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Ausdruck einer hormonellen Dysfunktion
Jatros
30
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22.03.2018
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<p class="article-intro">Menstruationsassoziierte Beschwerden sind weitverbreitet: Nahezu jede Frau leidet darunter. Die Ausprägung der Symptome ist jedoch individuell sehr verschieden und auch die genaue Ätiologie ist noch nicht geklärt. In sehr vielen, aber nicht in allen Fällen können Hormongaben die Beschwerden lindern.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Gleich zu Beginn: Ja, auch das prämenstruelle Syndrom (PMS) ist Ausdruck der hormonellen Schwankungen im weiblichen Körper. Frauen, klinisch tätige Ärzte und auch Wissenschaftler sind sich darüber einig, dass der weibliche Körper in Zeiten hormoneller und damit reproduktiver „Höchstleistungen“ (Ovulation, Menstruation, Schwangerschaft, Geburt, Stillzeit) besonders hormonsensitiv reagiert. Die dabei auftretenden Symptome können oft genau dem Wirkmechanismus einer Steroidhormongruppe zugeordnet werden, bestehen eine gewisse Zeit und legen sich auch wieder. Im nächsten Monat können diese Unpässlichkeiten erneut auftreten. Im Laufe der Jahre verstärken sich manchmal die menstruationsassoziierten Beschwerden, aber sie können auch sistieren. Es werden von den betroffenen Frauen zahlreiche Beschwerdevariationen berichtet und es gibt viele äußere Triggerfaktoren.</p> <h2>Hormonelle Regulation im Verlauf des Lebens</h2> <p>Die wissenschaftliche Diskussion geht deshalb einen Schritt weiter und postuliert, dass der weibliche Organismus über die gesamte Zeitspanne der fertilen Jahre immer – in unterschiedlichen Ausprägungsgraden – hormonell abhängig reagiert. Allerdings – und das ist die gute Nachricht – nicht bei allen Frauen in gleichem Ausmaß. In der englischsprachigen Literatur wird dies als „hormonal sensitivity syndrome“ bezeichnet.<sup>1</sup> Es beginnt mit der Menarche und setzt sich fort über die Jahre der Pubertät, inklusive der Zeiten der hormonellen Kontrazeption, Schwangerschaft, Geburt und Stillperioden bis hin zur Perimenopause.<br /> Die segensreichen, aber auch belastenden Begleiterscheinungen durch die Hormonschwankungen sind der Frau grundgelegt. Die klinischen Tatsachen unterstützen die Hypothese, dass es Frauen gibt, die mehr, und solche, die weniger stark „Hormon-gesteuert“ durchs Leben gehen. Sie reagieren unterschiedlich anfällig auf physische und psychische Herausforderungen des Lebens. Alles wie gesagt unter dem Blickwinkel der hormonellen Regulation, die im Idealfall monatlich gesteuert ist. Selbst wenn diese monatliche Regulation während der fertilen Jahre ausfällt – nicht durch Schwangerschaft/ Geburt/Stillzeit bedingt –, ist der weibliche Körper nicht davor geschützt, Beschwerden zu entwickeln. Auch im Zustand der unphysiologischen Amenorrhö, wo man glauben könnte, dass die Probleme nicht mehr auftreten, spürt die Frau das Fehlen der hormonellen Regulation und sucht deshalb ärztlichen Rat.</p> <h2>Fast jede Frau hat menstruationsassoziierte Beschwerden</h2> <p>Die Liste der menstruationsassoziierten Beschwerden ist lang und fast jede Frau hat mit dem einen oder anderen Symptom, manchmal auch mit mehreren gleichzeitig, schon Bekanntschaft gemacht (Tab. 1).<br /> Der häufigste Manifestationszeitraum während der fertilen Jahre ist die Lutealphase. Es gibt aber auch Berichte dahin gehend, dass vorrangig die follikuläre Phase eine körperliche und psychische Belastung darstellt.<br /> Wenn die Symptome des PMS vorwiegend psychischer Natur sind, lassen sich verschiedene Manifestationen beobachten: Angstzustände, manisch-depressive Phasen mit bipolarem Charakter, Essstörungen, Kopfschmerzen bis zu Migräne und psychische Zustände bis zum PMDS (prämenstruelles dysphorisches Syndrom).<br /> Die körperlichen Auswirkungen des PMS sind meist auf den Unterbauch mit den typischen Beschwerden der Dysmenorrhö in unterschiedlichem Schweregrad sowie mit (Magen-)Darmbeteiligung lokalisiert. Mädchen in der Adoleszenz berichten auch oft von Schwindelattacken bis zu Ohnmachtsanfällen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Gyn_1801_Weblinks_jatros_gyn_1801_s17_tab1_korr.jpg" alt="" width="350" height="692" /></p> <h2>Ätiologie des PMS</h2> <p>Die ursächlichen Faktoren werden noch immer nicht ganz verstanden und auch die wissenschaftliche Literatur ist diesbezüglich zu wenig deutlich. Die wissenschaftlichen Berichte zu diesem Thema beginnen meist wie folgt: „Die genauen Ursachen des PMS sind nicht vollständig bekannt. Die komplexe Interaktion der hormonellen Schwankungen innerhalb des Menstruationszyklus, insbesondere das Zusammenspiel von Östrogen und Progesteron mit den immunologischen und neuroendokrinen Schwankungen, ist mit der Ausbildung und Manifestation von prämenstruellen Beschwerden verbunden.“</p> <h2>Östrogene</h2> <p>Das Abfallen des Östrogenspiegels bei Eintritt der Blutung wird als Trigger für Migräne gesehen. Schwangere berichten einstimmig davon, während der Schwangerschaft (notabene: hohe Östrogenlevel) keine Migränebeschwerden zu haben. Der Östrogenentzug im Rahmen einer IVFVorbereitung mit Gonadotropin-Releasing- Hormonen (GnRH) begünstigt andererseits das Auftreten von Kopfschmerzen, wie viele betroffene Frauen in IVF-Zentren berichten. Paradoxerweise beeinflusst der niedrige Östrogenspiegel in der Menopause das Sistieren von Migräne positiv. Es besteht demnach eine große Ambivalenz des Östrogeneffekts bei Kopfschmerzen und Migräne!<br /> Hat nun die polymorphe Gegebenheit des Östrogenrezeptors einen Einfluss auf die Entstehung von PMS? Dem scheint so zu sein, denn in einer – kleinen – Studie konnte gezeigt werden, dass unterschiedliche Genotypen des Östrogenrezeptors auch die prämenstruellen Beschwerden unterschiedlich stark auftreten lassen.<sup>2</sup><br /> Östrogene beeinflussen auch die Entstehung und Differenzierung der zellulären (T-Zellen) und humoralen (B-Zellen) Immunität. Dadurch bedingt verschlechtern oder verbessern sich immunologisch gesteuerte Pathologien innerhalb eines Monats. Betroffene berichten über eine verstärkte Anfälligkeit für allergische Reaktionen, fühlen sich manchmal sogar wie bei einem grippalen Infekt oder neigen außergewöhnlich oft zu urogenitalen Infekten.<br /> Östrogene wirken auch als Neuromodulatoren der Neurotransmitter mit diversen Effekten auf das zentrale Nervensystem, wodurch sich einige psychiatrische Krankheitsbilder sowohl in den fertilen Jahren als auch perimenopausal/postmenopausal ätiologisch „ko-erklären“ lassen.</p> <h2>Progesteron</h2> <p>Der prämenstruelle Progesteronabfall macht sich in erster Linie durch die zahlreichen Facetten des Einflusses von Progesteron auf den GABA-Rezeptor bemerkbar. Die Verschlechterung des psychischen Zustandes in dieser Phase wird von vielen Frauen beschrieben und kann in allen Ausprägungsgraden beobachtet werden. Depressionen, Phobien und bipolare Zustände bis zu schweren psychiatrischen Krankheitsbildern können diese Tage kennzeichnen. Die Erstmanifestation kann sich auch erst perimenopausal bemerkbar machen, wenn es bedingt durch den Beginn der Menopause zu einem „bleibenden“ Progesteronmangel kommt (notabene: die Menopause beginnt mit einem Progesteronmangel). Dass Progesteron eine ursächliche Rolle beim prämenstruellen Auftreten von Beschwerden hat, kann durch die Unterdrückung der Ovulation mit Ovulationshemmern sehr gut nachgewiesen werden. Dieser therapeutische Nutzen kommt für jene Frauen infrage, die auch eine hormonelle Kontrazeption wünschen. Manchmal ist es aber auch notwendig, die Betroffenen mit einem hormonellen Kontrazeptivum von ihrem PMS zu befreien, ohne dass Kontrazeption als primärer Wunsch geäußert wird.<br /> Therapiestudien mit GnRH-Analoga zeigten ebenfalls eine positive Auswirkung auf PMS-Beschwerden, was auch belegt, dass Progesteron ein das PMS promovierendes Steroid darstellt. Warum nun manche Frauen mehr und manche Frauen weniger anfällig für PMS-Beschwerden sind, dürfte an der individuell höchst unterschiedlichen Suszeptibilität der Neurone für Progesteron liegen.<br /> In einer sehr aktuellen Beobachtungsstudie wurde nun der Frage nachgegangen, ob nicht mit einem Progesteronantagonisten die Beschwerden des PMS verbessert werden könnten.<sup>3</sup> Betroffene Frauen, die Ulipristalacetat (UPA) als selektiven Progesteronrezeptor- Modulator zur Myomtherapie erhielten und begleitend über PMS-Beschwerden berichteten, wurden mittels Fragebogenanalyse bezüglich PMS-Beschwerden untersucht. Als Benefit zur gewünschten Amenorrhö verringerten sich bei 80 % der Befragten auch die PMS-Beschwerden. Die Antwort, ob mittels UPA auch junge Frauen von Beschwerden durch PMS befreit werden können, bleibt dennoch offen.</p> <h2>Mögliche Therapien</h2> <p>Es liegt nahe, dass Östrogen, aber bevorzugt Progesteron/Gestagen als hormonelle Therapie infrage kommen. Dabei erfolgt eine sequenzielle oder auch kontinuierliche Gabe entweder des einen oder des anderen Hormons. Natürliche Hormone, aber auch die Hormone der hormonellen Kontrazeptiva finden Verwendung. Im Fall einer gewünschten hormonellen Verhütung ist durch die Wahl eines geeigneten Produktes auch an den gänzlichen Verzicht einer Entzugsblutung zu denken. Dadurch ist die beschwerdefreie Zeit möglichst lange gewährleistet.<br /> Auch die Phytohormontherapie sowie die Gabe von Spurenelementen, Kalzium und Omega-3-Fettsäuren sind probate Möglichkeiten. Einen hohen Stellenwert nimmt der allgemeine Lebensstil ein. So selbstverständlich und trivial es auch klingen mag, aber ein geordneter Tag-Nacht- Rhythmus mit vernünftigen Essenszeiten und wenig exogenen Noxen (Alkohol, Nikotin) verbessert wesentlich die Beschwerdesymptomatik.<br /> Trotzdem gibt es eine nicht allzu kleine Gruppe von Frauen, die nach verschiedensten Therapieangeboten keine Linderung vor allem der Unterbauchbeschwerden erfährt. Dann gilt es, weitere Maßnahmen zu treffen und möglicherweise auch eine operative Exploration des kleinen Beckens vorzunehmen. Die Diagnose „Endometriose“ als Ursache für die anhaltenden dysmenorrhoischen Beschwerden ist nur histologisch zu stellen. Die sich aus dieser Diagnose ableitenden Therapiemöglichkeiten sind ausreichend publiziert. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation sollte sich jeder betroffenen Frau ein therapeutischer Weg aufzeigen.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Pope CJ et al.: The hormonal sensitivity hypothesis: A review and new findings. Med Hypotheses 2017; 102: 69-77 <strong>2</strong> Pakharenko L: Effect of estrogen receptor gene ESR1 polymorphism on development of premenstrual syndrome. Georgian Med News 2014; 235: 37-41 <strong>3</strong> Chen BF et al.: An observation study of the clinical evaluation of symptom relief and side effects associated with taking ulipristal acetate (Esmya) including its effect on pre-menstrual syndrome. J Obstet Gynaecol 2017; 37: 645-8 <strong>4</strong> Pinkerton JA et al.: Menstrual cycle-related exacerbation of disease. Am J Obstet Gynecol 2010; 202: 221-31</p>
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