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Update und Ergebnisse einer monozentrischen 10-Jahres-Auswertung
Urologik
Autor:
Dr. Andrea Katharina Lindner
Universitätsklinik für Urologie<br> Medizinische Universität Innsbruck<br> E-Mail: andrea.lindner@i-med.ac.at
Autor:
OA Dr. Gert Schachtner, FEBU
Universitätsklinik für Urologie<br> Tirol Kliniken – Landeskrankenhaus Innsbruck<br> E-Mail: gert.schachtner@tirol-kliniken.at
30
Min. Lesezeit
21.08.2019
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<p class="article-intro">Die Zystektomie kombiniert mit einer pelvinen Lymphadenektomie stellt den Standard der Therapie beim muskelinvasiven Urothelkarzinom der Harnblase dar. Die organerhaltende trimodale Therapie gilt für Patienten, deren Zustand eine Zystektomie nicht zulässt bzw. deren Wunsch ein primärer Organerhalt ist, als Alternative. Das Konzept der multimodalen Therapie ist eine komplette TUR-B, gefolgt von einer kombinierten Radiochemotherapie (RCT), wobei Cisplatin, 5-Fluorouracil und/oder Gemcitabin zu den primär verabreichten Zytostatika zählen. In unserer demografisch alternden Gesellschaft mit der zunehmenden Eigenschaft „cisplatin-unfit“ bietet die Verwendung eines Radiosensitizers bzw. die alleinige Radiotherapie (RT) eine Alternative.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Maximale TUR-B mit Tumorgrundbiopsie und Blasenmapping stellt einen essenziellen Prognosefaktor für die komplette Remission dar.</li> <li>Radiotherapie mit Radiosensitizer bzw. alleinige Radiotherapie ist eine Alternative für Cisplatin-unfitte Patienten.</li> <li>Eine Salvage-Zystektomie ist bei persistierendem Tumor oder invasivem Lokalrezidiv nach RCT schnell einzuleiten.</li> </ul> </div> <h2>Die trimodale Therapie und deren Ergebnisse</h2> <p>Die trimodale Therapie kann bei Patientenwunsch nach Blasenerhalt sowie auch bei Kontraindikationen gegen eine radikale Zystektomie angewandt werden. Zu Therapiebeginn steht eine möglichst maximale TUR-B ohne makroskopisch sichtbare Tumorresiduen, inklusive Tumorgrundbiopsien und Blasenmapping, gefolgt von einer kombinierten Radiochemotherapie 2 bis 4 Wochen postoperativ (Abb. 1).<sup>1</sup> Entscheidender Prädiktor für das Ansprechen auf die RCT und ein Prognosefaktor für das Gesamtüberleben ist eine initial möglichst komplette TUR-B.<sup>2</sup> Ein verzögerter Beginn der Radiochemotherapie gibt die Indikation zu einer Re- TUR-B; hier zeigte sich bei > 50 % der Patienten ein nochmalig nachgewiesener Resttumor, dessen vollständige Nachresektion eine Verbesserung des 5-Jahres- Gesamtüberlebens darstellt.<sup>3</sup> Eine weitere Biopsieentnahme bzw. TUR-B sollte 6 bis 12 Wochen nach abgeschlossener RCT zur Bestätigung einer kompletten Remission erfolgen. Das Vorliegen eines invasiven Tumors (pT > 1) nach RCT indiziert eine Salvage-Zystektomie, bei nicht invasiven Rest- und Rezidivtumoren sollte eine weitere intravesikale Behandlung (TUR-B & Instillationstherapie) im Sinne der Behandlung der nicht muskelinvasiven Urothelkarzinome erfolgen.<sup>4</sup> Die simultane RCT ist der alleinigen RT bei muskelinvasivem Blasenkarzinom überlegen,<sup>5, 6</sup> hier werden in der Kombination primär Cisplatin oder 5-FU in Kombination mit Mitomycin C als Chemotherapeutika eingesetzt.<sup>6, 7</sup> Die Standardradiotherapie beinhaltet eine perkutane Strahlentherapie der Blase und pelvinen Lymphknoten mit einer initialen Dosis von 40 Gy mit zusätzlichem Boost auf die Blase von 54 Gy sowie einem weiteren lokalen Tumorboost mit einer Gesamtdosis von 64 Gy.<sup>8</sup><br /> Das krebsspezifische 5-Jahres-Überleben (CSS) und das Gesamtüberleben (OS) variieren zwischen 50 und 82 % und 36 und 74 %, mit Salvage-Zystektomieraten von 10–30 %.<sup>6–9</sup> Schlechtere Überlebensdaten waren mit höherem Alter, Komorbiditäten und höherem Tumorstadium verbunden. Der Vergleich der Wirksamkeit und des Überlebens nach Zystektomie versus blasenerhaltende Therapie kann anhand von Metaanalysen retrospektiver Studien gemacht werden. Hier zeigen sich keine signifikanten Unterschiede im 10-Jahres-Gesamtüberleben, dem krankheitsspezifischen Überleben oder dem progressionsfreien Überleben (PFS).<sup>10</sup> Ritch et al. zeigten ein 5-Jahres-Gesamtüberleben von 38 % nach Zystektomie und 30 % nach organerhaltender Therapie. Die kombinierte RCT war hier mit einer niedrigeren 1-Jahres-Mortalität, jedoch mit einer schlechteren 2- und 3-Jahres-Mortalität assoziiert.<sup>11</sup> Nach durchgeführter RCT zeigen sich die meisten Patienten bezüglich Miktionsbeschwerden nach lokaler Bestrahlung nicht beeinträchtigt. 75 % der Patienten zeigen eine postinterventionell unauffällige Urodynamik, 85 % keine bzw. nur milde Drangbeschwerden und nur 15 % berichten von gastrointestinalen Nebenwirkungen.<sup>12</sup> Eine urogenitale Toxizität Grad 3 wie z. B. Dysurie, Pollakisurie und vermindertes Blasenvolumen fand sich bei 5,7 %, eine gastrointestinale Toxizität (unter anderem ileustypische Beschwerden und Blutungen) lediglich bei 1,9 %.<sup>13</sup> Salvage- Zystektomien gehen in der Literatur mit den gleichen Komplikationsraten wie eine primäre Zystektomie einher.<sup>14</sup> Zur alltäglichen Lebensqualität nach Zystektomie oder Radiotherapie zeigte eine retrospektive Studie bessere Resultate für den blasenerhaltenden Therapieansatz, vor allem für die sexuelle Aktivität.<sup>15</sup> <br />Die trimodale Therapie bietet insbesondere älteren Patienten mit Begleiterkrankungen eine schonende Alternative zur radikalen Blasenentfernung.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s19_abb1_schachtner.jpg" alt="" width="1691" height="814" /></p> <h2>Ergebnisse einer „Single center“- Studie mit Fokus auf Cisplatinunfitte Patienten</h2> <p>Die Literatur zur multimodalen Therapie bei Cisplatin-unfitten Patienten ist rar, folglich ist das Ziel der Studie ein retrospektiver Vergleich des onkologischen Überlebens von Cisplatin-unfitten Patienten nach Erhalt einer Radiotherapie mit Radiosensitizer (Vinorelbin) oder alleiniger Radiotherapie.<br />An unserem Zentrum konnten über einen Zeitraum von 10 Jahren (2005–2015) insgesamt 62 Patienten ausgewertet werden, die bei muskelinvasivem Urothelkarzinom, Stadium cT2a–T4a, eine primäre organerhaltende Radiotherapie bzw. kombinierte Radiochemotherapie erhalten haben. Einschlusskriterium war unter anderem, dass die Follow-up-Tumornachsorge an unserem uroonkologischen Zentrum durchgeführt wurde, welche im Median 24,2 Monate betrug. Das Geschlechterverhältnis betrug 3,4 männliche pro einzelnen weiblichen Patienten, das mittlere Alter betrug 77,6 Jahre. Von 62 eingeschlossenen Patienten zeigten sich 13 „cisplatin-fit“ und 49 Patienten „cisplatin-unfit“, von diesen erhielten 33 eine RT mit dem Radiosensitizer Vinorelbin und 16 eine alleinige RT. Der Beginn der Radiotherapie erfolgte im Mittel 4 bis 6 Wochen nach initialer transurethraler Tumorresektion. Die Patienten erhielten eine konventionell fraktionierte Bestrahlung mit 1,8 bis 2 Gy pro Tag, aufgeteilt auf 5 Fraktionen pro Woche. Die Chemotherapie mit Cisplatin wurde nach dem Erlangen-Schema verabreicht (Cisplatin 25 mg/m<sup>2</sup> an Tag 1–5 und Tag 29–33) und Vinorelbin wurde in einer Dosis von 60 mg pro Woche oral eingenommen. Alle Patienten erhielten 6 bis 8 Wochen nach Abschluss der Bestrahlung eine erneute TUR-B zur Erfolgskontrolle, hier zeigten 72,6 % eine komplette Remission. Resttumor wurde bei den restlichen 27,4 % der Patienten gefunden, 10 dieser Patienten mit histologischem Befund eines Urothelkarzinoms ≥ pT2 erhielten eine Salvage-Zystektomie, die restlichen 7 Patienten mit einem gesicherten nicht muskelinvasiven Urothelkarzinom wurden nach ausgedehnter TUR-B einer intravesikalen Therapie gemäß den Leitlinien je nach Tumorstadium und -grad unterzogen.<br />Bei den Ergebnissen zeigte sich unter den Cisplatin-unfitten Individuen einzig eine Signifikanz im Altersunterschied, Patienten, die alleinig eine RT erhielten, waren signifikant älter als jene mit Kombination von RT mit Vinorelbin. Vinorelbin-erhaltende Patienten hatten ein medianes Gesamtüberleben von 33,9 Monaten, ein medianes krankheitsspezifisches Überleben von 34,1 Monaten und ein medianes lokales rezidivfreies Überleben (RFS) von 20,5 Monaten, Patienten mit alleiniger RT von 11,3, 18,8 und 23,1 Monaten. Ein signifikanter Unterschied in den Überlebensgruppen konnte hier nicht dargestellt werden. Signifikant häufiger zeigte sich die komplette Remission bei höherer Kreatinin- Clearance und Abwesenheit einer Hydronephrose bei der Erstdiagnose. Eine komplette Remission zeigte sinngemäß ebenfalls einen signifikant positiven Einfluss in allen Überlebensgruppen (p < 0,001). Im Vergleich zu anderen Studien der kombinierten Radiochemotherapie ist unser mittleres Alter der Patienten erhöht, Überlebenskurven sind in Zusammenschau mit der vorhandenen Literatur durchaus vergleichbar.<br /> Zusammenfassend konnten wir bei unserer retrospektiven Analyse mit einer Kohorte von 62 Patienten zunächst kein signifikant längeres Überleben bei erhaltener RT mit dem Radiosensitizer Vinorelbin verglichen mit alleiniger RT feststellen.</p> <h2>Neue Therapiestrategien beim muskelinvasiven Blasenkarzinom</h2> <p>Neue Therapieansätze und laufende Studien zur Anwendung der trimodalen Therapie wurden am diesjährigen ASCO 2019 in Chicago präsentiert: die SWOG/ NRG-1806-Studie, welche die Chemoradiation +/– Atezolizumab vergleicht (NCT03775265), DUART – eine Kombination von Durvalumab mit Radiotherapie gefolgt von adjuvanter Durvalumab-Gabe (NCT02891161) und eine Arbeit zu Pembrolizumab mit Gemcitabin und gleichzeitiger hypofraktionierter Radiotherapie (NCT02621151).<br /> Das Aufkommen der systemischen und lokalen Therapie mit Immunmodulatoren auch im Bereich der primär organerhaltenden Therapie scheint für die Zukunft wegweisend zu werden, hier sind die Ergebnisse abgeschlossener Studien noch abzuwarten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Urologik_Uro_1903_Weblinks_uro_1903_s20_tab1_schachtner.jpg" alt="" width="1456" height="1207" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Rödel C et al.: Trimodality treatment and selective organ preservation for bladder cancer. J Clin Oncol 2006; 24: 5536-44 <strong>2</strong> Rödel C et al.: Combined-modality treatment and selective organ preservation in invasive bladder cancer: long-term results. J Clin Oncol 2002; 20: 3061-71 <strong>3</strong> Suer E et al.: Significance of second transurethral resection on patient outcomes in muscle-invasive bladder cancer patients treated with bladder-preserving multimodal therapy. World J Urol 2016; 34: 847 <strong>4</strong> Babjuk M et al.: EAU Guidelines on non-muscle-invasive urothelial carcinoma of the bladder: Update 2016. Eur Urol 2017; 71(3): 447-61 <strong>5</strong> Coppin CM et al.: Improved local control of invasive bladder cancer by concurrent cisplatin and preoperative or definitive radiation. The National Cancer Institute of Canada Clinical Trials Group. J Clin Oncol 1996; 14: 2901-7 <strong>6</strong> James ND et al.: Radiotherapy with or without chemotherapy in muscle-invasive bladder cancer. N Engl J Med 2012; 366: 1477-88 <strong>7</strong> Hoskin PJ et al.: Radiotherapy with concurrent carbogen and nicotinamide in bladder carcinoma. J Clin Oncol 2010; 28: 4912 <strong>8</strong> Ploussard G et al.: Critical analysis of bladder sparing with trimodal therapy in muscle- invasive bladder cancer: a systematic review. Eur Urol 2014; 66: 120 <strong>9</strong> Ramani VA et al.: Differential complication rates following radical cystectomy in the irradiated and nonirradiated pelvis. Eur Urol 2010; 57: 1058 <strong>10</strong> Vashistha V et al.: Radical cystectomy compared to combined modality treatment for muscle-invasive bladder cancer: a systematic review and meta-analysis. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2017; 97: 1002-20 <strong>11</strong> Ritch CR et al.: Propensity matched comparative analysis of survival following chemoradiation or radical cystectomy for muscle-invasive bladder cancer. BJU Int 2018; 121(5): 745-51 <strong>12</strong> Efstathiou JA et al.: Long-term outcomes of selective bladder preservation by combined-modality therapy for invasive bladder cancer: the MGH experience. Eur Urol 2012; 61(4): 705-11 <strong>13</strong> Efstathiou JA et al.: Late pelvic toxicity after bladdersparing therapy in patients with invasive bladder cancer: RTOG89-03, 95-06, 97-06, 99-06. J Clin Oncol 2009; 27: 4055-61 <strong>14</strong> Cohen SM et al.: The role of perioperative chemotherapy in the treatment of urothelial cancer. Oncologist 2006; 11: 630 <strong>15</strong> Caffo O et al.: Assessment of quality of life after cystectomy or conservative therapy for patients with infiltrating bladder carcinoma. A survey by a self-administered questionnaire. Cancer 1996; 78: 1089-97 <strong>16</strong> Mak RH et al.: Longterm outcomes in patients with muscle-invasive bladder cancer after selective bladder-preserving combined-modality therapy: a pooled analysis of Radiation Therapy Oncology Group protocols 8802, 8903, 9506, 9706, 9906, and 0233. J Clin Oncol 2014; 32: 3801-9 <strong>17</strong> Housset M et al.: Concomitant fluorouracil (5-FU)-cisplatin (CDDP) and bifractionated split course radiation therapy for invasive bladder cancer. Proc Am Soc Clin Oncol 1997; 16: 319a <strong>18</strong> Tunio MA et al.: Whole pelvis or bladder-only chemoradiation for lymph node-negative invasive bladder cancer: single institution experience. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2012; 82: e457-62 <strong>19</strong> Tester W et al.: Combined modality program with possible organ preservation for invasive bladder carcinoma: results of RTOG protocol 85-12. Int J Radiat Oncol Biol Phys 1993; 25: 783-90</p>
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</p>