
Transgender und nichtbinäre Personen: Tipps für die Praxis
Bericht: Martha-Luise Storre
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Trotz eines wachsenden Bewusstseins für Genderdiversität gibt es weiterhin Unsicherheiten und auch Bias gegenüber Personen mit Geschlechtsinkongruenz. Was gilt es beim Umgang und der Behandlung von transgender und nichtbinären Personen im klinischen Alltag zu berücksichtigen?
Keypoints
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Im Gesundheitswesen gibt es eine wahrgenommene Diskriminierung von LGBTQ-Personen. Die Vorurteile können sowohl bewusst als auch unbewusst geäussert werden.
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Zusätzlich zu herkömmlichen Stressoren leiden Personen mit Geschlechtsinkongruenz häufig zusätzlich unter «minority stress».
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Eine integrative medizinische Ausbildung sowie standardisierte klinische Leitlinien sind Ansätze für einen adäquaten, nichtdiskriminierenden Umgang.
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich neben dem Wort Geschlecht der aus dem Englischen stammende Begriff Gender etabliert. Während sich Ersteres auf das biologische Geschlecht bezieht, beschreibt Gender das soziale bzw. kulturelle Konstrukt, das sich auf die Rollen, Verhaltensweisen, Erwartungen und Identitäten bezieht, die die Gesellschaft mit dem Mannsein, dem Frausein oder dem Nichtbinären in Verbindung bringt, erläuterte Dr. med. Alexis Laungani, plastischer Chirurg aus Montreal/Kanada, bei seinem Vortrag am IMCAS. In der Medizin gebe es ein Bias gegen sexuelle Minderheiten, berichtete Laungani. Demnach kommt es nachweislich zu einer wahrgenommenen Diskriminierung von LGBTQ-Personen im Gesundheitswesen.1Gründe hierfür können laut dem Experten eine mangelnde Ausbildung, Stigmatisierung trotz guter Absichten sowie die Unkenntnis in Bezug auf die spezifischen Probleme bzw. die Terminologie sein. Dabei können die Vorurteile sowohl expliziter als auch impliziter Natur sein: Das explizite, absichtliche Bias oder die Diskriminierung von transgender Personen in der Medizin äussert sich beispielsweise durch Verweigerung einer geschlechtsangleichenden Behandlung oder eine absichtlich falsche Ansprache der Person. Dies wiederum schafft systematisch Hindernisse für die Gesundheitsversorgung, was zu Misstrauen, Vermeidung von medizinischer Versorgung und schlechteren Gesundheits-Outcomes führt, so Laungani. Der implizite Bias hingegen resultiert aus unbewussten, automatischen Stereotypen über transgender Personen. Hierzu zählt unter anderem die Annahme, dass alle transgender Patienten eine medizinische Transition wünschen oder benötigen. Ebenso erfolge in manchen Fällen eine qualitativ schlechtere Versorgung aufgrund von Unbehagen oder mangelndem Wissen, führte Laungani aus.
Wie kann man betroffene Personen – Patientinnen und Patienten ebenso wie medizinisches Personal – hiervor besser schützen? Bei bewusst ausgelebtem Bias könnten Antidiskriminierungsmassnahmen, ein rechtlicher Schutz sowie entsprechende Schulungsmassnahmen greifen. Beim unabsichtlichen Bias bieten sich eine integrative medizinische Ausbildung sowie standardisierte klinische Leitlinien für die Betreuung von transgender Personen als Massnahmen an.
Gewählte Pronomen
Im Gegensatz zum Englischen gibt es im Deutschen keine geschlechtsneutrale Alternative zu den Pronomen «er»/«ihn» und «sie»/«ihr». Viele Personen verwenden die eingedeutschte Version «dey» des englischen Pronomens «they». Manche Personen entscheiden sich dafür, gar keine Personalpronomen zu verwenden. In diesem Fall wird der Vorname eingesetzt.
«Minority stress» und seine Folgen
Personen aus der LGBTQ-Gemeinschaft sind häufig mit besonderen Stressoren konfrontiert: Die Theorie des Minderheitenstresses oder «minority stress» beruht ursprünglich auf der Hypothese, dass gesundheitliche Ungleichheiten bei sexuellen Minderheiten auf eine übermässige Belastung durch sozialen Stress zurückzuführen sind, dem sie aufgrund ihres stigmatisierten sozialen Status im Vergleich zu heterosexuellen Bevölkerungsgruppen ausgesetzt sind.2 Das sogenannte «minority stress model» wurde inzwischen auf geschlechtliche Minderheiten ausgeweitet und beschreibt insbesondere die Rolle der Nichtbestätigung des Geschlechts als Stressfaktor für transsexuelle und nichtbinäre Menschen. Minderheitenstress unterscheidet sich von allgemeinem Stress – Stress, den alle Menschen erleben können – durch seinen Ursprung in Vorurteilen und Stigmatisierung. Dies kann zum einen durch externe bzw. distale Faktoren wie Diskriminierung, Gewalt oder Zurückweisung getriggert werden. Zum anderen tragen aber auch interne bzw. proximale Stressoren wie verinnerlichte Transphobie, Antizipation von Ablehnung und Identitätsverschleierung ihren Teil zum «minority stress» bei, so der Experte. Erfahren Menschen gleichzeitig verschiedene Diskriminierungsformen – sei es aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität, Herkunft oder wegen Behinderungen –, spricht man von intersektionalem Stress. Die unterschiedlichen Formen der Diskriminierung können sich gegenseitig verstärken, was zu einer besonders belastenden Situation für die Betroffenen führt und entsprechende gesundheitliche Folgen haben kann, meinte Laungani. Die kritische Frage, die es sich selbst zu stellen gelte, sei: Ist man bereit und in der Lage, zu helfen? Hierfür ist es notwendig, seine eventuell vorhandenen eigenen Vorurteile zu erkennen. Die Überbrückung von Wissenslücken und der Erwerb kultureller Kompetenz ebnen den Weg zu einem verständnisvollen Miteinander.
Terminologie
Geschlechtsinkongruenz: Diskrepanz zwischen der Geschlechtsidentität einer Person und dem ihr bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht
Geschlechtsdysphorie: psychische Belastung, wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt
Transition: Prozess, durch den eine Person ihre Geschlechtsidentität durch soziale, medizinische oder rechtliche Mittel anpasst
transPerson: eine Person, deren Geschlechtsidentität sich von dem ihr zugewiesenen Geschlecht unterscheidet
nichtbinärePerson: eine Person, die sich nicht ausschliesslich als männlich oder weiblich identifiziert oder Geschlechtsbezeichnungen ablehnt
cisPerson: eine Person, deren Geschlechtsidentität mit dem ihr zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt
LGBTQ: Sammelbegriff für homosexuelle, bisexuelle, trans und queere Personen, der auch inter- und asexuelle Menschen umfasst
Genderinklusive Betreuung in der Praxis
Was kann man im direkten Umgang mit transgender und nichtbinären Personen im Praxisalltag, insbesondere im Rahmen ästhetischer Konsultationen, beachten? Zunächst gelte es generell, eine sichere und willkommen heissende Umgebung zu gestalten, so Laungani. Das umfasse neben geschlechtsneutralen Toiletten die Verwendung des persönlichen Pronomens sowie des gewählten Namens. Man solle vermeiden, im Wartezimmer «Herr» oder «Frau» zu rufen, sondern stattdessen nur den Namen nennen, meinte der Experte. Essenziell sei hierfür ein entsprechend gut geschultes Personal.
Wichtig sei zudem, die Patientenziele auf geschlechtsneutrale Weise zu betrachten: Das bedeute keine Vorgabe von ästhetischen Zielen, keine «Standard»-Gesichtsanalyse sowie eine Offenheit für individuelle Wünsche, auch wenn sie nicht gängigen Standards entsprächen. Manche Eingriffe seien geschlechtsbestätigend, manche schönheitsfördernd motiviert. Auf medizinischer Ebene sei zudem eine spezifische Anamnese der Transition bezüglich Hormonen und bisher erfolgter Interventionen unerlässlich.
Laungani rief zudem dazu auf, die Behandlungen und Ergebnisse gut zu dokumentieren und wenn möglich auch zu publizieren. Gerade bei dieser Patientengruppe gebe es einen grossen Bedarf an Multiplikation.
Mit nichtchirurgischen Interventionen begleiten
Personen im Transitionsprozess möchten nicht vage weiblich oder männlich aussehen, erläuterte Dr. med. Alexander Rivkin, Los Angeles/USA. Während chirurgische Eingriffe zu grossen strukturellen Veränderungen führen, könne man mithilfe von Unterspritzungen und Laser wichtige Detailarbeit leisten. Unerlässlich seien eine Analyse des Gesichts und eine entsprechende personalisierte Planung.
Worin unterscheiden sich feminine und maskuline Gesichter bzw. was sind die Ideale? Während Männer einen kräftigen Kiefer und ein kantigeres Gesicht haben, ist bei Frauen das obere Drittel des Gesichts dominanter, mit hochgezogenen Augenbrauen. Bei Männern sind die Augenbrauen stärker behaart und niedriger, die Augen sind kleiner und die Mimikfalten auf der Stirn ausgeprägter. Bei Frauen sind die Wangenknochen höher, ausgeprägter und stärker vorstehend, während bei Männern die Wangen flach sind und der Jochbeinbogen ausgeprägter und stärker ist.3 Weiblichkeit und Männlichkeit sind laut dem Experten eine gelungene Mischung aus vielen diskreten Elementen, die Gesichtsform, Stirn, Nase, Kiefer, Kinn sowie die Haut umfassen.
Wichtig sei, zu beachten, dass die Patientinnen und Patienten nicht nur mit dem Wunsch, maskuliner oder femininer auszusehen, in die ästhetische Praxis kämen, so Rivkin. Es gehe vor allem auch um die Themen Attraktivität, Jugend und Gesundheit. Diese Details liessen sich oftmals auf kreativem Weg mit nichtchirurgischen Eingriffen umsetzen, meinte Rivkin. Somit könne man Personen im Transitionsprozess optimal begleiten und unterstützen.
Quelle:
Vortrag «Approach of the transgender & non-binary patient» von Dr. med. Alexis Laungani, Montreal/Kanada, sowie «Non-surgical procedures for the transgender and nonbinary patient» von Dr. med. Alexander Rivkin, Los Angeles/USA, im Rahmen des IMCAS World Congress, 30. Januar 2025, Paris
Literatur:
1 Sileo KM et al.: Assessing LGBTQ+ stigma among healthcare professionals: An application of the health stigma and discrimination framework in a qualitative, community-based participatory research study. J Health Psychol 2022; 27(9): 2181-96 2 Frost DM, Meyer IH: Minority stress theory: Application, critique, and continued relevance. Curr Opin Psychol 2023; 51: 101579 3 Flament F et al.: Gender-related differences in the facial aging of Caucasian French subjects and their relations with perceived ages and tiredness. J Cosmet Dermatol. 2021; 20(1): 227-36 4 https://www.gender-und-diversity.fau.de/glossary/pronomen/ zuletzt abgerufen am 30.4.2025
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