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Akutes Nierenversagen und kardiorenale Syndrome – zwei spannende Themen unter vielen
Leading Opinions
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02.03.2017
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<p class="article-intro">2004 wurde der Begriff «kardiorenales Syndrom» von den National Institutes of Health als Zustand definiert, bei dem die Behandlung einer Herzinsuffizienz durch eine Verschlechterung der Nierenfunktion begrenzt wird.<sup>1</sup> Vier Jahre später erweiterte die Acute Dialysis Quality Initiative (ADQI) den Begriff «kardiorenales Syndrom» dahingehend, dass berücksichtigt wurde, dass es auch umgekehrt im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz zur Beeinträchtigung des Herzens kommen kann.<sup>2</sup> Zur besseren Differenzierung schlug sie vor, von «kardiorenalen» und «renokardialen» Syndromen zu sprechen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Akutes Nierenversagen</h2> <p>Weltweit erfüllen mehr als 20 % der hospitalisierten Erwachsenen die KDIGO- Kriterien für ein akutes Nierenversagen («acute kidney injury», AKI).<sup>3</sup> «Epidemiologische Studien aus verschiedenen Ländern zeigen zudem, dass die Inzidenz des dialysepflichtigen AKI in den letzten Jahren dramatisch angestiegen ist», sagte Prof. Dr. med. Karl Lhotta, Landeskrankenhaus Feldkirch. «Besonders gefährdet sind Patienten auf der Intensivstation sowie ältere Patienten.»<sup>4</sup> Die meisten dieser Patienten haben eine oder mehrere Komorbiditäten. 37 % haben einen Charlson Comorbidity Index >6 und folglich ein Risiko von 100 % , innerhalb eines Jahres zu versterben.<sup>4</sup> «In einer retrospektiven Beobachtungsstudie bei Patienten mit dialysepflichtigem AKI ausserhalb der Intensivstation identifizierten wir die renale Hypoperfusion als wichtigste Ursache für das AKI», so Lhotta.<sup>5</sup> Betroffen sind in erster Linie ältere Patienten mit mindestens einer Komorbidität, die mit Diuretika und RAAS-Blockern behandelt werden und im Rahmen einer akuten Erkrankung eine Volumendepletion entwickeln. «Um bei diesen Patienten das Risiko für ein akutes Nierenversagen zu reduzieren, ist es besonders wichtig, die Risikopatienten zu identifizieren und sie zu instruieren, beim Auftreten von kritischen Situationen bestimmte Medikamente abzusetzen und erst nach der Genesung wieder einzunehmen (Tab. 1)», betonte Lhotta.<br /> Obwohl das Risiko, infolge eines AKI ein finales Nierenversagen zu entwickeln oder zu sterben, gemäss einer dänischen Studie seit 2005 um 6,6 % /Jahr resp. 3,8 % /Jahr abgenommen hat, bleibt die Prognose schlecht. Nur ein Drittel der Patienten benötigt im weiteren Verlauf keine chronische Nierenersatztherapie.<sup>4</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s44_tab1.jpg" alt="" width="1492" height="640" /></p> <h2>Kardiorenale Syndrome</h2> <p>Unter dem Begriff kardiorenales Syndrom versteht man entweder das Auftreten einer Niereninsuffizenz im Rahmen einer Herzerkrankung oder das Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz («chronic kidney disease», CKD). Beide können akut oder chronisch verlaufen (Abb. 1). «Die Beziehung zwischen Herz und Nieren beruht auf komplexen bidirektionalen Interaktionen, die bislang nicht vollständig verstanden werden und sehr schwer zu entschlüsseln sind. Das Wesentliche ist jedoch, dass es sich dabei um ein Verstärkersystem handelt. Dessen müssen wir uns bewusst sein», betonte Prof. Dr. med. Pierre-Yves Martin, Nephrologie, Universitätsspital Genf.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s44_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="692" /><br /><br /><strong> Kardiorenal</strong><br /> Gemeinhin wird angenommen, die Verschlechterung der Nierenfunktion bei Herzinsuffizienz sei auf den verminderten kardialen Output mit Hypoperfusion der Nieren zurückzuführen. «Diese Hypothese geriet in den letzten Jahren jedoch ins Wanken», so Martin. Beispielsweise durch Hillege et al, die bereits im Jahr 2000 zeigten, dass bei Herzinsuffizienz die GFR der bessere Prädiktor für die Mortalität ist als die linksventrikuläre Auswurffraktion.<sup>6</sup> Oder durch Studien, die aufzeigten, dass bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz die Erhöhung des zentralvenösen Drucks der wichtigste hämodynamische Faktor für die Verschlechterung der Nierenfunktion ist und auch mit der Mortalität assoziiert ist.<sup>7, 8</sup> Auch die kürzlich publizierte Post-hoc-Analyse der ESCAPE-Studie lässt den Schluss zu, dass die verminderte Herzleistung bei herzinsuffizienten Patienten kein Treiber für die Verschlechterung der Nierenfunktion ist. Es fand sich nämlich keinerlei Assoziation zwischen dem Herzindex («cardiac index», CI) und der Nierenfunktion.<sup>9</sup><br /> Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) hängt zwar vom renalen Blutfluss (RBF) ab, noch wichtiger ist aber der Einfluss der Starling’schen Kräfte zwischen den glomerulären Kapillaren und dem Bowman- Raum. Der Körper ist bestrebt, die GFR möglichst konstant zu halten. Nebst hämodynamischen Faktoren spielen dabei autoregulatorische Mechanismen, die in einer Veränderung der Filtrationsfraktion (FF) resultieren, eine wichtige Rolle. Vergleichbare GFR-Werte können deshalb Ausdruck unterschiedlicher Situationen sein. Auch bei verminderter renaler Perfusion bleibt die GFR lange erhalten, was zu einer Zunahme der FF führt, die ihrerseits eine vermehrte Natrium- und Wasserreabsorption induziert. Die erhöhte Natriumreabsorption im proximalen Tubulus wiederum resultiert in einer verstärkten neurohumoralen Aktivierung, die zu einer weiteren Zunahme der FF führt.<sup>10</sup> Die Behandlung bei dekompensierter Herzinsuffizienz muss deshalb auf eine Verminderung der FF und der Natriumreabsorption im proximalen Tubulus abzielen. Beispielsweise mit RAAS-Blockern oder Serelaxin, die bei Patienten mit Herzinsuffizienz den RBF erhöhen und die FF vermindern.<sup>11, 12</sup> Oder mit dem alten Diuretikum Acetazolamid oder den neueren SGLT2-Inhibitoren, die den Natriumtransport im proximalen Tubulus hemmen.<sup>13, 14</sup><br /> «Wichtig zu wissen ist, dass eine vorübergehende Verschlechterung der Nierenfunktion im Rahmen einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz kein grosses Problem ist. Lediglich die persistierende Niereninsuffizienz ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert»<sup>15</sup>, sagte Martin. Interessant ist auch die Beobachtung in der Penn- und der ESCAPE-Kohorte, wonach bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz ein schlechtes Ansprechen auf Diuretika mit einer schlechten und ein gutes Ansprechen mit einer guten Prognose einherging.<sup>16</sup> Ein einfach und günstig zu messender prognostischer Parameter ist in dieser Situation auch die Hämokonzentration. Patienten, die auf die Therapie mit einer Hämokonzentration reagieren, haben eine signifikant geringere Mortalität. Dieser Benefit bleibt auch bestehen, wenn sich die Nierenfunktion im Rahmen der Hämokonzentration verschlechtert.<sup>17</sup><br /><br /> <strong>Renokardial</strong><br /> Die chronische Niereninsuffizienz («chronic kidney disease», CKD) ist ein Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und erhöht das Risiko für plötzlichen Tod.<sup>18</sup> Gleichzeitig erhöht eine Herzinsuffizienz bei CKD-Patienten das Risiko für terminale Niereninsuffizienz und Tod.<sup>19</sup><br /> CKD-Patienten, die ausserhalb des Spitals einen Herzstillstand erleiden, haben häufig eine Hyperkaliämie und eine Anämie. <sup>20</sup> «Wir Nephrologen machen uns immer Sorgen wegen des Hyperkaliämierisikos. Dies führt dazu, dass wir sie hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos unter Umständen zu wenig gut behandeln», gab Martin zu bedenken. Tatsächlich zeigte sich in der EVEREST-Studie, dass CKD-Patienten seltener ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker und Spironolacton erhalten als Patienten mit normaler Nierenfunktion. <sup>21</sup> Dies, obwohl bekannt ist, dass ACE-Hemmer und Betablocker die Mortalität bei Patienten mit und ohne Niereninsuffizienz gleichermassen reduzieren. «Von Entresto (Sacubitril/Valsartan), das bei CKD-Patienten noch nicht eingesetzt wird, wissen wir, dass es bei Herzinsuffizienzpatienten mit einem Mineralokortikoid- Antagonisten das Hyperkaliämierisiko abschwächt.<sup>22</sup> Es könnte also interessant sein, dieses Medikament auch bei unseren Patienten einzusetzen», schloss Martin.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 48. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für
Nephrologie, 8. und 9. Dezember 2016, Interlaken
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> https://www.nhlbi.nih.gov/research/reports/2004-cardiorenal- hf-hd <strong>2</strong> Ronco C et al: Cardio-renal syndromes: report from the consensus conference of the acute dialysis quality initiative. Eur Heart J 2010; 31: 703-11 <strong>3</strong> Susantitaphong P et al: World incidence of AKI: a meta-analysis. Clin J Am Soc Nephrol 2013; 8: 1482-93 <strong>4</strong> Carlson N et al: Trends in one-year outcomes of dialysis-requiring acute kidney injury in Denmark 2005-2012: a population-based nationwide study. PLoS One 2016; 11: e0159944 <strong>5</strong> Sprenger- Mähr H et al: Acute kidney injury treated with dialysis outside the intensive care unit: a retrospective observational single-center study. PLoS One 2016; 11: e0163512 <strong>6</strong> Hillege HL et al: Renal function, neurohormonal activation, and survival in patients with chronic heart failure. Circulation 2000; 102: 203-10 <strong>7</strong> Mullens W et al: Importance of venous congestion for worsening of renal function in advanced decompensated heart failure. J Am Coll Cardiol 2009; 53: 589-96 <strong>8</strong> Damman K et al: Increased central venous pressure is associated with impaired renal function and mortality in a broad spectrum of patients with cardiovascular disease. J Am Coll Cardiol 2009; 53: 582-8 <strong>9</strong> Hanberg JS et al: Reduced cardiac index is not the dominant driver of renal dysfunction in heart failure. J Am Coll Cardiol 2016; 67: 2199-208 <strong>10</strong> Mullens W, Nijst P: Cardiac output and renal dysfunction: definitely more than impaired flow. J Am Coll Cardiol 2016; 67: 2209-12 <strong>11</strong> Kula AJ et al: Influence of titration of neurohormonal antagonists and blood pressure reduction on renal function and decongestion in decompensated heart failure. Circ Heart Failure 2016; 9: e002333 <strong>12</strong> Metra M et al: Effects of serelaxin in subgroups of patients with acute heart failure: results from RELAX-AHF. Eur Heart J 2013; 34: 3128-36 <strong>13</strong> Zinman B et al: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117-28 <strong>14</strong> Verbrugge FH et al: Determinants and impact of the natriuretic response to diuretic therapy in heart failure with reduced ejection fraction and volume overload. Acta Cardiol 2015; 70: 265-73 <strong>15</strong> Aronson D, Burger AJ: The relationship between transient and persistent worsening renal function and mortality in patients with acute decompensated heart failure. J Card Fail 2010; 16: 541-7 <strong>16</strong> Testani JM et al: Loop diuretic efficiency: a metric of diuretic responsiveness with prognostic importance in acute decompensated heart failure. Circ Heart Fail 2014; 7: 261-70 <strong>17</strong> Breidthardt T et al: Impact of haemoconcentration during acute heart failure therapy on mortality and its relationship with worsening renal function. Eur J Heart Fail 2016 [epub ahead of print] <strong>18</strong> Bleyer AJ et al: Characteristics of sudden death in hemodialysis patients. Kidney Int 2006; 69: 2268-73 <strong>19</strong> Sud M et al: ESRD and death after heart failure in CKD. J Am Soc Nephrol 2015; 26: 715-22 <strong>20</strong> Lin CH et al: Electrolyte abnormalities and laboratory findings in patients with out-of-hospital cardiac arrest who have kidney disease. Am J Emerg Med 2013; 31: 487-93 <strong>21</strong> Blair JE et al: Changes in renal function during hospitalization and soon after discharge in patients admitted for worsening heart failure in the placebo group of the EVEREST trial. Eur Heart J 2011; 32: 2563-72 <strong>22</strong> Desai AS et al: Reduced risk of hyperkalemia during treatment of heart failure with mineralocorticoid receptor antagonists by use of sacubitril/valsartan compared with enalapril: a secondary analysis of the PARADIGM-HF Trial. JAMA Cardiol 2016 [epub ahead of print]</p>
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