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Adhärenz-Sprechstunde bei Patienten mit einer HIV-Therapie

<p class="article-intro">Die HIV-Therapie hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Durch die Single-Tablet-Regime reduzierten sich Einnahmefrequenzen und Tablettenzahlen. Die Interaktionsprofile der Integrasehemmer fordern eine andere Art von Beratung durch den Apotheker.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Evaluation von Adh&auml;renz und Komedikation</h2> <p>Eigentlich ist das Leben mit einer HIVInfektion sehr viel einfacher geworden. Um den Beratungsbedarf der Patienten mit einer HIV-Infektion zu evaluieren, wurden am Kaiser-Franz-Josef-Spital und am AKH Wien im Rahmen der Adh&auml;renz- Sprechstunde, die von einer HIV-spezialisierten Apothekerin durchgef&uuml;hrt wird, im Zeitraum von Juli bis Dezember 2017 85 Beratungsgespr&auml;che analysiert. 64 Patienten (13 Frauen und 51 M&auml;nner) f&uuml;llten einen Fragebogen zur aktuellen Medikation, zu Begleitmedikamenten, Nahrungserg&auml;nzungsmitteln und zum Einsatz von Drogen aus. Tivicay<sup>&reg;</sup>, Descovy<sup>&reg;</sup>, gefolgt von Triumeq<sup>&reg;</sup> und Odefsey<sup>&reg;</sup>, z&auml;hlten zu den meistverschriebenen Therapieregimen. In der Komedikation standen mit 23 verschiedenen Medikamentenklassen Antidepressiva, Analgetika und Antihypertensiva an der Spitze der Verschreibungen (Tab. 1). Bei den neun verschiedenen Nahrungserg&auml;nzungsmittelgruppen, die 30 der befragten Patienten angaben, ging es vor allem um Vitamine, Protein-Shakes und Mineralien (Tab. 2). Ein Interaktionscheck wurde bei allen Patienten durchgef&uuml;hrt. Drei klinisch relevante Interaktionen wurden mit Triazolam, Quetiapin und Fluticason in Kombination mit einer geboosteten HIV-Therapie beschrieben. Im Gegensatz zu den verschreibungspflichtigen Medikamenten traten bei Nahrungserg&auml;nzungsmitteln Interaktionen mit Integrasehemmern auf, die klinische Auswirkungen hatten. In vier F&auml;llen wurde der Anstieg der Viruslast durch die Einnahme von Mineralien in Kombination mit Integrasehemmern + 2 NRTI bzw. Rilpivirin + 2 NRTI mit einem Protein-Shake assoziiert. Einer dieser F&auml;lle wird im Folgenden beschrieben.<br /><br /><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1801_Weblinks_s22_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1346" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1801_Weblinks_s22_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="618" /></p> <h2>Kasuistik 1: Bodybuilder erreicht keine ausreichende Virussuppression</h2> <p>Bei einem 37-j&auml;hrigen Kenianer schwankte die Viruslast um die 200 Kopien/ml. Die Viruslast lie&szlig; sich nicht unter die Nachweisgrenze bringen. Der Bodybuilder wiegt 120kg und nimmt morgens TAF/FTC/Rilpivirin mit einem hoch dosierten Proteinpr&auml;parat ein. Auf Mineralien verzichtet er, weil er geh&ouml;rt hat, dass es damit zu Interaktionen mit der HIV-Therapie kommen kann. Da es sich hier aber um keinen Integrasehemmer handelt, ist diese Angst unbegr&uuml;ndet. Weiter ist f&uuml;r ihn die t&auml;gliche Einnahme von Vitamin C und Vitamin D wichtig. Was k&ouml;nnte die Ursache f&uuml;r die erh&ouml;hte Viruslast sein?<br /> In der Literatur gibt es eine Studie, in der die Rilpivirin-Spiegel bei gleichzeitiger Einnahme von Rilpivirin mit einem proteinreichen Drink gemessen wurden. Zu unserem Erstaunen sanken die Rilpivirin- Spiegel unter einer Proteineinnahme um 50 % . Ein fetthaltiges Fr&uuml;hst&uuml;ck hingegen verbessert die Arzneistoffaufl&ouml;sung und verlangsamt die Magenentleerung.</p> <h2>Interaktion von Integrasehemmern und Mineralien</h2> <p>Bei den Nahrungserg&auml;nzungsmitteln spielen weiter die Interaktionen zwischen Integrasehemmern und Mineralien eine Rolle. Mineralien kommen in der Sportlerern&auml;hrung oder in Multivitaminpr&auml;paraten vor. Einzelne Mineralien, wie z.B. Magnesium, werden bei Muskelschmerzen oder Herzbeschwerden bzw. hoch dosiertes Kalzium bei Allergien oder Osteoporose eingesetzt.</p> <h2>Kasuistik 2: Anstieg der Viruslast unter Magnesium-Supplementation</h2> <p>Ein 46-j&auml;hriger deutscher Patient entwickelte unter einer Therapie mit Epivir<sup>&reg;</sup>, Tivicay<sup>&reg;</sup>, Prezista<sup>&reg;</sup> und Norvir<sup>&reg;</sup> erh&ouml;hte Cholesterinwerte. Diese wurden mit Atorvastatin 40mg therapiert. Die dabei aufgetretenen Muskelschmerzen sollen mit Magnesium-Tabletten aus der Apotheke gelindert werden. Die Viruslast stieg auf 700 Kopien/ml an.<br /> Die Fachinformation besagt, dass die Atorvastatin-Dosis unter Ritonavir maximal 10mg betragen soll. Weiter ist anzumerken, dass alle Integrasehemmer mit Kationen wie Magnesium Komplexe bilden und im Magen-Darm-Trakt ausfallen k&ouml;nnen. Verringerte Dolutegravir-Spiegel werden mit einer erh&ouml;hten Viruslast assoziiert. Die Statin-assoziierten Muskelschmerzen wurden mit einer Dosisreduktion des Atorvastatins und mit Vitamin D behandelt und die Therapie weitergef&uuml;hrt.</p> <h2>H&auml;ufigste Themen der Beratungsgespr&auml;che</h2> <p>Neben dem Interaktionscheck als einem der Module in der Adh&auml;renz-Sprechstunde werden weitere Gespr&auml;chsthemen wie &bdquo;Generelle Informationen zu Beginn der HIV-Therapie&ldquo;, &bdquo;Adh&auml;renzprobleme&ldquo;, &bdquo;Einstellung zur Therapie bzw. zum Leben mit HIV&ldquo;, &bdquo;Schwangerschaft&ldquo; und &bdquo;ChemSex&ldquo; erstellt und angeboten.<br /> 41 % der Beratungsgespr&auml;che behandelten das Thema &bdquo;Polymedikation bzw. Interaktion&ldquo;, gefolgt von den Themen &bdquo;Einstellung&ldquo; (25 % ), &bdquo;Drogen &ndash; ChemSex&ldquo; (19 % ), &bdquo;Generelle Information zu HIV&ldquo; (8 % ), &bdquo;Schwangerschaft, Adoption&ldquo; (2 % ) und &bdquo;Adh&auml;renz&ldquo; (2 % ) (Tab. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1801_Weblinks_s22_tab3.jpg" alt="" width="1419" height="424" /></p> <h2>Drogenkonsum</h2> <p>19 % der Patienten konsumierten Drogen (8 GBL/GHB, 8 Mephedron, 4 Kokain, 4 Ecstasy, 2 Crystal Methamphetamin, 1 Morphin, 1 Ketamin). Diese Patienten, die offen daf&uuml;r waren, in die Sprechstunde zu kommen, hatten alle die Bereitschaft, etwas in ihrem Leben zu ver&auml;ndern bzw. den Substanzkonsum zu reduzieren, das intraven&ouml;se Spritzen von Drogen (sog. &bdquo;Slammen&ldquo;) aufzugeben bzw. den Substanzkonsum ganz zu stoppen. Diesen Patienten wurde nahegelegt, das ChemSex-Beratungstool, das David Stuart f&uuml;r diese Patienten entwickelt hat, zu nutzen. Es steht Patienten kostenlos auf der Webseite www.patinka.at deutschsprachig zur Verf&uuml;gung.<br /> Mithilfe des Tools legt der Patient fest, wie lange er pausieren m&ouml;chte. Er stellt sich seinen Triggern, die letztendlich den Substanzgebrauch ausl&ouml;sen, und arbeitet Strategien aus, um zu lernen, mit diesen Triggern besser umzugehen. Bei dem Wunsch nach Abstinenz sind auch Symptome einer Koabh&auml;ngigkeit zu ber&uuml;cksichtigen. Hier gibt es entsprechende Beratungsangebote, die auf www.patinka.at bzw. bei den entsprechenden Patinka-Beratern eingeholt werden k&ouml;nnen.<br /> Durch den bewertungsfreien Raum, der in dieser Sprechstunde entsteht und im t&auml;glichen Alltag meist nicht zu finden ist, stellen diese Patienten oft fest, welche au&szlig;ergew&ouml;hnlichen hochsensiblen F&auml;higkeiten sie besitzen. Sie f&uuml;hlen sich minderwertig und wollen sich gesellschaftlich anpassen. Um diese F&auml;higkeiten, versch&uuml;ttete Ideen und Visionen wieder zu entwickeln und zu st&auml;rken, ist angedacht, eine geschlossene Facebook-Gruppe mit dem Namen &bdquo;Traumm&auml;nnerfabrik&ldquo; zu erstellen. Sie soll diesen Menschen einen gesch&uuml;tzten Raum f&uuml;r sich selbst und f&uuml;r ihre au&szlig;ergew&ouml;hnlichen F&auml;higkeiten geben.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Zusammenfassend ist zu sagen, dass die pharmazeutische T&auml;tigkeit in der Sprechstunde im Fokus steht. Neben dem Interaktionscheck, der sich zurzeit auf die Kombinierbarkeit von antiretroviralen Substanzen mit Nahrungserg&auml;nzungsmitteln verschiebt, wird au&szlig;erdem die Niereng&auml;ngigkeit/ Dialysierbarkeit von Substanzen gepr&uuml;ft und die Genetik in besonderen F&auml;llen hinterfragt. Grundlage eines jeden Gespr&auml;ches ist, die Patienten dabei zu unterst&uuml;tzen, ihr Leben wieder so zu gestalten, wie sie es sich vor der Infektion gew&uuml;nscht haben. Sobald die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt (U=U, steht f&uuml;r &bdquo;undetectable is untransmissible&ldquo;), sollen Visionen und Lebenskonzepte wieder angegangen werden. Dazu geh&ouml;ren u.a. Schwangerschaft, Adoption, Fernreisen, Hochleistungssport und Sex. Entscheidend f&uuml;r eine erfolgreiche Therapie ist eine positive Lebenseinstellung. Die ChemSex-Beratung ist noch weiter auszubauen.</div></p>
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