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24-Stunden-Betreuung aus der Sicht einer Pflegerin

„Am Anfang war es furchtbar hart“

<p class="article-intro">Frau Lina Radan kam 1999 nach Österreich, um 24-Stunden-Pflege zu leisten. Im Gespräch erzählen sie und ihre Tochter Snejana von entbehrungsreichen Zeiten, großen Erwartungen und neuen Perspektiven.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Als Sie 1999 als Betreuerin einer 89-j&auml;hrigen Dame nach Trausdorf kamen, waren Sie die erste Pflegerin aus Osteuropa in dem burgenlandkroatischen Ort. Wie kam es dazu?<br /> L. Radan:</strong> Meine Tante war und ist in &Ouml;sterreich verheiratet. Sie wusste um mein belastendes Leben in Rum&auml;nien und verschaffte mir diese Stelle.<br /><br /> <strong>Sie mussten Ihre Tochter zur&uuml;cklassen. Ich darf annehmen, das war keine leichte Entscheidung.<br /> L. Radan:</strong> Ja, es war furchtbar hart. Aber mir blieb die Hoffnung, meine Probleme aus eigener Kraft l&ouml;sen zu k&ouml;nnen. Ich geh&ouml;re einer kroatisch sprechenden Minderheit in Rum&auml;nien an, es war &uuml;blich, nicht aus Liebe, sondern aus gesellschaftlich-famili&auml;rem Zwang zu heiraten. Diese lieblosen Paarbeziehungen und das Gefangensein in Perspektiven- und Hoffnungslosigkeit sind auch heute noch ein starkes Motiv f&uuml;r rum&auml;nische Frauen, ins Ausland arbeiten zu gehen. Viele tun das nat&uuml;rlich in dem Bestreben, ihren Kindern bessere Lebensumst&auml;nde zu bieten.<br /><br /> <strong>Haben sich diese Erwartungen bei Ihnen erf&uuml;llt?<br /> L. Radan:</strong> Ich bin so stolz auf meine Tochter! Wir haben beide viel geweint, ein Meer von Tr&auml;nen vergossen, doch jetzt haben wir unser Ziel erreicht.<br /> <strong>Snejana:</strong> Ich war zehn Jahre alt, als meine Mutter nach &Ouml;sterreich ging. Mein Vater hat gearbeitet und war oft auch &uuml;ber Nacht nicht zu Hause. Deshalb hat sich eine Nachbarin um mich gek&uuml;mmert.<br /> <strong>L. Radan:</strong> Anna ist mit einem Bild von Papa und Mama in der Hand ins Bett gegangen.<br /><br /> <strong>Warum nennen Sie Ihre Tochter &bdquo;Anna&ldquo;?<br /> Snejana:</strong> In &Ouml;sterreich bin ich Anna, f&uuml;r alle &ndash; Snejana ist zu kompliziert.<br /> <strong>L. Radan:</strong> Ich war 700 Kilometer von Anna entfernt, ein Zweiwochenrhythmus Betreuungsarbeit/Heimaturlaub war unm&ouml;glich. Ich war die ersten Jahre h&ouml;chstens einen Monat pro Jahr zu Hause. Damals gab es auch noch keine Smartphones.<br /><br /> <strong>Wie ging es Ihnen mit der Sprachbarriere?<br /> L. Radan: </strong>Zun&auml;chst musste ich mein Kroatisch dem Burgenlandkroatisch anpassen, was gar nicht so einfach war. Mittlerweile spreche ich Burgenlandkroatisch besser als meine Muttersprache. Meine erste Klientin habe ich f&uuml;nf Jahre betreut, ihre ganze Familie hat mir sehr geholfen. Die alte Dame war in ihrer Mobilit&auml;t behindert, geistig jedoch aufmerksam und rege. Sie war eine gute und engagierte Deutschlehrerin. Als sie mit 95 Jahren verstarb, konnte ich mich sicher und uneingeschr&auml;nkt auf Deutsch verst&auml;ndigen. Auch wurde meine Arbeit gesch&auml;tzt. Nicht nur in ihrer Familie, sondern mit der Zeit im ganzen Dorf. In meinem vierten Jahr in &Ouml;sterreich vermittelte ich bereits meine Schwester an eine Familie, die ebenfalls Betreuungsbedarf hatte.<br /><br /><strong> War dies also der Beginn Ihrer jetzigen T&auml;tigkeit, der Vermittlung von Betreuungspersonen?<br /> L. Radan:</strong> Ja, das ging aber erst 2006 so richtig los, als das Besch&auml;ftigungsverh&auml;ltnis von 24-Stunden-Pflegepersonal gesetzlich geregelt wurde. Eine Bekannte aus meiner Zeit in Trausdorf war in der Landesregierung besch&auml;ftigt. Sie war ge&uuml;bt im Umgang mit &Auml;mtern und half mir sehr viel. Dank der zwei lediglich k&ouml;rperlich eingeschr&auml;nkten Frauen, die ich betreute, lernte ich mit der Zeit auch ganz gut, auf Deutsch schreiben. Ich begann meine Schwestern, Cousinen und gute Bekannte zu vermitteln, immer nur Personen, die ich pers&ouml;nlich kenne.<br /><br /><strong> Wie viele Frauen haben Sie derzeit unter Vertrag?<br /> L. Radan:</strong> Um die Hundert, in Wien, Nieder&ouml;sterreich, im Burgenland und in der Steiermark.<br /><br /> <strong>Wie sind deren Arbeitsbedingungen? Und wie viel m&uuml;ssen sie f&uuml;r die Vermittlung bezahlen?<br /> L. Radan:</strong> Der Verdienst richtet sich nach dem Aufwand der Betreuung. Ist etwa ein Ehepaar zu betreuen, ist auch der Verdienst h&ouml;her. Dieser liegt etwa bei 1400 bis 1800 Euro pro Monat.<br /> <strong>Snejana:</strong> Der Durchschnittslohn in Rum&auml;nien ist 400 bis 500 Euro, auch bei guter Ausbildung.<br /> <strong>L. Radan:</strong> Ich, also die Agentur, bekomme 3,33 Euro pro Tag, also genau 100 Euro pro Monat. Das ist die Pauschale f&uuml;r Vermittlung und Betreuung an der Arbeitsstelle &ndash; Einf&uuml;hren in die Familie, Erledigung der gesetzeskonformen Amtswege, Vermittlung zwischen Familie und Pflegerin; wenn n&ouml;tig, Organisation der An- und Abreise. Von der Familie der zu betreuenden Person bekomme ich nichts. Meine Frauen bleiben alle l&auml;nger, mehrere Monate, bevor sie wieder f&uuml;r bis zu zwei Monate nach Hause fahren. Ich kenne jede Stelle, wei&szlig;, wie gut die Sprachkenntnisse sein m&uuml;ssen, wie gro&szlig; die Belastbarkeit. Ich w&auml;hle gewissenhaft aus, schlie&szlig;lich muss ich selbst die auftretenden Probleme l&ouml;sen.<br /><br /> <strong>Sind Sie oft mit Problemen konfrontiert?<br /> L. Radan:</strong> Am meisten belastet es mich, wenn ich auf ausl&auml;nderfeindliche Vorurteile sto&szlig;e.<br /><br /> <strong>Kommt es oft vor, dass Sie auf Vorurteile sto&szlig;en?<br /> L. Radan:</strong> Leider, viel zu oft. Bis die Betreuerin und die zu pflegende Person sowie ihre Familie einander kennen und sich eine Alltagsroutine eingestellt hat, ist mein Engagement recht gefragt. Wenn dann diese Stelle mit zwei oder drei einander abwechselnden Frauen besetzt ist, funktioniert die Betreuung meistens reibungslos.<br /><br /><strong> Erinnern Sie sich auch an das eine oder andere au&szlig;ergew&ouml;hnliche Vorkommnis?<br /> L. Radan:</strong> Da gibt es genug: von respektloser Behandlung bis hin zu sexueller Bel&auml;stigung durch aufbl&uuml;hende Betreute oder zudringliche Angeh&ouml;rige. Das kann in seltenen F&auml;llen bis zur Aufl&ouml;sung des Betreuungsvertrages f&uuml;hren. Das bisher Schlimmste war der Schlaganfall einer Pflegerin. Nach mehr als zwei Tagen wurden die betreute Person und die Pflegerin in einem furchtbaren Zustand angetroffen. Es ging alles gut aus, hat mich aber sehr gefordert.<br /><br /> <strong>Um &uuml;ber Ihre gro&szlig;e Freude zu sprechen: Vor f&uuml;nf Jahren kam Ihre Tochter zu Ihnen nach &Ouml;sterreich. Wie geht es Ihnen beiden seitdem?<br /> Lina und Snejana:</strong> Es ist wunderbar.<br /> <strong>Snejana:</strong> Ich habe es nat&uuml;rlich um vieles leichter, als es meine Mutter hatte, aber es ist auch f&uuml;r mich ein Neuanfang. Ich habe in Rum&auml;nien ein Masterstudium in &Ouml;konomie abgeschlossen, spreche f&uuml;nf Sprachen, habe mehr als hundert Bewerbungen geschrieben, jedoch keine Arbeit gefunden. Das habe ich mir leichter vorgestellt.<br /><br /><strong> H&auml;tten Sie in Rum&auml;nien Arbeit gefunden?<br /> Snejana:</strong> Das habe ich erst gar nicht probiert, ich hatte in all den schweren Jahren &Ouml;sterreich als Ziel.<br /><br /> <strong>Hat sich nun das Ziel als Neustart entpuppt?<br /> Snejana:</strong> Sozusagen. Ich habe jede Arbeit angenommen &ndash; Putzen, stundenweise Personenbetreuung &ndash; und habe im WIFI die Ausbildung zur Pflegehelferin gemacht.<br /> Ich arbeite jetzt 20 Stunden in der Hauskrankenpflege bei der Volkshilfe. Dort habe ich auch die M&ouml;glichkeit, berufsbegleitend das Krankenpflegediplom zu machen. Eine Chance, die ich n&uuml;tzen werde.<br /> <strong>L. Radan:</strong> Alte Menschen betreuen ist eine sehr sch&ouml;ne T&auml;tigkeit, ich selbst hatte immer f&uuml;nf Klienten, auch jetzt noch. Eine geregelte Arbeitszeit mit Raum f&uuml;r Freizeit, Urlaub etc. &ndash; das ist ganz wichtig. Das w&uuml;nsche ich mir f&uuml;r Anna.<br /><br /> <strong>Snejana, Sie sind mit Ihrem Gatten nach &Ouml;sterreich gekommen, stimmt das?<br /> Snejana:</strong> Ja, das hat mir alles leichter gemacht. Ich habe ihn gern, er hat Arbeit und ich bin sehr froh und zuversichtlich, was unsere Zukunft betrifft.<br /><br /> <strong>Gibt es auch in Rum&auml;nien ausl&auml;ndische Pflegekr&auml;fte?<br /> L. Radan:</strong> Rum&auml;nien ist ein armes Land. Nur wenige k&ouml;nnen sich eine Pflegekraft, zum Beispiel aus der Ukraine, leisten. Das ist wenigen Wohlhabenden vorbehalten. Auch hier wird das unterschiedliche Lohnniveau ausgen&uuml;tzt.<br /><br /> <strong>Sind Sie eigentlich schon &ouml;sterreichische Staatsb&uuml;rgerin?<br /> L. Radan:</strong> Ja, seit 2014. Ich f&uuml;hle mich hier wirklich zu Hause, und seit Anna bei mir ist, gibt es &uuml;berhaupt kein Heimweh mehr.<br /><br /> <strong>Sie haben Ihre Chancen erkannt und gen&uuml;tzt. Ich kann Sie nur bewundern und mich mit Ihnen freuen. Danke f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p>
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