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Durchimpfungsraten bei hospitalisierten Patienten
Jatros
Autor:
Dr. Elisabeth Smolle
Abteilung für Pulmologie<br> Univ.-Klinik für Innere Medizin<br> LKH Universitätsklinikum Graz
30
Min. Lesezeit
13.12.2018
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<p class="article-intro">Beim diesjährigen ERS-Kongress waren unter anderem die Prävention von Infektionskrankheiten und die gesundheitspolitische Bedeutung bzw. Nutzen und Risiko von Impfungen ein vieldiskutiertes Thema. Insbesondere die Influenzaimmunisierung hat einen bewiesenen Nutzen für diverse Subgruppen mit chronischen pneumologischen oder kardiologischen Grundkrankheiten.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Durchimpfungsrate bei hospitalisierten Patienten mit pneumologischen oder kardialen Grundkrankheiten dürfte generell ausbaufähig sein.</li> <li>Die Effektivität der Influenzaimpfung, vor allem für die Altersgruppe >65 Jahre sowie für gewisse Risikogruppen, ist belegt.</li> <li>Nicht nur die Inzidenz der Influenzapneumonie per se, sondern auch das kumulative Outcome hinsichtlich kardialer oder pneumologischer Grundkrankheiten wird durch die saisonale Grippeimpfung verbessert!</li> </ul> </div> <p>Es konnte beispielsweise gezeigt werden, dass die Influenzaimpfung die Hospitalisierungsrate bei Patienten mit kardiologischen Grundkrankheiten senkt; speziell die Zahl der Hospitalisierungen aufgrund von Dekompensation bei ischämischer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz konnte signifikant reduziert werden.<sup>1</sup> Eine ähnliche Studie zeigte, dass die Influenzaimpfung auch die Hospitalisationsrate aufgrund von akuten Infektionen des unteren Respirationstrakts und von Exazerbationen der Grundkrankheit bei Patienten mit zugrunde liegenden chronischen Herz- und Lungenkrankheiten senkt. Beim Patientenkollektiv im Alter von über 65 Jahren war der Effekt der Impfung am deutlichsten.<sup>2</sup> Auch die Hospitalisierungsrate aufgrund der Influenzainfektion per se kann durch ein konsequentes Durchimpfen der Risikopopulation gesenkt werden.<sup>3</sup> Bezugnehmend auf diese Daten sehen der österreichische Impfplan sowie die S3-Leitlinie für die Prävention von Pneumonien die Impfung gegen Influenza, aber auch gegen Pneumokokken und Pertussis für alle Patienten mit kardialen oder pneumologischen Grundkrankheiten vor.<sup>4, 5</sup> Die tatsächliche Durchimpfungsrate von Risikopatienten oder auch der Allgemeinbevölkerung wurde bislang im deutschsprachigen Raum, und speziell in Österreich, nicht genau erfasst. Bedenkt man jedoch, dass laut einer US-amerikanischen Studie – trotz eindeutiger Empfehlung der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC) – nur einer von drei Risikopatienten mit chronischer Lungenoder Herzkrankheit gegen Influenza geimpft ist, so ist auch in Österreich eine unzureichende Durchimpfung wahrscheinlich. <sup>6</sup></p> <h2>Impfprävalenz bei Risikopatienten</h2> <p>Im Rahmen des ERS-Kongresses wurden präliminäre Daten einer Befragung von hospitalisierten kardiologischen und pneumologischen Patienten des LKH Universitätsklinikum Graz präsentiert. Ziel der Untersuchung war es, die Impfprävalenz gezielt in einer möglichst großen Gruppe von Risikopatienten zu eruieren. Es wurden bereits in der Wintersaison 2016/17 Daten über die Durchimpfung hinsichtlich Influenza, Pneumokokken und Pertussis erhoben – sowie auch Gründe für das Nicht-geimpft-Sein und die Inzidenz von respiratorischen Infekten bei geimpften verglichen mit nicht geimpften Patienten.<sup>7</sup> In der vorangegangenen Wintersaison wurden in diese Studie 200 Patienten eingeschlossen; ein Follow-up-Survey in der Saison 2017/18 umfasst die Daten von 250 weiteren Patienten.</p> <p>In dieser Befragung einer für Österreich repräsentativen Patientenkohorte konnte für alle drei der evaluierten Impfungen eine sehr niedrige Prävalenz festgestellt werden (Influenza 17 %; Pertussis 11 %; Pneumokokken 18 %; Abb. 1). Es wurde zusätzlich erfragt, ob in der Wintersaison ein Infekt der oberen Atemwege, Fieber oder eine virale Rhinopharyngitis aufgetreten sind. Obwohl der Unterschied nicht signifikant ist, so zeigte sich doch der Trend, dass in der geimpften Population seltener Fieber (17 % vs. 30 %) und Infekte der oberen Atemwege (29 % vs. 43 %) auftraten. 7 Weiters sollten die Patienten angeben, ob sie während der Wintersaison Kontakt zu einem Arzt hatten oder keine medizinische Konsultation benötigten. Die Mehrheit der Befragten hatte in der Wintersaison einen Arzt kontaktiert. Es zeigte sich wie erwartet, dass diejenigen, welche keinen Kontakt zu einem Arzt gehabt hatten, seltener gegen Influenza geimpft waren (6 % in der geimpften Population hatten keine medizinische Konsultation vs. 10 % in der nicht geimpften Population).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1806_Weblinks_s30_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="760" /></p> <h2>Gründe für Verzicht auf Influenzaimpfung</h2> <p>Zuletzt wurden die nicht gegen Influenza geimpften Patienten in dieser Studie auch darüber befragt, was ihre Gründe dafür sind, sich nicht impfen zu lassen (Abb. 2). 95 der 200 Patienten (47,5 %) gaben an, vom Nutzen der Impfung nicht überzeugt zu sein, 28 (14 %) hatten nach eigenen Angaben auf die Impfung vergessen, 19 (9,5 %) gaben an, keine Zeit für die Impfung gehabt zu haben, während 14 Patienten (7 %) Bedenken wegen möglicher Nebenwirkungen hatten, und 4 (2 %) wurde direkt von der Impfung abgeraten. (Ein Patient gab an, ein Bekannter hätte ihm von der Impfung abgeraten; die drei anderen berichteten, die Empfehlung gegen die Immunisierung sei von ihrem Allgemeinmediziner ausgesprochen worden.) Diese Daten lassen vermuten, dass auch einige Ärzte nicht hinreichend über den Nutzen und die Notwendigkeit der Influenzaimpfung, speziell für gewisse Risikopopulationen, informiert sind.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Pneumo_1806_Weblinks_s30_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="862" /></p> <h2>Strategien zur Erhöhung der Impfprävalenz</h2> <p>Es bedarf in Österreich besserer Strategien, um die Durchimpfungsraten bei der Influenza-, aber auch bei der Pneumokokken- und Pertussisimpfung systematisch anzuheben. Wir können uns dabei ein Beispiel an Ländern mit relativ hohen Impfprävalenzen, wie zum Beispiel Großbritannien oder den Niederlanden, nehmen: Derzeit liegt in Großbritannien die Influenza- Impfprävalenz bei der Bevölkerungsgruppe ≥ 65 Jahre immerhin bei 70,5 %; in den Niederlanden bei 66,8 %, laut Erhebungen der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD).<sup>8</sup> Die letzte Erhebung der Influenza-Durchimpfungsrate in Österreich durch die OECD fand 2014 statt; in diesem Jahr wurde bei den über 65-Jährigen eine Impfprävalenz von 20,3 % angegeben. In den Ländern mit hohen Durchimpfungsraten, wie z. B. in Großbritannien, aber auch in Russland, gibt es staatlich geförderte Impfprogramme, bei denen den Passanten an öffentlichen Orten wie zum Beispiel U-Bahn Stationen kostenlos die Grippeimpfung angeboten wird. Unbestritten ist mittlerweile der Nutzen der Influenzaimpfung, um die Inzidenz der Influenzapneumonie selbst zu vermindern. Eine Untersuchung unter 2767 Patienten, die 2015 im JAMA publiziert wurde, zeigte klar, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene, die aufgrund einer Influenzapneumonie hospitalisiert waren, signifikant seltener gegen Influenza geimpft waren als diejenigen Patienten, bei denen eine Pneumonie anderer Ätiologie bestand.<sup>9</sup> Statistische Berechnungen dieser Daten ergaben eine Effektivität der Impfung von 56,7 %.<sup>9 </sup></p> <h2>Problem Pneumokokkeninfektionen</h2> <p>Auch die Pneumokokkeninfektion ist ein ernst zu nehmendes Problem, vor allem für ältere Patienten oder Patienten mit chronischen internistischen Erkrankungen. Die Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) empfielt daher die Immunisierung von Kindern im Kleinkindalter weltweit.<sup>10</sup> In einer Übersichtsarbeit wurde die Effektivität des 10-valenten Pneumokokken- Konjugat-Impfstoffs (PHiD-CV) evaluiert, welcher bereits in mehr als 45 Ländern und Regionen weltweit verwendet wird.<sup>11</sup> Die Ergebnisse diverser randomisierter, doppelblinder und Post-Marketing-Studien in verschiedenen Ländern zeigen eine klare Evidenz für die protektiven Effekte der Pneumokokkenimpfung. Auch die Prävalenz der nasopharyngealen Besiedelung mit Pneumokokken bei asymptomatischen und gesunden Personen konnte durch konsequentes Impfen reduziert werden.<sup>11</sup> Allerdings wurde die nasopharyngeale Besiedelung nur bei solchen Serotypen reduziert, gegen die der Impfstoff ausgerichtet ist – interessanterweise zeigte sich in manchen Regionen sogar ein Anstieg an nasopharyngealen Carriern betreffend die nicht von der Impfung abgedeckten Pneumokokken- Serotypen. Grundsätzlich wurde jedoch laut diesem Review durch die Pneumokokken- Immunisierung die kumulative Inzidenz der Pneumokokkeninfektion deutlich reduziert.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Obwohl es nach wie vor viele Impfkritiker und -gegner gibt, die behaupten, dass speziell die Influenzaimpfung nicht effektiv genug sei und dass das Risiko der Impfung größer wäre als der Nutzen, so muss man sich doch fragen, warum in vielen Ländern das systematische Durchimpfen staatlich gefördert wird. Meiner Meinung nach ist gerade das ein Beweis dafür, dass durch konsequentes Impfen die Hospitalisierungsraten in Risikogruppen gesenkt werden können, was für den Staat à la longue eine Kostenersparnis bedeutet, obwohl der Impfstoff für den Einzelnen gratis zur Verfügung gestellt wird. Wir sollten auch in Österreich im Sinne der Patienten die Influenza-, Pneumokokken- und Pertussisimpfung in Risikogruppen fördern und darüber aufklären, warum gerade bei chronischen, pneumologischen oder kardialen Grundkrankheiten das Impfen wichtig wäre.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Seo YB et al.: Hum Vaccin Immunother 2014; 10(2): 423-7 <strong>2</strong> Seo YB et al.: Vaccine 2013; 31(10): 1426-30 <strong>3</strong> Hellenbrand W et al.: BMC Infect Dis 2012; 12: 127 <strong>4</strong> Ewig S et al.: Pneumologie 2016; 70(3): 151-200 <strong>5</strong> Rendi-Wagner P, Paulke-Korinek M et al.: Impfplan Österreich. Wien: Bundesministerium für Gesundheit und Frauen 2017 <strong>6</strong> Davis MM et al.: J Am Coll Cardiol 2006; 48(7): 1498-502 <strong>7</strong> Vaccination rates against pneumococcal and influenza infection in cardiologic and pneumologic patients need to be improved. ERS International Congress Abstracts; 15.–19. Sept. 2018; Paris, France <strong>8</strong> OECD Data. Influenza Vaccination Rates. Total, % of population aged 65+, 2017 or latest available. 2018; Available at: https://data.oecd.org; last accessed September 2018 <strong>9</strong> Grijalva CG et al.: JAMA 2015; 314(14): 1488-97 <strong>10</strong> World Health Organization Geneva: Pneumococcal conjugate vaccine for childhood immunization - WHO position paper. Weekly epidemiological record 2007; No. 12, 2007(82): 93-104 <strong>11</strong> Mrkvan T et al.: Expert Rev Vaccines 2018; 17(9): 797-818</p>
</div>
</p>
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