sup>. Bei Anwendung des universellen Ultraschall-Screenings lag die Inzidenz in der bisher gr&ouml;&szlig;ten nachuntersuchten Kohorte in &Ouml;sterreich bei 0,04 (4,2 %)<sup>10</sup> bzw. bei 0,09 (33 %) in einer Studie aus Deutschland<sup>8</sup>. Die Anzahl der offenen Interventionen scheint ein verl&auml;sslicherer Indikator f&uuml;r die Beurteilung der Effektivit&auml;t eines Screening- Programms zu sein und liegt bei einem universellen Ultraschall-Screening praktisch bei null.<sup>25</sup></p> <h2>Sp&auml;teingriffe bei H&uuml;ftdysplasie</h2> <p>Die Mehrzahl der aktuellen Studien befasst sich mit dem Einfluss des selektiven Ultraschall-Screenings auf die Rate an &uuml;bersehenen H&uuml;ftdysplasien (versp&auml;tete Diagnosen) bei skelettunreifen Patienten. Die Auswirkungen des selektiven Ultraschall-Screenings auf die Rate an operativen Interventionen aufgrund einer H&uuml;ftdysplasie, die nach Erreichung der Skelettreife festgestellt wurde, sind seltener untersucht. Eine Stichprobenuntersuchung von 3935 Probanden im Erwachsenenalter aus einer urspr&uuml;nglich randomisierten kontrollierten Studie mit 11 925 S&auml;uglingen ergab keine Verringerung der Zahl an radiologischen H&uuml;ftdysplasien bzw. degenerativen Ver&auml;nderungen der H&uuml;ftgelenke.<sup>26</sup> Allerdings betrafen alle moderaten F&auml;lle nur die Gruppe der nicht gescreenten H&uuml;ften und es folgten nur 51,8 % (2011) der Probanden der Einladung und nahmen an dieser Nachuntersuchung teil. Um die Pr&auml;valenz von Risikofaktoren f&uuml;r eine H&uuml;ftdysplasie zu identifizieren, die ein rein selektives Ultraschall-Screening der Patienten mit H&uuml;ftdysplasie rechtfertigen k&ouml;nnte, zeigten Sink et al., dass 85,3 % der 68 nachuntersuchten Patienten mit symptomatischer H&uuml;ftdysplasie im Erwachsenenalter nicht die aktuellen Empfehlungen f&uuml;r ein selektives Screening in den USA erf&uuml;llt h&auml;tten.<sup>21</sup> In einer retrospektiven Studie unserer Arbeitsgruppe, in der zwei 5-Jahres-Zeitr&auml;ume vor und nach der Einf&uuml;hrung des universellen Ultraschall-Screenings verglichen wurden, konnte ein R&uuml;ckgang der h&uuml;ftdysplasie-bezogenen Operationen bei Kindern und Jugendlichen seit Einf&uuml;hrung des Screening- Programms um 76 % nachgewiesen werden.<sup>7 </sup></p> <h2>Avaskul&auml;re Femurkopfnekrose</h2> <p>Die avaskul&auml;re Femurkopfnekrose (AVN) wird als h&auml;ufigste und potenziell sch&auml;dlichste Komplikation sowohl chirurgischer als auch nichtchirurgischer Eingriffe bei der H&uuml;ftdysplasie beschrieben.<sup>27</sup> In einer k&uuml;rzlich durchgef&uuml;hrten Metaanalyse wurde eine durchschnittliche AVN-Rate von 10 % in einem 5-Jahres-Zeitraum nach geschlossener Reposition ermittelt.<sup>28</sup> Das Risiko steigt mit dem radiologischen Schweregrad der Luxation und dem Ausma&szlig; der zur Retention notwendigen Abduktion sowie der Repositionsmethode.<sup>29</sup> Williams et al. berichteten &uuml;ber ein Nekroserisiko von unter 1 % bei fr&uuml;hem Screening, Fr&uuml;herkennung und Verwendung einer Pavlik-Bandage.<sup>30</sup> In einer randomisierten kontrollierten Studie mit Langzeit-Follow-up aus Norwegen stellten die Autoren keine h&ouml;heren Nekroseraten in Zusammenhang mit den h&ouml;heren Behandlungsraten bei universellem Screening fest.<sup>26</sup> Auch die Art und Flexibilit&auml;t der Orthese sowie die H&uuml;ftposition w&auml;hrend der Abspreizbehandlung spielen eine Rolle bei der Entstehung einer H&uuml;ftkopfnekrose.<sup>29</sup> In einer prospektiven Kohortenstudie wurde bei der Verwendung der T&uuml;binger Abduktionsorthese &uuml;ber keinerlei H&uuml;ftkopfnekrosen berichtet.<sup>31</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Ergebnisse der j&uuml;ngsten Literatur unterstreichen die Notwendigkeit hochwertiger Screening-Programme zur Fr&uuml;herkennung der H&uuml;ftdysplasie. Es wurde aufgezeigt, dass die Rate an Sp&auml;tdiagnosen durch beide Screening-Modalit&auml;ten (klinisch und Ultraschall) reduziert wird<sup>8&ndash;10</sup> und bei einem universellen Ultraschall-Screening wahrscheinlich bei null liegt<sup>25</sup>, wohingegen Einzelf&auml;lle bei einem rein klinischen Screening &uuml;bersehen werden k&ouml;nnen. In den &auml;lteren (auch in den randomisierten) Studien war die Behandlungsrate bei universellem Ultraschall-Screening am h&ouml;chsten.<sup>16</sup> In den j&uuml;ngeren Arbeiten lag sie unter den Zahlen des rein klinischen Screenings mit selektivem Ultraschall.<sup>10, 31</sup> Die Behandlungsraten variieren naturgem&auml;&szlig; mit der Inzidenz, die innerhalb ethnischer Gruppen und nach geografischer Lage erheblich voneinander abweichen.<sup>1</sup> Alternative Outcome-Parameter, wie die Rate an Ersteingriffen an der Neugeborenenh&uuml;fte innerhalb der ersten 5 Lebensjahre oder der prozentuelle Anteil an invasiven Eingriffen, haben sich bei Anwendung eines universellen Ultraschall-Screenings als am niedrigsten dargestellt.<sup>8, 10, 16, 31</sup> Dar&uuml;ber hinaus zeigte sich eine signifikante Reduktion der Zahl von Sp&auml;teingriffen in Verbindung mit einer H&uuml;ftdysplasie nach Einf&uuml;hrung eines generellen Ultraschall-Screenings,<sup>7</sup> wohingegen die derzeit g&uuml;ltigen Kriterien f&uuml;r ein selektives Screening die &uuml;berwiegende Mehrheit der betroffenen Patienten nicht zu identifizieren vermag.<sup>31</sup> Das Hauptargument f&uuml;r die Infragestellung eines universellen Ultraschall-Screenings ist das potenzielle Risiko einer iatrogenen Femurkopfnekrose.<sup>5</sup> Es wurde k&uuml;rzlich gezeigt, dass geschlossene Repositionen mit einem durchschnittlichen Risiko einer H&uuml;ftkopfnekrose von 10 % verbunden sind,<sup>28</sup> wohingegen die Rate einer Nekrose nach blo&szlig;er Abduktionsbehandlung unter Verwendung moderner Abduktionsorthesen vernachl&auml;ssigbar erscheint.<sup>31</sup> Es sind jedoch weitere Studien mit ausreichendem Follow-up erforderlich, um diese Ergebnisse zu best&auml;tigen. In ihrem &Uuml;bersichtsartikel &uuml;ber die H&uuml;ftdysplasie aus dem Jahr 2007 kamen Dezateux und Rosendahl zum Schluss, dass eine Ausweitung des klinischen Screenings auf universelles Ultraschallscreening aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht nicht gerechtfertigt sei.<sup>5</sup> Die Autoren wiesen auf die Notwendigkeit randomisierter kontrollierter Studien hin, um die Wirksamkeit und Sicherheit des Neugeborenen-Screenings und der Fr&uuml;hbehandlung zu bewerten, und forderten qualitativ hochwertige Studien zu den Behandlungsergebnissen der H&uuml;ftdysplasie im Erwachsenenalter sowie zu den kindlichen Urspr&uuml;ngen einer fr&uuml;hen degenerativen H&uuml;fterkrankung. Derartige Studien erfordern jedoch einen Beobachtungszeitraum &uuml;ber Jahrzehnte, bis der Einfluss der verschiedenen Screening-Programme auf die Rate an h&uuml;ftdysplasiebedingten Operationen im sp&auml;teren Leben ausreichend bestimmt ist. Au&szlig;erdem m&uuml;ssten mehrere Zehntausend Patienten einbezogen werden, um in allen Leitfragen signifikante Beurteilungen treffen zu k&ouml;nnen. Eine &auml;hnlich ehrgeizige Studie, die Informationen &uuml;ber 80 000 britische Babys w&auml;hrend ihres gesamten Lebens sammeln sollte, ist nur 8 Monate nach ihrem offiziellen Start zu Ende gegangen, da sich nicht gen&uuml;gend Eltern angemeldet haben. Der Studienabbruch erfolgte weniger als ein Jahr sp&auml;ter, nachdem das US-amerikanische National Institute of Health (NIH) einen &auml;hnlichen Versuch, 100 000 Kinder von Geburt an zu beobachten, abgesagt hatte.<sup>32</sup> <br />Insgesamt liegen die Ergebnisse des universellen H&uuml;ftultraschall-Screenings deutlich &uuml;ber denen alternativer Screening- Strategien. Wenn zuk&uuml;nftige Studien best&auml;tigen, dass die blo&szlig;e H&uuml;ftabduktion in flexiblen Orthesen kein bzw. nur ein geringes Risiko einer iatrogenen AVN in sich birgt, f&auml;llt das letzte Argument gegen ein universelles Ultraschallprotokoll und es ebnet sich der Weg f&uuml;r einen Paradigmenwechsel auch in denjenigen L&auml;ndern, in denen die H&uuml;ftdysplasie immer noch h&auml;ufig in einem operativen Eingriff m&uuml;ndet. Damit w&auml;re der letzte Schritt getan, der von Lorenz B&ouml;hler eingef&uuml;hrten unblutigen Methode zur Behandlung der H&uuml;ftdysplasie zum endg&uuml;ltigen globalen Durchbruch zu verhelfen, deren Diagnostik durch einen weiteren verdienten &Ouml;sterreicher, Reinhard Graf, bereits vor Jahrzehnten perfektioniert wurde.<sup>33</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s26_abb2.jpg" alt="" width="650" height="414" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Loder RT, Skopelja EN: ISRN Orthop 2011; 10: 238607 <strong>2</strong> Barlow TG: J Bone Joint Surg [Br] 1962; 44: 292-301 <strong>3</strong> Taylor IK et al.: J Ped Orthop 2020; epub ahead of print <strong>4</strong> Kyung BS et al.: Clin Orthop Surg 2016; 8: 203-9 <strong>5</strong> Dezateux C, Rosendahl K: Lancet 2007; 369: 1541-52 <strong>6</strong> Mulpuri K et al.: J Am Acad Orthop Surg 2015; 23: 202-5 <strong>7</strong> Thaler M et al.: J Bone Joint Surg [Br] 2011; 93: 1126-30 <strong>8</strong> Von Kries R et al.: Lancet 2003; 362: 883&ndash;7 <strong>9</strong> Holen KJ et al.: J Bone Joint Surg [Br] 2002; 84: 886-90 <strong>10</strong> Biedermann R et al.: Bone Joint J 2018; 100: 1399-404 <strong>11</strong> Biedermann R, Eastwood DM: J Child Orthop 2018; 12: 296-301 <strong>12</strong> Wood MK et al.: J Pediatr Orthop 2000; 20: 302-5 <strong>13</strong> Enges&aelig;ter I&Oslash; et al.: Acta Orthopaedica 2008; 79: 321-6 <strong>14</strong> Mulpuri K et al.: Clin Orthop Relat Res 2016; 474: 1131-7 <strong>15</strong> Price KR et al.: Bone Joint J 2013; 95: 846- 50 <strong>16</strong> Rosendahl K et al.: Pediatrics 1994; 94: 47-52 <strong>17</strong> Ishida K: Clin Orthop Rel Res 1977; 126: 167-9 <strong>18</strong> Grill F, Müller D: Orthopade 1997; 26: 25-32 <strong>19</strong> Clarke NM et al.: Arch Dis Child 2012; 97: 423-9 <strong>20</strong> Godward S, Dezateux C: Lancet 1998; 351: 1149-52 <strong>21</strong> Sink EL et al.: J Child Orthop 2014; 8: 451-5 <strong>22</strong> Chang CH et al.: J Formos Med Assoc 2007; 106: 462-6 <strong>23</strong> Maxwell SL et al.: BMJ 2002; 324: 1031-3 <strong>24</strong> Chan A et al.: Lancet 1999; 354: 1514-7 <strong>25</strong> Sanghrajka AP et al.: Ann R Coll Surg Engl 2013; 95: 113-7 <strong>26</strong> Laborie LB et al.: Pediatrics 2013; 132: 492-501 <strong>27</strong> Shipman SA et al.: Pediatrics 2006; 117: 557- 76<strong> 28</strong> Bradley CS et al.: J Child Orthop 2016; 10: 627-32 <strong>29</strong> Suzuki S et al.: J Bone Joint Surg [Br] 1996; 78: 631-5 <strong>30</strong> Williams PR et al.: J Bone Joint Surg [Br] 1999; 81: 1023-8 <strong>31</strong> Munkhuu B et al.: PLoS One 2013; 8:e79427 <strong>32</strong> Pearson H: Nature 2015; 526: 620&ndash;1 <strong>33</strong> Graf R: J Pediatr Orthop 1984; 4: 735-40</p> </div> </p>
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