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Was ist notwendig?
Urologik
Autor:
Prof. Karl Pummer
Vorstand der Universitätsklinik für Urologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: karl.pummer@medunigraz.at
30
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29.09.2016
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<p class="article-intro">Die Bedeutung des Erkennens urogenitaler Verletzungen ist hinlänglich bekannt. Dabei können die rechtzeitige Identifizierung einzelner Verletzungen und deren adäquates Management organerhaltend, nicht selten sogar lebensrettend sein.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die Bildgebung ist bei der Behandlung urologischer Traumapatienten nur ein Baustein und muss im Zusammenhang mit anderen diagnostischen Methoden betrachtet werden.</li> <li>Eine Bildgebung ist nur bei hämodynamisch stabilen Patienten indiziert; instabile Patienten werden sofort chirurgisch versorgt.</li> <li>Leitlinien definieren den Einsatz der Bildgebung in der primären Akutdiagnostik, für die Verlaufsdiagnostik gibt es jedoch wenig Evidenz und sehr unterschiedliche Empfehlungen.</li> </ul> </div> <p>Verletzungen der Urogenitalorgane resultieren aus einer Reihe möglicher Ereignisse und treten häufig in Kombination mit anderen Verletzungen auf. Bei der Versorgung von Patienten mit urologischem Trauma spielt die Bildgebung zwar eine wichtige Rolle, allerdings ist sie nur als Teil einer Gesamtevaluierung zu sehen. Diese sollte je nach Schwere der Verletzung und klinischer Situation unbedingt bereits im Vorfeld jeder Bildgebung erfolgen (Abb. 1). Dabei bestimmen die Ergebnisse aus Anamnese, klinischer Untersuchung und Labor oftmals die weiteren bildgebenden Verfahren. Deren Einsatz ist größtenteils standardisiert und in diversen Leitlinien festgehalten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite23.jpg" alt="" width="626" height="556" /></p> <h2>Verfahren der Situation anpassen</h2> <p>Modifikationen können sich aber durch die Ursache der Verletzung (traumatisch vs. iatrogen), die Art der Verletzung (stumpf vs. penetrierend), den Patienten (kindlicher vs. erwachsener vs. geriatrischer Patient) sowie den Zustand des Patienten (hämodynamisch stabil vs. instabil) ergeben. Diese Faktoren müssen bei der Planung weitestgehend berücksichtigt werden. Bei der Befundung muss auch bedacht werden, dass die Harnorgane sich von anderen Organen insofern unterscheiden, als sie Harn produzieren (Nieren), Harn transportieren (Ureter, Urethra) oder speichern (Harnblase). Dies hat zur Folge, dass Flüssigkeitsansammlungen in unmittelbarer Nähe dieser Organe sowohl aus Blut als auch Urin bestehen können, was weitere spezifische Untersuchungen zur diesbezüglichen Differenzierung notwendig machen kann.<br /> Was die Patienten betrifft, ist zu beachten, dass besonders geriatrische Patienten über deutlich geringere physiologische Reserven verfügen. Daher ist bei ihnen die Mortalität nach schweren abdominellen Traumata mit 81 % signifikant höher als bei nicht geriatrischen Patienten (17 % ), weshalb die Indikationsschwelle für Kontrastmitteluntersuchungen besonders niedrig angesetzt werden sollte – ungeachtet der Tatsache, dass bei diesen Patienten dann in einem höheren Prozentsatz mit renalen Funktionsstörungen zu rechnen ist.<br /> Während bei iatrogenen Verletzungen die Bildgebung anhand der bereits vorliegenden Informationen (z.B. Operationsbericht) in aller Regel sehr gezielt eingesetzt wird, ist die Situation bei abdominellen Traumen insofern komplexer, weil nicht selten mehrere Organe betroffen sind. Daraus resultierend sind auch die Methode und der Stellenwert der Bildgebung sehr unterschiedlich zu sehen (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite24.jpg" alt="" width="623" height="555" /></p> <h2>Verletzungen des Penis</h2> <p>Im Vergleich zu anderen urologischen Organen sind Penisverletzungen selten und in den meisten Fällen handelt es sich um Penisfrakturen im Zuge der sexuellen Aktivität. Als bildgebende Untersuchungen werden die Sonografie und die Magnetresonanztomografie (MRT) fallweise eingesetzt. Wenngleich man sonografisch einen Defekt der Tunica albuginea durchaus erkennen kann, ist die Methode stark abhängig vom Untersucher und nicht sehr genau. Die MRT ist zwar sehr genau, allerdings limitiert durch die nur selten zeitgerechte Verfügbarkeit, weshalb hier bei entsprechender Anamnese und entsprechendem klinischem Bild der chirurgischen Exploration und Versorgung der Vorrang zu geben ist.</p> <h2>Verletzungen von Hoden und Skrotum</h2> <p>Verletzungen der Hoden bzw. des Skrotums, welche meist zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr vorkommen, können ebenfalls durch Anamnese und klinische Untersuchung weitestgehend charakterisiert werden. Beim klinischen Bild einer stumpfen Verletzung – überhaupt bei unklarer Anamnese – sollte immer auch an einen Tumor oder eine Torsion gedacht werden. Auch hier steht die klinische Untersuchung im Vordergrund, wenngleich die Sonografie sowie die Doppler-Sonografie mit einer 95 % igen Sensitivität und Spezifität wertvolle zusätzliche Informationen liefern können. Auch bei der Hodenruptur limitiert die Wartezeit auf eine MRT deren Einsatz, zumal die Erhaltungsraten nach 72 Stunden von 90 % auf 45 % zurückgehen.</p> <h2>Verletzungen der Urethra</h2> <p>Hier muss zwischen der vorderen und der hinteren Harnröhre unterschieden werden. Erstere wird meist iatrogen im Zuge eines Katheterismus verletzt, was selten eine Bildgebung erforderlich macht. Verletzungen der hinteren Harnröhre sind sowohl iatrogen wie auch traumatisch möglich, wobei dislozierte Beckenringfrakturen als Ursache im Vordergrund stehen. Häufige Symptome sind je nach Schwere der Verletzung Hämaturie, Blut am Meatus, Dysurie oder Harnverhalt, ein perineales Hämatom und/oder eine dislozierte Prostata. Allerdings schließt weder das Fehlen dieser Symptome – insbesondere bei kurzer Zeitspanne seit dem Trauma – noch die Möglichkeit einer Katheteranlage eine Urethraverletzung mit Sicherheit aus.<br /> Das diagnostische Mittel der Wahl ist die retrograde Urethrografie, die Aufschluss über „Kontinuität“ und „Dichtheit“ der Harnröhre gibt. Dabei ist besondere Vorsicht geboten, um ein allfälliges Kontrastmittelextravasat möglichst gering zu halten.</p> <h2>Verletzungen der Harnblase</h2> <p>Iatrogene Verletzungen der Harnblase treten mit einer Inzidenz von 1,8 bis 13,8 pro 1.000 Eingriffe im Zuge von urologischen, gynäkologischen, beckenchirurgischen oder auch orthopädischen Operationen auf. Dabei weist die Hysterektomie die höchste Inzidenz auf. Traumatische Blasenverletzungen werden hingegen bei stumpfem Bauchtrauma meist mit voller Blase bzw. bei bis zu 10 % aller Beckenfrakturen gesehen. Ziel der Bildgebung ist es, die Integrität der Blase zu beweisen oder auszuschließen. Differenzialdiagnostisch muss dabei unbedingt zwischen intraperitonealen und extraperitonealen Rupturen unterschieden werden. Bei Verdacht auf eine Blasenverletzung ist das diagnostische Mittel der Wahl die Zystografie, wobei das Muster des Kontrastmittelaustritts in der Regel sehr gut zwischen extra- und intraperitoneal unterscheiden lässt. Auch das CT-Zystogramm wird zur Diagnose verwendet, allerdings soll es nur dann eingesetzt werden, wenn ohnehin eine Computertomografie (CT) aufgrund anderer Fragestellungen angezeigt ist.</p> <h2>Verletzungen der Ureteren</h2> <p>Die Inzidenz iatrogener Ureterverletzungen liegt bei 0,2 bis 7,3 pro 1.000 Eingriffe, wobei die Mehrzahl (rund 80 % ) im Becken lokalisiert ist. Insgesamt machen sie jedoch weniger als 1 % aller urogenitalen Verletzungen aus. In Gegenden mit hoher Kriminalitätsrate resultieren sie zu fast 95 % aus Schussverletzungen. Eine weitere Besonderheit ist darin zu sehen, dass bis zu 80 % bei der initialen Bildgebung nicht erkannt und erst im Verlauf diagnostiziert werden.<br /> Ultraschall und CT lenken meist den Verdacht auf eine Ureterverletzung, wenn Flüssigkeitsansammlungen gesehen werden. Bei der CT ist es wichtig, Bilder in der späten Ausscheidungsphase, also frühestens fünf bis acht Minuten nach Kontrastmittelgabe, anzufertigen. Um einen Kontrastmittelaustritt zu bestätigen und vor allem zu lokalisieren, aber auch um die Art der Versorgung zu bestimmen, ist jedoch die retrograde Ureteropyelografie das Mittel der Wahl.</p> <h2>Verletzungen der Nieren</h2> <p>Von allen urogenitalen Organen sind die Nieren am häufigsten von Verletzungen betroffen. Unterschieden werden stumpfe und penetrierende Verletzungen, wobei stumpfe Gewalteinwirkungen mit 70 bis 80 % der Fälle im Vordergrund stehen. Anamnestisch sollte insbesondere auch bei einem Dezelerationstrauma der Verdacht auf eine Nierenverletzung aufkommen. Häufige Symptome sind Flankenschmerz, Ekchymosen, diffuse abdominelle Beschwerden und Hämaturie.<br /> Der Schweregrad der Verletzung wird nach AAST (American Association for Surgery of Trauma) klassifiziert (Tab. 1). Diese Einteilung bildet die Basis für den diagnostischen und therapeutischen Algorithmus. Gleichzeitig gibt sie eine Information für die Prognose, weil bei Grad 1 bis 3 praktisch nie, bei Grad 5 hingegen sehr oft mit dem Verlust der Niere gerechnet werden muss.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Urologik_Uro_1603_Weblinks_seite25.jpg" alt="" width="875" height="483" /></p> <h2>Methode der Wahl: Computertomografie</h2> <p>An eine Bildgebung ist natürlich nur bei hämodynamisch stabilen Patienten zu denken. Sollte eine Stabilisierung nicht erreicht werden können, ist die sofortige chirurgische Exploration erforderlich. Interessanterweise wird die Frage, ob dabei eine Bildgebung quasi am Operationstisch (sog. „one shot IVP“) erfolgen soll, die Aufschluss über das Vorhandensein und die Funktionalität der kontralateralen Niere gibt, von den einzelnen Fachrichtungen durchaus kontroversiell beantwortet. Einer Umfrage unter den Mitgliedern der GURS (Society of Genitourinary Reconstructive Surgeons) und der AAST (American Association for the Surgery of Trauma) zufolge empfehlen nur 34 % der Unfallchirurgen, aber 82 % der Urologen eine solche Untersuchung.<br /> Beim hämodynamisch stabilen Patienten ist das diagnostische Mittel der Wahl die Computertomografie, die immer mit Kontrastmittel erfolgen muss und eine Ausscheidungsphase zwingend inkludiert. Befürchtungen betreffend eine passagere oder vielleicht sogar dauerhafte Verschlechterung der renalen Funktion spielen dabei eine völlig untergeordnete Rolle.<br /> MRT und funktionelle Bildgebung wie Szintigrafie oder PET haben keinen Stellenwert bei der Evaluierung von Traumapatienten. Eine Angiografie ist nur dann indiziert, wenn eine gleichzeitige Intervention (Embolisation) als sinnvoll erachtet wird.<br /> Während die Bildgebung für die primäre Diagnostik in der Akutphase klar definiert ist, gibt es in der Literatur nur wenig Evidenz und sehr unterschiedliche Empfehlungen für die Verlaufsbildgebung, die sich im Wesentlichen am klinischen Verlauf und an auftretenden Komplikationen orientiert.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p>• Bent C et al: Urological injuries following trauma. Clin Radiol 2008; 63: 1361-71 • Serafetinides E et al: Review of the current management of upper urinary tract injuries by the EAU Trauma Guidelines Panel. Eur Urol 2015; 67: 930-6 • Morey AF et al: Urotrauma: AUA Guideline. J Urol 2014; 192: 327-35 • Esparaz AM et al: Iatrogenic urinary tract injuries: etiology, diagnosis, and management. Semin Intervent Radiol 2015; 32: 195-208 • Hardee MJ et al: Process improvement in trauma: compliance with recommended imaging evaluation in the diagnosis of high-grade renal injuries. J Trauma Acute Care Surg 2013); 74: 558-62 • Dayal M et al: Imaging in renal trauma. World J Radiol 2013; 5: 275-84 • Myers JB et al: High-grade renal injuries: radiographic findings correlated with intervention for renal hemorrhage. Urol Clin North Am 2013; 40: 335-41</p>
</div>
</p>
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